SRuehlow schrieb:
Hier geht es ja nicht um ein Verbrechen, sondern um eine religiöse Handlung. Sicher ist es eurozentrisch, ein Verhalten der Azteken mit heutigen Begriffen erklären zu wollen und auch zu können. Daran ist durch den Begriff Kollektiv nichts entwertet worden oder auf eine andere Ebene versetzt. Es geht lediglich um einen psychologischen Vorgang, der das Gewissen des Einzelnen beruhigen soll und die Hauptschuld von einem Protagonisten auf das Kollektiv verteilt, das ja in jeder religiösen Handlung einbezogen ist, weil es ja gerade für das Kollektiv zelebriert wird.
Ich meine, daß das sogar zu weit gesprungen ist, und zwar, weil eine religiös motivierte Handlung vorliegt, die ja durch eben die religiöse Basis schon gerechtfertigt ist. Eine Schuld wird ja subjektiv nicht festgestellt und muß daher auch nicht auf ein Kollektiv verteilt werden. Auch, daß die Handlung für das Kollektiv zelebriert wird, stellt ja schon eine Einbeziehung dar - die Götter sind ja dem Volk insgesamt gewogen oder nicht. Die Protagonisten, die die Handlung vornehmen, werden für das soziale Gemeinwesen tätig, das von der dadurch hergestellten Gnade der Götter profitiert und ein starkes Interesse daran hat, die Gewogenheit der Götter herzustellen.
Sicher kann man sagen, dass man aus heutiger Sicht nicht mehr urteilen kann und darf, weil das Bild der rituellen Opferhandlung verzerrt, aber man soll es ja begreiflich und verständlich machen. Deshalb muss man sich auch mit den heutigen Begriffen an dieses Thema waagen. Man sollte verhindern, dass man Urteile über das Geschehene mit der heutigen Sicht "verurteilt". (Weis nicht, ob dass alles so logisch war und angekommen ist...
)
Ich wende mich ja nicht gegen ein Urteil aus heutiger Sicht und mit heutigen Begriffen. Natürlich können wir nur aus heutiger Sicht und mit heutigen Begriffen urteilen - wir können uns ja schlecht in die ideelle Welt der Azteken vor ein paar Hundert Jahren versetzen.
Ein unvoreingenommenes Urteil ist uns daher nicht möglich; auch, weil wir inzwischen kulturell/moralisch ganz bestimmte Ansichten zum Thema Menschenopfer und Kannibalismus haben. Ein
neutrales Urteil ist daher ohnehin schwierig (wie auch im Thread zu sehen ist). Es wird aber weiter erschwert durch das Heranziehen von Berichten, die wiederum nicht unvoreingenommen sein können, auch wenn sie zeitgenössisch sind. Diese Berichte sind ja von einem Standpunkt aus verfaßt, von dem aus andere, vor allem nichtchristliche, außereuropäische Völker als barbarisch und unterlegen begriffen wurden/werden mußten und deren Zivilisierung ja erst durch Eroberung und Christianisierung bewerkstelligt werden mußte. Andererseits bedurfte auch die eigene (kulturelle/moralische/soziale...) Überlegenheit als Eroberer der Bestätigung (und da sehe ich die Reconquista gegen ein zivilisatorisch überlegenes Al-Andalus eigentlich eher als Motivation und nicht dieser abträglich und unnötig machend).
Wie bereits gesagt sind die Azteken nichts anderes als Menschen wie du und ich (was eben auch bedeutet, daß sie prinzipiell zu den gleichen Taten fähig sind wie wir und umgekehrt), auch wenn wir uns inzwischen von einer Entwicklungsstufe verabschiedet haben, in der man glaubte, durch Opfer von Menschen oder rituellen Kannibalismus irgendwelche Götter gnädig(er) zu stimmen und den Gang der Dinge dadurch für uns positiv beeinflussen zu können. Ob die Azteken diese Einsicht aus ihrer eigenen Kultur heraus auch einmal hätten erreichen können, durften sie jedenfalls nicht zeigen; die Möglichkeit dazu bestand aber wie bei unserer Kultur auch. Die Einsichtsfähigkeit und Erkenntnisfähigkeit der Menschen ist zwar individuell verschieden, nicht aber nach Nationalität oder ethnischer Zugehörigkeit unterschiedlich. Ohne hier ein neues "Faß" aufmachen zu wollen: das Bestreiten dieser individuell bedingten Fähigkeiten zugunsten national oder 'rassisch' bedingter ist zb da gegeben, wo argumentiert wird, daß Afrikaner generell 'kindlichen Gemütes' sind oder Arbeit für Indianer stets spielerischen Charakter habe, weswegen diese Menschen nicht so viel erreichen können wie und untüchtiger sind als ... äh: andere.
Ich glaube, dass die Symptomatik auf Papua weitervererbbar ist, was ich von Creuzfeld-Jacob noch nicht gelesen habe.
Soweit ich mich erinnere, ist es keine erbliche Krankheit, sondern sie wird durch das rituelle Verspeisen von Toten verbreitet, die an dieser Krankheit gestorben sind.
P.S. ein recht ertragreicher Flohmarkt - leider weniger büchermäßig, aber klamottenmäßig....