Richtig! Und deswegen der "Kult der Offensive" vor allem in DR und in Frankreich mit den entsprechenden offensiven Planungen als verbindliche Grundlage für die Kriegsführung. Und der damit zusammenhanängenden Fiktion des "Kurzen Krieges".
Das kann so sein, wie Du schreibst. Aber genau daran zweifele ich eben. Fakt ist doch, dass Frankreich den Krieg gar nicht offensiv geführt hat, obwohl doch die offensive Planung "verbindliche Grundlage" gewesen sein soll. Auch im Deutschen Reich gab es keine "verbindlichen Grundlagen", die einen offensiven Krieg gefordert hätten. So, wie die politische Lage war, erschien es den Verantwortlichen "sinnvoll", den Krieg zu eröffnen, ehe Frankreich ihn eröffnete. Das ließ dem Militär nur eine Option: Offensive. Man konnte ja schlecht den Krieg erklären und den Franzosen dann mitteilen: "Wir wollen aber lieber verteidigen; also greift ihr bitte an..."
Die Tatsache, dass wir im Zusammenhang mit dem WKI nur über Schlieffen-Plan und offensive Gedankenspiele reden, bedeutet nicht, dass es nur offensive Gedankenspiele gab. Die Militärs hatten mit Sicherheit auch strategische Konzepte ausgearbeitet, wie sie sich gegen einen Angriff Frankreichs hätten verteidigen können. Ebenso, wie die Franzosen trotz des vermeintlichen Primats einer offensiven Kriegführung ganz gut auf die Abwehr eines Angriffs aus dem Osten vorbereitet waren.
Teils, teils. Die "Kaisermanöver" wurden in der Regel mit einem "furiosen" Angriff der Kavallerie als Massenangriff von der Seite beendet, auf der der Kaiser teilnahm. Und diese Seite gewann dann das Manöver, drehbuchmässig.
Ja, in Manövern sieht das sicher unheimlich beeindruckend aus, wenn die Reiterei in donnerndem Angriff die Flanke des "Feindes" aufrollt. Der Kaiser hat sicher mit aller gebotenen Contenance Beifall gespendet. Trotzdem haben die Feldherren schon während der Revolutionskriege erkannt, dass die Reiterei länger lebt, wenn man sie nicht mehr an den Flanken des Heeres aufstellt, sondern HINTER der Infanterie. Jedenfalls so lange, bis die unterlegene Streitmacht sich geschlagen gab und zur Flucht/zum Rückzug antrat. Seit der französichen Revolution wurden die Schlachtfelder von der immer mehr zunehmenden Wirkung des Feuers beherrscht, nicht mehr von der Schnelligkeit der Reiterei.
Dass die Frage nach der Reiterei nichts mit dem "Kult der Offensive" zu tun hat, war mir zudem klar. Deshalb hatte ich darauf hingewiesen, dass die donnernden Reiterangriffe schon lange vor Beginn des 20. Jahrhunderts kein Symbol für Offensive oder gar deren Verkultung mehr waren.
Zumal sich das "Dogma der Vernichtungsschlacht" (Schlieffen und in der Folge Moltke d.J.) und das "Dogma der Abnutzungsschlacht" (z.B. Falkenhayn) als konträre Interpretationen der Kriegsführung im französischen und auch im deutschen Generalstab ideengeschichtlich gegenüber standen.
Ja, das ist richtig! Diese Dogmen gab es, und die spielten an Orten wie Verdun eine entscheidende Rolle. Aber das hat nichts mit Offensive oder Defensive zu tun. Auch die verteidigenden Franzosen wollten bei Verdun eine Entscheidungsschlacht schlagen. Oder alternativ eine Front bieten, an der sich die Angreifer "abnutzen" sollten. Ein anderer gern benutzter Begriff lautete "ausbluten".
Die Bezeichnung ist ein Konstrukt, dass bestimmte real vorhandene Überzeugungen und Diskussionen zusammen faßt. Und diesen ideengeschichtlichen Hintergrund gab es. Das ist einfach ein Faktum!
Daran zweifele ich ja auch gar nicht. Es tun sich nur zwei Fragen auf:
1. Waren diese Überzeugungen und Diskussionen aus sich heraus dominierend und für die Kriegführung prägend oder erscheinen sie nur retrospektiv so, weil Deutschland den Krieg mangels französischer Angriffsbereitschaft eben selbst offensiv führte?
