H
hyokkose
Gast
Beitrag von Gast wthurner : Sonntag, den 16. November, 2003 - 10:48
Hallo Hyokkose,
ich hatte mal die Idee, dass der fehlende "imperialistische"
Drang der Chinesen, durch das Festhalten an den chinesischen Schriftzeichen, welche ja nur sehr umständliche Entwicklungsmöglichkeiten besitzen, lag.
Wurde hier in diesem Forum strikt abgelehnt.
Ich glaube aber dennoch, dass das Desinteresse Chinas zu jener Zeit an Kolonien und Entdeckungen damit zusammenhängt.
Die Europäer mit ihrer Lautschrift, haben ja im wesentlichen die grossen Entdeckungen, Bildung von Kolonien, Handelsstützpunkte, etc. gemacht.
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Beitrag von Mitglied Heinz : Sonntag, den 16. November, 2003 - 11:08
Wthurner, das könnte der Grund dafür sein.
Vielleicht hassten die Chinesen die Qing, weil es Mandschuren also Barbaren waren.
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Beitrag von Gast hyokkose : Sonntag, den 16. November, 2003 - 13:45
Lieber wthurner,
ich habe mir die Diskussion "Lautschrift und Religion als Wegbereiter des Aufstiegs" durchgelesen. Mit der Religion hast Du wahrscheinlich recht, das mit der Lautschrift halte ich nicht für stichhaltig.
Zunächst müssen wir ein paar grundsätzliche Dinge klären: Was ist eine Lautschrift, was eine Zeichenschrift?
Was verstehe ich überhaupt unter Schrift? Unter Schrift verstehe ich ein Zeichensystem, das in der Lage ist, gesprochene Sprache umfassend und eindeutig wiederzugeben. Eine reine Bilderschrift ist dazu nicht in der Lage (wie soll eine Bilderschrift z. B. das Wort "wie" wiedergeben?), auch wenn Bilderschriften als Vorstufen zur eigentlichen Schrift zu werten sind.
Nun kommt etwas, was Dich vielleicht wundern wird, aber es ist trotzdem so: Eine reine Zeichenschrift (ohne Merkmal einer Lautschrift) gibt es gar nicht. Die ägyptischen Hieroglyphen enthalten zwar eine Menge Bildzeichen, aber Hieroglyphisch ist eine Mischschrift aus Bedeutungszeichen und Lautzeichen. Das gleiche gilt für die Keilschriften Mesopotamiens. Und das gleiche gilt auch für die chinesische Schrift. Nur ein Bruchteil der chinesischen Schriftzeichen sind reine Begriffszeichen, die weitaus meisten haben eine Lautschriftkomponente. Nur ist diese bei einigen Zeichen heute schwer herauszulesen, da die Zuordnung von Laut und Zeichen großteils noch aus dem Altchinesischen herrührt.
Das gleiche Problem hat aber auch jede Lautschrift, die über Jahrhunderte verwendet wird. Die Sprache ändert sich nämlich, und die Rechtschreibung hält da meist nicht Schritt.
Nehmen wir z. B. das deutsche Wort "Vieh".
In Lautschrift geschrieben , müßten wir eigentlich "Fi" oder allenfalls "Vi" schreiben. Denn weder ein "e" noch ein "h" ist im gesprochenen Wort hörbar. Vor vielen Jahrhunderten wurden diese Laute aber noch gesprochen. Reste der alten Aussprache sind heute allenfalls noch in Dialekten erhalten, so spricht der Tiroler (wenn ich es richtig weiß) auch heute noch "Viach".
Im Englischen ist heute die Diskrepanz zwischen Laut und Schriftzeichen bei den Vokalen (und auch manchen Konsonanzen) so weit fortgeschritten, daß es keinen Zusammenhang zwischen Laut und Schrift mehr gibt.
Der Buchstabe "u" z. B. bezeichnet im Englischen nur ausnahmsweise ein gesprochenes "u".
- Im Wort "bus" bezeichnet er ein dunkles "a"
- Im Wort "busy" bezeichnet er ein "i"
- Im Wort "church" bezeichnet er ein langes offenes "ö"
Auch das Französische ist für große Diskrepanzen zwischen Laut und Schrift bekannt. Im Fall des Englischen und Französischen kann man eigentlich nur noch eingeschränkt von einer "Lautschrift" sprechen. Viel eindeutiger und unkomplizierter ist da z. B. das ungarische Schriftsystem.
