@ S C O R P I O (in Bezug auf untenstehende Citate von demselben):
Thomasius bewegt sich mit dem Atheismusvorwurf aber in bester Gesellschaft.
Das ist alles so haarsträubend, daß es kaum zu glauben ist. Vielleicht kennst Du den dtv-klassik-Band, wo man Thomasiussens Hexenstreit mit den Hallischen Theologen im Originalton nachvollziehen kann. Was ich übrigens an Madame auch schätze ist, daß sie über so abergläubische Sachen lacht. Wer damals bei Verstand war, konnte sowas durchblicken.
So erhielt Gottfried Fichte 1794 auf Fürsprache Kants eine professur in Jena, die er 1799 wegen Atheismusvorwurf verlassen musste.
Das eine sind die Ideale der Welt der Aufklärung, das andere ist der reale Alltag der realexistirenden Aufklärungszeit. So ist es auch (jetzt mal an Brissontin) mit den Idealen der galanten Idee, wie ich sie in Puncten aufführte: Heraus kommt eine eierlegende Wollmichsau, der niemand gerecht werden kann und die realexistirende Galanterie ist u.a. voller Schwerenöter, denen Bildung und Moral schnurz ist. Aber Ideale sind wichtig!
Christian Wolff war einer der ersten deutschen Gelehrten, der in Deutsch Vorlesungen hielt und deswegen sehr beliebt war. Auf der Höhe seines Ruhms wurde er 1723 aus Halle vertrieben, Kollegen hatten ihn bei Friedrich Wilhelm I. denunziert, da wolff sich positiv über die Moralvorstellungen Konfuzius geäußert hatte. Diese Moral untergrabe die Disziplin der Armee behaupteten Wolffs Gegner. Zu ihnen gehörte der Pietist Franke, der Wolff Atheismus unterstellte, worauf Wolff seine Professur in Halle verlor und darauf einige Jahre in Marburg lehrte. Für Marburg war das im 18. Jahrhundert noch einmal ein Lichtblick, denn viele berühmte Professoren lehrten nicht mehr in Marburg, und Universitäten wie Göttingen, das von großzügigen Fördergeldern des Hofes von St. James profitierte, hatten Marburg, aber auch Göttingens Vorbild Halle schon lange den Rang abgelaufen.
Wolff mochte Marburg übrigens nicht sonderlich, vor allem klagte der offenbar etwas bequem gewordene Philosoph über die vielen Berge über der Lahn. Wolff war jedenfalls froh, dass er 1740 mit dem regierungsantritt Friedrichs II. nach Halle zurückkehren durfte. Friedrich feierte sich selbst als toleranten Philosophenkönig und ließ eine Gedenkmedaille anlässlich Wolffs Rückkehr prägen. Friderico regnante, Wolfio docente- In Preußen regiere Friedrich und lehre Wolff- so schrieb Voltaire.
Ich vernehme das alles mit großer Ehrfurcht und getraue micht nichts davon zu kürzen. Ich hatte im Radio schon zweimal von Herrn Wolff vernommen und mir den Namen dick notirt. Da der Mann bei mir bislang noch nicht vorbei gekommen ist, habe ich schon lange den Vorsatz gefaßt, mich einmal zu ihm auf zumachen. Was ich bislang leider versäumt haben. Aber jetzt ist doch ein wenig von ihm zu mir gekommen. - Vielen Dank, Scorpio!
@ B R I S S O T I N (in Bezug auf untenstehende Citate von demselben):
Epochenbezeichnungen werden in aller Regel von hinten gemacht. Das heißt die Generationen nach uns werden auch unserer Epoche wahrscheinlich einen anderen Namen geben.
Es wird so viel Unvernunft zu vermeintlich unumstößlichen Wahrheiten erhoben, daß mich das auch nicht mehr irritirt. Nur bitte mich zu entschuldigen, wenn ich persönlich gerne klarer sehen möchte. Sagen wir, ich gehöre hier zu den „ketzerischen“ Libertins ...
Die "Jetztzeit", "Moderne" etc. wird dann abgelöst, weil "modern" ja immer das Aktuelle ist.
Das kenne ich auch von der galanten Generation, daß man sich die „heutige, moderne Zeit“ nennt. Auf meiner Domain gilt dieses Attribut auch, aber hier wüßte niemand, welche Generation eigentlich von welcher modernen Gegenwart berichtet. Deshalb spreche ich nicht von der „modernen Welt“ in Bezug auf die Galanteriezeit.
Also grundsätzlich werden die Epochenbezeichnungen in aller Regel später vergeben oder definiert.
Werde einen Deübel tun, erbittert gegen diese Windmühlen anzurennen. Ungerechte Nachwelten, die ungerechte Namen vergeben, wird es immer geben und die lassen sich von Leuten wie mir nicht beirren. Aber es befriedigt allemal, Geschichte einmal nicht platt, sondern lebendiger zu präsentiren. Ich müßte andernfalls eine glühende Geschichtshasserin sein.
