Hat man mit Handelsschiffen gekreuzt?

Scorpio

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Ich muss gestehen, vom Segeln verstehe ich nicht viel. Handelsschiffe wie die Corbita sind ja weite Strecken ausschließlich gesegelt. Nun können aber Rahsegler nur schlecht am Winde kreuzen. Mich würde nun interessieren, ob jemand weiß wie die allgemeine Praxis in der Seefahrt war, wenn ein Segler eine größere Strecke zurückzulegen hat, wenn die Crew erwarten musste, bei den herrschenden Windverhältnissen fast ständig mit Gegenwind rechnen musste.

Ist man da aufwändig gekreuzt, oder ist man unter Umständen einen Hafen angelaufen und hat auf günstigere Winde gewartet?
 
Vielleicht sollte ich meine Frage etwas präzisieren- denn natürlich müssen die gekreuzt haben, und die werden mit verderblicher Fracht nicht tage- oder wochenlang auf günstigen Wind gewartet haben.

Ich dachte eher an ein Szenario, dass ein Handelsschiff, das von sagen wir von Ephesus nach Ostia fährt und die Straße von Messina passieren will, bei frischem Wind aus Nord-Nordost ob da die Crew möglicherweise einen Hafen anläuft und hofft, dass der Wind dreht und ein frischer Notos oder Lips sie durch die Straße von Messina bringt.
 
Klassisches "it depends":
WENN Ladung oder Passagiere, Ziel und Zweck der Reise, Rigg, Segeleigenschaften, Materiallage und Können und Zahl der Besatzung es zuließen oder forderten, KANN ein Schiffsführer sich entschieden haben, es zu versuchen. Der Feld-, Wald- und Wiesenkapitän auf dem Kohlefrachter dürfte auf günstigen Wind gewartet haben - so es denn einen geeigneten und sicheren "Warteraum" gegeben hat, wo man ankern oder wenigstens auf- und abstehen konnte. Spätestens Zweiteres war dann Ergebnis der individuellen Wetterprognose des Schiffsführers, der immer noch Alternativrouten suchen konnte - sogenannte meteorologische Navigation (Kreuzfahrer tun dies - aus Gründen der Ladungssicherung - noch heute.)
Beachte typische Riggs je nach typischer Ladung, Aufgaben- und Einsatzgebiet.

Rahsegler auf längeren Passagen planten die ganze Passage nach den vorherrschenden Wind- und Wettersystemen. Daher tickte auch der gesamte Verkehr von und nach Ostindien im Takt des Monsuns und wurde woanders die Schiffahrt z. B. Über den Winter oder die Hurricanesaison eingestellt.

(Mit ganz viel Seeraum - und Zeit - konnte man auch in langen Schlägen aufkreuzen und die notwendige Kursänderung per Halse (mit dem Heck durch den Wind) fahren. War seemännisch weniger anspruchsvoll, schonte das Material, aber man verlor bei jeder Halse wieder einen Teil der aufgekreuzten Strecke.)
 
Neddy, weißt Du um wieviel Grad etwa die Corbita am Wind segeln konnte?

Viel kann das ja nicht gewesen sein!?
Kann es auch nicht. In der Blütezeit der Segelschiffahrt konnten gut getrimmte Vollschiffe etwa 6 Strich am Wind segeln. Also 67,5 ° wenn der Wind von vorne kam. Moderne Yachten mit Schratsegeln können noch viel höher am Wind segeln, höher als 6 Strich am Wind schafften auch die Klipper und Windjammer kaum.

Bei den corbitae dürften die Kreuzeigenschaften am Wind noch deutlich schwerfälliger gewesen sein. Viel weniger, als 80 ° dürfte eine corbita kaum geschafft haben.
 
Daher tickte auch der gesamte Verkehr von und nach Ostindien im Takt des Monsuns und wurde woanders die Schiffahrt z. B. Über den Winter oder die Hurricanesaison eingestellt.

Der Monsun ist mWn aber auch ein Musterbeispiel an meterologischer Beständigkeit. Ich glaub, ganz so dankbar sind die Verhältnisse im Mittelmeer nicht.

Was ich mich frage:

(...) und die werden mit verderblicher Fracht nicht tage- oder wochenlang auf günstigen Wind gewartet haben.

Haben römische Handelsschiffe überhaupt regelmäßig verderbliche Ware über weitere Strecken transportiert?
 
Der Monsun ist mWn aber auch ein Musterbeispiel an meterologischer Beständigkeit. Ich glaub, ganz so dankbar sind die Verhältnisse im Mittelmeer nicht.

Was ich mich frage:



Haben römische Handelsschiffe überhaupt regelmäßig verderbliche Ware über weitere Strecken transportiert?

