Noch kurz zum "Leihezwang".
Das Thema wird seit geraumer Zeit kontrovers diskutiert. Mit dieser vorsichtigen Definition im "Lexikon des Mittelalters" kann man sicher konform gehen:
Jetzt mal Butter bei die Fische:
Im bereits von mir mehrfach rekurierten (früheren) Standardwerk zum abendländischen Lehnrecht v. Heinrich Mitteis (Lehnrecht und Staatsgewalt) wird der Begriff „Leihezwang“ im Sachverzeichnis sechsmal aufgeführt – bei einem inhaltlichen Umfang dieses Werkes von über 700 S. ohne Anhang.
Zunächst die Ausführungen im „Schlußwort“ (S. 703f.):
„Die Lehre vom Leihezwang hat noch einmal deutlich gezeigt, unter welchen Bedingungen das Lehnrecht seine Fähigkeit, als Element des Staatsaufbaus zu dienen, frei entfalten konnte. Es hat sich wiederum ergeben, daß es die eigenartige Struktur des deutschen Reichslehnrechtes war und nicht ein im Lehnrecht an sich liegender Zug, wodurch bewirkt wurde, daß bei uns der Standpunkt der fürstlichen Vasallen die Oberhand gewann und so auch von dieser Seite gesehen die Entstehung eines Staatensystems in Deutschland als notwendige Folge erscheint.....
Vielleicht war es gerade ein wesenseigener Zug des deutschen Rechts, daß es wie kein anderes den ethischen Grundgehalt der Treue erkannte, aber eben deshalb eine rationale juristische Auswertung des Treubegriffs, wie wir sie im Westen fanden, ablehnen mußte. So ist es ein schicksalbestimmtes Motiv der deutschen Geschichte, daß das Reichslehnrecht seine funktionale Aufgabe beim Aufbau der Reichsgewalt nicht zu erfüllen vermochte....
So führt der Weg aus dem Lehnsstaat heraus in Frankreich zur Zentralmonarchie, in England zum Parlamentarismus, in Deutschland und Italien zur staatlichen Zersplitterung.“
Im gesamten „Schlußwort“ eines Werkes von über 700 S. (somit die wesentlichsten Punkte) wird der sog. „Leihezwang“ nicht mit verbindlich gesetzten Normen (im Sinne eines Rechtssetzungsakts) begründet; ein Aspekt, der zumindest für gelernte Juristen nicht unwesentlich ist !
Außerdem wird dem Reichslehnrecht eine wesentliche Bedeutung für den Aufbau der „Reichsgewalt“ abgesprochen. Danach kann es letztlich sogar offen bleiben, welchen Rechtscharakter ein „Leihezwang“ gehabt haben könnte (verbindliche Norm vs. Praktische Übung), da für die Reichsgewalt unmaßgeblich - „Reichsgewalt“ als Vorläufer des modernen Begriffs der „Staatsgewalt“ (so seit Ende des 19. Jhdts. „herrschende Lehre“ im Staatsrecht).
Doch weiter im Werk Mitteis´:
„Als Hauptproblem dieses Kapitels und zugleich als Finalproblem der ganzen Arbeit erhebt sich nunmehr die Frage nach dem Schicksal der an den Lehnsherrn verwirkten Vasallengüter. Anzuknüpfen ist an die Beobachtungen, die schon in fränkischer Zeit gemacht wurden. Bereits in den ersten Stadien des Lehnrechts erwies es sich nicht mehr immer als möglich, die Lehnsverwirkung zu einer dauernden zu gestalten.“ S. 685.
„Wie die Erblichkeit, so ist auch der 'Leihezwang' im technischen Sinne ein Ergebnis jahrhundertelanger Kämpfe zwischen Herren- und Vasallenrecht gewesen und hat je nach der Stärke des Vasallenrechts gegenüber dem Herrenrecht verschiedene Gestalt gewonnen. Bekanntlich hat sich im deutschen Reichsrecht der Leihezwang durchgesetzt und stellt dies die größte Besonderheit des deutschen Lehnrechts gegenüber den Lehnrechten Westeuropas dar. Über die Gründe dieser Entwicklung kann heute kaum schon Abschließendes gesagt werden.....“
„Wenn dies bisher noch nicht gelungen ist, so liegt dies daran, daß der Leihezwang anscheinend ohne jede Vorbereitung und quellenmäßige Grundlage im Prozeß Heinrichs des Löwen urplötzlich wie aus dem Nichts auftaucht, um dann erst etwa 50 Jahre später im Sachsenspiegel seine auch nicht weiter rückführbare literarische Formung zu erhalten.“ S. 686.
