Der US-Militärhistoriker Douglas Porch (Kurz-Buio auf der US-WIKI, hat wohl Forschungsschwerpunkt Frankreich) hat in der aktuellem MHQ Dien Bien Phu aus einem interessanten Blickwinkel betrachtet.
Er sieht die Festung nicht als Versuch, "Austerlitz in den Dschungel" (also klassische europäische Kriegführung) zu bringen. Er sieht die Wurzeln der eigenwilligen Strategie vielmehr in den Lehren der "Godfathers of Irregular Warfare" T.E. Lawrence (von Arabien) und Order Wingate.
Nach dem ersten Weltkrieg suchten die Militärs nach Möglichkeiten, das blutige Gemetzel des Stellungskrieges zu vermeiden. Das deutsche Konzept des verbundenen Einsatzes aller Waffen war offensiv auf die Durchdringung von Grabensystemen ausgerichtet. Die Franzosen stärkten die Defensive durch den Bau der Maginotlinie. Der Einsatz strategischer Bomber sollte die Gräben schlicht ignorieren, Fallschirmjäger drüber springen.
Die Briten, immer offen für exzentrische Lösungen, warfen ihren Blick auch auf die Erfolge Lawrence´ auf dem nahöstlichen Kriegsschauplatz. Nach Dünkirchen versuchten die Briten dann auch, überall auf dem Kontinent den Widerstand gegen die Nazi-Herrschaft zu verstärken durch die Unterstützung Aufständischer mit Material und Einsatz von Spezialeinheien (SOE - Special Operations Executive). Die Ergebnisse waren uneinheitlich, wir haben hier mindestens schon die Resistance und den Widerstand auf dem Balkan diskutiert.
Einen anderen als den Lawrenceschen Ansatz, der auf die "Levée en masse" der Besetzten setzte, wählte Order Wingate. Wingate baute auf Spezialeinheiten, die sich bei ihren Einsätzen hinter der feindlichen Front auf einfache, aber gut befestigte Strongholds oder Boxes stützen konnten. Den Einsatz von "Bauern mit Mistgabeln" lehnte er als "hugaboo" ab. Dabei band auch Wingate lokale Kräfte massiv ein, nur eben gut trainiert. Wingate arbeitete intensiv mit der Haganah. In Äthiopien baute er die Gideon-Forces auf, die die Italiener bereits 1941 zur Kapitulation zwangen. Bekannt wurde er aber vor allem durch den Einsatz der "Chindits", im wesentlichen indischer Soldaten, in Birma gegen die Japaner.
Porch sieht die Erfolge Lawrence´und Wingates gelinde gesagt kritisch. Er sieht ihre Konzepte als eine Folge der britischen Schwäche, ihre Wirkung überbewertet. Die Glorifizierung irregulärer Kriegführung hält er folgerichtig für gefährlich. Durch die Überschätzung der Erfolge von Spezialeinheiten werde die Illusion geschürt, "Kriege ohne Schlachten" gewinnen zu können. Der Blick auf die tatsächlichen militärischen Erfordernisse werde durch die Lawrence von Arabien - Romantik versperrt.
Hier baut er nun die Brücke zu Frankreich in Indochina. Porch meint, Frankreich versuchte durch den Einsatz lokaler anti-kommunistischer Kräfte, meist rekrutiert aus Minderheiten ("Montagnards") eine Art Resistance in den vom Vietminh beherrschten Gebieten aufzubauen. Gedankenkette "Arabischer Widerstand - Resistance - Montagnards".
Die Festung Dien Bien Phu sieht Porch als "Box" im Sinne von Wingate. Dien Bien Phu sollte in den Tonkin Highlands ein Stronghold für die Montagnards sein.
Tatsächlich bauten die Franzosen 1953 ein Widerstandsnetz aus Montagnards unter Führung französischer Spezialeinheiten auf, die kurzzeitig durchaus erfolgreich operierten. Nachdem Giaps Vietminh aber reagierten, blieb den Kämpfern nur der Rückzug. Salan improvisierte den befestigten Flugplatz Na San (nicht weit von Dien Bien Phu). Hier holte sich der Vietminh tatsächlich eine blutige Nase.
Trotz der Niederlagen der Montagnards sahen die Franzosen in den Kämpfen um Na San einen Lichtblick im ansonsten trostlosen Kriegsverlauf. Na San wurde zwar bereits 1953 wieder aufgegeben, es wurde aber geplant, 40.000 Montagnards auszurüsten und eine ausgedehnte Zone der irregulären Kriegsführung weit weg vom noch französisch beherrschten Delta des roten Flusses (Gebiet Haiphong - Hanoi) im Hochland von Tonkin einzurichten.
Die Viet Minh drehten aber den Spieß um. Durch massive Angriffe auf die schwachen aufständischen Kräfte lockten sie die Franzosen aus dem sicheren Delta: Die Franzosen bekamen frühzeitig Wind von den geplanten Viet Minh-Aktionen und richteten Dien Bien Phu als Wingateschen Stronghold ein. Dien Bien Phu war aber nicht Na San. Giap bekam von seinen chinesischen Verbündeten (die nach dem Ende des Koreakrieges ´53 reichlich Surplus-Material hatten)alles was er brauchte, um die Festung zu schleifen.
Persönliches Fazit: ich kann der Gedankenkette von Porch nicht folgen. Nach meinen Beobachtungen würden sich französische Offiziere eher die Ohren abschneiden, als ausgerechnet britischen Ratschlägen zu lauschen. Andere Parallelen als Lawrence und Wingate sind m.E. naheliegender: Romantische Helden à la Lawrence hatten die Franzosen beispielsweise in Nordafrika genug und in Dien Bien Phu würde ich selbst weder Stronghold noch Austerlitz als vielmehr die Maginot-Linie wieder erkennen.
Trotzdem ist der Artikel sehr interessant, insbesondere die Weiterung auf Na San und der Blick auf die Montagnards. Leider verzichtet Porch mindestens in diesem Artikel auf Quellenverweise, etwa Schriftverkehr französischer Offiziere. Die stehen möglicherweise in seinem Buch "Counterinsurgency: Origins, Development and Myths of the New Way of War".