Gibt es einen Zusammenhang zw. Christentum und Demokratie?

… historisch-politische Momentaufnahmen, die sich im nächsten Augenblick ändern - du schreibst es ja selbst, die Studie stammt von 2021 und schon stimmt etwas nicht mehr - sind sehr viel volatiler.
Eben. Wir alle sehen nur den, wie du sagst, Augenblick, und sind geneigt, das Vergangene aus dieser Sicht zu beurteilen. Deswegen ist eine Studie wie diese, die durch periodische Umfragen Veränderungen über 30 Jahre nachzeichnet, so wertvoll. Deine Kritik geht daher in diesem Punkt fehl.

Gerade Polen und Ungarn verhielten sich in den ersten 2 Jahrzehnten (nach 1990) geradezu vorbildlich, aber dann änderten sich die Verhältnisse in diesen Ländern aus westlicher Sicht zum Schlechten. Die Ursachen dafür sind sicher vielfältig, dennoch kann man zumindest für Polen konstatieren: Die polnische Kirche stand dafür Pate.

Und in Irland konnte eine Liberalisierung der Gesellschaft erst stattfinden, nachdem die dortige katholische Kirche infolge des zum Teil systematischen Kindesmissbrauchs in den kirchlichen Einrichtungen und den damit zusammenhängenden jahrzehntelangen Vertuschungen jede Glaubwürdigkeit als moralische Instanz verloren hatte.
 
Der Vorwurf @Shinigamis, es seien nicht alle Länder dieser Welt berücksichtig worden, ist lächerlich
Ich wüsste nicht, wann ich einen solchen Vorwurf erhoben haben sollte. Ich habe lediglich festgestellt, dass eine Untersuchung, die von vorn herei nur zu einem Viertel der Länder Daten bringt, die einigermaßen zweifelsfrei verlässlich sind, offensichtlich ungeeignet ist um als Grundlage für die Beschreibung globaler Trends zu dienen.

Lächerlich hingegen sind etwa Versuche der katholischen Kirche einen überproportionalen Einfluss auf die ungarische Politik anzudichten, obewohl die nur an die 30-40% der dortigen Bevölkerung organisiert, gleichzeitig aber ihre viel größere Organisationsmacht in Ländern mit einer deutlich liberaleren Entwicklung aber ausblenden zu wollen.

Daher ist für mich ist klar: Passen die Ergebnisse einer Studie nicht ins eigene Weltbild, wird die Studie als solche angegriffen.
Es scheint mir eher so zu sein, dass du berechtigte Kritik an der Studie und ihrer Thesen nicht wahrhaben willst, weil das gegen dein Weltbild ginge.

Dabei kann man auch ganz ohne solcher oder ähnlicher Studien sehen, dass die Unterschiede wachsen
Es wird durch mehrfaches Widerholen nicht richtiger.
Das die Unterschiede insgesamt wachsen würden, ist eine globale Behauptung und würde dementsprechend als Referenzgrundlage eine tatsächlich globale Studie vorraussetzen oder wenigstens eine, die tatsächlich einen Großteil der Welt abbildet. Gründe einzelne Länder heraus zu lassen, werden sich sicherlich finden, aber nicht deutlich mehr als die Hälfte aller Länder, jedenfalls nicht, wenn die globale These was taugen soll.

Nach allem, was in den letzten 3 Jahrzehnten geschehen ist, glaube ich
........... bitte verschone uns mit deinen Glaubenssätzen. Wenn du Bedarf hast über deinen Glauben zu reden, wende dich vertrauensvoll an den lokalen Pfarrer.
 
Eben. Wir alle sehen nur den, wie du sagst, Augenblick,
Das habe ich nicht gesagt. Nicht einmal annähernd.
Ich habe gesagt, dass religiös-konfessionelle Verhältnisse relativ stabil sind, wohingegen Historisch-Politisches ziemlich volatil ist. Du versuchst von dir negativ beurteilte historisch-politische Umstände religiös-konfessionell begründet zu deuten und übersiehst dabei, dass die historisch-politischen Verhältnisse sich eben gerade geändert haben, die religiös-konfessionellen Verhältnisse aber dieselben geblieben sind. Ergo ist es bei weitem zu kurz gesprungen, die religiös-konfessionellen Verhältnisse für die historisch-politischen Verhältnisse verantwortlich zu machen. Deine These ist nicht haltbar. Dass du das nicht einsehen möchtest, ändert daran nichts.
 
Ich habe lediglich festgestellt, dass eine Untersuchung, die von vorn herei nur zu einem Viertel der Länder Daten bringt, die einigermaßen zweifelsfrei verlässlich sind, offensichtlich ungeeignet ist um als Grundlage für die Beschreibung globaler Trends zu dienen.
Ah, und wieso gelten Umfragen als repräsentativ, wenn an ihr 1000 oder mehr Personen teilnehmen, auch wenn sie dabei Millionen repräsentieren. Dein Argument ist also keines.

Du versuchst von dir negativ beurteilte historisch-politische Umstände religiös-konfessionell begründet zu deuten und übersiehst dabei, dass die historisch-politischen Verhältnisse sich eben gerade geändert haben, die religiös-konfessionellen Verhältnisse aber dieselben geblieben sind.
Du gehst mit keinem Wort auf das Beispiel mit Irland ein, wo religiös-konfessionellen Verhältnisse eben nicht dieselben geblieben sind: Dort haben sich religiös-konfessionellen Verhältnisse in dem betrachteten Zeitraum geändert, deswegen konnten sich dort auch politischen Verhältnisse ändern. Dieser Zusammenhang ist doch offensichtlich.

Es ist doch auch gar nicht wichtig, was du gesagt hast, wichtig ist einzig, was Dion gerne hätte, das du behauptet haben würdest.
Du müsstest diese spezielle Diskussionskultur doch mittlerweile kennen.
Auch mit solchem Argumentum ad hominem wird es dir, @Shinigami, nicht gelingen, mich mundtot zu machen.
 
