Clark: "Die Briten waren durch die deutsche Flottenrüstung viel weniger beunruhigt, als immer behauptet wird. Von 1908 an ist klar, dass das Deutsche Reich den Rüstungswettlauf auf den Meeren verloren hat. Umso genauer beobachten die Briten die russische, amerikanische und japanische Flotte."
Diese Einschätzung legt Clark in seiner Analyse der britischen Haltung in der Juli-Krise 1914 bis zum Kriegsausbruch zugrunde. Sie beruht auf einer bemerkenswerten Fehleinschätzung der neueren Literatur, die eine Revision der älteren Beschreibung (bei Clark wird die "Revision" an Marders Grundlagenwerk festgemacht) des maritimen Rüstungswettlaufes gebracht haben.
Richtig ist zunächst die inzwischen eingetretene Revision des Bildes von der „dreadnought-Revolution“. Die Autoren wie Sumida und Lambert haben eine Neuinterpretation der Fisher-Reformen vorgelegt, die auf die umfassenden technologischen, strategischen und taktischen Veränderungen abstellten (kulminiert im Schlagwort“ flotilla defence“), und sich vom „Zählen“ des Neubauten-Wettlaufes an „Schlachtschiffen“ zwischen Großbritannien und dem Deutschen Reich in den politischen Auswirkungen verabschiedet hat. Die Einzelheiten zu diesen "Revolutionen" können in den entsprechenden Werken nachgelesen werden.
Die Autoren stellen jedoch zugleich die Friktionen fest, die zwischen Politik und Militär, speziell Royal Navy, in diesen Fragen geherrscht haben. Und zugleich bestätigen sie den umfassenden Einfluss des deutsch-britischen Rüstungswettlaufes, der auf diese Reformen 1. über die begrenzten finanziellen Ressourcen, 2. über die laufend veränderte Kräftelage und 3. über die weitgehende Nordsee-Bindung eingewirkt hat.
Wenn Clark hier richtig auf die Neuinterpretation der britischen Strategie 1904/14 hinweist, so ist sein Schluss über die zu relativierende Bedeutung des deutsch-britischen Gegensatzes falsch. Das Gegenteil ist der Fall, wie bei Lambert, Sumida etc. nachzulesen. Zugespitzt
- war einserseits der britische Fokus der Flottenrüstung global, und waren hierauf die Reformen ausgerichtet
- band der Rüstungswettlauf bei den „dreadnoughts“ (mit dem Kontrahent Deutsches Reich) andererseits wesentliche britische Ressoucen, so dass die technologischen, strategischen und taktischen Reformen mit ihrer eigentlich globalen Ausrichtung „steckenblieben“.
Die globale und „blue water“-Ausrichtung der Royal Navy zu betonen, heißt somit nicht, den deutsch-britischen Gegensatz als vernachlässigbar und 1914 als entschieden zu betrachten. Die im Rüstungswettlauf erzwungene Bindung der Kräftemasse in der Nordsee stand sogar diametral dieser an sich globalen Sicherung des Empire und den global steigenden Herausforderungen entgegen. Die „revisionistische“ Literatur hebt damit den deutsch-britischen Gegensatz in seiner Bedeutung nicht auf (und das hat auch keiner der Autoren so dargestellt, das ist vielmehr der Fehlschluss von Clark) sondern stellt ihn im Gegenteil verschärft dar.
Dass der Rüstungswettlauf 1914 quasi durch die Bauprogramme entschieden war, ist kein inhaltlicher Widerspruch zu der fortbestehenden Antagonie. Clark unterliegt hier einem erstaunlichen Missverständnis des Forschungsstandes. *
Einzelheiten zum angesprochenen Forschungsstand können im Forum u.a. unter den Stichworten Sumida und Lambert gefunden werden.
Basierend auf dieser 1914 bestehenden Konfrontation durch die Ressourcenbindung, und auf den innerbritischen Kontroversen über die weitere navy-gestützte Sicherung des Empire (die potenziellen Gegner dieser Szenarien waren global USA, Frankreich und Russland, und vor der Haustür das Deutsche Reich durch die prekäre Nordsee-Fesselung) ist dann das „wie“ der britischen Politik in der Juli-Krise zu erklären. Bis in die letzte Juli-Dekade hinein bestand in der britischen Politik die Grundausrichtung, bloß "Zuschauer" einer eskalierenden kontinentalen Krise zu sein.
In diesem Rahmen einer begrenzten Aufmerksamkeit und eines begrenzten Interesses wurde dem Zweiverband vermittelt, nicht mit einem britischen Kriegseintritt zu kalkulieren, während dem Deutschen Reich vermittelt wurde, nicht mit einem außenstehenden Großbritannien in der Eskalation zu rechnen. Zu den drei fundamentalen Aspekten später (Crowe-Memo vom 24./25.7.1914, finanzielle Einflüsse der City, Kriegsplanung), die die britische Haltung veränderten (Mombauer, Origins).
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* wobei Details bei Clark wie die unzureichenden Zitate im JoMH, „1908“ oder „Japan“ außer Acht bleiben können.