Die einzige halbwegs rationale Erklärung läuft m.E. darauf hinaus, dass man an diesem Beispiel exemplarisch etwas durchspielen möchte, von dem man glaubt, dass es ohnehin kommen würde.
Vorab: ich bin davon überzeugt, dass die Europäer nur in einem Staatenbund EU ihre freiheitlichen Grundordnungen, ihre gesellschaftlichen Errungenschaften, ihre ökonomischen Grundlagen vor dem Hintergrund großer Herausforderungen auf allen diesen drei Spielfeldern bewahren können.
Die Fragen richten sich auf Weg und Ziel der Union. Darum wird politisch gerungen. Partikularinteressen werden in diesen 21. Jahrhundert mglw. zeitweise von Vorteil sein, letztlich aber scheitern. Das gilt jedenfalls mE für die europäischen Flächenstaaten. Das wäre die fundamentale Sicht der Lage.
Ich würde einleitend zuspitzen: jede Explosion der EU ist gegen deutsche nationale Interessen. Natürlich kann das Ganze in den öffentlichen Meinungsvolatilitäten völlig konträr laufen: Stimmungen können sich auch gegen diese Projekte richten, Selbstmord aus Angst vor dem Tod. Populisten können herumtrollen, und nationale deutsche Interessen dadurch mittelfristig schädigen, indem sie die Axt an die Gemeinschaft legen.
An der ökonomisch-politischen Achse schwelt aber - was die deutsche Seite angeht - ein 20 Jahre langer Konflikt. Tatsächlich ist die EU als Fiskalunion unvollständig. Das wollte bislang zu keinem Zeitpunkt eine Mehrheit, dies war offensichtlich bislang nicht vermittelbar.
Krisenzeitpunkte sind nun wegen der zugespitzten Interessenlagen (der eine braucht Hilfe, der andere hat Ressourcen) ein denkbar ungeeigneter Zeitpunkt für Öffentlichkeiten, solche großen Würfe zu wagen. Das ist auch ohne Prinzipien der Spieltheorie evident.
Die auf ökonomischen Gebiet juristisch unvollendete Union, mit einem Geflecht von Rückbürgschaften und Haftungsvermengungen hat aber dafür gesorgt, dass die Kapitalmärkte dieses Gebilde - bis zu glasklaren anderslautenden politischen oder juristischen Aussagen - als EINHEIT sehen. Praktisch hat das die Konsequenz, dass Risikoprämien für Ausfallrisiken und Kapitalaufbringungsfähigkeiten sich nur hauchdünn im Euroland unterscheiden, konträr zu deutlichen nationalen ökonomischen Unterschieden. In einer Haftungsunion ist das aber rational:
Die Ökonomie bewertet eine Föderation, die juristisch durch Zusagen und Verträge konzipiert ist, die aber politisch so nicht besteht, und gesellschaftlich so bislang nicht vermittelt ist.
Nun Vera Jourova, Vizepräsidentin der EU-Kommission und gelernte Kulturanthropologin (und nebenberuflich-studierte Juristin somit bestens für die Bewertung hochkomplexer juristischer und ökonomischer Fragen gerüstet), heute in der FAZ:
"Lassen Sie mich eines ganz klar sagen: Das letzte Wort zu europäischem Recht wird immer in Luxemburg gesprochen. Nirgendwo sonst. Wir haben dieses Urteil eines nationalen Gerichts diese Woche im Kommissars-Kollegium diskutiert. Natürlich schauen es sich auch unsere Juristen derzeit sehr genau an, bevor wir über mögliche Schritte entscheiden. Aber es sollte allen klar sein: Es besteht rechtlich in unserer Union das Primat des EU-Rechts. Urteile des EuGH sind für alle nationalen Gerichte bindend. Mir wurde diese Woche aus Polen vorgeworfen, ich würde das immer nur auf Polen bezogen sagen. Nun, wie Sie sehen, sage ich es in diesem Zusammenhang genauso klar. Das Prinzip gilt für alle Mitgliedstaaten."
Das erste Missverständnis steht schon im ersten Satz und vor dem ersten Punkt. Mal sehen, was "unsere Juristen" dazu sagen. Außerdem sind offenbar "unsere Ökonomen" für die Fragen nicht erforderlich.
Zur Beurteilung: Die Amtsträgerin hat das Urteil des BVerfG nicht verstanden, vermutlich nicht einmal gelesen, geschweige denn die vorherigen Urteile beider Einrichtungen. Das - was sie sagt - steht da nämlich nicht drin.
Danach folgen in dieser Absolutheit schlichte Falschaussagen. Hinter jeden dieser Sätze hätte der maximale Vorbehalt der zugewiesenen Zuständigkeiten gehört. Um diese Abgrenzungen geht es. Und das sind nicht etwa Kommissionsvorgaben über das Aussehen von Tomaten, oder umsatzsteuerlichen Konsequenzen des Kauf eines in China montierten iphones für Deutschland.
Hier geht es via EZB um die Frage, wieweit Haushaltskompetenzen und die fundamentale Basis nationaler Verschuldungen den nationalen Parlamenten entzogen worden sind. Und wenn das partiell - IM KONSENS - durch Rechtsübertragung erfolgt ist:
welche Begründungen die EZB dann zu liefern hat, wenn sie eine Bilanzsumme von 4000 Milliarden Euro aufbaut, davon 3/4 Staatsanleihen, für deren Deckung auf der Passivseite via Nationale Zentralbanken die Staaten mit ihren Haushalten geradestehen. Das kann ja gewollt sein, aber dann - nach BVerfG - in einem geordneten Verfahren mit parlamentarischen Zustimmungen von denen, die dafür haften. Und mit ordentlichen Begründungen der EZB, warum dieses Vorgehen whateverittakes alternativlos ist, und wie sie sich den späteren Rückzug davon eigentlich so vorstellt.
Nichts anderes hat das BVerfG gerügt, als dass ... ZUGESPITZT:
... ein EuGH-Urteil mglw unter Bruch von EU-Recht und massiven Folgen für die Budgethoheit hier nun der EZB einen Blankoscheck ausgestellt hat, nach der das banale Vorlesen einer Gesetzespassage ("... für die Geldwertstabilität und Inflation ...) für das Abzeichnen auch von sechs, acht oder 15 Billionen ausreicht, für deren "Kreditwürdigkeit" am Markt bei Laufzeiten von 30-100 Jahren nur wenige Länder geradestehen.
So - wie die Vera Jourava das hier darstellt - geht das nicht.
Und diese Frage hat wegen der real existierenden Budget- und Politikhoheiten der einzelnen Mitgliedsstaaten nichts mit der Frage zu tun, ob sich das BVerfG hier gegen EU- und EuGH-Zuständigkeiten stellt.