Der Postrassist sagt, Rasse interessiere ihn nicht, es ginge um Kulturen u.a. Natürlich wertet der Postrassist auch diese anderen Kulturen ab, aber redet nicht von Rassen, weil der Rasse-Begriff in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts tabusiert wurde, sodass der postmoderne Rassist dieses Versteckpiel "Ich bin ja kein Rassist, aber ..." spielen muss, weil der antirassistische Diskurs so mächig geworden ist, dass sich selbst die Rassisten ihm anschließen mussten.
Auch auf diesen Absatz ließe sich anwenden: Alle Eulen sind Vögel, aber nicht alle Vögel sind Eulen. Mit Kulturen kann man sich kritisch auseinandersetzen, muss es vielleicht sogar, mit unveränderlichen biologischen Merkmalen jedoch nicht, die evident keinerlei Aussagekraft besitzen – erst recht nicht über die Wertigkeit des Individuums, darin sich diese Merkmale zufällig vereinigen.
Außerdem steckt die Theorie des postrassischen Rassismus voller teils schwerwiegender Widersprüche, die ein grelles Schlaglicht werfen auf die Verstrickung ihrer Vordenker in tagespolitische Auseinandersetzungen gerade in den USA und in Großbritannien, was in meinen Augen dazu anhalten sollte, sich ihr mit gehöriger Distanz zu nähern.
Der bereits erwähnte Dyson schreibt etwa, dass Rassismus sich nicht durch die Diskriminierung, sondern durch ein Machtungleichgewicht auszeichne und demnach Minderheiten niemals rassistisch gegen Mehrheiten handeln könnten. Dieses Machtungleichgewicht definiere sich freilich intersektionalistisch, mithin durch die Zugehörigkeit zu einer demographischen Gruppe, nicht individuell.
Wenn also – Dyson nahm dabei Bezug auf einen Vorfall in New York 2016 – vier Afroamerikaner einen (nach amerikanischem Sprachgebrauch) "Kaukasier" töteten, den sie sich seiner Hautfarbe wegen als Opfer erwählt hatten, wäre dies kein rassistischer Mord, da schließlich in den USA die "Kaukasier" herrschten.
Ähnlich widersprüchlich gehen die Rassismusforscher vor, wenn sie beispielsweise von einem immanenten "subconscious bias" bei Weißen sprechen.
Die Entstehungsgeschichte dieses Begriffs, der mit Wissenschaft nichts zu tun hat, ist übrigens überaus lesenswert und lehrreich; er zeigt, wie leicht sich gerade die Humanwissenschaften politisch vereinnahmen lassen.
Freilich betätigen sich die Autoren entgegen ihrer Verurteilung des Kulturalismus durchaus auch selber kulturalistisch, indem sie etwa den Kulturen des "Westens" einen Hang zum Kolonialismus und zur Zerstörung der Umwelt als Alleinstellungsmerkmal zuschreiben – als fänden sich nicht in allen Zeitaltern der Weltgeschichte und allen Weltregionen Kolonialreiche sowie Hinweise auf Ressourcenverschwendung.
Schließlich und zuletzt gehen manche Vertreter dieser Zunft so weit, zu behaupten, dass selbst Grundsätze wie Empirie und Logik – ohne die jede Wissenschaft undenkbar wäre – nur dazu dienten, die Deutungshoheit der "Weißen" über den wissenschaftlichen Diskurs zu erhalten, und daher abzulehnen seien.
Ich persönlich glaube nicht an die Hypothese, dass der Distelstrauch keine Erdbeeren hervorbringen könne, aber bei derart vielen Disteln, scheint mir, ist die Menschheit besser bedient, wenn sie sich auf ihren gesunden Menschenverstand besinnt.
In meinen Augen beginnt der Pfad in eine bessere Welt nicht an den Lehrstühlen für Rassismusforschung, sondern in jedem Elternhaus, das seinen Kindern eintrichtert: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst, und: Was du nicht willst, was man dir tu, das füg auch keinem andren zu.
Ein Nachsatz:
[…] weil der antirassistische Diskurs so mäch[t]ig geworden ist, dass sich selbst die Rassisten ihm anschließen mussten.
Ich sehe hier meine vormals geäußerte Befürchtung bestätigt, dass man im Wege der Sprache keine Verhaltensänderungen erreichen kann, denn Rassisten gibt es nach wie vor.
Und ich gehe sogar noch weiter: Sollte jemals ein Wissenschaftler den Mut aufbringen, die Frage zu untersuchen, ob eine Welt ohne jedweden Rassismus überhaupt möglich ist – und zwar: untersuchen sine ira et studio –, könnten die daraus zu ziehenden Schlussfolgerungen wertvoller sein als jeder Beitrag, den alle Dysons hervorzubringen imstande sind.
Denn ob nun der Kampf gegen den Rassismus, gegen Ungleichheit oder auch gegen den Klimawandel – meiner Auffassung nach steht sich der moderne Mensch mit seinem Idealismus stets selbst im Wege, weil sein Streben nach der Utopie Probleme, Widerstände und Reibungsverluste erzeugt, die ihn immer wieder zurückwerfen.
Und warum ist utopistisches Streben heute wieder so verbreitet? Weil Realismus als reaktionär gilt. Doch gehen wir lieber in Trippelschritten in die richtige Richtung, als voranzustürmen und, salopp gesagt, alle fünf Meter tüchtig auf die Schnauze zu fallen.