Der Nestor der Mittelalter-Geschichtsschreibung, der 80-jährige Jacques Le Goff hat eine Studie über die Geburt Europas veröffentlicht.
Seine These lautet: Die Wurzeln Europas liegen in dem landläufig als dunkel, archaisch und in religiösen Vorstellungen befangen Mittelalter. Nun was heisst Mittelalter? In der Schule haben wir gelernt das die rund 1000 Jahre zwischen dem Untergang des Römischen Reiches im 4. Jahrhundert und dem Beginn der Renaissance im 15. Jahrhundert als Mittelalter zu bezeichnen ist. Le Goff hält von solchen Abgrenzungen nicht viel, denn es handelt sich dabei ausnahmslos um Rückprojektionen. Kein Mensch im Mittelalter fühlte sich als mittelalterlicher Mensch, denn der Begriff Mittelalter kam, wie auch das schematische Denken in Jahrhunderten, erst im 16. Jahrhundert auf. Der Begriff Renaissance setzte Jacob Burckhardt Ende des 19. Jahrhunderts durch. Le Goff spricht lieber vom langen Mittelalter, dessen Ende er auf den welthistorischen Bruch der Französischen Revolution von 1789 datiert.
Der Übergang von der Antike zum Mittelalter vollzog sich als langwieriger Prozess zwischen dem 4. und 8. Jahrhundert. Die fortschreitende Christianisierung spielte dabei die Rolle eines Scharniers zwischen den beiden Epochen, nachdem Kaiser Theodosius 313 das Christentum zur Staatsreligion im zerbröckelnden Römischen Reich erklärt hatte. Bei mehren Einwanderungswellen vermischten sich latino-europäische und barbarische Völkerschaften die von Osten und Norden nach Westen und Süden drängten. Aus den römischen Verwaltungsbezirken wurden bischöfliche Territorien und kleinere Königtümer. Rom verlor die zentrale Stellung trotz des Papstes. Die Sprache veränderte sich, so gewann neben dem Latein die Volkssprache immer mehr an Boden. Europa wurde politisch, sprachlich und kulturell dauerhaft dezentralisiert.
Aus diesen Gründen ist Le Goff der Ansicht, dass alle Versuche Europa zu zentralisieren zum scheitern verurteilt sind. Er bezeichnet den Versuch Karl des Grossen ein von Franken dominiertes Reich nach dem Vorbild des Römischen Reich als eine Fehlgeburt. Alle heutigen Europaideen, die sich auf Karl berufen, sind deshalb für ihn nur nostalgische Zeremonien. Zukunftsweisend sind nicht die kriegerischen Reichs- und Vereinheitlichungspläne, Karl führte in den 46 Jahren seiner Herrschaft nur zwei Jahre keine Eroberungs- und Beutekriege, sondern die Ideen von Recht, Friede und Bildung, wie sie bereits an den mittelalterlichen Universitäten entwickelt wurden.
Le Goff verklärt das Mittelalter nicht, er erkennt das feudale Europa mit seiner ständischen Dreiteilung in Krieger, Priester und Bauern beruhte auf der Grundherrschaft, die weltliche und kirchliche Herren mit Gewalt durchsetzten. Mit der Militarisierung der Orden und des Glaubens stütze sich das feudale Europa nach 1095 für über 100 Jahre in die Kreuzzüge gegen Muslime, Juden und Ketzer. Damit ruiniert das junge Europa seinen Ruf und gewann für sich nichts ausser dem Import von Aprikosenbäumen, so Le Goff.
Le Goff zeigt den Widerspruch der „Verchristlichung“ des Krieges als „heiliger Krieg“ mit Inquisition, Juden- Hexen und Ketzerverfolgung und der Marienverehrung auf.
Mit der territorialen Verfestigung der Herrschaft zu Staaten und der Erfindung des Schiesspulvers, Gewehren und Kanonen veränderte sich der Krieg. Berufskrieger zogen im plündern durch die Lande. Hinzu kamen noch die grossen Hungerkatastrophen und Bauernaufstände. Die grosse Pest (1347/48) raffte die Hälfte der Bevölkerung in Europa dahin. In diesem gewaltgesättigten Klima entstanden im 14. und 15. Jahrhundert die modernen Staaten, die ihrerseits ihr Gewaltmonopol nur mit forcierter Gewalt durchsetzten konnten.