Ah, und wieso gelten Umfragen als repräsentativ, wenn an ihr 1000 oder mehr Personen teilnehmen, auch wenn sie dabei Millionen repräsentieren. Dein Argument ist also keines.
Und habe ich den repräsentativen Charakter der Umfrage (abgesehen von den Ländern, wo ich auf Schwierigkeiten mit der freien Meinungsäußerung hingewiesen habe), in irgendeiner Form bestritten?
Nein, habe ich nicht. Ich habe lediglich moniert, dass die Studie meiner Ansicht nach keine hinriechend breite Basis für eine solche globale These ist.

Man käme ja etwa auch nicht auf die Idee Umfragen zu politischen Themen in 5 oder 6 Bundesländern zu veranstalten und anschließend zu behaupten, dass es in Deutschland im allgemeinen diese und jene politischen Trends gäbe.
Da kann die Methodik noch so repräsentativ sein.

Würde man die beliebte Frage "Wenn am Sonntag in Deutschland Bundestagswahl wäre......." lediglich in NRW, Bayern, Hessen, Brandenburg, Berlin, Schlswig-Holstein und Bremen abhalten, wäre von vorn herein klar, dass das um einen deutschlandweiten Wahltrend festzustellen und zwar völlig egal, wie ausgefeilt die Methode ist, nicht hinreicht.
Und nicht anders verhält es sich hier.

Auch mit solchem Argumentum ad hominem wird es dir, @Shinigami, nicht gelingen, mich mundtot zu machen.
Du scheinst wirklich ziemlich falsche Vorstellungen von der eigenen Bedeutung zu haben, wenn du der Meinung bist, dass ich mich für so einen Unfug interessieren würde.
Und mit Argumentum ad hominem hat das auch nichts zu tun, es ist einmal eine Tatsache, dass du dauernd versucht jedem Diskutanten das Wort im Mund umzudrehen, wenn du inhaltlich nicht weiterkomst.
 
Nach allem, was in den letzten 3 Jahrzehnten geschehen ist, glaube ich, dass Huntington mit seiner 1996 veröffentlichten These von kommendem Clash of Civilizations Recht gehabt hat – obwohl ich sie damals abgelehnt habe. Hier seine Aufteilung der Welt in Kulturkreise:

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Huntington hat damals übrigens aus der von ihm vermuteten Verteilung der Kulturen auch Prognosen angestellt. So erläutere er am Beispiel der Krim, dass Vertreter einer klassischen zwischenstaatlichen Machtpolitik (von welcher er sich abgrenzte) einen Krieg zwischen der Ukraine und Russland für möglich halten müssten, während man aufgrund seines Modells viel eher einen Zerfall der Ukraine an der Scheidelinie zwischen dem "westlichen" und dem "orthodoxen" Kulturkreis annehmen werde.

Das ist meines Erachtens ein gutes Beispiel für die Unterscheidung, die ElQuijote getroffen hat: Die religiöse und sprachliche Ausrichtung der ukrainischen Bevölkerung ist in einem recht langen Zeitraum entstanden und hat zweifellos gewisse Auswirkungen auf die jeweils aktuelle Politik eines Landes; hinzu kommen aber eben noch zahlreiche andere Faktoren bis hin zu dem Einfluss bestimmter Persönlichkeiten. Wäre Putin 2013 verstorben, hätte es die Krimannexion und den Krieg vielleicht nie gegeben. Ein Anhänger Huntingtons könnte dann argumentieren, dass sich das Modell als korrekt erwiesen habe.
 
Du gehst mit keinem Wort auf das Beispiel mit Irland ein, wo religiös-konfessionellen Verhältnisse eben nicht dieselben geblieben sind: Dort haben sich religiös-konfessionellen Verhältnisse in dem betrachteten Zeitraum geändert, deswegen konnten sich dort auch politischen Verhältnisse ändern. Dieser Zusammenhang ist doch offensichtlich.
Dann hast du überlesen, dass ich auf die Erosion der Kirchen in Westeuropa hinwies, im Übrigen aber bekennen sich in Irland noch immer 69,x % zur katholischen Kirche. In Polen sind es 71,x %. Und dennoch, obwohl es in beiden Ländern „umme“ 70 % sind, haben beide in den vergangenen Jahren politisch völlig unterschiedliche Ausrichtungen gehabt. Willst du wirkliche imner weiter lavieren?
 
Wäre Putin 2013 verstorben, hätte es die Krimannexion und den Krieg vielleicht nie gegeben.
Ja, vielleicht. Einzelpersonen sind zwar wichtig, aber wichtiger ist Selbstverständnis eines Volkes und seine Moralvorstellungen. Die letzteren ändern sich ohnehin ständig, aber den Konflikt in der Ostukraine hätte es wahrscheinlich nicht gegeben, hätte es das ukrainische Parlament in den Tagen nach Maidan im Jahr 2014 nicht ein Gesetz verabschiedet, das die ukrainische Sprache zu alleiniger Amtssprache in ganz Ukraine erklärte. Das hat Menschen auf der Krim und im Osten der Ukraine, die in der Mehrheit nur russisch sprechen, hart getroffen. Entsprechend war die Reaktion, die Russland, als selbsternannte Beschützerin aller Russen, noch verstärkte. Was danach folgte und bis heute folgt, ist nur die Eskalation des Konflikts, das sich an einem unsinnigen Sprachgesetz entzündete. Aber wir sollten das nicht weiter vertiefen - dafür haben wir schon einen Faden.

