Die sozial-moralischen Milieus des deutschen Parteiensystems

Dennis

Mitglied
Hallo liebes Forum,

ich möchte einen Vortrag zum Thema "Die sozial-moralischen Milieus des deutschen Parteiensystems. Von Weimar nach Bonn" halten.

Dabei möchte ich auch auf den Ausspruch "Bonn ist nicht Weimar" eingehen.

Zu diesem Zweck bin ich auf der Suche nach geeigneter Literatur. Hat jemand Tipps für mich?

Vielen Dank und beste Grüße
Dennis
 
Der erste Hinweis wäre, dass es keine "sozial-moralischen" Milieus gibt.

Möglicherweise meintest Du "sozio-kulturelle"-Milieus.

Ein wichtiges Konzept zur Erklärung der zentralen Trennungslinien findest Du unter der Cleavage-Theorie.

http://de.wikipedia.org/wiki/Cleavage-Theorie

Eine Auflösung erfuhr dieser Ansatz durch eine Differenzierung der Milieus.

http://de.wikipedia.org/wiki/Sinus-Milieu

Teilweise hervorgerufen durch den damit verbundenen Wertewandel, den Inglehart konstatierte.

http://de.wikipedia.org/wiki/Postmaterialismus
 
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Auch nicht zu verachten:

Rudizo, Das politisches Sysem der Bundesrepublik Deutschland und

Ellwein und Hesse, Das Regierungssystem der Bundesrepublik Deutschland.
 
Auch nicht zu verachten:

Rudizo, Das politisches Sysem der Bundesrepublik Deutschland und

Ellwein und Hesse, Das Regierungssystem der Bundesrepublik Deutschland.

Danke für den Hinweis. Ich kenne beide Titel. Glaube allerdings, dass beide für mein Thema nichts hergeben. Zumindest für Rudzio kann ich es 100%ig sagen. Zu den Milieus der Parteien äußert er sich m.W. nicht (zumindest in der 7. Auflage von 2006).

Viele Grüße
 
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Der erste Hinweis wäre, dass es keine "sozial-moralischen" Milieus gibt.

Möglicherweise meintest Du "sozio-kulturelle"-Milieus.

Hallo,

bin jetzt etwas schlauer. M. Reiner Lepsius prägt und nutzt den o.g. Begriff. Zum Verhältnis des sozial-moralischen und des sozio-kulturellen Milieus schreibt er:
"Der Begriff des "sozialmoralischen Milieus" hat gegenüber dem Klassenbegriff den Vorteil eines explizit weiter gesteckten Bezugsrahmens. Ich verwende ihn hier als Bezeichnung für soziale Einheiten, die durch ihre Koinzidenz [Zusammentreffen] mehrer Strukturdimensionen wie Religion, regionale Tradition, wirtschaftliche Lage, kulturelle Orientierung, schichtspezifische Zusammensetzung der intermediären Gruppen gebildet werden. Das Milieu ist ein sozio-kulturelles Gebilde, das durch eine spezifische Zuordnung solcher Domensionen auf einen bestimmten Bevölkerungsteil bestimmt wird."
Aus: Lepsius, M. Raeiner: Parteiensystem und Sozialstruktur: zum Problem der Demokratisierung der deutschen Gesellschaft, in: Ritter, Gerhard A. (Hrsg.): Deutsche Parteien vor 1918, Köln 1973, S. 68.

Mein Prof. hat mir das Themas so gestellt, wie ich es in meinem Eingangspost genannt habe. Ich werde also irgendwie mit diesen Begrifflichkeiten zurecht kommen müssen.

Viele Grüße
Dennis
 
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Der Begriff sozialmoralisches Milieu hat sich nicht durchgesetzt. Es war wohl eher der Versuch ein Konstrukt zu etablieren.

http://www.bpb.de/popup/popup_druckversion.html?guid=YC1M7E

Ansonsten würde ich mich erst einmal mit dem Moralbegriff in Anlehnung an Piaget und Kohlberg, eher Kohlberg, und seiner Übernahme in die Politische Soziologie bzw. Sozialpsychologie beschäftigen. Sofern der Begriff "Moral" als analytische Kategorie für die politische Kultur Deutschlands überhaupt gerechtfertigt ist.