Freilich sprach man aber schon im 18.Jh. von der "Aufklärung", was in der Regel damals positiv belegt war.
Mein Conversations-Lexicon vom Discountergrabbeltisch half mir bereits im vorletzten Beitrag auf die Sprünge: Kant formulirt 1784: „Was ist Aufklärung?“ Seine anschließenden Erläuterungen machten den Begriff „Aufklärung“ damals populär. Das ist ein echter Medienhype gewesen! Deshalb ist dieser Begriff absolut zeittypisch und von mir hoch geachtet!!
Oft werden die Geistesgrößen des 17.Jh. oder diejenigen welche eben an der Wende zum 18.Jh. stehen als Frühauflärer bezeichnet. Dazu gehören Bayle, Leibnitz usw..
Ich gehe da aber nicht mit und werde „Frühaufklärung“ künftig immer in Anführungsstriche setzten (so wie das garstige B-Wort). Möchte die Originalität der Verdienste von Leuten wie Kant in keiner Weise abschwächen, indem ich da Anleihen nehme. Hat man das Wesen der galanten Zeit verinnerlicht, so hat man es gar nicht nötig, andere Zeitalter zu beleihen, um sich auszudrücken. Die galante Generation braucht das Vocabular des späten 18.Jahrhunderts nicht denn ihre eigenen Ausdrucksmittel characterisiren sie viel treffender. Gemessen am späten 18.Jahrhundert ist sie ja auch rückschrittlich, was die Aufklärer später gerade Herrn von Leibnitz auch vorgeworfen haben.
Das machen nicht nur "Medienleute", sondern auch ernsthafte Historiker, Philosophen etc..
Ich lebte einst in einer gewissen Stadt, da begab es sich, daß ich einmal den Leiter des dortigen Stadtarchivs am Telephon hatte, welcher ein Herr Doctor der Geschichte war. Damals wünschte ich sehnlichst, Currentschriften der Zeit um 1700 zu sehen. Der Herr Doctor aber wandte ein, diese originalen Handschriften wären für einen Laien kaum zu entziffern, zumal wegen der Sprache. Da erzählte ich ihm, daß mich die Zeitungen jener Zeit beschäftigten, die Originalsprache mir ergo vertraut war. Darauf suchte er mich zu belehren: „Um 1700 gab es doch noch gar keine Zeitungen in Deutschland.“ - Da habe ich den guten Herrn Doctor mal gründlich aufgeklärt: Nicht allein, daß ich ihm die Braunschweiger Ordinari Post=Zeitung anführte, die ich damals hielt. Nein, damals war mir noch etliches mehr bewußt (was ich heute vergessen habe), denn ich konnte ihm genau sagen, wie oft die Hamburgische, die Franckforther (am Mäyn) und andere schöne Gazetten pro Woche erschienen (einige darunter – ich glaube v.a. die Franckforther – sogar täglich). Was ich dem guten Herrn Doctor übrigens auch nicht ersparte, war die Presseforschung, welche bereits im 17.Jahrhundert einsetzte - v.a. durch Herrn Christian Weise. Anno 1706 gibt Herr Weise bereits ein Zeitungs-Lexicon heraus. - Man kann sich vielleicht vorstellen, daß der Herr Doctor, den ich damals am Hörer hatte, etwas mürrisch wurde. Eigentlich hatte er mir wohl den Standesunterschied zwischen seiner academisch geweihten und meiner wenigen Person verdeutlichen wollen ...
Natürlich sind Historiker competente Fachleute und ihre Ausbildung hat einen hohen Wert. Aber ein Autiodidact, der sich in ein Specialgebiet hinein gebohrt hat, kann einen Historiker partiell überflügeln. Das müßte ein Herr Doctor doch hinnehmen und anerkennen können. Etliche Historiker tun das auch und sind da überhaupt nicht überheblich. Hingegen schien mein Herr Doctor damals zwischen Complex und Überheblichkeit zu schweben. Und deren gibt es leider nicht wenige.
Philosophen sind so eine Sache – es gibt so schräge Vögel unter den modernen Philosophen – nenne da extra keine Namen, weil ich niemanden schlecht reden will. Aber es gibt unterschiedliche Methoden, um sich vom Boden der Tatsachen zu erheben, um sich am Ende womöglich selber umzubringen, weil man mit der Welt nicht mehr klar kommt ... - Meine persönliche Philosophie sucht immer die Verbundenheit zur Erde. Die ich in der galanten Welt stets suche und deshalb suche ich Quellen und genieße alles andere mit Mißtrauen: Weil auch unter Historikern einige herum phantasiren; andere schreiben's ab und dann machen Fälschungen die Runde, bis sie als etablirt gelten. Nicht mit mir!
Also: Was ein Philosoph oder Historiker sagt, ist für mich noch lange kein Credo. Deine Libertins haben seinerzeit unabhängig gedacht, was auch heute nicht verkehrt sein kann.