Der Koloss von Rho... Rom

Bei der von Beda erwähnten Stelle können wir nicht sicher sein, ob er die dann noch stehende Kolossalstatue oder schon das Kolosseum meinte.
Sprachliche Erwägungen einmal beiseite lassend, erscheint mir im Zusammenhang des Zitats das Kolosseum plausibler. Immerhin wird in der "Prophezeiung" das Schicksal des "ewigen" Rom mit dem "Colysaeus" verknüpft und das der Welt mit dem Roms, also indirekt auch mit dem des "Colysaeus". Der Spruch soll doch besagen, dass, wenn etwas so Mächtiges wie der "Colysaeus" einst untergehen wird, es auch mit Rom und der Welt nicht mehr lange währen wird. Somit wird der "Colysaeus" etwas recht Dauerhaftes, Unverwüstliches sein müssen, und ein steinernes Amphitheater ist natürlich dauerhafter als eine Kolossalstatue, die bei jedem Erdbeben umfallen kann. (Nicht zufällig war der Koloss von Rhodos das mit Abstand kurzlebigste der Sieben Weltwunder.)
 
Im Prinzip würde ich dem zustimmen. Nur das Ding aus der Bibel mit den Tönernen Füßen war ja ebenfalls eine Statue, wenn auch erträumt. Dies wird Beda bei seinem "Colysaeus" sicher mitbedacht haben.

Wenn doch das Kolosseum gemeint ist, und die Statue schon nicht mehr stand, müsste man ihm eine sehr komplexe Interpretation unterstellen. Allerdings wird man solches bei Beda auch nicht ausschließen dürfen.

Daher denke ich nicht, dass man die Frage mit genügender Sicherheit entscheiden kann.
 
Als definitive Festlegung habe ich meinen Beitrag auch nicht gemeint, nur als Gedankensplitter. Sprachliche Erwägungen und dass es anscheinend keinen eindeutigen Beleg dafür, dass das Amphitheater bereits im frühen Mittelalter Kolosseum genannt wurde, gibt, sind natürlich auch zu berücksichtigen.
 
Kaiser Hadrian ließ einige Jahrzehnte später den mittlerweile zum Sonnengott Sol (das muss relativ früh geschehen sein, bereits Plinius, der Nero um elf Jahre überlebte, berichtet in der Historia Naturalis davon: qui dicatus Soli venerationi est damnatis sceleribus illius principis) umgearbeiteten Koloss des Nero von der Domus Aurea zum Theatrum Flavianum bringen (HA: transtulit et Colossum stantem atque suspensum per Decrianum architectum de eo loco in quo nunc Templum Urbis est, ingenti molimine, ita ut operi etiam elephantos viginti quattuor exhiberet. et cum hoc simulacrum post Neronis vultum deletum, cui antea dicatum fuerat, Soli consecrasset...), wonach es seinen heute bekannteren Namen, Kolosseum, erhalten hat. Sueton zufolge muss es Vespasian selbst gewesen sein, der die Umarbeitung des Koloss von Nero zu Sol veranlasst hat, er schreibt nämlich, dass Vespasian den Künstler für die Wiederherstellung aus eigener Tasche bezahlte: ...item Colossi refectorem insigni congiario magnaque mercede donavit...

Verschiedene Quellen berichten von einer Umgestaltung des Koloss unter Commodus. Man hatte wohl bis dahin das Gesicht Neros erhalten, Commodus ließ es entfernen und durch sein eigenes ersetzen, er gab der Statue eine Keule in die Hand - Commodus als Herkules - und eine Inschrift. Nach seinem Tod wurden diese Maßnahmen wieder rückgängig gemacht.

