frage ich mich, ob die Übersetzung dermaßen übelst schlecht ist oder Bullock tatsächlich von "Papen und der Clique um den Reichspräsidenten" spricht, was dann mangels hinreichender Distanz dagegen spräche, ihn ernst zu nehmen.
Zurück zu Hindenburg: Das war Politik, also ging es um für zweckmäßig befundene Bündnisse und nicht um Cliquen. Nachher sind wir alle schlauer und haben jeden Anlass zu der Annahme, dass es Hindenburg sicherlich nicht gefallen hätte, was aus der Regierung Hitler geworden ist.
Die "politischen Berater" um Hindenburg haben in der Literatur die Phantasie der Historiker geweckt. Dieses undurchsichtige Netzwerk von Personen und Interessen wurde als "Clique", als "Berliner Machtkartell" oder als "Kamarilla" bezeichnet. Und diese Begriffsbildung ist der Versuch, ein politisches Einflusszentrum zu beschrieben, das außerhalb der politischen Legalität und Legitimität gegen die Weimarer Republik agierte. Deswegen ist die Kritik an Bullock völlig überzogen!
Ansonsten ist die Wahrnehmung von Hindenburg, wie oben bei "Hans forscht" beschrieben, 1. inhaltlich nicht zutreffend und 2. entlastet aus diesem Grund Hindenburg und seine "Clique" in seiner/ihrer problematischen Rolle.
Der Sichtweise von hatl kann ich mich zum großen Teil dagegen anschließen, nicht zuletzt da er Fakten in Anlehnung an kompetente Historiker liefert. Was andere nicht tun und durch "Meinung" ersetzen!
Am 20. Mai 1928 war die politische Welt der Weimarer Republik oberflächlich betrachtet relativ intakt. Die SPD, als eine der wichtigsten Garanten der WR, war mit 29,8 Prozent als stärkste Partei aus der Wahl hervorgegangen (vgl. 6, S. 71) und insgesamt wurde dieser Wahl ein „Linksrutsch“ zugesprochen. Die NSDAP hatte lediglich einen Anteil von 2,6 Prozent und war politisch faktisch „tot“.
Die gesellschaftliche Situation, aus der Sicht eines Amerikaners, kann mit Shirer in ihren Oberflächenphänomenen gut beschrieben werden: „A wonderful ferment was working in Germany. Life seemed more free, more modern, more exciting than in any place I had ever see. …The old oppressive Prussian spirit seemed to be dead. Most Germans one met….struck you as being democratic, liberal, even pacifist.” (13, Loc 2882). In ähnlicher Weise beschreibt Mai die generelle Situation in der WR, die durch Fortschrittsoptimismus und radikale Kulturkritik geprägt war, begleitet durch die Auflösung von traditionellen Normen und Milieus (10, S. 18ff).
Zu diesem Zeitpunkt, 1928, gab es vermutlich niemanden, inklusive Hitler, der die Erosion der politischen Systems der WR bis 1933 prognostiziert hätte.
Versucht man dennoch Faktoren zu benennen, dann wirken Faktorenbündel zu unterschiedlichen Phasen der WR, die aufeinander aufbauen und erst in bestimmten historischen Kontexten politisch relevant werden konnten.
Für die Übergangsphase vom Kaiserreiche zur WR (1918-1919) sind es zwei Faktoren, die bei Wehler auch als „strukturelle Belastungen“ thematisiert werden und die politische Kultur von Weimar prägen sollten:
1.Der Zusammenbruch des wilhelminischen politischen Systems ohne eine umfassende Veränderung, auch einen personellen Neuanfang, des politischen Systems. Und mit der Konsequenz, das die politische Machtbasis der ostelbischen, nicht selten aristokratischen, Großagrarier weitgehend intakt geblieben ist.
2.Der verlorene Krieg und seine vertragliche Festschreibung des juristisch definierten "Schuldeingeständnisses" im VV inklusive der Formulierung der Dolchstoßlegende eines angeblich unbesiegten Heeres im Felde. Und der Möglichkeit zur innen- und außenpolitischen Instrumentalisierung durch deutschnationale konservative Kreise.
Für die Erklärung der politischen Instabilität der WR sind zwei Aspekte relevant, die destabilisierend in der Schlussphase auswirken sollten.
A. Mit der Verfassung der WR wurde einem „jakobinischen, Parlamentarismus" der Riegel vorgeschoben, der die Legislative und die sie tragenden Parteien gegenüber anderen Organen der Verfassung schwächte. Verstärkt durch das tradierte wilhelmische Verhaltensmuster, das auf eine relativ starke Distanz zwischen den jeweiligen Vertretern der Parteien in der Regierung und ihren eigenen Parteien hinauslief (4, S. 500).
