Wer damals den Stürmer gelesen hat, der konnte ahnen, dass die Juden brutal ermordet wurden...im Stürmer wurden absurde Lügen geschrieben, dass die Juden kleine Kinder abschlachten würden, außerdem wurden im Stürmer Ferdinand und Isabelle von Spanien gelobpriesen, das Königspaar hat während der Reconquista unzählige Juden brutal ermorden lassen
Derlei Gräuelmärchen über Juden sind aber nunmal keine Erfindung der Nationalsozialisten gewesen, sondern griffen in dieser Hinsicht Erzählungen und Zuschreibungen auf, die seit dem Mittelalter in Europa verbeitete waren, die in Mittel- und Westeuropa im 17. und 18. jahrhundert stark auf dem Rückzug waren und ab dem 19. Jahrhundert wieder eine Rennaiccance erlebten:
Simon von Trient – Wikipedia
Beschuldigungen gegenüber Juden, Ritualmorde zu vollziehen und auch eine Hand voll unter reger öffentlicher Anteilnahme geführter Gerichtsprozesse im Hinblick auf diese Anschuldigungen, wurden auch während des Kaiserreiches geführt:
Konitzer Mordaffäre – Wikipedia
Xantener Ritualmordvorwurf – Wikipedia
Sofern der der Stürmer die Ritualmordlegende also aufgriff, benahm er sich damit zunächst und im Kern mal nicht antisemitischer und verhetzender, als weiland etwa die "Kreuzzeitung" und diverse nationalistische und antisemitische Blätter etwa während des Buschoff-Prozesses (siehe Link zum Xantener Ritualmordforwurf).
Die illustriertre Darstellungen und die Frequenz in der derlei Gräuelmärchen im "Stürmer" verbreitet wurden, auch die aufhetzende Sprache mögen demgegenüber eine andere Qualität haben aber eine radikal antisemistische Presse, die die aus dem Mittelalter tradierte Ritualmordlegende zu perpetuieren nicht müde wurde, gab es bereits mit einem gewissen gesellschaftlichen Echo 30 Jahre vor der Gründung der NSDAP, nur war das eben noch nicht die Zeit der Massenpolitik mit einer entsprechenden Reichweite.
Zumal der "Stürmer" ja nicht das offizielle Regierungsorgan, wenn auch von der NSDAP stark protégiert war, musste das der Bevölkerung, die derlei schon vor den Nazis kannte, insofern im Kern der Aussage nicht allzu bemerkenswert vorkommen.
Auch das Abfeiern historischer, radikal antisemitischer Maßnahmen stellt in diesem Kontext im Kern eigentlich keine allzu ungewöhnliche Besonderheit dar.
Ich habe alte Stürmerhefte gelesen und war geschockt über den menschenverachtenden Ton in diesen Heften....in etwa vergleichbar mit heutigen rechtsradikalen Propagandakanälen.
Jeder der diese Hefte las(und der Stürmer hing überall in Schaukästen aus) musste sich denken können, dass die Juden brutal ermordet wurden
Wie gesagt, man muss die Angelegenheit im Kontext betrachten und da möchte ich beispielhaft vor allem auf den Buschoff-Prozess (Xanten) verweisen.
In dessen Verlauf schäumte die antisemitische Presse, trotz Stichhaltiger Beweise, dass die Tat, so wie sie dem Angeklagten vorgeworfen wurde, in dieser Form überhaupt nicht so begangen sein worden konnte über und erging sich in entsprechenden Gräuelmärchen, die die Stimmung am Niederrhein zum überkochen brachten und in Xanten selbst zu schweren antisemitsichen Ausschreitungen führte.
Insofern, wie gesagt, derartige subatanzlose und krankhaft antisemitische Vorwürfe waren für die Bevölkerung nichts neues, hatten auch ihre Entsprechungen im Zarenreich und in Österreich-Ungarn ("Tiszaeszlár"/
Tiszaeszlár – Wikipedia ). In abgeschwächter Form findet sich die Tradition auch in Frankreich im Rahmen der "Dreyfuß-Affaire", auch wenn es da nicht um angeblichen Ritualmord ging, sondern "nur" um die französische Varianter der Dolchstoßlegende in antisemitischer verbrämter Form.
Da es diese Darstellungen schon zu Kaisers Zeiten gab, wenn auch nicht in der Häufigkeit und Intensität, warum hätte das die Bevölkerung automatisch auf die Idee bringen sollen, dass sich da ein Völkermord anbahnte?
Außerdem wurden ja die Möbel und alle anderen Gebrauchsgegenstände der Juden nach ihrer Abholung versteigert, viele Leute kauften damals nur zu gerne auf solchen Versteigerungen billig Möbel und Küchengeräte ein. Da hätten die Leute sich eigentlich denken müssen, dass die Juden nicht umgesiedelt werden, denn wer umgesiedelt wird, nimmt normalerweise seine Möbel und alles andere aus dem Hausstand mit.