Die Darstellung eines Kaisers erfolgt nicht einfach mal so, sondern stets nach festen Vorgaben. Die 120 Fuß hohe Statue zeigte Nero nicht als römischen Bürger in der Toga oder als Imperator in der Rüstung, sondern nackt, also heroisch bzw. göttlich. Dafür gibt es Vorlagen, und bei einer solchen Statue ist es nicht schwer, die Vorlage auszumachen, denn es ist zu fragen, ob die bei Sueton benutzte Bezeichnung colossus einfach nur groß heißen soll oder ganz speziell auf den Koloss von Rhodos abzielt.
Da Nero als erster Kaiser auf Münzen mit der Strahlenkrone dargestellt wird und offensichtlich auch eine Beziehung zu Rhodos hatte, neige ich zu der These, daß die Nerostatue ihn von Anfang an als Helios zeigen sollte, womit die Berichte über spätere Angleichungen zumindest überprüft werden sollten. Bei Suetons Vespasiansvita ist nur von einem Restaurator die Rede, aber nicht, was dieser eigentlich reparariert haben soll.
Wenn aber die Statue noch bis zu Commodus Zeiten das Gesicht Neros hatte, wie hat man ihn dann zu einem Sol umgearbeitet? Die Umarbeitung einer Statue erfolgt in der Regel am Gesicht, oder aber man fügt einige Attribute hinzu. Hätte man aber einer eindeutig als Nero erkennbaren Statue nachträglich nur einige auf Sol bezogene Attribute angefügt, dann wäre das einer Gottangleichung, das heißt Vergöttlichung, des Kaisers gleichgekommen. Da dies bei Nero ja ausfällt, sind also die Berichte der späteren Zeit dahingehend zu werten, die Identifikation der Statue mit Sol zu betonen und den Bezug zu Nero in den Hintergrund zu drängen.
Auch das im unten verlinkten Beitrag von Galeotto zitierte Zitat muß deshalb hinterfragt werden.

Ob man eine Statue, die größer war als der Koloß von Rhodos, umstellen kann, bezweifle ich, wenn man voraussetzt, daß sie auf ähnliche Weise wie die griechische Statue hergestellt worden sein wird - also nicht aus demontierbaren Einzelteilen. 24 Elefanten mögen für eine Anekdote beeindruckend sein, für die Realität weniger.
Das Problem zeigen schon die hier erwähnten Berichte. "Von der Domus Aurea zum Apmhithetarum Flavium" heißt gar nichts, denn jenes steht im Bereich von diesem. Wenn Galeotto schreibt (siehe unten), daß "der Koloß nicht neben der Domus Aurea, sondern im Vestibül des Palastes" stand, dann ist das ebenfalls mißverständlich, denn die Domus Aurea war ein Komplex verschiedener Gebäude im Stil einer Villa, was mehrere nebeneinanderstehende und nicht unbedingt miteinander verbundene Gebäude bedeutet. Damit muß das Vestibül kein Raum gewesen sein, kann also auch eine Art Hof oder Hartenraum auf dem Gelände der Domus Aurea gewesen sein. Sicher wird sich der Neropalast auch über den Velia erstreckt haben, aber da wissen wir nichts Näheres (zumindest ich), und nur um der Pingeligkeit willen, dort steht der Venus-und Romatempel und nicht der Hadrianstempel, der ja auf dem Marsfeld steht.


Laut Sueton stand der Koloss nicht neben der Domus Aurea sondern im Vestibül des Palastes, was auf eine enorme Deckenhöhe des Raumes schließen lässt.
Der Architekt Alberto Carpiceci, der hervorragende Rekonstruktionszeichnungen des antiken Rom erstellt hat, schreibt über den Koloss: " "Die Kolossalstatue Neros war ein 35 m hohes Bronzedenkmal des Bildhauers Zenodorus ,das mitten im Atrium der Domus Aurea, auf der Anhöhe Velia stand. Nach dem Tode Neros verwandelte man den etwa 4 Meter hohen Kopf in das Antlitz des Sonnengottes Sol, indem man es mit dem Strahlenkranz umgab. Um für den Hadrianstempel Platz zu schaffen, ließ man das riesige Bronzedenkmal vom Velia hinunter und auf dem neuen Sockel neben dem Kolosseum aufstellen. Das außergewöhnliche Unternehmen fand unter der Leitung des Architekten Decranius statt, und für den Transport wurden 24 Elefanten benötigt. Der Schutz und Symbol des Römertums verkörpernde Koloss blieb bis zur Jahrtausendwende unversehrt. "

Bronze war offenbar nicht so begehrt, sonst hätte der umgestürzte Koloss von Rhodos nicht noch über 800 Jahre herumgelegen.
In nachantiker Zeit wurde Bronze höchstens noch für Glocken verwendet. Erst im Kanonenzeitalter wurde das Metall wieder sehr begehrt.

Bronze war im Gegenteil sehr begehrt, wenn man bedenkt, welche Strecken man auf sich nahm, um Zinn zu beschaffen. Da der Koloß von Rhodos aber ein Weihgeschenk war, konnte man ihn nicht einfach der Altmetallverwertung zuführen, solange der Glaube an die Götter noch ungebrochen war, wie man ja auch sonstige Weihgaben in Heiligtümern nicht einfach umgenutzt hat, sondern vergraben, wie zum Beispiel Helme in Olympia. Wenn Weihgaben aus Heiligtümern genommen und umgenutzt wurden, wird das oft als besondere Notsituation oder aber als Frevel des Auftraggebers dargestellt.
 