Dann hast du überlesen, dass ich auf die Erosion der Kirchen in Westeuropa hinwies, im Übrigen aber bekennen sich in Irland noch immer 69,x % zur katholischen Kirche. In Polen sind es 71,x %.
Ja, in beiden Ländern bekennen sich Menschen mehrheitlich zum Christentum – und dennoch haben die Kirchen dort an politischen Einfluss eingebüßt. Und das ist das, was am Ende zählt, wenn es um Moral bzw. kulturelle Werte geht. In Irland hat die katholische Kirche aufgrund der Skandale um den Kindesmissbrauch an Glaubwürdigkeit verloren, und in Polen hat die Kirche mit ihren rigorosen Forderungen in Bezug auf Homosexualität und Abtreibungen einfach übertrieben.

Gerade heute lese ich in der Süddeutschen in Bezug auf Schwangerschaftsabbruch – Zitat:

Politisch allzu sehr umstritten sind diese liberalen Gesetze in Australien nicht. Das Land ist säkular geprägt, die Kirchen haben seit Aufdecken des gewaltigen Ausmaßes von Missbrauch in ihren Institutionen stark an politischem Einfluss verloren. Auch die große konservative Partei, die Liberalen, beruft sich anders als CDU und CSU nicht auf christliche Wurzeln.

In den USA mischen sich protestantischen Evangelikale so sehr in die Politik ein, dass man sich hierzulande nur ungläubig Augen reiben kann ob so viel Chuzpe; Trump konnte schon beim ersten Mal nur mit der Unterstützung dieser Kreise gewinnen, und wenn es ihm dieses Jahr wieder gelingen sollte, dann aus eben diesem Grund.

Ein anderes Beispiel: Auch zu Zeiten des Schahs bekannten sich Menschen in Iran mehrheitlich zum Islam, aber seitdem dort die Ajatollachs das Sagen haben, sind sie in ihren Ansichten radikaler, kompromissloser geworden.

Ähnlich sieht es in Pakistan aus. Deswegen ist der Hinweis in der Studie auf die Diskrepanz Australien-Pakistan in der Frage, wie Kinder zu erzielen sind, schon folgerichtig.

Hätten sie den gegenwärtigen Papst befragt, wäre er wahrscheinlich der gleichen Meinung wie Pakistani. Die Verteidiger des Papstes sagen, man müsse verstehen, er komme aus Argentinien, da ist das Schlagen der Kinder zur Erziehungszwecken normal. Ja, dort ist das normal, weil die Religion in diesem Land wie insgesamt in Lateinamerika noch immer so dominant ist, wie sie bei uns noch bis in die 1960er Jahre war.

Grundsätzlich bin ich der Meinung: Wenn es einen politischen Islam gibt – jedenfalls wird bei uns dauernd davon gesprochen –, dann gibt es auch ein politisches Christentum.
 
Ja, vielleicht. Einzelpersonen sind zwar wichtig, aber wichtiger ist Selbstverständnis eines Volkes und seine Moralvorstellungen. Die letzteren ändern sich ohnehin ständig, aber den Konflikt in der Ostukraine hätte es wahrscheinlich nicht gegeben, hätte es das ukrainische Parlament in den Tagen nach Maidan im Jahr 2014 nicht ein Gesetz verabschiedet, das die ukrainische Sprache zu alleiniger Amtssprache in ganz Ukraine erklärte. Das hat Menschen auf der Krim und im Osten der Ukraine, die in der Mehrheit nur russisch sprechen, hart getroffen. Entsprechend war die Reaktion, die Russland, als selbsternannte Beschützerin aller Russen, noch verstärkte. Was danach folgte und bis heute folgt, ist nur die Eskalation des Konflikts, das sich an einem unsinnigen Sprachgesetz entzündete. Aber wir sollten das nicht weiter vertiefen - dafür haben wir schon einen Faden.

Woher stammen denn diese elaborierten Weisheiten? Russia Today?

De facto getroffen, hat dieses Gesetz eigentlich niemanden, weil es in dieser Form nicht in Kraft gesetzt wurde. Das die Verabschiedung eines solchen gesetzes durch das ukrainische Parlament völlig folgenlos bleiben musste, so lange der ukrainische Präsident es nicht unterzeichnete (was nicht passierte), dass wusste Moskau.
Entsprechend gab es überhaupt keinen Grund seitens einfach mal auf der Krim einzumarschieren, wenn es darum gegagen wäre, dass hätte man auf persönlicher Ebene zwischen dem Kreml und dem ukrainischen Übergangspräsidenten bereinigen können.

Mal davon abgesehen, fällt es bei dem engen zeitlichen Zusammenhang (Verabschiedung des Gesetzes durch das ukrainische Parlament am 23. Februar, Beginn der Krimbesetzung ab 27. Februar) schwer anzunehmen, dass es sich um eine spontane Reaktion gehandelt habe.
Schließlich mussten erstmal Transportmittel zusammengezogen werden um russische Truppen auf die Krim zu verfrachten etc. Das hätte ohne Vorbereitung eine recht erstaunliche Kaltstart-Fähigkeit der russischen Streitkräfte vorausgesetzt, innerhalb von 4 Tagen eine spontane Invasion zu organisieren.
Wer das glaubt, der glaubt auch an den Osterhasen.
Die Nummer war vorbereitet und man wird davon ausgehen dürfen, dass die Streitkräfte bereits Tage vorher in Bereitschaft gesetzt und auf Abruf dafür gehalten wurden.

Der Kreml suchte hier eine Begründung zu tun, was er ohnehin vor hatte und das ukrainische Parlament war töricht genug eine zu liefern, die das russische Volk propagandistisch entsprechend zugeschnitten akzeptieren würde.
Andernfalls hätte sich eine andere Begründung gefunden.
Der Startschuss für Russland war der Machtwechsel in Kiew und die sehr eilige Anerkennung der veränderten Verhältnisse dort durch den Westen, die auf ein Herausbrechen der Ukraine aus der russischen Einflusszone hinauslief.

