Versuch einer Deutung:
Seit dem Molotow-Besuch in Berlin im November 1940 war auch für die sowjetische Seite die Verschärfung der Lage bis zum Mai 1941 greifbar:
1. der diplomatische Austausch über den „Viermächte“-Pakt scheiterte
2. deutsche Aufmarschplanungen „Barbarossa“ gelangten nach Moskau
3. die Jugoslawien-Feldzug sowie der steigende deutsche Einfluss in Rumänien und Bulgarien (Truppenstationierungen) zeigten den Balkan als deutsch-sowjetisches Konfrontationsfeld auf.
4. der deutsche Aufmarsch an der Ostgrenze wurde erkannt, sogar im Umfang noch überschätzt.
Der Plan:
http://mdzx.bib-bvb.de/cocoon/1000dok/dok_0024_zuk.html?object=translation&lang=de
Die Vorgeschichte:
In Ansehung der verschärften politischen Lage ließ Stalin zur Jahreswende 1940/41 bis Anfang Januar 1941 zwei Kriegsspiele durchführen, zu der sich die führende Generalität versammelte. Grundlage war das Szenario eines deutschen Überraschungsangriffs auf die Sowjetunion: An beiden Übungen war Shukow beteiligt. Die erste Übung ging für die sowjetische Seite katastrophal aus, erst im Hinterland lief der deutsche Angriff aus logistischen Gründen aus. Bei dieser Übung „führte“ Shukow die deutsche Seite. Für die zweite Übung wurden die Teilnehmer getauscht. Es gelang in der Planung, unter hohen sowjetischen Verlusten den deutschen Angriff zu stoppen und einen sowjetischen Gegenangriff in die deutschen Aufmarschgebiete hineinzutragen. Nur dieses Konzept versprach demnach Aussichten auf Erfolg.
Die Präambel und Voraussetzung der militärischen Planung:
„Wenn man in Betracht zieht, dass Deutschland sein gesamtes Heer einschließlich rückwärtiger Dienste mobilisiert hat, so besteht die Möglichkeit, dass es uns beim Aufmarsch zuvorkommt [Im Dokument unterstrichen.] und einen Überraschungsschlag führt.
Um das zu verhindern [und die deutsche Armee zu zerschlagen], halte ich es für notwendig, dem deutschen Oberkommando unter keinen Umständen die Initiative zu überlassen, dem Gegner beim Aufmarsch zuvorzukommen [Im Dokument unterstrichen.] und das deutsche Heer schon dann anzugreifen, wenn es sich im Aufmarschstadium befindet und noch keine Front aufbauen sowie den Kampf der verbundenen Waffen noch nicht organisieren kann.“
Der Plan sah vor, aus den für einen Präventivschlag günstigen Balkonen von Bialystock und Lemberg mit motorisierten Kräften vorzustoßen. Dafür wurden hier Truppen versammelt und die logistischen Vorbereitungen getroffen. Objektiv hätte der Zustand der motorisierten Kräfte der Roten Armee zu diesem Zeitpunkt maximal Operationen von 200-300 km Tiefe zugelassen, was sich allerdings kaum in der Papierlage von damals widerspiegelte, sondern sich vielmehr an den späteren realen Abläufen ersehen ließ. Die damit verbundene Grundstrategie berücksichtigte (insofern konsequent) die sowjetische Anschauung von der sog. „tiefen Operation“ mit beweglichen Kräften. Die Situation hatte sich dabei für die sowjetische Seite militärisch zugespitzt, so dass Stalin eine Teilmobilisierung (ca. 1 Mio. Mann) und den Aufmarsch der Zweiten Strategischen Staffel im Hinterland genehmigte. In der Phase entstand die Shukow-Wassilewski-Planung vor dem 15.5.1941, die dem realisierten Aufmarsch der Roten Armee am 22.6.1941 weitgehend entsprach. Deswegen kann offen bleiben, ob Stalin den Plan tatsächlich abgezeichnet hat.
Kern und Schwäche des Shukow-(Timoschenko-)Planes war die Prämisse aus den negativen Erfahrungen der Kriegsspiele zuvor, nämlich einem unmittelbar bevorstehenden deutschen Angriff nur präventiv begegnen zu können. Das hätte aber die rechtzeitige politische Freigabe des Angriffs unmittelbar vor dem deutschen Angriff erfordert. Zugleich birgt es das Risiko, dass genau diese Entscheidung nicht rechtzeitig erfolgt. In diesem Fall kehrt sich die Absicht des Planes in einen strategischen Fehler und in der Wirkung in sein Gegenteil um: die exponierten Kräfte der Roten Armee geraten selber in die Gefahr, bei einem deutschen Angriff abgeschnitten zu werden. Dieses erfolgte dann auch so in der Realität im Juni 1941.
Heydorn, Volker Detlef: Der sowjetische Aufmarsch im Bialystoker Balkon bis zum 22. Juni 1941 und der Kessel von Wolkowysk.
Gorodetzky, Daniel: Die große Täuschung. Hitler, Stalin und das Unternehmen Barbarossa.
David E. Murphy: What Stalin Knew: The Enigma of Barbarossa
David M. Glantz: The Initial Period of War on the Eastern Front, 22 June - August 1941: Proceedings to the Fourth Art of War Symposium, Garmisch, October, 1987
Ueberschär/Besymenski: Der deutsche Angriff auf die Sowjetunion 1941. Die Kontroverse um die Präventivkriegsthese
Die Folgen der militärischen Katastrophe wurden Teilen der Generalität angelastet. So wurde ua. der OB der sowjetischen Westfront, Pawlow, hingerichtet. Der Fehlschlag wurde damit nicht dem Aufmarsch, sondern der militärischen Führung nach dem deutschen Angriff zugeschoben.