2. Diskutieren wir hier über ein gedankliches Konstrukt? Die Ausgangsfrage lautete folgendermaßen:
Wieso breitete sich der Gedanke im Vorfeld des Weltkriegs bei allen Protagonisten auf der grausigen Bühne aus, der Schlüssel zum militärischen Erfolg sei in der Offensive zu sehen?
Schließlich erwies sich das ja als eine verhängnisvolle Fehleinschätzung Aller, die sich darin ausdrückte, dass mit einem nie gekannten Aufwand praktisch nichts gegen eine eingegrabene Verteidigungslinie ausgerichtet werden konnte, welche sich alsbald als eine unbewegliche und blutgetränkte Patt-Linie von Belgien bis zur Schweiz erstreckte.
Das liest sich nicht wie ein bloßes gedankliches Konstrukt, das bestimmte Überzeugungen und Diskussionen zusammenfasst. Es liest sich wie die These, dass alle kriegführenden Parteien ihr Heil in der Offensive gesucht hätten. Stimmt aber gar nicht. Frankreich hat eine defensive Strategie verfolgt und damit letztlich gesiegt. Dass auf die Franzosen auf dem Gefechtsfeld Sturmangriffe gegen deutsche Stellungen geführt haben, ändert daran nichts. Das gehört in den Bereich der Taktik. Strategisch blieb Frankreich in der Verteidigung und ist bis zur deutschen Kapitulation darüber nicht hinausgekommen - obwohl das laut Clausewitz zwangsläufig irgendwann hätte passieren müssen, um einen entscheidenden Sieg zu erringen. Nur durch Abwarten und Zurückschlagen kann man einen Angreifer nicht entscheidend besiegen. Der Angreifer hört nämlich auf anzugreifen, ehe seine eigenen Angriffe ihn umbringen.
Ich bleibe dabei: Den "Kult der Offensive" gab es nur als gedankliches Konstrukt - und das erst, nachdem die deutsche Politik die fragwürdige Entscheidung getroffen hatte, den Krieg zu eröffnen. Ausschlaggebend dafür waren in erster Linie politische Gründe, nicht militärische. Die Entscheidung wurde auch nicht von Militärs getroffen, sondern von Politikern. Und sie war keineswegs "alternativlos".
Und die entsprechende Literatur ist schon mehr als einmal aufgeführt worden.
Wahrscheinlich lese ich zu wenig.... :still:
Wer aus welchen Gründen Krieg führt oder nicht führt, ist Gegenstand von differenzierten Diskssionen im Bereich der Theoriebildung zu "International Relations" (IR). Und ob diese Kriege dann defensiv oder offensiv geführt worden sind, ist ebenso komplex und Gegenstand der Diskussion.
Wenn man Krieg ganz abstrakt betrachtet - ja. Wenn man über die Frage diskutiert, aus welchen Gründen Deutschland den WKI begonnen und offensiv geführt hat - nein.
Ansonsten war der Schlieffenplan" - als extremes Beispiel - für den "Kult der Offensive" weder ein "Kult" noch auf "Ehrvorstellungen" basiert, sondern das Ergebnis des Nachdenkens eines sehr einseitig talentierten Militärs, der die militärische Problemlösung radikal zugespitzt hatt, um der komplizierten geographischen Lage Deutschlands in der Mitte Europas gerecht zu werden.
Diese Behauptung unterstellt, dass Schlieffen nur die offensive Variante gedacht hat, weil er wegen seines einseitigen Talents nur diese offensive Variante denken konnte. War das denn wirklich so? Ist es nicht auch denkbar, dass er mit seinem Plan nur auf die Frage geantwortet hat, was zu tun sei, wenn die deutsche Politik entscheiden sollte, Frankreich mit einem schnellen Schlag niederwerfen zu wollen? Könnte es nicht sein, dass Schlieffen in der Lage gewesen wäre, auch Antworten auf die Frage zu geben, was zu tun sei, wenn Frankreich versuchen sollte, Deutschland mit einem schnellen Schlag niederzuwerfen?
Militärs entwickeln an grünen Tischen eigentlich grundsätzlich Pläne für alle möglichen Szenarien, die sie sich ausdenken können. Dass der WKI von Deutschland offensiv geführt worden ist, besagt noch lange nicht, dass Konzepte für eine defensive Kriegführung gar nicht existierten, weil alle so im "Kult der Offensive" gefangen gewesen wären...
Irgendwer hat entschieden, dass das Militär alle defensiven Planspiele in die Tonne treten und sofort die offensiven auspacken sollte. Das ist der ganze "Kult der Offensive".
MfG