Expansion der USA

T

Tekker

Gast
Das Thema ist etwas weiter gefaßt als mein konkretes Anliegen, damit ggf. auch darüber hinaus diskutiert werden kann.

Worum es mir - mal wieder - geht, sind etwaiige territoriale Ansprüche der USA gegenüber Kanada, besser gesagt britisch Amerika, während des Unabhängigkeitskrieges und des Krieges von 1812.

War im ersten Fall das Maximum der amerikanischen Forderungen erfüllt? Oder gab es evtl. weiter reichende Pläne/Wünsche der "jungen Nation" auf Gebiete nördlich der großen Seen?

1812 dann wollte man sich Kanada einverleiben. Was bedeutete das genau? Umfaßte das "nur" die kanadischen Provinzen? Hatte man es womöglich gar nicht auf den französisch besiedelten Teil abgesehen oder sogar auf das Gebiet der Hudsonbay-Company?

Fragen über Fragen, wer weiß die Antwort? :)
 
Nö, leider ja nicht, deswegen frag ich doch... :weinen:
Und das Erkenntnisinteresse?:still:
Dann fange ich hinten an, bei der Kriegserklärung von 1812, die im Senat am 17.6.1812 wie folgt beschlossen wurde (nach Hopp, Bundesstaat und Bundeskrieg in Nordamerika, Berlin: Grote 1886, S. 367):
Beschlossen, dass der Krieg erklärt werden soll und hiermit erklärt wird zwischen dem Vereinigten Königreich von Großbritannien und Irland in allen seinen Colonien mit den Vereinigten Staaten von Amerika und ihren Territorien. Der Präsident wird hierdurch ermächtigt, die ganze Land- und Seemacht der Vereinigten Staaten zu verwenden, um diesem Zwecke zu entsprechen, und bewaffneten Privatfahrzeugen der Vereinigten Staaten Kaperbriefe auszufertigen, um gegen die Fahrzeuge, die Unterthanen und das Eigenthum der Nation, gegen welche der Krieg erklärt ist, zu agieren.
Die Begründung war, man müsse Genugtuung und Schadenersatz verlangen für alles, was GB im letzten Jahrzehnt den USA abspenstig gemacht hatte: "900 amerikanische Fahrzeuge [Schiffe] weggenommen und an 6000 Matrosen aus Amerika gewaltsam zum Dienste gepreßt, der Werth der widerrechtlich angeeigneten Güter war fast unberechenbar" (ebd.).

Die Wegnahme Kanadas, mindestens von Upper Canada (siehe die Karten in Atlas of Canada - Wikimedia Commons) erschien insoweit als gerechtfertigt bzw. verstand sich bei einem Sieg von selbst.

Ein dabei verfolgtes Nebenziel war übrigens die Eliminierung des mit den Briten verbündeten "Indianerbundes" des Häuptlings Tecumseh (jedem deutschen Knaben bekannt durch das 8-bändige Epos von Fritz Steuben), was 1813 auch erreicht wurde.

Über die Friedensverhandlungen ab Sommer 1814 heißt es, dass sich die amerikanische Delegation selbst uneins war: "Auch der Humor fehlte nicht ganz; ein wahres Yankeestück war es, daß Adams [Verhandungsführer, US-Boschafter in St. Petersburg] vorschlagen wollte, die Engländer möchten ganz Canada an die Amerikaner abtreten, seine Collegen redeten ihm aber die etwas zu anmaßend klingende Proposition aus" (aaO, S. 392).

Die USA-Finanzen waren nämlich zu dieser Zeit völlig am Boden, weshalb Zwang zur Kompromißbereitschaft bestand. Dass US-General Jackson am 8.1.1815 noch die Schlacht bei New Orleans gewann, fiel nicht mehr ins Gewicht, weil in Gent schon an Heiligabend 1814 der Friedensvertrag unterzeichnet worden war, der den Status quo ante feststellte. (Über Details der Grenzziehung stritt man weiter bis zum Entscheid von Uttica am 18.6.1882.)