Ja, in beiden Ländern bekennen sich Menschen mehrheitlich zum Christentum – und dennoch haben die Kirchen dort an politischen Einfluss eingebüßt.
Spar dir die Nebelkerzen.
Ich hatte dich auf diese beiden Länder auch schon hingewiesen und du warst Antworten darauf schuldig geblieben.

Du hattest einen entscheidenden Einfluss der katholischen Kirche auf die Politik in katholischen Ländern unterstellt, mit Behauptungen, wie derjenigen, dass die Wahlempfehlungen katholischer Geistlicher größte Auswirkungen auf das Wahlverhalten und die politischen Entscheidungen der Bevölkerung habe.

Wenn das der Fall wäre, müssten sich die mehrheitlich katholischen Länder auf Grund der Einheit der katholischen Lehre auch gleichförmig in eine bestimmte Richtung entwickeln. Tun sie aber offensichtlich nicht.

Auch andere mehrheitlich katholisch geprägte Länder entsprechen nicht dem Bild, dass du da entwirfst. Wo z.B. sind die durch die katholische Kirche herbeipropagierten iliberalen Entwicklungen in Belgien?
Es gibt sie schlicht nicht.
Und das kann nicht sein. Entweder müssten auf Grund der Einheitlichkeit der Lehre alle stark katholischen Länder in die gleiche Richtung gehen oder aber dein Postulat taugt nichts, weil eine andere Entwicklung den Beweis dafür liefert, dass es mit dem Einfluss der Katholischen Kirche in die Politik nicht so weit heer sein kann.
Bei protestantischen Ländern mit dezentralen Landesirchen oder ohne Amtskirchen und ohne einheitliche Lehre und mit von einander abweichenden Ansichten wäre das möglich, aber bei Katholischen nicht.


In den USA mischen sich protestantischen Evangelikale so sehr in die Politik ein, dass man sich hierzulande nur ungläubig Augen reiben kann ob so viel Chuzpe; Trump konnte schon beim ersten Mal nur mit der Unterstützung dieser Kreise gewinnen, und wenn es ihm dieses Jahr wieder gelingen sollte, dann aus eben diesem Grund.
Der Grund, warum Trump 2016 gewinnen konnte, war nicht die Unterstützung irgendwelcher Kreise, sondern der einzige Grund, den er diesen Wahlsieg dankt, ist ein antiquiertes Wahlsystem, dass in seinen Wurzeln auf das 18. Jahrhundert zurückgeht und dass es erlaubt, Wahlen auch mit deutlichen Minderheiten zu gewinnen.
In einem modern verfassten demokratischen Staat, wäre der Mann bei diesem Wahlergebnis in der popular vote, nicht Präsident geworden, sondern als Wahlverlierer nach Hause gegangen.

Das Beispiel Trump taugt nicht um einen übermäßigen Einfluss religiöser Gruppen auf das Wertesystem der Bevölkeerungsmehrheit zu belegen. Es würde allenfalls dazu taugen, einen weitren Schwachpunkt der Studie zu diskutieren, nämlich denjenigen, dass ein "westliches" Wertverständnis en bloc postuliert wird, ohne dieses Konstrukt näher auseinander zu nehmen.

Einen solchen gemeinsamen Wertekanon gibt es aber nur in sehr begrenztem Maße. Was es gibt, dass ist ein gemeinsames Wording im Hinblick auf moralische Werte, zu denen man sich bekennt, dass aber teilweise doch inhaltlich sehr unterschiedlich interpretiert wird.


Ich für meinen Teil würde z.B. das Postulat, ich würde meine moralischen und politischen Werte mit einer Gesellschaft teilen, die es für legitim hält, auf Grund eines antiquierten Wahlsystem aus dem 18. Jahrhundert Wahlverlierer (nach Stimenzahl) die Regierungsgeschäfte zu übertragen, strikt zurückweisen.
Die Amerikaner mögen dass ja für Demokratie und Freiheit halten, ich halte das für einen Akt der Hinwegsetzung über den mehrheitlichen Willen des Volkes (mithin des Souveräns), bei einer explizit plebiszitären Veranstaltung (denn was sollte eine Wahl anderes sein, als ein Plebiszit darüber, wer die Regierung führen sollte) und somit für mit der Demokratie nicht vereinbar. Und ich bin sicher, dass ich da nicht der Einzige bin.

Das hat aber natürlich Auswirkungen auf das Ergebnis, je nachdem, wie Fragen gestellt werden.

Wird z.B. danach gefragt, ob die Demokratie als ein anzustrebender Wert angesehen wird, ist doch nicht zu übersehen, dass die Antwort darauf sehr stark davon abhängt, auf welchen Demokratiebegriff man die Frage denn nun bezieht, denn man kann ja gleichzeitig das Demokratieverständnis der meisten Teile Europas bejahen und dass in den Vereinigten Staaten ablehnen.
Oder aber die befragte Person ist sich über die Verschiedenartigkeit überhaupt nicht im Klaren und versteht darunter explizit eines der beiden Modelle, dem sie zustimmt, oder das sie ablehnt, ohne dass die Frage solches intendiert hätte.


Ein anderes Beispiel: Auch zu Zeiten des Schahs bekannten sich Menschen in Iran mehrheitlich zum Islam, aber seitdem dort die Ajatollachs das Sagen haben, sind sie in ihren Ansichten radikaler, kompromissloser geworden.
Ja, weil es im Iran auch so einfach ist, sich einfach mal auf den Marktplatz zu stelle und zu erklären, dass man die Ansichten der Ayatollahs für Murks und die Ansichten verschiedener westlicher Gesellschaften für richtiger hält, diese doch bitte einführen und die Ayatollahs abschaffen sollte.

*Augen verdreh*

Wir reden von einem Land, in dem politische Abweichler aufs schwerste repressiert werden und wo man auch mit der Todesstrafe nicht zimperlich ist.

