Ich hoffe, ihr übt Nachsicht mit einem Neuankömmling, der einen alten Post puscht, aber beim Thema Wein kann ich es nicht lassen:
Hochprozentige Killer:
Alkohole haben ihr bakterientötendes Wirkungsmaximum bei einem Alkoholgehalt von 60 - 80 % in Wasser. Zur Händedesinfektion nimmt man heute daher Lösungen mit einem Gehalt von etwa 60-65% 2-Propanol. (z.B. Sterilium, Descoderm). Propanol wird verwendet, weil es wirksamer, hautfreundlicher und billiger ist als Ethanol(Trinkalkohol), Ethanol selbst wirkt aber fast genauso gut.
80%iger Alkohol würde noch ein bisschen besser wirken, beansprucht aber die Haut deutlich stärker.
Das Alkoholgemisch wirkt durch die Zerstörung der Bakterienhülle. Reiner Alkohol wirkt gegen Bakterien schlechter, da er die Hülle "verhärtet". Bei Viren dagegen ist der reine Alkohol wirksamer, daher verwendet man ihn z.B. bei Noroviren-Ausbrüchen mit einem kleinen Anteil Benzalkoniumchlorid (Sterilium Virugard). Damit kriegt man dann auch Pilzsporen kaputt, gegen die Alkohol sonst nicht hilft.
Whisky in the jar, Wodka for the skin:
Unsere Hausbar enthält normalerweise Getränke mit einem Gehalt von 32-50% Alkohol. In dieser Verdünnung ist die desinfizierende Wirkung nicht mehr so umfassend, aber immer noch vorhanden. Wenn man also auf einer Treckingtour in Alaska von einem Bären zerfleischt wurde, nachdem das Erste-Hilfe-Kit von dem TSA-Officer am Flughafen konfisziert wurde, ist die Flasche Wodka ein brauchbarer Ersatz.
Viel hilft viel - da sich der Schnaps in der Wunde mit Blut, Wundflüssigkeit oder Eiter vermischt, sinkt seine Konzentration unter den wirksamen Bereich, wenn man ihn zu zaghaft einsetzt. Whisky dagegen sollte dafür nicht benutzt werden - mal ehrlich, was ist kostbarer: ein Bein oder ein Glas alter Bruichladdich?
Leider ist mir unbekannt, in welcher Konzentration Muhammad Razi und Abu ibn Sina den Alkohol angewendet haben - auf jeden Fall haben sie damit einen Wirkstoff entdeckt, der noch heute eine unglaublich wichtige Roille spielt und mit dem sie in dem Bereich der Hygiene den Europäern Jahrhunderte voraus waren.
Zur Frage von Nerga bzw. Morifea: Damit sind Razi und ibn Sina diejenigen, die die desinfizierende Wirkung von Alkohol als erste ausgenutzt oder zumindest beschrieben haben, denn Wein hat diese normalerweise nicht.
Galenus und der Samariter auf der Straße nach Jericho:
Bei einem Alkoholgehalt von 16 - 25% ist zwar keine deutliche desinfizierende Wirkung mehr vorhanden, aber das Bakterienwachstum wird gestoppt. Heutiger Wein erreicht diesen Alkoholgehalt normalerweise nicht mehr. Aber Galenus lebte im 2. Jahrhundert u.Z. vorwiegend in Pergamon und Rom, arbeitete also vermutlich mit römischen Modeweinen. Und die hatten angeblich einen Alkoholgehalt von 16% oder mehr.
Damit hatte auch der barmherzige Samariter, der sich im Neuen Testament so rührend um das Hooliganopfer kümmerte, etwas bei sich, das auf der Straße nach Jericho vermutlich eine Kostbarkeit war: keimarmes Wasser, in dem selbst nach mehreren Wandertagen keine Bakterien wachsen konnten.
Zu den Mibis von der Oregon State Uni:
Wie schon gesagt, eigentlich zeigen die meisten Untersuchungen, dass heutiger Wein nicht "scharf" genug ist, um Bakterien zu killen. Andererseits gibt es Stoffe, die zusammen mit niedrigkonzentriertem Alkohol plötzlich eine Wirkung zeigen, die über die der einzeln verwendeten Stoffe hinausgeht. Dazu gehören zum Beispiel quartäre Ammoniumverbindungen.
Zu den quartären Ammoniumverbindungen gehören Stoffe wie Cholin (enthalten z.B. in Schweinegalle), Muscarin (der Wirkstoff des Fliegenpilzes), Sanguinarin (zu finden in Mohn, noch heute als Bakterizid verwendet)...
(Was jetzt kommt, ist pure Spekulation):
Wir wissen ja, dass die Römer üble Panscher waren und alles ausprobierten, was nicht bei drei auf den Bäumen war. In ihren Weinen fanden sich alle möglichen Kräuter und Harze. Könnte es sein, dass sie einen Glücklichmacher wie den Fliegenpilz in den Wein mischten? Dass ein römischer Kaufmannslehrling sich dachte: "Ich habe Langeweile, sechzig Amphoren Wein und drei Schweinegallen. Was könnte man ...?"
Viele natürlich vorkommende Alkaloide sind quartäre Ammoniumverbindungen und haben eine rauschfördernde Wirkung. Der Beginn der Alkoholdesinfektion könnte also doch in einem antiken Weinkeller zu finden sein, in dem ein römischer Tavernenbesitzer seinen Gästen einen echten Knaller servieren wollte.