Ich glaube nicht, daß es möglich ist, aus der Kompliziertheit oder Einfachkeit eines Schriftsystems auf den Erfolg oder Mißerfolg politischer Entwicklungen zu schließen.
Aber werfen wir einen Blick in die chinesische Geschichte: Das chinesische Tang-Reich expandierte im 7. Jahrhundert gewaltig und unterwarf halb Zentralasien (wo diverse Lautschriften in Gebrauch waren, z. B. die uigurische). Warum betrieben aber die Tang eine Expansionspolitik, die Ming aber nicht? Sie benutzten doch haargenau die gleiche Schrift.
Auch im Vergleich mit anderen seßhaften Völkern im chinesischen Umkreis, die seit vielen Jahrhunderten Lautschriften benutzen (Thai, Khmer, Tibeter, Koreaner) kann ich nicht erkennen, daß die Lautschrift einen expansiven oder imperialistischen Einfluß ausgeübt hätte, der sich auch nur ansatzweise mit chinesischen Großmachtbestrebungen messen könnte.
Im übrigen ist die chinesische Schrift gar nicht so schwerfällig, wie sie dem Uneingeweihten oder dem Anfänger vorkommen mag. Sie ist als Schriftsystem genauso funktionstüchtig wie jedes andere Schriftsystem auch und hat ihre Leistungsfähigkeit auch seit Jahrtausenden bewiesen.
Nein, lieber wthurner, an der Art des Schriftsystems kann es wohl nicht liegen.
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Beitrag von Gast wthurner : Sonntag, den 16. November, 2003 - 17:23
Hallo liebe Hyokkose,
vielen Dank für die Mühe diese alte Diskussion durchzulesen.
"Nur ein Bruchteil der chinesischen Schriftzeichen sind reine Begriffszeichen, die weitaus meisten haben eine Lautschriftkomponente."
Dies ist für mich neu und revolutionär.Da wird sich auch
Manganite wundern.
Als einfacher Geist habe ich mir mal während einer Chinareise so meine Gedanken gemacht und ich muss sagen, unser Buchstabenalphabet mit ich glaube ca. 25 Buchstaben habe ich mir damals herbeigewünscht.Man fühlt sich als Mensch aus dem Westen ja vollkommen verloren, unmöglich ein Ortsschild oder z.B. einen Fahrplan zu lesen. Für meinen Geschmack sind 35 000 chinesische Schriftzeichen einfach zuviel, und wichtig ist dabei auch, dass der überwiegenden Mehrheit der Chinesen mit einem "Zeichenschatz" von 2000-2500 Zeichen z.B. die Literatur auf immer verschlossen bleibt.
Ich halte die Buchstaben(Laut)Schrift für genial, neben
dem Rad mit das Bedeutenste was der Mensch je hervorgebracht
hat und was seine kulturelle Entwicklung beeinflusst hat.(Chin.)Schriftzeichen und Hieroglyphen rangieren für mein Empfinden deutlich eine Stufe tiefer.
Das mit dem expansiven Charakter, wohnt natürlich nicht
der Lautschrift inne, gemeint habe ich damit jene westl.europäischen Völker welche wie die Römer für hunderte
von Jahren ein Riesenreich organisierten, oder wie die Entdecker und Besetzer der neuen Welt, welche Kolonien gründeten, etc..
Dies ging ja grob gesehen, seltsamerweise alles von Europa aus.
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Beitrag von Gast wthurner : Sonntag, den 16. November, 2003 - 17:50
Nachtrag:
die Sache mit dem Tang-Reich und Expansion ist allerdings
ein überzeugendes Gegenbeispiel, muss ich zugeben.
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Beitrag von Gast wthurner : Sonntag, den 16. November, 2003 - 18:10
an Shi Fu An:
wie kommst Du eigentlich als Austauschschüler im täglichen
Leben zurecht? Ist der Unterricht in Englisch? Wo wohnst Du? Lernst Du Sprache und Schrift?
Warst du schon mal ausserhalb Shanghais?
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Beitrag von Mitglied Leopold_bloom : Sonntag, den 16. November, 2003 - 18:20
@wthurner: Lassen wirs Shi Fu An beantworten. Aber: Meine spärlichen Erfahrungen zu Shanghai: Nach Hong Kong ist Shanghai die mit Abstand forschrittlichste und modernste Stadt Chinas. Wenn international (und jetzt laß ich Hong Kong mal weg) dann Shanghai. Shanghai verhält sich (ganz im Extrem jetzt gesagt) zu "Landchina" wie New York zu Lambarene (sorry Shi Fu An für die Übertreibung): Aber selbst zu Beijing sind extreme Unterschiede ersichtlich....