„Wenden wir uns nunmehr dem mitteleuropäischen Rechtskreis zu, so finden wir eine in gewissem Sinne gerade umgekehrt verlaufende Entwicklung. Die Ottonen und Salier haben in Deutschland Lehen und Eigengut unbotmäßiger Vasallen ganz ungehindert eingezogen und ohne jede rechtliche Bindung einbehalten oder wieder ausgegeben....
Im ersten Lehensgesetz Friedrichs I. findet dieser Gedanke der freien Wiederausgabe seinen deutlichen Ausdruck...
Dieselbe Freiheit mußte der Kaiser aber auch seinen Kronvasallen einräumen. Dies wurde praktisch besonders bei der öffentlich-rechtlichen Konfiskation von Unterlehen. Wie es später der Sachsenspiegel ausdrückt, wird das Lehen den Herren ledig geurteilt, das Eigen in die königliche Gewalt. Hierzu sei nebenbei bemerkt, daß im Falle der Konfiskation es dem deutschen Königtum nicht gelungen ist, die Lehenshierarchie zu durchbrechen; die Rechte der Zwischenherren mußten stets gewahrt werden.“
S. 690 f.
„Die ersten Anzeichen einer Verpflichtung zur Wiederleihe machen sich in Deutschland im 12. Jh. bemerkbar. Schon das Wormser Konkordat verpflichtete den König zur Wiederausgabe der im Investiturstreit eingezogenen Lehen. Nach dem ersten Landfrieden Friedrichs I. sollen die Liegenschaften von Landfriedensbrechern dem Grafen zu Lehen aufgetragen werden. Vor allem aber greift die italienische Gesetzgebung ein, die zu einer verstärkten Berücksichtigung der Verwandtschaft führt.“ S. 692
(Die verstärkte Berücksichtigung der Verwandtschaft war bereits zu Franken-Zeiten eine Art soziale Komponente, die oft eine Wiederausgabe verlangte bzw. für angezeigt erscheinen ließ – wird dieser Aspekt dann noch auf die Erbrechtsthematik übertragen, drängt sich die Frage nach der Unteilbarkeit von Reichslehen auf, insb. wg. des Amtscharakters).
„Nur so erklärt sich die auffallende Tatsache, daß wir die Söhne Heinrichs des Löwen bald wieder im Besitz von Kirchenlehen finden, die infolge der Ächtung ihres Vaters den Herren ledig geworden waren. Nur so erklärt sich jene eigenartige Urkunde, in der Otto IV. dem Erzbischof Adolf von Köln den ausdrücklichen Verzicht seiner Brüder auf die ihrem Vater durch Reichsspruch entzogenen Lehen verbrieft. Noch 20 Jahre nach dem Sturz des Löwen mußte der Erzbischof damit rechnen, daß die Söhne des Verurteilten es versuchen würden, die Lehen trotz der Verwirkung wieder an sich zu bringen – ein Beweis, daß ein festes Recht auf Restitution als denkbar erachtet wurde.“ S. 694.
(Ein Anspruch auf Restitution würde aber einem gesetzlich normierten Leihezwang widersprechen).
„Daraus kann gefolgert werden, daß man auch das Prinzip des Folgerechts der Verwandten im Falle der Felonie analog auf die weibliche Seite übertrug. Von hier aus fällt ein ganz neues Licht auf die Tatsache, daß es gerade Bernhard von Anhalt war, dem Friedrich I. den östlichen Teil Sachsens....
überlassen musste. Genau so wie sich unter Konrad III. Albrecht der Bär auf sein avitum beneficii ius berufen hatte... so wird auch sein Sohn Bernhard dieses selbe Frauenerbrecht ins Treffen geführt haben, um seinen Anspruch auf die Folge in das verwirkte Reichslehen Heinrichs des Löwen zu begründen.