Artikel 10 des Vertrags von Gent übrigens lautete: "Beide Mächte wollen sich dafür einsetzen, den Sklavenhandel abzuschaffen, da er mit den 'Grundsätzen der Humanität und Gerechtigkeit' unvereinbar sei" (zit. b. Rönnefarth, Konferenzen und Verträge, Bd. 3, S. 256); die Wiener Kongreßakte griff dies ein halbes Jahr später ebenfalls auf. (Ich stutzte beim Lesen deswegen, weil GB den Sklavenhandel bereits 1807 abgeschafft hatte.)
 
(Ich stutzte beim Lesen deswegen, weil GB den Sklavenhandel bereits 1807 abgeschafft hatte.)
Die USA ebenfalls - es ging jetzt wohl darum, beider Gewicht in die Waagschale zu werfen, auch die anderen Nationen ebenfalls hierzu zu bewegen... Es ist wie mit Klimaschutz und Atomkraft...
 
Und das Erkenntnisinteresse?
:confused:

Die Wegnahme Kanadas, mindestens von Upper Canada (...) erschien insoweit als gerechtfertigt bzw. verstand sich bei einem Sieg von selbst.
Aber dann muß das doch mal irgendwo von irgendwem geäußert worden sein, evtl. sogar konkret umrissen, bis zu welchem Fluß, welcher Wasserscheide, welchem See oder Meer. Ansonsten kann eine soche "Selbstverständlichkeit" schwerlich postuliert werden.

"Auch der Humor fehlte nicht ganz; ein wahres Yankeestück war es, daß Adams (...) vorschlagen wollte, die Engländer möchten ganz Canada an die Amerikaner abtreten, seine Collegen redeten ihm aber die etwas zu anmaßend klingende Proposition aus"
Aha! Aber wieso "Humor"? Möglich, daß es vollkommen unrealistisch war (in dem Zusammenhang kann ich das Wort verstehen), aber meiner Frage nach amerikanischen Wünschen/Plänen tut das keinen Abbruch. Außerdem war Adams wohl nicht der einzige, dem da was vorschwebte:
Wikipedia schrieb:
Britisch-Amerikanischer Krieg
Hauptsächliche Verfechter der Kriegserklärung waren vielmehr die Vertreter der Staaten im Landesinneren (...). Für sie waren die britischen Übergriffe ein willkommener Vorwand für die Eroberung Kanadas, (...)
Hatte da denn niemand konkretere Vorstellungen? :grübel:
 
Du kannst hier natürlich mal forschen A Guide to the War of 1812 (Virtual Programs & Services, Library of Congress)
Ich habe diesen Krieg - trotz seiner Tragödien - immer als eine Art Karnevalsveranstaltung angesehen...

Die Wikipedia spricht von 12.000 amerikanischen und 5.000 britischen Todesopfern; man kann vermuten, dass die Indianer hierbei nicht (vollständig) berücksichtigt wurden. In Amerika ist natürlich auch die Zivilbevölkerung betroffen gewesen. Dennoch Zahlen, wie sie in den letzten Wochen auch für die Schlacht bei Tours und Poitier diskutiert wurden...

Vielleicht kann man die Sache in Verbindung mit dem Kauf des Louisiana Territoriums 1803 stellen.... Ein plötzlicher Größenwahn? Es gab praktisch keinerlei Vorbereitung...

Die Nordoststaaten waren traditionell England freundlich (trotz der "Boston Tea Party") , hatten auch den Kauf 1803 kritisiert.
1823 wurde die Monroe Doktrin verkündet. Monroe hatte auch schon beim Louisiane Purchase seine Finger im Spiel....
 
Aber dann muß das doch mal irgendwo von irgendwem geäußert worden sein, evtl. sogar konkret umrissen, bis zu welchem Fluß, welcher Wasserscheide, welchem See oder Meer. Ansonsten kann eine soche "Selbstverständlichkeit" schwerlich postuliert werden.

Wieso "muss"? Gegenstand der Begierde war "(Upper) Canada", und das war ein Gebiet, dass sich - siehe Karten - vom Nordufer der Großen Seen ins weite Land nach Norden erstreckte und dessen "Ende" nicht markiert war. Auf die Idee, erst die Vermesser hinzuschicken und dann den Krieg zu erklären, kam niemand (Achtung: Kalauer!).