Ähnlich sieht es in Pakistan aus. Deswegen ist der Hinweis in der Studie auf die Diskrepanz Australien-Pakistan in der Frage, wie Kinder zu erzielen sind, schon folgerichtig.
Auch auf die Problematik bist du hingewiesen worden (selbstrendend ohne darauf zu reagieren).
Natürlich äußert sich die Bevölkerung eines Landes ohne vernünftigen Rechtsstaat, in dem dafür Gruppen wie die Tailban und mit ihnen verbandelte Organisationen herumlaufen, anders als die Bevölkerung eines Landes in dem die schlimmste Form von Repression darin besteht, dass der Nachbar mit einem nichts mehr zu tun haben will.

Grundsätzlich bin ich der Meinung: Wenn es einen politischen Islam gibt – jedenfalls wird bei uns dauernd davon gesprochen –, dann gibt es auch ein politisches Christentum.


Selbstredend gibt es ein politisches Christentum. Auch in diesem Land laufen und liefen Vereine herum, die explizit veruschten und versuchen Politik und Religion miteinander zu verbinden, bzw. auf Basis von Religion Politik zu machen.
"Partei Bibeltreuer Christen" und ähnlicher Humbug.

Das stellt ja niemand grundsätzlich infrage, nur den von dir postulierten und nicht bewiesenen Einfluss dessen.
Was du betreibst ist der fortgesetzte Versuch Religionsgemeinschaften als genuin politische Veranstaltungen zu verkaufen.
Du postulierst de facto nicht, dass es so etwas wie ein politisches Christentum gäbe (das ist zweifellos der Fall), sondern du postulierst dass das Christentum eine genuin politische Verastaltung zwecks Durchsetzung einer iliberalen Gesellschaftsordnung sei.

Weswegen seine Funktionsträger und Anhänger grundsätzlich als politische Akteure in diesem Sinne zu betrachten seien.

Und das ist nicht der Fall.
 
Zuletzt bearbeitet:
Der Grund, warum Trump 2016 gewinnen konnte, war nicht die Unterstützung irgendwelcher Kreise, sondern der einzige Grund, den er diesen Wahlsieg dankt, ist ein antiquiertes Wahlsystem, dass in seinen Wurzeln auf das 18. Jahrhundert zurückgeht und dass es erlaubt, Wahlen auch mit deutlichen Minderheiten zu gewinnen.
In einem modern verfassten demokratischen Staat, wäre der Mann bei diesem Wahlergebnis in der popular vote, nicht Präsident geworden, sondern als Wahlverlierer nach Hause gegangen.
Das System ist aber nun mal so, wie es ist und innerhalb dieses Systems kann man dann natürlich durchaus Gründe suchen und finden, weshalb ein bestimmter Kandidat (oder eine Kandidatin) Präsident wurde oder nicht. Da einfach nur auf das Wahlsystem zu verweisen ist etwas unterkomplex.

Im Übrigen wird ja meistens auch der Sieger des Popular Vote Präsident. In den letzten hundert Jahren ist es nur zweimal vorgekommen, dass jemand Präsident wurde, obwohl der Gegenkandidat beim Popular Vote mehr Stimmen hatte. Etwas häufiger ist es vorgekommen, dass jemand Präsident wurde, der nur eine relative Mehrheit beim Popular Vote hatte (wegen zusätzlicher Kandidaten).


In anderen Demokratien ist der Unterschied zwischen Wahlergebnis und Stimmenergebnis übrigens teilweise noch viel größer.

So erhielt Labor bei der Unterhauswahl 2001 im UK 41,3% der Stimmen, hatte aber im Parlament eine Mehrheit von 167 Sitzen.


Auch im französischen Parlament gibt es oft erhebliche Abweichungen zwischen dem Wahlergebnis und dem Stimmenergebnis (vor allem dem des ersten Wahlgangs). So hatte Macrons Partei La République En Marche ! 2017 im ersten Wahlgang 28,21% der Stimmen erhalten, erhielt dann aber eine deutlich Mehrheit im Parlament.

 
Das System ist aber nun mal so, wie es ist und innerhalb dieses Systems kann man dann natürlich durchaus Gründe suchen und finden, weshalb ein bestimmter Kandidat (oder eine Kandidatin) Präsident wurde oder nicht.
Könnte man. Dann gehören da aber auch Fakten hinzu, wie der Umstand, dass sich der linke Flügel der Demokraten von Clinton vor den Kopf gestoßen fühlte und zum Teil die Wahl boykottierte, dann gehört da ebenfalls hinzu, bei der Wahl noch diverse andere Wählergruppen eine Rolle spielten, deren Motivation nicht unbedingt als religiös einstufen kann.

Das alles ändert freilich nichts daran, dass der Hauptgrund für diese Entwicklung das Wahlsystem selbt ist.

Dion hatte ja explizit auf den Wertekanon der Geselslchaft an und für sich abgestellt. Wie die aber mehrheitlich tickt, daraus lässt sich aus einem Wahlergebnis bei dem der nach Stimmzahl unterlegene Kandidat (und zwar deutlich unterlegene) zum Sieger erklärt wurde, offensichtlich nichts ableiten.

Da einfach nur auf das Wahlsystem zu verweisen ist etwas unterkomplex.
Unterkomplex ist vor allen Dingen den Ausgang der Wahl in den USA 2016 allein an den fundamentalitischen Gruppen und deren Votum festzumachen.
Die Wähler Trumps waren, wie de facto eine weit gestreckte Koaltion von religiösen Fundamentalisten, über Personen mit eher faschistoiden Ansichten, über radikale Waffennarren, Einwanderungsgegner, sich abgehängt fühlenden "white trash", über Leute, die mehr gegen Frau Clinton, als für Herrn Trump votierten bis hin zu Leuten, die einfach mit der Außenpoltik der USA nicht einverstanden waren oder den Demokraten wegen der ganzen nicht eingelösten Wahlversprechen Obamas (wir erinnern uns, von der Schließung von Guantánamo bis .....) einen Denkzettel verpassen wollten, oder einfach auch Leuten, die der Meinung waren, dass nach 8 Jahren Demokraten mal wieder jemand anderes ans Ruder sollte.
Alle diese Gruppen haben am entsprechenden Wahlausgang ihren Anteil gehabt.

