Hallo, viele Fragen wurden ja schon sehr kompetent beantwortet.
Zu einigen anderen kann ich vielleicht noch den einen oder anderen Senf abgeben.
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Mich interssiert was in der Spanne nach dem Tod Mohammads passiert ist, und warum die Muslime erst Werke zum Islam später verfasst haben.
Sie haben vielleicht auch schon vorher Werke verfasst, die aber die Zeitläufte nicht überdauert haben. Manchmal erfahren wir auch nur etwas über ältere Werke durch Andeutungen oder Bezüge in jüngeren Werken.
Und vor allem ist "der" Islam ja auch nicht mit dem Tode Muhammads abgeschlossen und fertig gewesen, sondern hat sich in wesentlichen Bestandteilen erst nach seinem Tode gebildet. Im Zuge dieser Herausbildung dessen, was es heißt ein Muslim zu sein, entstand dann allmählich eine immer reichere Literatur.
Welchen Einfluss hatte die historische Zeit auf die Gelehrten?
Einen großen. So erlernten z.B. die islamischen Gelehrten erst einmal aus den antiken aber auch christlichen Schriften einige Arten zu diskutieren, zu argumentieren, um dann gegenüber den Christen, Manichäern, usw. ihre Religion Islam in Diskussionen auch erklären, verteidigen, usw. zu können.
Es bestand auch oft ein allgemeiner Kanon an Vorkenntnissen zu jener Zeit, die uns heute u.U. fehlen, so dass z.B. auch im Koran nicht selten nur Andeutungen erfolgen, die uns unverständlich sind, aber den Zeitgenossen sonnenklar waren.
So, als wenn heute jemand sagt: "Flasche leer", und fast alle wissen, dass der Italiener Trapatoni als Bayern-Fussballtrainer ausrastete, aber in 100 oder 1000 Jahren die Leute vielleicht darüber grübeln würden, was dieses "Flasche leer" bedeutet, wenn sie keine weiteren Infos dazu haben.
Wie authentisch sind die Aussagen historisch gesehen?
Welche Aussagen meinste? Die im Koran? Die in den Hadithen (Überlieferungen über Taten und Sprüche des Propheten), die frühesten Muhammad-Biographien?
Es ist ausserdem erwähnenswert, nicht nur zu schauen, was man betrachtet, sondern auch wann die Forschung welche Richtung mehrheitlich vertreten hatte.
Kurz gesagt gab es bis Mitte der 1950/60er Jahre eine Schule oder Strömung bei uns im Westen, die ähnlich wie die klassische islamische Theologie vieles oder das meiste als historisch durchaus so gegeben angesehen hat.
Dann gab es zumindest bei der Hadithforschung eine ca. 20 Jahre lange Phase, wo man erstmal gesagt hat, alle Hadithe seien eher eine "Phantasie" und als historische Quelle meist gänzlich unbrauchbar, solange man nicht das Gegenteil beweisen könne.
Dieses wurde seit den 1980er Jahren bei einem immer größeren Teil der Hadithe durch westl. Forscher erbracht, die feststellen konnten (auch mithilfe der damals neuen Computer), dass durchaus die innerislamische Auslese von falschen und "wahren" Hadithen (im Mittelalter) zumindest bei einem großen Teil so gut funktionierte, dass glaubhafte lückenlose Überlieferungsketten auch nach westlich kritischen Maßstäben rekonstruiert werden konnten. So ist man vielleicht heute kritischer, als noch Anfang des 20. Jh., aber zumindest grob werden viele in islamischen Quellen beschriebenen Ereignisse durchaus heute wieder als historisch betrachtet, und nicht als literarische oder rein theologische Begebenheiten, wie vielleicht von vielen in den 60er Jahren.
Siehe auch hier eine grobe Übersicht, wobei die mittlere Position inzwischen entweder widerlegt wurde (in vielen Teilen zumindestens), eine extreme Minderheitenmeinung darstellt, oder inzwischen schlicht veraltet ist:
Wussten Sie, dass es drei Hauptansätze zur Interpretation der frühen Quellen zum Islam gibt? David Kiltz verdeutlicht dies mittels des traditionalistischen, des revisionistischen und des integrativen Ansatzes. (Vgl. S. 19 ff.) In seinem Beitrag „Schatten über den Anfängen – Was sagen frühe Quellen zum Islam über das aus, was wirklich war?“ geht er – vereinfacht ausgedrückt – drei Erklärungsansätzen früherer Quellen nach. Hierbei unterscheidet er innerislamische literarische Quellen, außerislamische literarische Quellen und Realien bzw. Inschriften und bildliche Darstellungen.
Die „Traditionalisten“ in der islamischen Welt folgen nach Kiltz im Wesentlichen der innerislamischen Überlieferung, d.h. der Tradition. Dabei wird diese als weitgehend historisch korrekt angesehen. In der traditionellen westlichen Islamwissenschaft werden nach Kiltz die klassischen islamischen Werke nach kritischer Sichtung ebenfalls als wesentliche Basis für die frühislamische Geschichte verwendet. (Vgl. S. 20) Zu den Vertretern der „klassischen Schule“ werden bspw. William Montgomery Watt und Rudi Paret gezählt.