Rudolf Walther schreibt zum diesem Buch folgendes: „Wenn man Le Goffs souverän erzählter Geschichte über die Wurzeln Europas im Mittelalter etwas vorwerfen will, dann seine zuweilen etwas angestrengte Suche nach solchen Wurzeln.“
Buch:
Jacques Le Goff: Die Geburt Europas im Mittelalter. Aus dem Französischen von Grete Osterwals. Verlag C.H. Beck, München 2004
Meine Quelle: R. Walther, Tagesanzeiger (Auszugsweise)
Seine These lautet: Die Wurzeln Europas liegen in dem landläufig als dunkel, archaisch und in religiösen Vorstellungen befangen Mittelalter. Nun was heisst Mittelalter? In der Schule haben wir gelernt das die rund 1000 Jahre zwischen dem Untergang des Römischen Reiches im 4. Jahrhundert und dem Beginn der Renaissance im 15. Jahrhundert als Mittelalter zu bezeichnen ist. Le Goff hält von solchen Abgrenzungen nicht viel, denn es handelt sich dabei ausnahmslos um Rückprojektionen. Kein Mensch im Mittelalter fühlte sich als mittelalterlicher Mensch, denn der Begriff Mittelalter kam, wie auch das schematische Denken in Jahrhunderten, erst im 16. Jahrhundert auf. Der Begriff Renaissance setzte Jacob Burckhardt Ende des 19. Jahrhunderts durch. Le Goff spricht lieber vom langen Mittelalter, dessen Ende er auf den welthistorischen Bruch der Französischen Revolution von 1789 datiert.
Der Übergang von der Antike zum Mittelalter vollzog sich als langwieriger Prozess zwischen dem 4. und 8. Jahrhundert. Die fortschreitende Christianisierung spielte dabei die Rolle eines Scharniers zwischen den beiden Epochen, nachdem Kaiser Theodosius 313 das Christentum zur Staatsreligion im zerbröckelnden Römischen Reich erklärt hatte. Bei mehren Einwanderungswellen vermischten sich latino-europäische und barbarische Völkerschaften die von Osten und Norden nach Westen und Süden drängten. Aus den römischen Verwaltungsbezirken wurden bischöfliche Territorien und kleinere Königtümer. Rom verlor die zentrale Stellung trotz des Papstes. Die Sprache veränderte sich, so gewann neben dem Latein die Volkssprache immer mehr an Boden. Europa wurde politisch, sprachlich und kulturell dauerhaft dezentralisiert.
Aus diesen Gründen ist Le Goff der Ansicht, dass alle Versuche Europa zu zentralisieren zum scheitern verurteilt sind. Er bezeichnet den Versuch Karl des Grossen ein von Franken dominiertes Reich nach dem Vorbild des Römischen Reich als eine Fehlgeburt. Alle heutigen Europaideen, die sich auf Karl berufen, sind deshalb für ihn nur nostalgische Zeremonien. Zukunftsweisend sind nicht die kriegerischen Reichs- und Vereinheitlichungspläne, Karl führte in den 46 Jahren seiner Herrschaft nur zwei Jahre keine Eroberungs- und Beutekriege, sondern die Ideen von Recht, Friede und Bildung, wie sie bereits an den mittelalterlichen Universitäten entwickelt wurden.
Le Goff verklärt das Mittelalter nicht, er erkennt das feudale Europa mit seiner ständischen Dreiteilung in Krieger, Priester und Bauern beruhte auf der Grundherrschaft, die weltliche und kirchliche Herren mit Gewalt durchsetzten. Mit der Militarisierung der Orden und des Glaubens stütze sich das feudale Europa nach 1095 für über 100 Jahre in die Kreuzzüge gegen Muslime, Juden und Ketzer. Damit ruiniert das junge Europa seinen Ruf und gewann für sich nichts ausser dem Import von Aprikosenbäumen, so Le Goff.
Le Goff zeigt den Widerspruch der „Verchristlichung“ des Krieges als „heiliger Krieg“ mit Inquisition, Juden- Hexen und Ketzerverfolgung und der Marienverehrung auf.
Mit der territorialen Verfestigung der Herrschaft zu Staaten und der Erfindung des Schiesspulvers, Gewehren und Kanonen veränderte sich der Krieg. Berufskrieger zogen im plündern durch die Lande. Hinzu kamen noch die grossen Hungerkatastrophen und Bauernaufstände. Die grosse Pest (1347/48) raffte die Hälfte der Bevölkerung in Europa dahin. In diesem gewaltgesättigten Klima entstanden im 14. und 15. Jahrhundert die modernen Staaten, die ihrerseits ihr Gewaltmonopol nur mit forcierter Gewalt durchsetzten konnten.
Rudolf Walther schreibt zum diesem Buch folgendes: „Wenn man Le Goffs souverän erzählter Geschichte über die Wurzeln Europas im Mittelalter etwas vorwerfen will, dann seine zuweilen etwas angestrengte Suche nach solchen Wurzeln.“
Buch:
Jacques Le Goff: Die Geburt Europas im Mittelalter. Aus dem Französischen von Grete Osterwals. Verlag C.H. Beck, München 2004
Meine Quelle: R. Walther, Tagesanzeiger (Auszugsweise)