Die Mosaiken aus der Villa Casale in Piazza Amerina zeigen zumindest deutlich, dass man Kampftiere aus dem ganzen Imperium verschifft hat, auf einem Mosaik sind sogar indische Tiger und Panzernashörner abgebildet.

Bei den Szenen der Großen Jagd sind Kampftiere geordnet in nordisches Wild, Bär, Wisent, afrikanisches Wild und indisches Großwild abgebildet.

Es sind zumindest zwei Stationen auf der Route einigermaßen sicher identifizierbar: Carthago und Alexandria.

Es gab in und Rom Vivarien wo Kampftiere gehalten und trainiert wurden, aber diese wurden immer wieder durch Wildfänge ersetzt. In Germanien haben sich Weihesteine erhalten, in denen ursarii sich bedankten dass sie soundso viele Bären im Jahr fangen konnten. Ein Freund schrieb an Cicero, er solle ihm Panther aus Pamphylien schicken.

Wildtiere wurden auf dem Seeweg transportiert, und sie waren sicher eine nicht ganz unproblematische Fracht, die aber kostbar war und schnell transportiert werden musste.

Villa Romana del Casale – Wikipedia
 
Der Monsun ist mWn aber auch ein Musterbeispiel an meterologischer Beständigkeit. Ich glaub, ganz so dankbar sind die Verhältnisse im Mittelmeer nicht.

Was ich mich frage:



Haben römische Handelsschiffe überhaupt regelmäßig verderbliche Ware über weitere Strecken transportiert?

Verderbliche Waren in heutigem Sinne sicherlich nicht.
 
In römischen Quellen werden zumindest immer wieder Austern aus Britannien erwähnt, und die Pfirsiche, deren Kerne man in römischen Amphitheatern in Köln oder Mainz fand, werden vermutlich nicht unbedingt nördlich der Alpen gewachsen sein.

In der Biographie des Revolutionskaisers Vitellius schreibt Sueton, dass Vitellius bei einem Bankett eine riesige Silberschüssel präsentierte, worin sich ein Ragout u. a. aus Pfauenhirn, Flamingozungen und Muränensperma servieren ließ.

Für die Herbeischaffung der Zutaten habe Vitellius die Kapitäne und die Galeeren aller Meer von Gibraltar bis nach Parthien in Bewegung gesetzt.

Das Vitellius die gesamte Handels- und Kriegsflotte bemüht haben soll, ist mit ziemlicher Sicherheit eine Übertreibung Suetons.

Dass aber Delikatessen aus recht exotischen Zutaten per Fernhandel nach Italien verschifft wurden, halte ich aber für sehr wahrscheinlich. Wenn Sueton sich so etwas völlig aus den Fingern gesaugt hätte, wäre es seiner Leserschaft aufgefallen und er hätte sich unglaubwürdig gemacht.

Sueton, Vitellius Kapitel 13
 
Nach diesen Worten ließ Cato im Senat, so wird erzählt, während er die Toga aufnahm, absichtlich ein paar afrikanische Feigen fallen; und als man ihre Größe und Güte bewunderte, sagte er: "Das Land, das diese Feigen trägt, ist nur drei Tage Seefahrt von Rom entfernt." Ein noch stärkeres Druckmittel war, dass er bei jeglicher Sache, über die er seine Meinung abzugeben hatte, den Satz hinzufügte: "Ferner stimme ich dafür, dass Karthago nicht bestehen bleiben darf." (Plut. Cat. Ma. 27, 1).

Dass es sich um erntefrische Früchte gehandelt hat, ließe sich in diese Anekdote hinein interpretieren.
 
Ich denke nicht, dass der gesamte Bedarf der Metropole Rom an Getreide, Olivenöl, Wein, Obst, Vieh usw. allein auf dem Landweg aus Italien herangekarrt wurde. Oneraria-Schiffe wurden ja speziell für den Transport dieser Güter über das Meer gebaut.

Getreide, Olivenöl, Wein sind alles keine verderblichen Waren. Da wäre es kaum ein Problem, mal ein, zwei Monate auf guten Wind warten zu müssen. (Also wirtschaftlich vielleicht, aber nicht weil einem der Weizen vergammelt).

Lebende Tiere (ob nun für den Schlachthof oder die Arena) sind natürlich so eine Sache. Die verderben ja auch nicht wirklich, und können auch entladen werden, wenn es wirklich absehbar eine Weile nicht weiter geht. Wobei ich mich i-wie dunkel erinnere, dass von den Tieren für den Zirkus eine ganze Menge nicht lebend ihr Ziel erreichten; weiß aber nicht mehr, wo ich das her hab.

Für verderbliche, hochpreisige Ware (also die syrischen Erdbeeren oder was weiß ich, die die Superreichen sich als Statussymbol auf die Festtafel stellten) würde ich annehmen, dass es andere Transportmöglichkeiten gab als dickbäuchige, schwerfällige Frachtschiffe.
 
