Mehrere. Der amerikanische Bürgerkrieg blieb z.B. Unentschieden, bis der Norden mit der taktiererei aufhörte und brutal seine Offensiven durchzog. Die Italienischen Kriege, der Deutsch-Dänische, die Balkankriege, sogar der Burenkrieg, wurden von der offensiveren Seite gewonnen.
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Dass die Offensive durch die gesteigerte Feuerkraft und die sonstigen technischen Mittel "unmöglich" wurde, halte ich jedoch für übertrieben.
Ich beginne zu verstehen, wo der Grund für unsere unterschiedlichen Meinungen liegt: Du schilderst hier Kriege, in denen die offensiven Parteien letztlich gewonnen haben. Alle diese Kriege sind aber kein Beleg dafür, dass die Offensive der Defensive überlegen sei. In allen diesen Kriegen waren die angreifenden Kräfte nämlich an Zahl und/oder an Feuerkraft weit überlegen.
Wenn Clausewitz schreibt, dass die Defensive der "stärkere" Teil der Kriegführung sei, dann meint er Vorteile, die sich aus der Natur der Sache ergeben (die also struktureller Natur sind): Der Verteidiger kann sich den Ort aussuchen, an dem er sich aufstellt. Er kann diesen Ort nach seinen Wünschen herrichten (seine eigene Stellung befestigen, den Anmarschweg des Gegners mit Hindernissen bepflanzen). Der Verteidiger kann Vorräte anlegen, ist seinen eigenen Nachschubquellen näher als der Angreifer, kennt sich besser aus, kann vorab Rückzugswege ausarbeiten und sichern, etc etc.
Diesen strukturellen Vorteil der Verteidigung gab es zu allen Zeiten. Er hat aber zu keiner Zeit dazu geführt, dass Angriff (und damit letztlich Krieg insgesamt) unmöglich geworden wäre. Das von Clausewitz formulierte Gesetz besagt lediglich, dass der Angreifer gesteigerte Anstrengungen unternehmen muss, um den Vorteil der Verteidigung auszugleichen. Dazu gibt es verschiedene Mittel. Die vordergründigsten: zahlenmäßige Überlegenheit, Überlegenheit an Waffen, Überlegenheit an schweren Waffen.
Daneben gab es aber auch immer wieder das Phänomen, dass Angreifer ganz neue Konzepte der Kriegführung angewandt haben, die dazu führten, dass die Offensive der Defensive eben doch überlegen war. Das aber nur ZEITWEILIG! Nur so lange, bis die Verteidiger sich auf die neue Situation eingestellt hatten. Und das ging immer sehr flott!
Eine Reihe von Beispielen:
- In der Antike bestanden Kriege anfangs aus der Summe der Zweikämpfe, die auf einem Schlachtfeld ausgetragen wurden. Bis Leute wie die Makedonen auf die Idee kamen, Kämpfer in einem geschlossenen Truppenkörper zusammenzufassen und damit all die Einzelkämpfer auf der Gegenseite niederzuwalzen. Das hatten die Gegner schnell gelernt. Innerhalb der "neuen Ordnung", die der Krieg darauf annahm, galt wieder uneingeschränkt das Gesetz, dass die Verteidigung gegenüber dem Angriff strukturelle Vorteile hat. Die "neue Ordnung" wurde in der Folgezeit nur noch "verfeinert", aber erstmal nicht mehr grundsätzlich in Frage gestellt.
- Geschlossene Verbände von Soldaten blieben "state of the art" - bis irgendjemand darauf kam, nicht mehr in Großverbänden anzugreifen, sondern in einzelnen Haufen, die aufgelöst und über eine riesige Fläche verteilt operierten (beginnende Völkerwanderungszeit). Rom kassierte einige empfindliche Niederlagen, strukturierte schnell seine Truppen um - und konnte sich der Angreifer wieder lange Zeit erwehren. Innerhalb der neuen Ordnung, die der Krieg... etc (die "Zwischenstufen" lasse ich aus; soll ja keine Doktorarbeit werden).
- Die neuen Konzepte blieben lange Zeit "state of the art". Bis jemand auf die Idee kam, massiv schwere Reiterei einzusetzen und die verteidigenden Fußtruppen niederzutrampeln. Die Unterlegenen passten sich schnell an und übernahmen die neue Taktik.
