Mein Ausgangspunkt ist die Frage, inwieweit man – analog zu Vauban/Moral – einen sinnvollen Zusammenhang zwischen "Clausewitz" und "Moral, Ethik" herstellen kann.
Die Vorstellung Kriegstheorien würden sich mit Ethik und Moral (abseits der Kampfmoral) beschäftigen, habe ich bisher für ebenso abwegig gehalten,
Krieg: „Es bedarf der metaphysischen Schärfe, um das ethische Problem [des Krieges]radikal in den Blick zu bekommen.“ (Stadler, S. 8) Das bedeutet, dass der Krieg in seinen einzelnen Aspekten hinsichtlich seiner Legitimierung betrachtet werden muss. Also die Frage nach dem „gerechten Grund“ (ius ad bellum), die Frage nach der staatlichen Autorität (ius belli) und nicht zuletzt nach der rechtlichen Durchführung (ius in bello) (Stadler, S. 8-9)
Ein Versuch: Wenn der Krieg, wie Clausewitz sinngemäß formuliert hatte, die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln sei, dann stellt sich zwingend die Frage, in welchem Umfang der Krieg den gleichen oder anderen Formen der politischen Ethik gehorcht. Da die politische Ethik aber mit der Frage verbunden ist, wie eine „gerechte Ordnung“ für einen Staat gefunden werden kann, ist sie auch mit der Frage nach der philosophischen Fundierung der Idee des Staates verbunden. In diesem Sinne geht der Kantianer Clausewitz über das reine formalrechtliche Verständnis von Krieg hinaus und führt den Krieg als zentralen Aspekt der Politik in die Diskussion ein (Stadler, S. 10)
Nicht zuletzt vor dem Hintergrund historischen Erfahrung der „leve en masse“, die deutlich macht, dass der Krieg nicht mehr wie bei den „Kabinettkriegen“ sozial gekapselt sein kann, sondern zu einer Angelegenheit der mobilisierten Nation geworden ist.
In seinem Essay zur politischen Ethik ist Ritter dem Spannungsverhältnis unterschiedlicher Vorstellungen über die richtige Form der Organisation von Staaten und der Frage der „richtigen“ Organisation von Herrschaft nachgegangen. Dabei kontrastiert er im wesentlichen die machtpolitische Konzeption eines Machiavelli den idealistisch-utopischen Vorstellungen eines Erasmus oder eines Thomas Morus (Ritter, S. 14ff).
In dieser Gegenüberstellung treten die zentralen Linien der Argumentation bereits deutlich hervor. Stehen für die Machiavellisten die machtpolitischen Interessen des Staates bzw. seines Herrschers - die später als „Nationales Interesse“ in die politische Diskussion eingeführt werden - als Begründung für einen legitimen Krieg im Vordergrund, so bezieht sich die Ethik der „Idealisten“ auf die Verteidigung von abstrakten Rechtsnormen (Ritter, S. 24 ff). Normen, die im Fall von Hegel als „objektivierte Wertvorstellungen“ die sittlichen Grundlagen für ein Staatswesen konstituieren und gegen Despoten zu verteidigen sind und insofern im Rahmen eines „Verteidigungskriegs“ einen legitimen Grund für einen „gerechten Krieg“ darstellen.
Oder im Fall von Kant dem Schutzes des Individuums dienen bzw. dem „Republikanismus“ als höchste Form einer freiheitlichen Organisation von staatlicher Macht Und ebenso als Verteidigung von Werten gegen eine äußere Bedrohung interpretiert werden können. Zumal Kant im „Ewigen Frieden“ die grundsätzliche Friedfertigkeit von Republiken unterstellte, da sie die individuellen Freiheiten der Bürger als höchstes Gut am meisten schätzen. (vgl. Pfordten ). Heuser stellt diese Vorstellung Kants in den Kontext des „General Essay on Tactics“ seines Vorläufers Guibert (Heuser, Evolution S. 55 und 75).
Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, welche Theoretiker des Staates einen Einfluss auf Clausewitz hatten. Aus der Sicht von Heuser, die sich auf P. Paret bezieht, war Clausewitz „a typical educated representative of his generation“ (Heuser, Reading, Pos 240). Und führt aus, dass er wohl Kant gelesen hätte, aber „he might not have been as greatly influenced by him as some would argue.“ (ebd. Pos. 261).
Stadler vertritt in diesem Kontext eine andere Auffassung und weist darauf hin, dass Clausewitz`s Lehrer Johann Kiesewetter an der Kriegsschule ab 1801 ein überzeugter Kantianter war. Und insofern konnte und mußte sich Clausewitz „als wesentliches Moment seiner Ausbildung mit Fragen der Politik und Ethik befassen.“ (Stadler, S. 76-77). Und vertritt im Gegensatz zu Heuser die These: „Der zentrale Einfluss von Kant auf das Denken des jungen Clausewitz ist unverkennbar und eröffnet die Möglichkeit einer angemessenen Interpretation seines Werkes.“(ebd. S. 77). Dieser These werde ich zunächst folgen.