Für verderbliche, hochpreisige Ware (also die syrischen Erdbeeren oder was weiß ich, die die Superreichen sich als Statussymbol auf die Festtafel stellten) würde ich annehmen, dass es andere Transportmöglichkeiten gab als dickbäuchige, schwerfällige Frachtschiffe.
Der Landweg dürfte jedenfalls nicht schneller gewesen sein. Man müsste ja von der Levante oder Griechenland aus Gebirge wie den Balkan oder die Alpen überqueren und einmal die Adria umrunden. Per Schiff war garantiert die schnellste Verbindung, ob nun Trireme oder Oneraria.
 
Austern wurden doch in Seewasserfässern transportiert!?
Verderbliches Obst kann man Frühreif ernten, vorsichtig einpacken, dann geht dass auch einige Zeit.
Mit verderblich im heutigem Sinne meinte ich z.B. frische Milchprodukte, leicht verderbliches Obst und Gemüse, Frischfleisch, usw., eben alles was eigentlich eine Kühlkette braucht, oder entsprechend verarbeitet werden muß.

In einigen Regionen wird sicherlich auch Natureis zur Verfügung gestanden haben.
 
Der Landweg dürfte jedenfalls nicht schneller gewesen sein.

Ich dachte auch eher an schnellere Schiffe. Seien es kleinere Schiffe mit besseren Segeleigenschaften, oder geruderte Schiffe. Beides kaum geeignet, um Massenfrachten für die breite Bevölkerung zu transportieren, aber ich meint ja auch die Delikatessen für die oberen 10.000.
 
In römischen Quellen werden zumindest immer wieder Austern aus Britannien erwähnt,
Ich habe als Junge in Colchester am Ufer des River Colne und in Baugruben der Stadt die riesigen Mengen an Austernschalen gesehen. Die ganze Infrastruktur der römischen Stadt war auf Fernhandel ausgerichtet. Es waren aber eher kleine Schiffe die dann über die nicht harmlose Nordsee nach Gallien fuhren, denn es gab keinen weiteren Umschlagplatz flussabwärts.
Damit ist natürlich die Frage von @Scorpio nach der Segeltechnik nicht beantwortet.
 
Auf der Webseite NAVIGATION ALGORITHM – i-MareCulture gibt es ein interessantes wissenschaftliches Projekt, welches sich mit den antiken Handelsrouten im Mittelmeer unter Einbezug des Windes widmet. Man kann sich zwei beliebige Häfen im östlichen Mittelmeer aussuchen und sich eine Route an einem beliebigen Tag im Jahr berechnen lassen.
Mit eingeschaltetem "Wind Grid", sieht man gut, wie und wo gegen den Wind gekreuzt werden musste.

Ob das antike Seefahrer jedoch überhaupt in Erwägung zogen, daran zweifelt eine Gruppe von Forschern in Israel:
D. Gal, H. Saaroni & D. Cvikel (2023) Windward Sailing in Antiquity: The Elephant in the Room, International Journal of Nautical Archaeology, 52:1, 179-194 https://www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/10572414.2023.2186688

Der Artikel ist für mich schwierig, da ich nichts vom Segeln verstehe, ihre Hypothese meine ich aber verstanden zu haben, nämlich dass die antiken Seeleute nicht so viel konnten oder wollten, wie es mit ihren Schiffen möglich gewesen wäre.
The human factor, i.e., the limits of mariners’ reasonability, significantly outweighed the ships’ windward sailing abilities.

Oben verlinkte Seite bietet übrigens auch ein Spiel mit dem Namen "Seafarer" zum (gratis) Download an, in dem man die Rolle eines Kapitäns in der Antike übernehmen kann und nach jedem Tag neu entscheiden muss wie es weitergehen soll. Die Winde ändern sich dabei auf Grund heutiger Winddaten. Die Idee für das Spiel finde ich toll, mit der Umsetzung scheint es noch nicht ganz zu klappen oder ich hab den Dreh einfach noch nicht raus.
 
Der Transport über Land war zwar schneller, aber nicht überall möglich. Zum Teil waren auch wesentlich längere Strecken zu bewältigen. Deswegen konnte man sich als Schiffskapitän leisten, mehrere Tage in einem Hafen, auf günstigen Wind hoffend, zu verbringen.
Die Menge an Gütern, die ein Schiff transportieren konnte, war im Vergleich zum Landtransport um ein Vielfaches größer. Daran hat sich bis heute nichts geändert: Menge schlägt Schnelligkeit – außer natürlich bei verderblichen Lebensmitteln.

Zu Handelsschifffahrt in der Antike siehe Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Schiffe_der_Antike#Handelsschiffe
 
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