Seit dem Molotow-Besuch in Berlin im November 1940 war auch für die sowjetische Seite die Verschärfung der Lage bis zum Mai 1941 greifbar:
1. der diplomatische Austausch über den „Viermächte“-Pakt scheiterte
2. deutsche Aufmarschplanungen „Barbarossa“ gelangten nach Moskau
3. die Jugoslawien-Feldzug sowie der steigende deutsche Einfluss in Rumänien und Bulgarien (Truppenstationierungen) zeigten den Balkan als deutsch-sowjetisches Konfrontationsfeld auf.
4. der deutsche Aufmarsch an der Ostgrenze wurde erkannt, sogar im Umfang noch überschätzt.
Der Plan:
http://mdzx.bib-bvb.de/cocoon/1000dok/dok_0024_zuk.html?object=translation&lang=de
Die Vorgeschichte:
In Ansehung der verschärften politischen Lage ließ Stalin zur Jahreswende 1940/41 bis Anfang Januar 1941 zwei Kriegsspiele durchführen, zu der sich die führende Generalität versammelte. Grundlage war das Szenario eines deutschen Überraschungsangriffs auf die Sowjetunion: An beiden Übungen war Shukow beteiligt. Die erste Übung ging für die sowjetische Seite katastrophal aus, erst im Hinterland lief der deutsche Angriff aus logistischen Gründen aus. Bei dieser Übung „führte“ Shukow die deutsche Seite. Für die zweite Übung wurden die Teilnehmer getauscht. Es gelang in der Planung, unter hohen sowjetischen Verlusten den deutschen Angriff zu stoppen und einen sowjetischen Gegenangriff in die deutschen Aufmarschgebiete hineinzutragen. Nur dieses Konzept versprach demnach Aussichten auf Erfolg.
Die Präambel und Voraussetzung der militärischen Planung:
„Wenn man in Betracht zieht, dass Deutschland sein gesamtes Heer einschließlich rückwärtiger Dienste mobilisiert hat, so besteht die Möglichkeit, dass es uns beim Aufmarsch zuvorkommt [Im Dokument unterstrichen.] und einen Überraschungsschlag führt.
Um das zu verhindern [und die deutsche Armee zu zerschlagen], halte ich es für notwendig, dem deutschen Oberkommando unter keinen Umständen die Initiative zu überlassen, dem Gegner beim Aufmarsch zuvorzukommen [Im Dokument unterstrichen.] und das deutsche Heer schon dann anzugreifen, wenn es sich im Aufmarschstadium befindet und noch keine Front aufbauen sowie den Kampf der verbundenen Waffen noch nicht organisieren kann.“
Der Plan sah vor, aus den für einen Präventivschlag günstigen Balkonen von Bialystock und Lemberg mit motorisierten Kräften vorzustoßen. Dafür wurden hier Truppen versammelt und die logistischen Vorbereitungen getroffen. Objektiv hätte der Zustand der motorisierten Kräfte der Roten Armee zu diesem Zeitpunkt maximal Operationen von 200-300 km Tiefe zugelassen, was sich allerdings kaum in der Papierlage von damals widerspiegelte, sondern sich vielmehr an den späteren realen Abläufen ersehen ließ. Die damit verbundene Grundstrategie berücksichtigte (insofern konsequent) die sowjetische Anschauung von der sog. „tiefen Operation“ mit beweglichen Kräften. Die Situation hatte sich dabei für die sowjetische Seite militärisch zugespitzt, so dass Stalin eine Teilmobilisierung (ca. 1 Mio. Mann) und den Aufmarsch der Zweiten Strategischen Staffel im Hinterland genehmigte. In der Phase entstand die Shukow-Wassilewski-Planung vor dem 15.5.1941, die dem realisierten Aufmarsch der Roten Armee am 22.6.1941 weitgehend entsprach. Deswegen kann offen bleiben, ob Stalin den Plan tatsächlich abgezeichnet hat.
Kern und Schwäche des Shukow-(Timoschenko-)Planes war die Prämisse aus den negativen Erfahrungen der Kriegsspiele zuvor, nämlich einem unmittelbar bevorstehenden deutschen Angriff nur präventiv begegnen zu können. Das hätte aber die rechtzeitige politische Freigabe des Angriffs unmittelbar vor dem deutschen Angriff erfordert. Zugleich birgt es das Risiko, dass genau diese Entscheidung nicht rechtzeitig erfolgt. In diesem Fall kehrt sich die Absicht des Planes in einen strategischen Fehler und in der Wirkung in sein Gegenteil um: die exponierten Kräfte der Roten Armee geraten selber in die Gefahr, bei einem deutschen Angriff abgeschnitten zu werden. Dieses erfolgte dann auch so in der Realität im Juni 1941.
Heydorn, Volker Detlef: Der sowjetische Aufmarsch im Bialystoker Balkon bis zum 22. Juni 1941 und der Kessel von Wolkowysk.
Gorodetzky, Daniel: Die große Täuschung. Hitler, Stalin und das Unternehmen Barbarossa.
David E. Murphy: What Stalin Knew: The Enigma of Barbarossa
David M. Glantz: The Initial Period of War on the Eastern Front, 22 June - August 1941: Proceedings to the Fourth Art of War Symposium, Garmisch, October, 1987
Ueberschär/Besymenski: Der deutsche Angriff auf die Sowjetunion 1941. Die Kontroverse um die Präventivkriegsthese
Die Folgen der militärischen Katastrophe wurden Teilen der Generalität angelastet. So wurde ua. der OB der sowjetischen Westfront, Pawlow, hingerichtet. Der Fehlschlag wurde damit nicht dem Aufmarsch, sondern der militärischen Führung nach dem deutschen Angriff zugeschoben.