Der Begriff "Umsiedlung" beeinhaltet ja nicht automatisch den Anspruch, dass dies irgendwie unter menschenwürdigen Bedingungen passieren würde.
Nun kennt man großflächige Vertreibungen von Juden aus der europäischen Geschichte, wenn auch eher aus derjenigen des Mittelalters und der frühen Neuzeit ja durchaus und nebenbei existierten auch in Stalins Sowjetunion entsprechende Deportationsprogramme, die darauf hinausliefen einen beträchtlichen Anteil der jüdischen Bevölkerung in den Fernen Osten zu verpflanzen. Das Produkt davon, die "Autonome Jüdische Oblast" existiert als Überbleibsel im Rahmen der administrativen Gliederung der Russischen Föderation noch heute:
Jüdische Autonome Oblast – Wikipedia
Man fühlt sich dabei unweigerlich an die Praxis der "administrativen Verbannung" und der "Sondersiedlungen" aus der Zarenzeit erinntert.
Insofern gibt es auch zeitgenössisch durchaus ein greifbares Beispiel für ein entsprechendes, euphemistisch als "Umsiedlung" verbrämtes Deportationsprogramm, dass durchaus nicht auf lupenreinen Völkermord hinauslief und durchaus auch international bekannt wurde.
Kommt hinzu, dass die Nazis, bevor sie zum Völkermord übergingen, die Juden oder von ihnen als "jüdisch" klassifizierten Personen aus dem Reichsgebiet ja durchaus zunächst mal in weiten Teilen ins Generalgouvernement verbrachten (Stischwort: "Judenreservat") und vor 1941 wohl durchaus, jedenfalls teilweise, tatsächlich Deoprtationen als Zielsetzung betrachteten.
Endlösung der Judenfrage – Wikipedia
Wenn man die Angelegenheit also vor dem Hintergrund des Beispiel der Deportationen in der Sowjetunion und vor dem hintergrund der Tatsache, dass zunächst mal die Nazis durchaus mit"Abschiebung/Deportation" als Option planten und das vor 1941 in Teilen auch ins Werk zu setzen begannen, wird man konzedieren müssen, dass es für die Bevölkerung weder einen zwangsläufigen Schluss gab von den Deportationen auf Vernichtungsexzesse zu schließen und dass es ihr außerdem möglicherweise nicht ganz einfach gefallen sein mag, den Strategiewechsel der Nazis in Sachen "Judenfrage" anno 1941 zeitnah zu registrieren.
Das Eigentum nicht mitgeführt werden, konnte, über leiches Gepäck hinaus, ist da auch nicht erzwungenermaßen ein Indiz:
- So hatten die Nazis sich ja auch bereits lange auf eine Politik eingeschossen, die vor dem Krieg den Juden die Auswanderung ermöglichte, aber in diesem Fall auch die Enteignung/Konfiszierung ihres Besitzes vorsah. Trotzdem ließ man vor dem Krieg, die Juden, die sich auf diese Weise "freikauften" gehen, sofern sie in Westeuropa, Palästina oder den Vereinigten Staaten Aufnahme finden konnten.
- Darüber hinaus, spielt ja dann ab 1941 auch die Kriegsthematik mit hinein. Die Unmöglichkeit größeres Eigentum mit in den Osten zu nehmen, ließ sich von dem her ab eimen gewissen Zeitpunkt recht einfach damit begründen, dass der Transportaum in den Zügen für militärische Zwecke vorrangig benötigt wurde. Das der Transport von Lebensmitteln und Nachschub zu den Soldaten an die Front vorrang vor dem Transport von Möbeln unliebsamer Deportierter zu haben habe, dürfte Otto-Normal-Reichsinsasse noch recht einleuchtend zu vermitteln gewesen sein.
Insofern sehe ich in diesen Punkten keine wirklichen Gründe, warum die Bevölkerung deswegen unbedingt Massenmord antizipieren musste.
Damit will ich nicht gesagt haben, dass man auf entsprechendes nicht kommen konnte, aber aus anderen Umständen heraus.
Namentlich vor allem aus aus dem Umstand der administrativ verordneten Auflösung von Eheverhältnissen und aus dem Umstand heraus, dass die Behörden auf Anfragen nach dem "Ansiedlungsort", bzw. der neuen Adresse deportierter ehemaliger Ehepartner, Familienangehöriger und Bekannter i.d.R. keine zufriedenstellenden Auskünfte geben konnten und dass man von den Deportierten auch nichts mehr hörte.
Man sollte ja sonst annehmen, dass diese sich irgendwann mal bei ihren Bekannten und Freunden brieflich gemeldet hätten, wenn es da lediglich um "Umsiedlung" und "Arbeitseinsatz" gegangen wäre.