zum Gruße
Es war und ist nicht meine Absicht, Kantorowicz' juristische Analysen zur Kriegsschuld hier auszubreiten. (das gehörte ins Forum 'Weimarer Republik", wofür mir derzeit die bes Rechte fehlen...)
mangels Aufzeichnungen zitiere ich Gandolf, der sich zu Anfang des Strangs 'erhebliche Kriegsschuld' zu K äußerte. . . .
[FONT=trebuchet ms, tahoma, verdana, arial, helvetica]Kantorowicz kam im Mai 1927 zu folgendem Ergebnis: „Allen vier schuldigen Regierungen stehen in den wechselseitigen Provokationen der Vorkriegszeit mildernde Umstände zur Seite, keiner ein Rechtfertigungsgrund, da der Krieg von Deutschland als Präventivkrieg, von Österreich-Ungarn als Verzweiflungskrieg, von Frankreich und von Rußland als Machterhaltungskrieg beschlossen worden ist. Die vier Regierungen tragen also gemeinsam die Schuld am Friedensbruche. Jedoch sind unter den beteiligten Regierungen, die der Mittelmächte, unter ihnen die österreichisch-ungarische Regierung, unter den beteiligten Regierungsmitgliedern der Urheber des ganzen Unternehmens, der ungarische Graf Berchtold, als hauptschuldig zu erklären.“ (Hermann Kantorowicz, Kriegsschuldfrage 1914, hrsg. von Immanuel Geiss, 1967, S. 423). [/FONT]
und
„Hier müssen wir uns auf den Boden eines bereits werdenden Völkerrechts stellen, das im Bewusstsein der Völker schon mächtig lebt: im Sinne dieses Maßstabes sprechen wir von „Schuld“. Wenn wir einem Staate die „Schuld“ an einem Kriege geben, so meinen wir, dass er einen im Sinne des schon damals werdenden Völkerrechts nicht gerechtfertigten Krieg geführt hat. Ein solches Schuldurteil hat sich mit Recht oder Unrecht als eine ungeheure Tatsache erwiesen. Es hat Millionen von Männern gegen den für schuldig Erklärten auf das Schlachtfeld geführt; es hat den Frieden von Versailles zwar nicht geschaffen, aber in den Augen der Siegervölker gerechtfertigt erscheinen lassen. Es ist völlig aussichtslos, statt nur die bisherige Beantwortung der Schuldfrage zu widerlegen, diese Frage selbst aus der durch sie bewegten Welt schaffen zu wollen. Die Völker wissen wohl, dass mit dem Verdammungsurteil über die Kriegsschuldigen das stärkste sittliche Bollwerk gegen den nächsten Krieg dahinsinken würde. Noch verfehlter ist es, die geschichtlichen Vorgänge überhaupt dem moralischen Urteil entrücken zu wollen. Das setzt logisch voraus, dass der Politiker keinerlei Pflichten, also auch weder Ehre noch Gewissen hat, also überhaupt kein Mensch, sondern eine Bestie in Menschengestalt ist. Denn wo es Pflichten gibt, da gibt es auch je nachdem Verdienst und Schuld“ (Hermann Kantorowicz, Kriegsschuldfrage 1914, hrsg. von Immanuel Geiss, 1967, S 99-100 ff
Die Reputation Kantorowicz' steht außer Frage, wie aus dem von
buschon verlinkten Artikel zu ersehen.
Wichtig ist mir der eingangs zitierte Satz als Resultat von Ks Recherchen, der ganz schlicht und stichhaltig alle Behauptungen und Spekulationen widerlegt, die eine Kriegsbegünstigungs-verantwortung bei der Entente verorten wollen. Ein gutes Pfund fürs Arsenal der Antirevisionisten wie ichs Einer bin.