Dion pickt sich exakt eine davon heraus und erklärt sie zum entscheidenden Faktor, weil das seinem Weltbild entspricht. Und das taugt halt nichts.

Es ist richtig, dass Trump ohne die religiösen Fundamentalisten wohl nicht Präsident geworden wäre. Allerdings ohne die abgehängten Arbeiterschichten im "Rust Belt", die sich von Clintons Neoliberalsimus abgestoßen und vernachlässigt fühlten ohne das mit besonderem religiösem Eifer zu verbinden und ohne das Wirken diverser anderer Gruppen auch nicht.

Im Übrigen wird ja meistens auch der Sieger des Popular Vote Präsident. In den letzten hundert Jahren ist es nur zweimal vorgekommen, dass jemand Präsident wurde, obwohl der Gegenkandidat beim Popular Vote mehr Stimmen hatte. Etwas häufiger ist es vorgekommen, dass jemand Präsident wurde, der nur eine relative Mehrheit beim Popular Vote hatte (wegen zusätzlicher Kandidaten).
Es spielt für mich persönlich keine Rolle, wie oft so etwas vorkommt. Für mich ist ein System, dass auch nur die hypothetische Möglichkeit offenlässt, dass das passiert kein System, dass ich im Kern als eine Demokratie im modernen Sinne bezeichnen würde.

Das ist sicherlich Geschmackssache und kann auch gerne jeder anders sehen.
Eigentlich ging es mir nicht darum jetzt eine Diskussion darüber loszutreten, sondern nur darum aufzuzeigen, dass das Abstellen auf einheitliche Wertebezeichnungen, wie "Demokratie", die aber inhaltlich völlig unterschiedlich verstanden werden können, offensichtlich ein Problem darstellt, wenn Umfragen die Haltung zu bestimmten nicht zewifelsfrei einheitlich definieerten Werten erfassen sollen.
Mir geht es da wirlich mehr um das methodische Problem, als um meine persönlichen Ansichten.

In anderen Demokratien ist der Unterschied zwischen Wahlergebnis und Stimmenergebnis übrigens teilweise noch viel größer.
Ja, deswegenn schrieb ich auch von "modern verfassten Demokratien" und von den "meisten Europäischen Staaten" und nicht von "den Europäischen Staaten". Unsere Nachbarn auf der anderen Seite der Nordsee hatte ich dabei durchaus auf der Rechnung.

Auch im französischen Parlament gibt es oft erhebliche Abweichungen zwischen dem Wahlergebnis und dem Stimmenergebnis (vor allem dem des ersten Wahlgangs).
Das liegt aber daran, dass in Frankreich das Mehrheitswahlrecht wenigstens so weit entschärft ist, dass es in Wahlkreisen, die im ersten Wahlgang keinen Kandidaten mit einer absoluten Mehrheit hervorgebracht haben, Stichwahlen gibt.
Das verhindert immerhin Absurditäten, wie Kandidaten, die mit relativen Mehrheiten weit von der absoluten Mehrheit entfernt, dann ein Mandat erringen.
In Frankreich sind wenn es wegen ausbleibender absoluter Mehrheit in einem Wahlkreis zu einer Stichwahl kommt, nur noch kandidaten antrittsberechtigt, die wenigstens 12,5% der Stimmen der theoretisch Wahlberechtigten auf sich vereinigen.

Das halte ich an und für sich für eine vernünftig Einrichtung.

Zumal es einen zweiten Wahlgang gibt und diejenigen, die im Ersten Wahlgang durchgefallene Kandidaten unterstützt haben, dann die Möglichkeit haben sich unter den gegebenen Umständen anders zu entscheiden und ernneut ihren politischen Willen zu bekunden.

Das halte ich persönlich für weit demokratischer als ein primitives "the winner takes it all" bei dem theoretisch auch jemand mit 10% Zustimmung das Mandat oder sämtliche Wahlmänner (USA) bekommen würde, fänden sich nur genügend Gegenkandidaten, die noch bescheidener abschneiden und das restliche Wählerpotential aufzehren.
Vor allem ignoriert es nicht einfach den politischen Willen der Mehrheit, in dem es möglicherweise die Mehrheit der Stimmen (wenn sie sich auf verschiedene durchgfallene Kandidatenn verteilen), nicht einfach unter den Tisch fallen lässt, sondern dann die Wahlbrechtigten eben unter veränderten Voraussetzungen (Ausscheiden der durchgefallenen Kandiaten) erneut befragt.

Eine erneute Befragung um eine notwendige politisch Entscheidung zu erreichen, ist aber ganz etwas anderes, als den Willen, möglicherweise der Mehrheit der Wähler einfach zu übergehen und irgendwen zum Gesamtsieger ohne Abstriche zu machen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ja, in beiden Ländern (Irland, Polen) bekennen sich Menschen mehrheitlich zum Christentum – und dennoch haben die Kirchen dort an politischen Einfluss eingebüßt. Und das ist das, was am Ende zählt, wenn es um Moral bzw. kulturelle Werte geht.
Woher weißt du das so gewiß?
Ist das ein Naturgesetz? Oder ist das einfach nur eine Behauptung ins Blaue hinein, die sich als Scheinargument tarnt?
Ich neige zu letzterem.
 