Aus der Sicht von Stadler nimmt dabei Clausewitz eine Synthese der kantischen Vorstellung eines selbstbestimmten Menschen vor, der für seine Handlungen aber auch verantwortlich ist und kombiniert sie mit der Vorstellung von Machiavelli zur moralischen Qualität von Politik. „Ähnlich wie nach ihm Carl Schmitt sieht Clausewitz Politik primär als Ringen, als Kampf als polemos an. Dieser Polemos ist aber kein materialistischer Kampf – im Sinne eines Daseinskonflikts – sondern ein Kampf zwischen freien Wesen“.
Clausewitz hat damit ein Politikverständnis, das davon ausgeht, dass der Konflikt durch eine sittliche Lösung gefunden werden muss, die zustimmungsfähig ist. Sofern der Vernunft als Mittel zur Konfliktlösung von einer Seite keine Beachtung eingeräumt wird muß der Vernunft die Möglichkeit geboten werden, ihre Ziele auch im Rahmen von Gewaltmaßnahmen duchzusetzen. „Nur dann ist Krieg als Instrument der Politik wirklich erfolgreich, wenn er der Vernunft zum Durchbruch hilft. In diesem Sinne ist es zu verstehen, wenn Clausewitz sagt, dass man schon zu Beginn des Krieges eine Vernunftordnung des Friedens aufgestellt haben muss, ansonsten erscheint kein wahrhafter Sieg möglich.“ (Stadler, S. 78-79).
Die Sicht von Clausewitz ist aber nicht dahingehend zu verstehen, dass er eine moralische Bewertung der Legitimation von Kriegen vornimmt und folgt damit der Vorstellung von Machiavelli und greift damit den modernen „Realisten“ vor, die eine ethische Begrenzung bei der Auswahl der politischen Mittel - somit auch einen Krieg - ablehnen und formulieren: „First, some (political realists) argue that ethics has no place in politics (Acheson 1965; Korab-Karpowicz 2010). Politics takes place in a rough-and-tumble world where individuals and nations pursue power in their own interest. If politicians are to be effective in this world (especially in international relations), they cannot be bound by rules that would constrain this pursuit. To the extent that ethics places limits on the pursuit of power, it is seen as useless or even harmful. (LaFolette, Stichwort „Political Ethics“)
Versucht man also die Frage zu beantworten, ob Clausewitz eine Theorie des Krieges formuliert hat, die auch eine eigenständige Komponente in Richtung einer politischen Ethik der Kriegsführung aufweist, dann trifft man auf das Dilemma der Dynamik der Kriegsführung. Und ihrer Tendenz zur Entgrenzung der Gewalt durch Prozesse der Eskalation. (Stadler, S. 80 ff) Die Gründe der Entgrenzung von Gewalt im Rahmen der Eskalation in Kriegen hat er im Rahmen der „drei Wechselwirkungen“ formuliert und sind im Zuge der Diskussion über den "Totalen Krieg" wieder aufgegriffen worden.
Somit ist das Clausewitzsche Gesetzt zum Äußersten im Rahmen der unkontrollierten Eskalation eines Krieges nur und ausschließlich durch die Rückbesinnung auf das eigentliche politische Ziel zu kontrollieren und auch zu deeskalieren. Und somit sind es die zivilen politischen Kontrollmechanismen, die die Qualität der Ethik des Krieges definieren und ihre Einhaltung und Durchsetzung garantieren.
Die Clausewitzsche Ethik des Krieges, die auch teilweise die Ethik der „Realisten“ ist, erfordert somit auch im kantianischen Sinne die Legitimierung durch einen aufgeklärten und informierten Demos. Nur dann kann ihr machiavellistisches Erbe so unter Kontrolle gehalten werden, dass sich die zerstörerische Eigendynamik des Krieges nicht gegen die kantische "Civitas" wendet und somit die vernünftige Begründung des Krieges im Rahmen einer allgemeinen politischen Ethik ad absurdum führt.
Heuser, Beatrice (2002): Reading Clausewitz. London: Pimlico.
Heuser, Beatrice (2010): The evolution of strategy. Thinking war from antiquity to the present. Cambridge, UK, New York: Cambridge University Press.
LaFollette, Hugh (2013): The international encyclopedia of ethics. Malden, MA: Wiley-Blackwell.
Pfordten, Dietmar von der (2004): Zum Begriff des Staates bei Kant und Hegel. In: Internationales Jahrbuch des Deutschen Idealismus. Band 2, S. 103–120.
Ritter, Gerhard (1961): Von Sittlichen Problem der Macht. Fünf Essays. 2. Aufl. Bern: Francke Verlag.
Stadler, Christian (2009): Krieg. 1. Aufl. Wien: Facultas.wuv