Dieses strukturelle Missverständnis des Parlamentarismus lief auf eine vertikale Trennung zwischen Exekutive und Legislative hinaus, anstatt die horizontale Trennung nach Regierungsparteien und Oppositionsparteien zu betonen. Die Konsequenz für die WR war, dass es die Formulierung eines übergreifenden, die Parteien bzw. ihre Vertreter im Reichstag bindenden Konsens deutlich erschwerte. Und stattdessen fast alle Parteien im Reichstag in sehr enger Anbindung an die Interessenstrukturen Ihrer Klientel agierten. Deutlich wird das im rechten Spektrum, aber betrifft auch hochgradig die KPD und ihr Versagen bei der Bewertung der politischen Rahmenbedingen im Zuge der ersten Wahl von Hindenburg im Jahre 1925. Und an diesem Punkt wird dann ersichtlich, dass die Verweigerungshaltung der zentrale Aspekt ist, den man der KPD im Jahr 1925 im Besonderen und bis 1933 im Allgemeinen vorhalten kann. Und als Ursache wird man die völlig absurde Theorie des „Sozialfaschismus“ an die Adresse der SPD benennen können.
B. Eine weitere problematische Entscheidung betraf die Position des Präsidenten und seiner direkten plebiszitären Legitimation. Die Verfassungsgeber räumten dem Präsidenten, in retrospektiver Huldigung des autokratischen Prinzips des Monarchen, eine sehr starke Position ein und verschoben die Gewichtung in Richtung Präsidialamt und weg vom Parlament. Auf die problematische politische Rolle, die die Judikative in diesem Zusammenhang spielt, soll nicht näher eingegangen werden.
Die politischen, strukturellen Rahmenbedingungen für den finalen Akt ab 1929 der WR lassen sich so kurz beschreiben und ermöglichen einen Blick die politische Strategie der politischen Legalisten (SPD), monarchischen Revisionisten (Hindenburg, Meissner, Brüning, Papen), politischen Zauberlehrlingen (Schleicher & Hammerstein) und radikalen Hazardeuren (Hitler).
Zur Verschärfung der strukturell bedingten politischen Polarisierung nach 1928 haben eine Reihe von unvorhergesehenen Ereignissen entscheidend zusätzlich beigetragen.
Als unabhängige Randbedingung ist sicherlich die Weltwirtschaftkrise 1929/30 zu benennen, die die wirtschaftliche Deprivierung der Mittelschicht wieder massiv in den Vordergrund stellte und die Attraktivität einer völkischen Solidaritätsgesellschaft jenseits von Klassen verstärkte. Und einer der Gründe für die zunehmende Popularität von Hitler bildetete.
Bedeutsam ist jedoch vor allem der Schritt von Schleicher im Frühjahr 1929 (11, S. 343), Hindenburg davon zu überzeugen, Brüning als neuen Reichskanzler einzusetzen und die SPD von der weiteren Regierungsverantwortung auszuschließen (11, S. 349 und 9, S. 132 ff). An diesem Punkt treffen sich die Interessen der Vertreter des „alten Nationalismus“ (Monarchisten) und die des „völkischen Nationalismus“ (3).
Und es bilden sich politische Gravitationszentren, die teils ähnliche teils widersprechende politische Vorstellungen verfolgten. Dennoch kann man sicherlich als Übereinstimmung zwischen Brüning und der Kamarilla um Hindenburg einen starken monarchischen Revisionismus erkennen. Der noch deutlicher wird in seiner Bindung an die Interessen der ostelbischen Großagrarier und der Wiederherstellung ihrer ursprünglichen wirtschaftlichen, sozialen und politischen Situation bzw. Privilegien dienen sollte (vgl. 1 und 2).
Dass Schleicher dann Papen mit Hilfe einer „Bürgerkriegsstudie“ der RW entmachtet (4, S. 485) und sich selber via Hindenburg als Kanzler einsetzt und eine „Querfront“ verfolgt, die zum Entzug des Vertrauens durch Hindenburg führt, sei noch angeführt, um das intrigenhafte Spiel im Umfeld von Hindenburg zu beleuchten. Und es war auch ein Wehrkreiskommandeur, General v. Blomberg, der sich für die Absetzung Schleichers stark gemacht hatte. Wie insgesamt die Rolle der RW am Zusammenbruch der WR noch nicht ausreichend aufgearbeitet worden, wie Wehler konstatiert (15, S.582).