Cum hoc, ergo propter hoc?
Du und @Shinigami solltet euch einigen, was nun gilt. :confused:

Übrigens: Auf Shinigamis Polemiken einzugehen, ist verlorene Liebesmüh. Leider habe ich mich wieder einmal dazu verleiten lassen. Mea culpa. :oops:

Woher weißt du das so gewiß?
Ist dir vielleicht entgangen, dass sich Religionen, vor allem die dogmatischen, selbst als die moralischen Instanzen par excellence bezeichnen? Oder was meint man hierzulande, wenn man von jüdisch-christliche Leitkultur spricht? Oder wenn man von griechisch-jüdisch-christlichem Boden spricht, auf dem Europa stehe? Denkt man dabei tatsächlich an Grund und Boden? Natürlich nicht, sondern man meint damit kulturelle Werte, wie sie einst Griechen und Juden definierten und später von Christen adaptiert wurden.
Wobei in letzter Zeit Stimmen laut werden, dass man sich vom jüdischen Erbe trennen sollte, ja sogar das sog. Alte Testament aus der Bibel entfernen sollte, weil Christen mit den darin geschriebenen Regeln – Beispiel: Auge um Auge, Zahn um Zahn* – nichts mehr gemeinsam haben.

* Das ist im Judentum nach wie vor lebendig und zwingt z.B. Israel, jede Aggression zu vergelten. Und weil die moslemisch geprägten Staaten genauso denken, kommt die Region nicht zur Ruhe – weil alle immer nur "vergelten".
 
Ist dir vielleicht entgangen, dass
in dieser zitierten Replik die wunderliche Gleichsetzung von "kulturellen Werten" mit "Moral" weder erläutert noch begründet wird? Nein: das ist mir nicht entgangen.
Muss ich das für den Fall, dass du @Dion dich in deinen eigenen Formulierungen verheddert haben solltest, zitieren?
...sicherheitshalber:
und dennoch haben die Kirchen dort an politischen Einfluss eingebüßt. Und das ist das, was am Ende zählt, wenn es um Moral bzw. kulturelle Werte geht.
Diese Gleichsetzung oder Parallelisierung bedarf einer Erklärung.
 
Ein anderes Beispiel: Auch zu Zeiten des Schahs bekannten sich Menschen in Iran mehrheitlich zum Islam, aber seitdem dort die Ajatollachs das Sagen haben, sind sie in ihren Ansichten radikaler, kompromissloser geworden.

Hätte der Iran freie demokratische Wahlen, dann wären die Mullahs morgen weg. Im Iran trägt kaum eine Frau aus der Intelligenz im privaten Kreis ein Kopftuch.
Homosexualität hat eine große Tradition im Iran und kaum eine islamische Kultur hat das so offen propagiert wie die persische Literatur.

Ein Großteil der iranischen Oberschicht hat seit dem 19. Jahrhundert ihre Söhne ( und durchaus auch Töchter) zum Studium nach Europa geschickt-meistens nach Frankreich oder Deutschland. Es gab seit dem 19. Jahrhundert eine Öffnung nach Europa. Einschließlich der Türkei, die sich unter Erdogan immer mehr vom Kemalismus entfernt hat gibt es wohl keinen Staat mit mehrheitlich muslimischer Bevölkerung, der aufgeschlossener für die westliche Kultur ist als der Iran.

Die Pressezensur lässt im Iran nicht zu, etwas zu veröffentlichen, was von der Linie der Mullahs abweicht. Hinter verschlossenen Türen sieht das anders aus. Da gibt es erhebliche Kritik an der offiziellen Linie.
Der Iran hat ein gutes Bildungssystem, zahlreiche Iraner sprechen eine europäische Fremdsprache.
Zu behaupten, dass die iranische Gesellschaft sich seit dem Sturz des Shahs immer mehr radikalisiert habe und kompromissloser geworden sei, verkennt völlig die Realität der iranischen Gesellschaft.
 
An Scorpio anschließend könnte man vielleicht auch versuchen, die These anhand konkreter Länder in historischer Perspektive etwas näher anzusehen.

Wenn wir Russland herausgreifen, ist zunächst wohl unstrittig, dass sowohl der Krieg als auch die Diktatur Putins vom Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche massiv unterstützt werden. Zugleich vertritt der Patriarch angeblich "alterhergebrachte Werte" (oder gibt dies zumindest vor), die im Westen aus seiner Sicht verloren gegangen sind. Man könnte also vermuten, dass hier ein starker Einfluss des Christentums die Kultur eines Landes in Richtung autoritärer Vorstellungen lenkt.

Man könnte aber auch andere Elemente einbeziehen: Das Erbe der autoritären und in Teilen sehr militaristischen Sowjetunion mit ihrem latenten Personenkult, die Erfahrung (bzw. vermutlich besser: das Gefühl) einer nationalen Demütigung und eines politischen Bedeutungsverlustes in den 1990er-Jahren oder die wirtschaftlichen Probleme beim Übergang von der Planwirtschaft zur Marktwirtschaft. All das hat wenig mit dem Christentum zu tun, sondern viel eher mit den gesellschaftlichen und politischen Entwickungen eines unerwarteten Systemwechsels.

Aus dieser Perspektive wäre es dann vielleicht sogar möglich, dass die jetzige Haltung des Patriarchen eher Folge als Ursache autoritärer kultureller Traditionen in Russland ist. Schließlich gibt es auch andere Haltungen zum Angriff Russlands auf die Ukraine bei den russischen Christen. So ist der lutherische Erzbischof Dietrich Brauer nach heftiger Kritik am Krieg aus dem Land geflohen und wirkt mittlerweile in der evangelischen Landeskirche Württemberg.

 
Hätte der Iran freie demokratische Wahlen, dann wären die Mullahs morgen weg. Im Iran trägt kaum eine Frau aus der Intelligenz im privaten Kreis ein Kopftuch.
Das erscheint zunächst plausibel (freilich klingt es so, wie man es sich hier wünscht) aber ich bezweifle es: 1. ist "die Intelligenz" dort wohl keine Mehrheit (sodass freie Wahlen dort nicht das hier bevorzugte Wunschergebnis garantieren) und 2. ist es die im Ausland ausgebildete Elite, die in die regimekonformen hohen Posten drängt und sich dort wohl anpasst, während 3. die eher unterprivilegierte Mehrheit traditionell-religiös fanatisiert erscheint.

