Für mich war das einer der Tage, die man im Leben nie vergißt. Ich hatte damals Nachtschicht und so habe ich alles live miterlebt.
Bevor ich zur Arbeit mußte, habe ich ( das habe ich in der Wendezeit täglich gemacht ) zuerst im ZDF die Heute-Nachrichten gesehen und anschließend im Osten die "Aktuelle Kamera". Dort habe ich auch die legendäre Pressekonferenz gesehen, in der Günter Schabowski das neue Ausreisegesetz vorlas. Ich selbst habe es zu diesem Zeitpunkt zwar zur Kenntnis genommen,
habe es aber nicht auf mich selbst bezogen - ich dachte, daß damit Diejenigen gemeint waren, die teilweise seit Jahren einen Ausreiseantrag zu laufen hatten. Für diese Leute freute ich mich zu dem Zeitpunkt. Ich ging dann zur Arbeit. Als ich mit der Arbeit fast fertig war - kurz nach
Mitternacht - kam ein älterer Kollege angelaufen und meinte: "Du, ich hör gerade Radio - die rennen alle auf dem Kudamm rum!" Völlig fassungslos und ungläubig ging ich mit und wir hörten die restliche Nacht Radio. Als ich nach Hause kam, wußten natürlich auch meine Eltern schon davon. ich ging erst mal ein paar Stunden schlafen und meine Mutter besorgte die Visa für uns
alle. Der Bruder meiner Mutter wohnte seit 1986 in Westberlin ( er ist gegangen worden ), ihn besuchten wir und ich blieb das ganze Wochenende dort ( der 10. 11. ´89 war ein Freitag ). Er zeigte mir vieles in Westberlin, was ich sonst nur aus dem Fernsehen kannte. Die Emotionen die wir alle hatten, kann man eigentlich kaum beschreiben, man muß ja dabei berücksichtigen, daß wir bis dahin damit nicht gerechnet hatten und dachten, daß wir erst als Rentner in den Westen kommen würden. Selbst das neue, erst kurz davor erlassene Reisegesetz, brachte kaum Verbesserungen. So lief ich durch Westberlin teils immernoch fassungslos, neugierig, glücklich,
aber einmal auch verärgert über eine Frau mittleren Alters, die sich bereits am 10. 11. 89 über die vollen S-Bahnen aufregte und meinte, sie hoffe, die Mauer wird bald wieder zu gemacht ( typische "Insulaner-Mentalität" - scheint es bis heute dort zu geben, waren aber längst nicht Alle so ).
In den folgenden Monaten fuhr ich noch oft nach Westberlin, Ausweis und Reisepaß waren nachher voll mit Visa. Überhaupt war die Wendezeit für mich eine der schönsten, interessantesten, ja, spannensten Zeiten in meinem Leben, in der ich ( als damals 22-järiger ) auch politisch aktiv wurde und im Februar 1990 in den Demokratischen Aufbruch eintrat.
Ängste meinerseits ? Null.