Die Tatsache, dass K eigens vom Untersuchungsausschuss berufen wurde, um Begründungen zufinden, welche deutsche Kriegsschuld in jurstischer Hinsicht mindern würde zugunsten deutscher Reparationsverpflichtungen, zeigt, dass K gewiss kein 'Linker' war, sondern ein erwiesener Patriot. K hatte sich Aug 14, 37jährig trotz schmächtiger Konstitution zum Kriegsdienst gemeldet und wurde in den inneren Sanitätsdienst abgeschoben.
Erst im Laufe seiner Untersuchungen gelangte er zur Erkenntnis, wo die Hauptverantwortung zu suchen war.
kurz noch einige von Ks Überlegungen womit er unverminderte deutsche Kriegsschuld hinterfragte:
"Die Schuld an einem großen Kriege ist nicht notwendig große Kriegsschuld." [...]
"Der Schaden des Weltkriegs war unermesslich, die Schuld an ihm war es nicht."
"Unter den Motiven die zu ihm drängten, war kein unehrenhaftes, waren namentlich nicht Eitelkeit und Ländergier, wie beim [Raub]Krieg Italiens 1911 gegen die Türkei oder Rumäniens 1913 gegen Bulgarien. [. . .]
"Die abscheulichen Deutungen der deutschen und ÖU-Beweggründe, wie sie in dem Bericht des Schuldausschusses der Entente und ihrem Ultimatum vorliegen, sind haltlos." [. . .]
"Die gegnerischen Deutungen sind nichts als die Wirkung des Eindrucks, den unsere Politik vor, während und nach dem Kriegsausbruch machen musste, [und] zugleich verräterische Widerspiegelung der abscheulichen Pläne und Gesinnungen der feindlichen Staatsmänner gegen uns. [. . .] Nicht Machtgier und Raubgelüst, nicht Kriegsdrang oder Eroberungsbedürfnis, nicht Ehrgeiz oder Herrschsucht haben den Weltbrand entzündet:
entzündet haben ihn F u r c h t und V e r z w e i f l u n g . "
. . .
ja sogar zur Ergründung französischen Kriegsinteresses fand er eine originelle Argumentation:
Kantorowicz' Plädoyer für deutsche Schuldmilderung greift auf eine selbst gewählte Differenzierung von Kriegstypen zurück: Machtkrieg, Erlösungskrieg, Befreiungskrieg.
1914 Präventivkrieg als Vorkehrung gegen Kriegsverdacht und zu gewärtigende bzw
zu befürchtende Nachteile. Also mildernde Umstände aus Furcht vor Niedergang.
Immerhin, war Kantorowicz sehr bemüht, alle Schuldleichterung für Deutschland
einzufangen und seinen Mandanten mit den gebotenen Künsten des Meisteranwalts
zu schützen. So bringt er eine höchst originelle Begründung frankreichischen Kriegsinteresses hervor: FR hatte unter großen parlamentarischen Schmerzen
die 3jährige Dienstzeit implementiert. Hatte damit jedoch gerade einmal mit
der deutschen Heeresstärke gleichgezogen. Das Reich nämlich verfügte ja über
einen riesigen Bevölkerungs- und Geburtenvorsprung. In Zukunft also in ca drei
Jahren würde diese populative Überproduktion die Erhöhung der Dienstzeit um
ein weiteres Jahr erzwungen haben. Eine bei der freisinnigen französischen
Bevölkerung undurchführbare Maßnahme in Friedenszeiten. So befand
sich FR auf bestem Wege seines Status als Weltmacht verlustig zugehen.
Undenkbar für die Franzosenseele! Also wäre die französische Führung
gezwungen, innerhalb der oa 3Jahresfrist den Krieg um seine Machterhaltung
zu entfesseln. Das Jahr 17 wird von den meisten Experten avisiert als das
wahrscheinlichste Jahr der Entscheidung. Insofern hätte Moltke also dieser
Kriegswahrscheinlichkeit nur präventiv vorgegriffen.
philohistorisch
D