Im revisionistischen Ansatz werden die islamischen Prophetenbiographien und Erzählungen zu historischen Ereignissen als „heilsgeschichtliche“ Konstrukte abgelehnt. John Wansbrough, Patricia Crone und Michael Cook werden hierbei zu den bekannten Vertretern dieser Richtung gezählt. Crone habe sogar versucht, ganz ohne traditionelle islamische Quellen eine Rekonstruktion der frühislamischen Geschichte vorzunehmen und sich dabei nur mit außerislamischen Quellen befasst. (vgl. S. 21). Der vor allem bekannteste Vertreter der revisionistischen Richtung ist der Islamwissenschaftler Muhammad Sven Kalisch, der die Existenz des Propheten „Muhhammad“ gemäß dieser Richtung negiert. Seiner Ansicht nach hat es den Propheten nicht gegeben. (Vgl. S. 21)
Der dritte als „integrative“ Schule bezeichnete Ansatz erachtet die Herkunft des Propheten Muhammed aus Mekka als wahrscheinlich und versucht die verschiedenen Quellen zu harmonisieren. Hierbei soll der Blick „von außen“ helfen, den Koran nicht als historisch unmittelbar auswertbare Quelle zu sehen, sondern als literarisch-kodierte Aussage über seine Zeit und über seine Genese. Zu den Vertretern dieses Ansatzes werden u.a. Angelika Neuwirth, Gabriel Said Reynolds, Michael Cuypers etc. gezählt. (Vgl. S. 26)
weiter:
Rezension: Islamverherrlichung
Kann man sagen, dass der Islam, der in den Rechtsschulen beschrieben wird der Islam in seinen ursprünglichen Verständnis ist?
Wenn man sagen würde, und zwar detailliert, das und das ist "der" Islam, dann würde man von sich ja behaupten, dass man den
Wesenskern des Islam kennen würde. Nun ist es aber so, dass genau darum zu allen Zeiten und in allen unterschiedlichen Weltgegenden immer wieder unterschiedliche Antworten gegeben wurden. Einige hatten große Autorität, so dass sich etliche Grundsätze in bestimmten Zeiten und Regionen durchsetzen, aber mitnichten vergleichbar mit dem Christentum, wo durch Konzile und Dogmen und dem Papst doch eine größere Vereinheitlichung erfolgte, und andere Strömungen ggf. verfolgt oder vernichtet/vertrieben wurden (diese Kämpfe gegen unterschiedliche islam. Strömungen fanden ggf. auch im islamischen Raum statt, jedoch gab es letztlich immer eine stärkere Durchmischung der "Konfessionen", im Vergleich zur recht starken Separation der protestantischen, katholischen, orthodoxen, nestorianischen, usw. Gebieten)
Ausserdem wird ja der Islam nicht nur allein durch die Rechtsschulen beschrieben.
Später gab es doch Refombewegungen (Ibn Thamiya) die nur die wortwörtliche Deutung zulassen. War dies auch zu Beginn der islamischen Zeit so, Gibt es Hinweise, Quellen?
Zu Beginn gab es schon diverse Interpretationsansätze, denn schon den Zeitgenossen Muhammads und auch der nächsten Generation waren nicht alle Aussagen des Korans so eindeutig klar. So waren z.B. anfangs auch diejenigen Strömungen stark, die nicht alleine das reine "Wort Gottes" als Quelle der Erkenntnis akzeptieren konnten, sondern dazu noch den menschlichen Geist, den Logos, die Vernunft, als Quelle der Erkenntnis was denn der Koran aussagen wollte hinzugezogen haben. (Ahl al-ra'i versus ahl al-hadith)
Später wurden dann andere Strömungen stark und tonangebend, wie z.B. die ascharitische Strömung:
http://de.wikipedia.org/wiki/Abū_l-Ḥasan_al-Aschʿarī
So radikal wie Ibn Taimiyya waren diese Strömungen hingegen nicht unbedingt. Und diese fundamentalistischen Strömungen Ibn Taimiyyas wären auch nur wahrscheinlich eine Randnotiz der Geschichte geblieben, hätten sich nicht die Wahhabiten auf ihn bezogen, die den Kitt der Gesellschaft zu Zeiten der Familie Saud bildeten, also von den Saudis protegiert und verbreitet wurden. Und hätten die Saudis nicht später Öl gefunden, wäre heute diese islamische fundamentalistische Strömung sicherlich ebenso unbekannt, wie die
Charidschiten in Südarabien und Djerba, die heute auch niemand kennt.
Letztlich wurde nicht selten immer eine lebendige Flamme, statt eine Asche weitergereicht. Will sagen, das, was es bedeutet ein guter Muslim zu sein (jenseits der meist gleichen Grundpflichten), veränderte sich im Laufe der Jahrhunderte dynamisch, und heutige Versuche, einen Zeitpunkt und einen Ort relativ willkürlich zu bestimmen, wo es wirklich echt volle Kanne "wahre Muslime" gegeben haben soll, ist immer recht fraglich zu betrachten.
Siehe dazu auch:
http://www.geschichtsforum.de/f36/u...rientalistik-und-islamischer-theologie-25008/
ich hoffe ihr könnt mir weiter helfen oder Literatur empfehlen.
Ich möchte mir gern ein Bild von dem ursprünglichen Islam machen.
Ich habe hier schon mal einiges zu dem frühen Islam zitiert und Leseproben empfehlenswerter Bücher gegeben:
http://www.geschichtsforum.de/f36/aufstieg-und-niedergang-der-araber-17641/index3.html#post287563
http://www.geschichtsforum.de/f36/die-errichtung-der-kaaba-14280/#post228542
http://www.geschichtsforum.de/f36/rolle-der-frau-im-islam-9228/index3.html#post379496
http://www.geschichtsforum.de/f36/q...einer-entstehung-29330/index2.html#post489976
Suche mal mit der Funktion "einzelne Beiträge" in der Suche nach dem Stichwort Bobzin
Dort ist noch eine gute Leseprobe dabei, neben den obigen Links.