Aha! Aber wieso "Humor"? Möglich, daß es vollkommen unrealistisch war (in dem Zusammenhang kann ich das Wort verstehen), aber meiner Frage nach amerikanischen Wünschen/Plänen tut das keinen Abbruch. Außerdem war Adams wohl nicht der einzige, dem da was vorschwebte
Die Frage, was man den Briten als Kompensation für erlittene Unbill abnehmen solle, wurde vor der Beschlussfassung diskutiert. Die bei der Abstimmung unterlegene Partei, also die von daSilva zitierten Nordost- bzw. Neuenglandstaaten, wogen in ihrem Minderheitsvotum ausdrücklich Vor- und Nachteile gegeneinander ab: "Kann uns Kanada für das [im Kriegsfall der britischen Seemacht schutzlos preisgegebene] New York entschädigen? Wenn wir die friedlichen und uns gegenüber schuldlosen Colonien Englands verheeren, muß das nicht die Rache gegen uns herausfordern? [...]" (Hopp, aaO., S. 368)
 
Wieso "muss"? Gegenstand der Begierde war "(Upper) Canada", und das war ein Gebiet, dass sich - siehe Karten - vom Nordufer der Großen Seen ins weite Land nach Norden erstreckte und dessen "Ende" nicht markiert war. Auf die Idee, erst die Vermesser hinzuschicken und dann den Krieg zu erklären, kam niemand (Achtung: Kalauer!)

Sie setzen offenbar das festländische Britisch-Nordamerika mit dem heutigen Kanada gleich, was aber nicht stimmte.
Kanada war damals Ober- und Unter-Kanada, was heute hauptsächlich Süd-Ontario und Süd-Quebec ist.
Das "weite Land im Norden" gehörte während und auch Jahrzehnte nach dem Krieg der Hudson Bay Company.
 
Zitat aus "Wehler, Aufstieg des amerikanischen Imperialismus S.8/9"

"Nur äußerst widerwillig fanden sich die Vereinigten Staaten mit der Entstehung eines zweiten Kontinentalimperiums in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft ab: mit Britisch-Nordamerika. Im Revolutionskrieg als „unsere 14. Kolonie" begehrt und fortab Gegenstand unablässig diskutierter Annexionspläne, stand Kanada 1812, als Amerika einen zweiten Krieg gegen Großbritannien eröffnete, noch einmal als eins der wesentlichen Kriegsziele im Vordergrund. Der Vertrag von Gent besiegelte dann zwar unwiderruflich die Unabhängigkeit der Vereinigten Staaten, die sich noch einmal gegen die englische Weltmacht behauptet hatten, aber dennoch dauerte es fast hundert Jahre, bis sie sich selber mit der selbständigen politischen Existenz Kanadas abfanden. Immer wieder wurde der friedliche oder gewalttätige „Anschluß" erwogen, stellte der amerikanische „Drang nach Norden" den Status quo und den Mythos der „unbewachten Grenze" in Frage. Der „British North America Act" von 1867, der — nicht zuletzt im Gegenzug gegen den Verkauf Russisch-Alaskas an die Vereinigten Staaten — das gleichfalls bundesstaatliche „Dominion of Canada" schuf, wurde nur zögernd hingenommen. Allmählich entwickelte sich dann seither eine effektive kommerzielle Unterwanderungsstrategie, die unter Respektierung der Formalsouveränität des Nachbarlandes in der Mitte des 20. Jahrhunderts ihr Ziel: die Amerikanisierung der kanadischen Wirtschaft, erreichte.
Noch in den 1890er Jahren konnten jedoch einflußreiche amerikanische Politiker mit beträchtlicher Resonanz in der Öffentlichkeit die Annexion Kanadas während der amerikanisch-englischen Konflikte dieser Zeit androhen. Erst mit dem Ausgleich der Spannungen seit 1896/98 wurde das amerikanische Verhältnis zu Kanada auf seine ökonomischen Aspekte reduziert."

Kann Dir auch die in der Fußnote zu diesem Abschnitt genannten umfangreichen Quellen schicken.


Grüße

Cisco
 
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