Hallo Hyokkose,
ich hatte mal die Idee, dass der fehlende "imperialistische"
Drang der Chinesen, durch das Festhalten an den chinesischen Schriftzeichen, welche ja nur sehr umständliche Entwicklungsmöglichkeiten besitzen, lag.
Wurde hier in diesem Forum strikt abgelehnt.
Ich glaube aber dennoch, dass das Desinteresse Chinas zu jener Zeit an Kolonien und Entdeckungen damit zusammenhängt.
Die Europäer mit ihrer Lautschrift, haben ja im wesentlichen die grossen Entdeckungen, Bildung von Kolonien, Handelsstützpunkte, etc. gemacht.
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Beitrag von Mitglied Heinz : Sonntag, den 16. November, 2003 - 11:08
Wthurner, das könnte der Grund dafür sein.
Vielleicht hassten die Chinesen die Qing, weil es Mandschuren also Barbaren waren.
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Beitrag von Gast hyokkose : Sonntag, den 16. November, 2003 - 13:45
Lieber wthurner,
ich habe mir die Diskussion "Lautschrift und Religion als Wegbereiter des Aufstiegs" durchgelesen. Mit der Religion hast Du wahrscheinlich recht, das mit der Lautschrift halte ich nicht für stichhaltig.
Zunächst müssen wir ein paar grundsätzliche Dinge klären: Was ist eine Lautschrift, was eine Zeichenschrift?
Was verstehe ich überhaupt unter Schrift? Unter Schrift verstehe ich ein Zeichensystem, das in der Lage ist, gesprochene Sprache umfassend und eindeutig wiederzugeben. Eine reine Bilderschrift ist dazu nicht in der Lage (wie soll eine Bilderschrift z. B. das Wort "wie" wiedergeben?), auch wenn Bilderschriften als Vorstufen zur eigentlichen Schrift zu werten sind.
Nun kommt etwas, was Dich vielleicht wundern wird, aber es ist trotzdem so: Eine reine Zeichenschrift (ohne Merkmal einer Lautschrift) gibt es gar nicht. Die ägyptischen Hieroglyphen enthalten zwar eine Menge Bildzeichen, aber Hieroglyphisch ist eine Mischschrift aus Bedeutungszeichen und Lautzeichen. Das gleiche gilt für die Keilschriften Mesopotamiens. Und das gleiche gilt auch für die chinesische Schrift. Nur ein Bruchteil der chinesischen Schriftzeichen sind reine Begriffszeichen, die weitaus meisten haben eine Lautschriftkomponente. Nur ist diese bei einigen Zeichen heute schwer herauszulesen, da die Zuordnung von Laut und Zeichen großteils noch aus dem Altchinesischen herrührt.
Das gleiche Problem hat aber auch jede Lautschrift, die über Jahrhunderte verwendet wird. Die Sprache ändert sich nämlich, und die Rechtschreibung hält da meist nicht Schritt.
Nehmen wir z. B. das deutsche Wort "Vieh".
In Lautschrift geschrieben , müßten wir eigentlich "Fi" oder allenfalls "Vi" schreiben. Denn weder ein "e" noch ein "h" ist im gesprochenen Wort hörbar. Vor vielen Jahrhunderten wurden diese Laute aber noch gesprochen. Reste der alten Aussprache sind heute allenfalls noch in Dialekten erhalten, so spricht der Tiroler (wenn ich es richtig weiß) auch heute noch "Viach".
Im Englischen ist heute die Diskrepanz zwischen Laut und Schriftzeichen bei den Vokalen (und auch manchen Konsonanzen) so weit fortgeschritten, daß es keinen Zusammenhang zwischen Laut und Schrift mehr gibt.
Der Buchstabe "u" z. B. bezeichnet im Englischen nur ausnahmsweise ein gesprochenes "u".
- Im Wort "bus" bezeichnet er ein dunkles "a"
- Im Wort "busy" bezeichnet er ein "i"
- Im Wort "church" bezeichnet er ein langes offenes "ö"
Auch das Französische ist für große Diskrepanzen zwischen Laut und Schrift bekannt. Im Fall des Englischen und Französischen kann man eigentlich nur noch eingeschränkt von einer "Lautschrift" sprechen. Viel eindeutiger und unkomplizierter ist da z. B. das ungarische Schriftsystem.
Ich glaube nicht, daß es möglich ist, aus der Kompliziertheit oder Einfachkeit eines Schriftsystems auf den Erfolg oder Mißerfolg politischer Entwicklungen zu schließen.
