Wo verschweigt er das denn? Hätte er gewollt, dass seine Argumentation absichtlich an den Quellen vorbei in die Richtung "Nichtnationalgedankentum" geht, hätte er es doch unter den Tisch fallen können. Ich weiß ja nicht, in welchem Semester Du bist, aber bei gesunder Quellenkritik komme ich allein durch das Annolied nicht zu dem Schluß, dass es ein frühes deutsches Zusammengehörigkeitsgefühl gab.
1) Ich bin in gar keinem Semester. Das kommt erst noch. Ich beschäftige mich bisher ausschließlich privat mit der deutschen Geschichte.
2) Er nennt Quellen, das ist wahr, aber er interpretiert sie für den Leser gleich dahingehend, dass sie, um es kurz zu fassen, nichts bedeuten. Genauso handhaben es viele andere. Nur ein Beispiel (nicht von Schulze): Walthers Preislied. Dort stehen unmissverständliche (, an das Deutschlandlied erinnernde) Verse zu Deutschland und dem deutschen Volk. Deutsche Frauen seien wunderschön, deutsche Männer klug, deutsche Zucht gehe über alles, im deutschen Land wohne alle Herrlichkeit. Und was muss man dann als Interpretation für den normalen Bürger lesen? Dass Walther diese Zeilen ja nur für seinen Geldgeber geschrieben habe, treu nach dem Motto: Wes Brot ich ess, des Lied ich sing. Das mag sein: Trotzdem muss es ein eindeutig vorhandenes deutsches Zusammengehörigkeitsgefühl gegeben haben, ob Walther die Verse aus patriotischem Eifer oder aus obigem Grund geschrieben hat: Er hätte sie nicht schreiben können, wenn es kein Zusammengehörigkeitsgefühl gegeben hätte, denn kein Mensch würde ein nicht vorhandenes Volk so preisen oder preisen lassen.
Und genauso verhält es sich mit allen anderen Quellen, dem Annolied eingeschlossen: Man gesteht, dass es solche Aussagen gegeben hat, interpretiert sie aber gleich für den Leser dergestalt, dass sie rein gar nichts aussagen und es kein deutsches Zusammengehörigkeitsgefühl gegeben habe.
3) Wenn es kein Zusammengehörigkeitsgefühl zur Zeit des Annoliedes gegeben hätte, enthielte es kein deutsches Sendungsbewusstsein. Dort ist eben ausschließlich die Rede davon, dass die Deutschen Cäsar halfen, nicht die Polen, nicht die Franzosen, nicht die Spanier, sondern die Deutschen. Warum hätte man eine Geschichte erfinden sollen, um ein gar nicht existierendes deutsches Volk künstlich in die Vergangenheit zu verlegen?
Wo wir gerade beim Thema sind: Könntest Du mir vielleicht noch erkären, welchen Territorien und Gebieten Du dieses Zusammengehörigkeitsgefühl zuerkennst?
Walther beschreibt Deutschland "von der Elbe bis zum Rhein und wieder hierher an Ungarns Grenze".
(den ich persönlich nicht mehr als mittelalterlichen Menschen ansehe, aber gut...)
Was ich auch mit keinem Wort tat. Die Jahresangabe 1505 sollte eigentlich genügen, denn zu wissen, dass das nicht mehr Mittelalter ist, solltest Du mir gerade noch zugestehen.
Alexander von Roes und Jakob Wipheling (...) verfolgten mit ihren Behauptungen einen bestimmten Zweck. Wenn Du Dir den mal überlegst, dann wird vielleicht klarer, warum sie sich aus heutiger, unreflektierter Sicht, so lesen, als wäre durchaus schon ein ausgeprägter deutscher Nationalgedanke vorhanden.
Ich bin sehr auf Deine Erklärung gespannt. Ich, als normaler Bürger, der noch nicht studiert, kann Dir jedenfalls nur die Antwort geben: Sie mögen mannigfaltige Gründe gehabt haben.
Fakt ist, dass sie von Deutschland und dem deutschen Volk sprachen und sie das nicht getan hätten, wenn es damals noch keine Idee vom deutschen Volk und von Deutschland gegeben hätte, denn man kann von keinem Volk und von keinem Land sprechen, das es nicht gibt.
Ich bin aber wirklich auf Deine "reflektierte" Sicht gespannt, sehr sogar.
Wenn das da so steht, dann ist das:
entweder eine klare Geschichtsfälschung im 13. Jh., denn bis zum Aussterben der ostfränkischen Linie der Karolinger im Jahre 911 war das Reich eindeutig eine Erbmonarchie mit allen nachteiligen Auswirkungen, wie z. B. die dynastischen Erbteilungen des Reiches,
oder Karl der Große hat tatsächlich bereits eine solche Verfügung für den Fall eines Aussterbens seiner Dynastie erlassen. Letzteres wäre dann imho äußerst interessant, das einmal zu untersuchen.
:grübel:
Die Sache wurde so zurechtgerückt, wie man's brauchte. Aber man sieht: Im 13. Jh. hat man Karl dem Großen nachgesagt, Deutscher gewesen zu sein. Er habe das römische Kaisertum auf die Deutschen übertragen.
Das Annolied ist ja auch nichts anderes als eine Geschichtsfälschung, als eine künstliche Verlängerung der deutschen Geschichte um 1.000 Jahre. Auch damit wollte man zum Ausdruck bringen, dass die Deutschen bereits zu Roms Glanzzeiten den Anspruch auf die Kaiserkrone erwirkt hätten.