Eine kleine Auswahl, in welche Richtung die Moralforschung im Rahmen der Analyse von politischen Einstellungsystemen dachte. Zumal diese Einstellungssysteme in einer interaktiven Beziehung zum sozio-kulturellen Milieu stehen

Die Psychologie der Moralentwicklung - Google Bücher

http://books.google.de/books?id=F9R...ook_result&ct=result&resnum=1&ved=0CC8Q6AEwAA

http://books.google.de/books?id=iuOlaXcQxQMC&pg=PA247&dq=ijzendoorn,+moral&hl=de&ei=PMmaTeqkEJCZOvzikesG&sa=X&oi=book_result&ct=result&resnum=6&ved=0CEgQ6AEwBQ#v=onepage&q=ijzendoorn%2C%20moral&f=false

http://books.google.de/books?id=Dnc...k_result&ct=result&resnum=1&ved=0CCoQ6AEwADge

http://books.google.de/books?id=Ag6...k_result&ct=result&resnum=2&ved=0CC8Q6AEwATgo


In diesem Zusammenhang ergibt sich eine Diskussion zwischen dem Wertewandel und den unterschiedlichen Sufen des moralischen Urteils.

Diese Sichtweise hat aber kein analytische Paradigma begründet zur Analyse der politischen Kultur oder des Parteiensystems und kann somit als weitgehend irrelevant angesehen werden.

Das Problem mit diesem Konstrukt ist einfach, dass es als empirische Kategorie keine Trennschärfe in gesellschaftliche Gruppen bringt. Einfach gesprochen: In der Mittelschicht wird man alle Formen des moralischen Urteils empirisch nachweisen können, sodass diese Kategorie im empirischen Sinne als Konstrukt (gebildet aus einer Vielzahl von einzelnen Variablen) nicht brauchbar ist.

Die Weiterführung bzw. Überlagerung erhielt die gesamte Diskussion durch die Wertewandeldiskussion, angestoßen durch Inglehart.

Und ich wiederhole gerne nochmal, die relevanten Links und Hinweise finden sich unter #2.

Und wenn Dein Prof auf diesem "sozialmoralischen Milieu" besteht, als Analysekategorie, dann sollte er vielleicht mal die Arbeiten von Pappi, Klingemann, Kaase, Falter, oder Jüngere wie bei Schumann, Weßels oder Fuchs etc. (nur um ein paar der relevanteren zu nennen) ansehen.

Kurz noch eine Anmerkung zur Mächtigkeit von Konstrukten. Moral, als Konstrukt, ist ein Teilbereich von Kultur, als Konstrukt. Das heißt in den Kulturbegriff fließen unter anderem die Einflüsse von Moral ein. Nicht zuletzt wird man sich den zeitlichen Kontext ansehen müssen, in dem Lespsius diesen Begriff versuchte zu prägen. Analytisch wird er ihn um 1970 entwickelt haben, mit dem damaligen Erkenntnisstand.
 
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Durch den "Moral"-Begriff ist die eigentliche Fragestellung ein wenig untergegangen.

Deinem Dozenten ging es, vermutlich, eher um die Intention von Lepsius, deswegen der Verweis auf den Kontext des Buches (Jahr 1973), einen demokratietheoretischen Gegenentwurf zum Demokratieverständnis eines Marx zu formulieren.

Demokratietheorie ? Wikipedia

Im Gegensatz zu Marx, der das Proletariat zum einzigen relevanten gesellschaftlichen bzw. politischen Subjekt (ver-)erklärt hatte und nur ihm eine legitime politische Machtausübung zusprach, verwies Lepsius, als Soziologie, zu Recht auf die faktisch wesentlich komplizierte Schichtung der deutschen Gesellschaft hin und der Notwendigkeit eines differenzierten Demokratiemodells für Deutschland, um eine angemessene politische Repräsentanz aller gesellschaftlicher Gruppen zu erzielen.

M. Rainer Lepsius ? Wikipedia

Vor diesem Hintergrund einzelner sozialer Milieus, die durch spezifische kulturelle Traditionen geprägt waren (und in diesem Kontext benutzt Lepsius den Moralbegriff ansatzweise als Synonym für Kultur) vertritt er einen pluralistischen Demokratiebegriff in deutlichem Gegensatz zu Marx. Relevant ist in diesem Zusammenhang immernoch die bereits eingeführte "Cleavage-Theorie" zur Erklärung der politischen Gegensätze der unterschiedlichen sozialen Milieus.