Aber das weicht wohl vom Thema des Fadens ab.
 
In Irland konnte eine Liberalisierung der Gesellschaft erst stattfinden, nachdem die dortige katholische Kirche infolge des zum Teil systematischen Kindesmissbrauchs in den kirchlichen Einrichtungen und den damit zusammenhängenden jahrzehntelangen Vertuschungen jede Glaubwürdigkeit als moralische Instanz verloren hatte.

Irland ist auch heute noch mehrheitlich katholisch. Es war auch nie ein Gottesstaat, den die Katholische Kirche fest im Griff hatte. Der Wandel Irlands vom Armenhaus Europas zu einer hochmodernen, stellenweise multikulturellen Dienstleistungsgesellschaft hat vor allem mit dem starken sozialen wirtschaftlichen und demographischen Veränderungen Irlands zu tun. Irland erlebte durch den Tourismus und den Eintritt in die EU einen rasanten Aufschwung, durch die Öffnung zu Europa, verbesserte Bildung und verbesserte Lebensbedingungen gingen zahlreiche Iren ins Ausland, Irland wurde aber auch zu einem Einwandererland. Gut ausgebildete Iren mussten nicht mehr nach GB oder in die USA gehen, um sich eine Existenz aufbauen, und gleichzeitig wurde Irland auch attraktiv für gut ausgebildete Fachkräfte vom Kontinent. Irland wurde von einem reinen Agrarstaat zu einer Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft. Der Lebensstandard wuchs, und natürlich fand auch in gut katholischen Familien Familienplanung statt, und wenn es schief ging, machte man eben die Abtreibung einen Ulster oder fuhr nach GB oder in die NL wie es deutsche Frauen auch taten.

Von den beiden Volksparteien Irlands Fianna Fail und Fine Gael ist/war keine eine klerikale Partei wie es das Zentrum oder die Democrazia Christiana in Deutschland oder Italien waren. Ein Links-Rechtslager wie in anderen Staaten gibt es in Irland so nicht. Die Fianna Fail ist eine liberal-konservative Partei und Fine Gael eine liberal-demokratische Partei. Sie sind entstanden aus dem Irischen Unabhängigkeitskampf. Sinn Fein und Fianna Fail sind in der Zeit entstanden. Dazu kamen später noch die Labour Party und die Grünen.

Eine ausgeprägte klerikale Partei oder eine Partei des politischen Katholizismus wie das Zentrum und die Christdemokraten in Italien hat es in Irland nie gegeben.

2016 waren 78 % der Iren sind katholisch, 2,7% anglikanisch, 2,9% gehören anderen christlichen Konfessionen an und 1,3% Muslime. 2, 4% gehörten einer anderen Religion an und ca. 10% gehörten gar keiner Religion an oder machten keine Angaben. Bei Umfragen 2020 gaben 36% der Iren an, dass ihnen Religion sehr wichtig sei, 21% war Religion weder wichtig noch unwichtig 43% war sie unwichtig und 10% bezeichneten sich als überzeugte Atheisten.

Nach Umfragen sank zwischen 2005 und 2011 der Anteil der Iren, die sich als religiös bezeichnen um 22% Punkte von 69 % auf 47 %. Da wird der Missbrauchsskandal sicher auch eine Rolle gespielt haben. Die Entwicklung hat sich aber bereits in den Jahren vollzogen, als von Missbrauch noch keine Rede war, im Gegenteil sogar von einer Renaissance des Glaubens der Religion gesprochen wurde. Irland hat sich wirtschaftlich, sozial, demographisch stark verändert und weiterentwickelt. Da wurde dann auch der Einfluss der Katholischen Kirche auch auf Gebieten in Frage gestellt, wo er stark war. Im Bildungswesen, es wurden die Missbrauchsfälle und auch die Zustände in Magdalenen-Heimen wurden aufgearbeitet.

Höhere Schulen sind in Irland teuer, die katholischen sind kostenlos. Die Kirche war über Jahrhunderte für begabte junge Iren oft die einzige Chance eine höhere Bildung zu erwerben.

Irland hat sich aber nicht erdrutschartig vom Katholizismus abgewendet. Irland ist nach wie vor katholisch, 36% bezeichnen sich als religiös, es hat die Zahl zugenommen für die Religion keine große oder gar keine Rolle mehr spielt. Die Zahl überzeugter Atheisten betrug nur 10%

Bei der Behauptung, dass in Irland der Katholizismus seine Glaubwürdigkeit verloren habe und praktisch in die Bedeutungslosigkeit abgesunken sei, ist wohl der Wunsch Vater des Gedankens. Aus belastbaren demoskopischen Erhebungen lässt sich das nicht schließen.

Da spielen die wirtschaftlichen, politischen und demographischen Veränderungen Irlands eine Rolle. Von einem Auswanderungsland, von einem Agrarstaat hat sich Irland zu einer modernen Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft, zu einem Einwanderungsland entwickelt. Verbesserte Lebensbedingungen, verbesserte Bildungsmöglichkeiten, rasantes wirtschaftliches Wachstum, engerer Kontakt zu Europa und zur EU haben dabei eine Rolle gespielt.

Das war eine Entwicklung, die durchaus unabhängig vom Missbrauchsskandal sich längst schon in Irland vollzogen hatte, als davon noch keine Rede war.

Irland war auch kein reaktionär katholischer Gottesstaat, in dem die Katholische Kirche eine gottergebene untertänige Bevölkerung fest im Griff hatte. Irland und die Iren haben ihren Unmut über kritikwürdige Zustände in den unterschiedlichsten Formen geäußert, seit Jonathan Swift seine Tuchhändlerbriefe veröffentlichte, in denen er den Iren empfahl ihre Babys zu verzehren.
 
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