- Berittene Kämpfer (Ritter) waren jahrhunderte lang "state of the art" und wurden gehegt und gepflegt. Bis jemand Feuerwaffen erfand. Ruckzuck verschwanden die schweren Panzer von den Schlachtfeldern und Schützenlinien wurden zu DEM Mittel der Kriegführung schlechthin.
- In einer ebensolchen Umbruchzeit lebte Clausewitz und analysierte den Krieg. Er hat beschrieben, wie die revolutionären Volksheere die Kabinetts-Armeen weggefegt haben. Fortan waren Massenheere "state of the art". Und wieder galt uneingeschränkt das Gesetz, dass die Verteidigung überlegen ist. Diesmal aber in verstärkter Form, weil die Kämpfer einander nicht mehr Auge in Auge abschlachten mussten, sondern sich gegenseitig auf immer größere Entfernungen und mit immer wirkungsvolleren Waffen über den Haufen schießen konnten. Das nahm noch schärfere Formen an, als Hinterlader, Repetierer und schließlich sogar Maschinengewehre erfunden wurden. Da stellte sich nicht mehr EIN verteidigender Soldat aus einer guten Stellung heraus EINEM angreifenden Soldaten in ungünstiger Stellung. Er war plötzlich in der Lage, mit seinem MG ein ganzes Bataillon niederzuknallen (etwas übertrieben). Das strukturelle Übergewicht der Verteidigung hatte so dramatische Formen angenommen, weil die Angreifer nicht so viele MGs mitschleppen konnten wie die Verteidiger in ihren gesichterten Stellungen aufzustellen in der Lage waren.
Das war die Ausgangslage, als der Erste Weltkrieg begann. Und in der Situation haben die Militärs den "Fehler" gemacht, diesen Krieg mit den Mitteln führen zu wollen, die sich aus der bis dahin akzeptierten "inneren Ordnung" dieser Art der Kriegführung ergaben. Sie haben nicht nach "neuen Methoden" gesucht, die Überlegenheit der Verteidigung auszugleichen. Sie haben lediglich versucht, die bestehenden Mittel zu modifizieren. Wenn ein "normaler" Angriff nicht reicht, muss man halt "energischer" angreifen. Wenn auch das nicht reicht, greift man "mit aller Gewalt" an... blabla. Daher kommt die unsinnige Idee von einem "Kult der Offensive". Ungeachtet der Tatsache, dass es in der Realtität nie auch nur den Versuch einer "unbedingten Offensive" gegeben hat. Mit dem Erstarren des deutschen Vormarsches zum Stellungskrieg an der Westfront waren plötzlich beide Seiten voll in der defensiven Kriegführung - die es den "Analysen" der Historiker zufolge gar nicht hätte geben dürfen, weil Angriff ja die "verbindlichen Doktrin" war und die Deutschen neben der Offensive gar keinen "Plan B" hatten.
Erst nach der blutigen Niederlage - geradezu als Folge der blutigen Niederlage - kam jemand auf den Gedanken, dass man einen Krieg nie wieder so führen darf und dass man ihn vor allem auch gar nicht so führen muss. So wurde die Idee vom "Blitzkrieg" geboren.
Dieser "neue Krieg" wurde auch nicht durch technischen Fortschritt ermöglicht. Noch als der Angriff Nazi-Deutschlands auf die Sowjetunion begann, war die Masse der Truppen nicht motorisiert und stützte sich in hohem Maße auf Pferde als Transportmittel. "Blitzkrieg" war in erster Linie die Abkehr vom Paradigma, dass man immer und unbedingt eine "Entscheidungsschlacht" annehmen muss, wenn der Gegner eine anbietet.
Übrigens stehen wir aktuell vor einem ähnlichen Umbruch (oder sind schon mittendrin). Nach wie vor gilt "Blitzkrieg" (heute bekannt unter Bezeichnungen wie "air-land-battle" oder "verbundene Waffen") als "state of the art". Der Krieg wandelt aber zunehmend sein Gesicht. Wird immer lauter unter dem Oberbegriff "Neue Kriege" diskutiert.
MfG