Soziales Milieu ? Wikipedia

Dieser pluralistische Demokratiebegriff wurde wesentlich durch Ernst Fraenkel mit definiert und ausgearbeitet.

Ernst Fraenkel (Politikwissenschaftler) ? Wikipedia

http://www.tu-braunschweig.de/Medien-DB/isw/theorie-ncb-fraenkel.pdf

Und geht im Kern von dem Gedanken aus, dass alle !!! gesellschaftlichen Gruppen eine politische Repräsentanz finden müssen, um zu einem sinnvollen Ausgleich von Interessengegensätzen zu kommen und um die Diktatur einer Schicht bzw. Klasse, die Diktatur des Proletaritats, zu vermeiden.

Eine Untersuchung der Fragestellung: "Bonn ist nicht Weimar" wäre aus meiner Sicht interessant, sofern man die Übereinstimmung der kulturellen Werte der einzelnen Milieus mit den demokratischen Werten untersucht.

Oder anders ausgedrückt, in welchem Umfang billigten einzelnen soziale Milieus den beiden Demokratien eine Legitimation zu. Wer unterstützt sie und wer bekämpfte die Demokratien. Kann man unter dieser Perspektive eine Konstanz erkennen oder aber auch Brüche?

Ein sicherlich sehr interessantes Milieu ist das "rheinisch-katholische Milieu" und seine Repräsentanz in den jeweiligen Parteien (Zentrum bzw. CDU).

http://de.wikipedia.org/wiki/Katholisches_Milieu
 
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Hallo thanepower,

vielen Dank deinen weiteren, äußerst hilfreichen Post. Ich werde mich über das Wochenende in die vorgeschlagene Literatur und die Links einarbeiten.

Vielleicht kann ich nächste Woche ja nochmal vorstellen, wie nun gedenke, das Thema aufzurollen.

In jedem Falle nochmal ein herzliches Dankeschön und viele Grüße
Dennis
 
Hallo,

ich bin nun mit der Gliederung meines Vortrages ein wenig vorangekommen. Das Konzept von Lepsius möchte ich - auch wenn es an Erklärungskraft eingebüßt hat - ausführlich schildern, weil es mein Arbeitsauftrag ist.

Die Links zur "Cleavage-Theorie" waren aber tatschlich sehr interessant. Ich möchte auch dieses Modell vorstellen und Lepsius damit ergänzen oder weiterentwickeln.

So komme ich auch drei Hauptpunkte:

1. Die sozial-moralischen Milieus nach Lepsius
2. Die "Cleavage-Theorie" nach Lipset
3. Der Ausspruch "Bonn ist nicht Weimar"

Wie ich den dritten Punkt gestalten möchte, weiß ich noch nicht. Sicher wäre es sinnvoll, wenn ich mich auf Lepsius` Modell rückbeziehen würde, um den Kreis zu schließen. Aber wo könnte dort ein sinnvoller Zusammenhang bestehen?

Thanepower hat vorgeschlagen, zu untersuchen, inwieweit sich die kulturellen Werte der Milieus mit den demokratischen decken. Hier könne man eine Gegenüberstellung der WR und der Bonner/Berliner Republik machen.
Eine Diskussionsrunde finde ich hier gar nicht schlecht, aber was könnte bei thanes Ansatz herauskommen? In der WR standen viele Milieus der Demokratie ablehnend gegenüber, vor allem das konservative und der kommunistische Teil der Arbeiterbewegung. Heute sind es weniger Gegner geworden, nur noch der extreme linke und rechte Rand des Sprektrums lehnen die Demokratie ab. Mehr würde mich dazu nicht einfallen...

Hat jemand weitere Hinweise oder Kommentare zu meinem Konzept?

Vielen Dank und beste Grüße :)
Dennis
 
Hallo,
ich habe den Vortrag gehalten und es ist gut gelaufen.

In der Besprechung habe ich erfahren, dass dem Prof. die sozial-moralischen Milieus doch am wichtigsten waren. Der Hintergrund war, dass es darum gehen sollte, aufzuzeigen, wie die politischen Strömungen im 19. Jhd. entstanden sind. Für diesen Zweck hält er Lepsius am sinnvollsten.

Trotzdem waren die Anregungen, die ich hier bekommen habe, äußerst hilfreich. Nochmals danke dafür.

Viele Grüße
Dennis
 
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