Und dem König dürfte dies nicht einmal unwillkommen gewesen sein, konnte er sich doch auf die geographische Begrenztheit dieses Erbanspruchs berufen, um die Verleihung des Reichslehens im ganzen zu vermeiden und wenigstens eine Zerschlagung dieser bedrohlichen Ländermasse zu erzielen.“
S. 695 f.
„Das bisher Gesagte erklärt indessen die Ereignisse des Jahres 1180 nur unvollkommen. Die Anerkennung des Leihezwangs als solchen muß doch noch aus allgemeinen Gesichtspunkten heraus gerechtfertigt werden.... so kommt man auf eine Häufung von Kompromissen. Die Fürsten erklären sich bereit, nach eben neu verkündetem Reichsrecht den Herzog zu ächten und seiner Lehen für verlustig zu erklären. Der Kaiser muß dagegen in die alsbaldige Wiederausgabe willigen und somit eine im Kreis der Fürsten bestehende Rechtsauffassung anerkennen. Dagegen wieder gestatten die Fürsten, wie die Urkunde in aller Förmlichkeit bezeugt, die im Reichsrecht eigentlich verbotene, aber für den Kaiser in diesem Falle günstige Teilung des Herzogtums Sachsen zwischen Anhalt und Köln.“ S. 696.
(Das Verbot der Teilung eines Herzogtums geht auf die Ronkalischen Gesetze Friedrichs I. zurück).
„Es sind also nicht spezifisch lehnsrechtliche Dinge, die hier hineinspielen, sondern Folgerungen aus der eigenartigen Verfassungsstruktur des Reiches. Daneben kamen wohl noch sachenrechtliche Momente zur Geltung.“ S. 697.
(Das Gesamtinstitut „Lehen“ bestand halt auch aus der dinglichen Komponente).
Die Bestrebungen der staufischen Nachfolger Barbarossas, sich über die genannten eigenartigen Verfassungsstrukturen des HRR hinwegzusetzen, werden v. Mitteis auf S. 698 f. kurz zusammengefasst.
Danach habe z.B. Friedrich II. in einem Schreiben an den Papst darauf hingewiesen, dass er zur Wiederausgabe der Mark Meißen an den Landgrafen von Thüringen nach Reichsrecht nicht verpflichtet gewesen sei.
Auf die Versuche Friedrichs II., die heimgefallenen Herzogtümer Österreich u. Steiermark tatsächlich einzuziehen, die aber an der faktischen Übermacht des böhmischen Königs scheiterten, habe ich bereits in einem anderen Beitrag hingewiesen.
Festzuhalten bleibt zunächst, dass selbst der Rechtshistoriker Mitteis zum Schluss kommt, dass es nicht an lehnsrechtlichen Details gelegen hat, warum sich in „Deutschland“ - nicht im gesamten HRR – staatsrechtliche Besonderheiten entwickeln konnten, die zur Schwächung der Königsmacht auch oder gerade unter Barbarossa führten (auch wenn z.B. Sohn und Enkel aussichtsreiche Ansätze versucht haben, die deutsche Königsmacht zu stärken bzw. zur Geltung zu bringen).
Doch warum bringt Mitteis dann doch mehrfach den „Leihezwang“ ins Spiel ?
Und womit hat er diesen nachzuweisen versucht ??
Als Nachweis der von allen anerkannten spärlichen und nach Zerstörung des Originals der Gelnhäuser Urkunde fast untergegangenen Quellen nimmt Mitteis insgesamt drei Stellen aus dem Sachsenspiegel.
Zwei aus dem landrechtlichen, eine aus dem lehnrechtlichen Teil.
Im später erschienenen Schwabenspiegel gibt es insoweit noch eine Fundstelle (danach hätten die Fürsten das Recht, wenn der König einen Herrschild einbehalten wolle, vor dem Pfalzgrafen zu klagen; vgl. Mitteis, a.a.O., S. 442, Fn. 633.
Aus der Gelnhäuser Urkunde, die zur Zeit Mitteis´ ja noch existierte, lässt sich aber herzlich wenig herauslesen, da diese allenfalls deklaratorisch, aber nicht rechts-konstitutiv gewesen ist.
Daher bleiben nur die o.g. „Spiegel“ als „private“ Rechtsaufzeichnungen – und hier setzt die bereits mehrfach skizzierte Kritik mancher Historiker und auch Juristen an der These vom Leihezwang bei Mitteis, aber auch und vor allem am gesamten tradierten Modell des Lehnswesens an.
Man kann diese Kritik zu entkräften versuchen (wie z.B. Kroeschell) oder aber neue Ansätze aufnehmen und diesen weiter nachgehen – wie z.B. der Konstanzer Arbeitskreis für mittelalterliche Geschichte.
Götz zum sonntäglichen Gruß