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Ob und wie der Kollossus dann verloren gegangen ist, ist natürlich dann nicht geklärt. So könnte man radikale Christen denken, die die Götterstatue zerstört haben (unter Theodosius, als das Christentum Staatsreligion wurde), im Rahmen der Plünderungen Roms durch Vandalen oder Goten, im frühen Mittelalter, als man den Kolossus als Altmetall wiederverwendete, möglicherweise ein Erdbeben oder während der Gotenkriege im 6. Jhdt.
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Laut Prokop ging im Sommer 455 von einer sich auf dem Weg nach Karthago befindlichen und mit reicher Beute beladenen Flottille ein Schiff verloren, und zwar jenes welches die Statuen transportierte. Wäre von Geiserichs gierigen Vandalen doch nur nicht unter fahrlässiger Missachtung der zulässigen Tonnage auch noch ein bronzenes Elefantenbein und der "Tanzende Satyr"* zu dem Koloss auf dieses Schiff verladen worden, dann könnte dessen rätselhafter Verbleib in den Ruinen von Karthago zu lösen sein, doch so ruht Sol nun in 500 m Tiefe auf dem Meeresgrund der Straße von Sizilien. :pfeif:

Weiter ohne Schalk im Nacken:
Wenngleich die Vandalen wohl einiges für Statuen und auch Bronzeziegel (allerdings vergoldet) vom Dach des kapitolinischen Jupitertempels übrig hatten, ich erachte weder sie, noch die schon 410 plündernden Westgoten als Hauptverdächtige für das Abhandenkommen des Kolosses. Schon eher halte ich mittelalterliche Altmetallverwerter oder Erdbeben für mögliche "Entsorger". Eventuell stehen aber auch die ins Felde geführten Christen nicht ganz hinten in der Warteschlange potentieller Täterschaft.

Aus den kaiserlichen Edikten zur Festigung des Christentums als Staatsreligion scheint mir, neben jenen die die Schließung und Zerstörung heidnischer Anlagen zum Ziele haben, eines 391/92 von Theodosius I. erlassene recht interessant. Es sieht Geldstrafen für Tempel betretende und dort betende Heiden vor, auch Kulthandlungen in Privathäusern werden unter Strafe gestellt, sowie ein generelles Verbot des Anbetens von Götterbildern verfügt.
Wie viel Götterbild der Koloss angesichts seiner "hybriden" Gestalt infolge der Umwandlungen (Kaiserbildnis, Herkules, Sol) für die Zeitgenossen repräsentierte weiß ich nicht, doch sollte er zum Zeitpunkt dieses Edikts noch gestanden haben, könnte ja jeder Passant der ihn etwas länger betrachtete in den Verdacht geraten sein Sol anzubeten.

Der Koloss könnte durchaus in den Fokus eifernder Christen geraten und vielleicht sehr zeitnah zu seiner letzten gesicherten Erwähnung demontiert oder zu Fall gebracht worden sein - wenn die Edikte denn in Taten umgesetzt wurden. Zwar waren vornehmlich zunächst der Ostteil des Reiches und die afrikanischen Provinzen von Schließungen und Zerstörungen heidnischer Kultorte betroffen, doch auch in Rom wurde auch ordentlich gerungen. Im Streit um den Victoria-Altar droht Bischoff Ambrosius von Mailand dem Kaiser Valentinian 384 mit Exkommunikation sollte dieser eine Wiederaufstellung des Altars im Senat gestatten.

Es ist nur ein auf Wiki-Surfen fußendes Gedankenspiel ohne jeden Beweis, doch sicher wissen die in der Spätantike Bewanderten unter Euch mehr dazu.

Wieder mit Schalk im Nacken:
Noch vor der Schöpfung des Kolosses für Neros Goldenes Haus hat der Bildhauer Zenodorus im Avernerland eine Kolossalstatue des Merkur** geschaffen, deren Spur sich gleichsam in der Geschichte verloren zu haben scheint. Eventuell verbirgt sich ja in der Person des Zenodorus selbst des Rätsels Lösung, weil der während seines zehnjährigen Werkelns an jenem Merkur ganz unwissentlich nebenbei eine sich nach einer gewissen Zeitspanne selbstauflösende Bronze erfunden hat. ;)

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Archäologie: Tanz auf der Nadelspitze - Kunst - FAZ

** S. 275ff
https://books.google.de/books?id=G9...age&q=zenodorus statue merkur gallien&f=false
 
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