Aber werfen wir einen Blick in die chinesische Geschichte: Das chinesische Tang-Reich expandierte im 7. Jahrhundert gewaltig und unterwarf halb Zentralasien (wo diverse Lautschriften in Gebrauch waren, z. B. die uigurische). Warum betrieben aber die Tang eine Expansionspolitik, die Ming aber nicht? Sie benutzten doch haargenau die gleiche Schrift.
Auch im Vergleich mit anderen seßhaften Völkern im chinesischen Umkreis, die seit vielen Jahrhunderten Lautschriften benutzen (Thai, Khmer, Tibeter, Koreaner) kann ich nicht erkennen, daß die Lautschrift einen expansiven oder imperialistischen Einfluß ausgeübt hätte, der sich auch nur ansatzweise mit chinesischen Großmachtbestrebungen messen könnte.
Im übrigen ist die chinesische Schrift gar nicht so schwerfällig, wie sie dem Uneingeweihten oder dem Anfänger vorkommen mag. Sie ist als Schriftsystem genauso funktionstüchtig wie jedes andere Schriftsystem auch und hat ihre Leistungsfähigkeit auch seit Jahrtausenden bewiesen.
Nein, lieber wthurner, an der Art des Schriftsystems kann es wohl nicht liegen.
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Beitrag von Gast wthurner : Sonntag, den 16. November, 2003 - 17:23
Hallo liebe Hyokkose,
vielen Dank für die Mühe diese alte Diskussion durchzulesen.
"Nur ein Bruchteil der chinesischen Schriftzeichen sind reine Begriffszeichen, die weitaus meisten haben eine Lautschriftkomponente."
Dies ist für mich neu und revolutionär.Da wird sich auch
Manganite wundern.
Als einfacher Geist habe ich mir mal während einer Chinareise so meine Gedanken gemacht und ich muss sagen, unser Buchstabenalphabet mit ich glaube ca. 25 Buchstaben habe ich mir damals herbeigewünscht.Man fühlt sich als Mensch aus dem Westen ja vollkommen verloren, unmöglich ein Ortsschild oder z.B. einen Fahrplan zu lesen. Für meinen Geschmack sind 35 000 chinesische Schriftzeichen einfach zuviel, und wichtig ist dabei auch, dass der überwiegenden Mehrheit der Chinesen mit einem "Zeichenschatz" von 2000-2500 Zeichen z.B. die Literatur auf immer verschlossen bleibt.
Ich halte die Buchstaben(Laut)Schrift für genial, neben
dem Rad mit das Bedeutenste was der Mensch je hervorgebracht
hat und was seine kulturelle Entwicklung beeinflusst hat.(Chin.)Schriftzeichen und Hieroglyphen rangieren für mein Empfinden deutlich eine Stufe tiefer.
Das mit dem expansiven Charakter, wohnt natürlich nicht
der Lautschrift inne, gemeint habe ich damit jene westl.europäischen Völker welche wie die Römer für hunderte
von Jahren ein Riesenreich organisierten, oder wie die Entdecker und Besetzer der neuen Welt, welche Kolonien gründeten, etc..
Dies ging ja grob gesehen, seltsamerweise alles von Europa aus.
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Beitrag von Gast wthurner : Sonntag, den 16. November, 2003 - 17:50
Nachtrag:
die Sache mit dem Tang-Reich und Expansion ist allerdings
ein überzeugendes Gegenbeispiel, muss ich zugeben.
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Beitrag von Gast wthurner : Sonntag, den 16. November, 2003 - 18:10
an Shi Fu An:
wie kommst Du eigentlich als Austauschschüler im täglichen
Leben zurecht? Ist der Unterricht in Englisch? Wo wohnst Du? Lernst Du Sprache und Schrift?
Warst du schon mal ausserhalb Shanghais?
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Beitrag von Mitglied Leopold_bloom : Sonntag, den 16. November, 2003 - 18:20
@wthurner: Lassen wirs Shi Fu An beantworten. Aber: Meine spärlichen Erfahrungen zu Shanghai: Nach Hong Kong ist Shanghai die mit Abstand forschrittlichste und modernste Stadt Chinas. Wenn international (und jetzt laß ich Hong Kong mal weg) dann Shanghai. Shanghai verhält sich (ganz im Extrem jetzt gesagt) zu "Landchina" wie New York zu Lambarene (sorry Shi Fu An für die Übertreibung): Aber selbst zu Beijing sind extreme Unterschiede ersichtlich....