Und die letzte Phase zeigte ebenfalls die weitgehende Entmachtung des Parlaments und auch die völlig Ratlosigkeit der größten pro-republikanischen Kraft, der SPD, wie sie mit der Herausforderung durch Hitler umgehen sollte (14).
Es gab somit einen politischen Konsens rechts von der SPD, der die neue Qualität der politischen Kultur in der Weimarer Republik beschrieb. Es war die Lösung vom monarchistischen Weltbild als politisch wünschenswertes System, das dennoch die autokratische Sichtweise als Traditionsbestand fortführte und es durch die zielorientierte "Funktionalität" militärischer Sichtweisen, sprich als Militärdiktatur, ergänzte. Dabei waren sich Hammerstein und andere im klaren darüber, dass es der zusätzlich Akklamation durch die Massen bedurfte, als Legitimation der konservativen Eliten und deswegen war Hitler eine notwendige Ergänzung. Der Konsens war der Wille zum Staatsstreich und der Neugestaltung der politischen Kultur.
Auch um dieser Aussage ein zusätzliches Gewicht zu geben, ein Ausschnitt aus Frei, der die Absicht der Regierung Hitler / Papen vom Nov. 1932 kommentiert.
"Erklärte gemeinsame Absicht der Koalition war die Befreiung der deutschen Politik vom Marxismus. Die Kommunisten, ..., sollten ausgeschaltet werden, die Sozialdemokraten ...und mit ihnen die Gewerkschaften zumindest jeglicher Relevanz entledigt werden. Den Parlamentarismus war die reaktionäre Rechte [mein Hinweis: um Hindenburg] satt. Ihr ging es um die Errichtung eines dauerhaften autoritären Präsidialregimes. ....Der Vizekanzler [Papen] konnte der Zustimmung Hitlers sicher sein, als er in der zweiten Kabinettssitzung am 31. Januar erklärte, "es sei am besten, schon jetzt festzulegen, daß die kommende Wahl zum Reichstag die letzte sein solle und eine Rückkehr zum parlamentarischen System für immer zu vermeiden sei"." (S. 45)
Der Führerstaat: Nationalsozialistische Herrschaft 1933 bis 1945 - Norbert Frei - Google Books
In diesem Sinne wird die verheerende Rolle von Hindenburg und seiner Kamarilla für die Vorbereitung der Machtübernahme durch Hitler deutlich unterschätzt. Die Errichtung einer Militärdiktatur war im Prinzip eine beschlossene Sache. Vollendet allerdings nicht durch die reaktionären konservativen Eliten, sondern durch den Nationalsozialisten Hitler.
Ein Resümee soll in Anlehnung an Büttner und Wehler erfolgen: „ Die Weimarer Republik mußte in der kurzen Zeit ihres Bestehens mit enormen Schwierigkeiten fertig werden. Wegen ihrer großen strukturellen Vorbelastungen, der vielfältigen sozialen Spannungen, der Schwäche ihrer Eliten und der überzogenen Erwartungen ihrer Bürger war sie dafür schlecht gerüstet. Den letzten Stoß aber erhielt sie durch den revisionistischen Ehrgeiz einer konservativen politischen Führung, die seit der Ära Brüning inmitten einer dramatischen Wirtschafts- und Staatskrise danach strebte, die außen- und innenpolitische Niederlage von 1918 zu überwinden.“ (4, S. 509) und Wehler formuliert:“ Daher erwies es sich als Tragödie, dass das Berliner Machtkartell [gemeint ist Hindenburg und Umgebung], geblendet vom eigenen Interessenegoismus, es überhaupt unternommen hatte, mit Hitler und seiner Bewegung die Gegenrevolution gegen Weimar zu vollenden.“ (15, S. 593).
1.Bracher, K.D.: Die Auflösung der Weimarer Republik, 1984
2. Bracher, K.D.: Die deutsche Diktatur. 1996/1979
3.Breuer, S: Die radikale Rechte in Deutschland 1871-1945, 2010
4.Büttner, U. Weimar. Die überforderte Republik 1918 – 1933, 2008
5. Dahrendorf, R.: Gesellschaft und Demokratie in Deutschland, 1965
6.Falter, J., T. Lindenberger, S. Schumann: Wahlen und Abstimmung in der Weimarer Republik, 1986
7.Jesse, E.: Systemwechsel in Deutschland, 2010
8.Kluge, U.: Die Weimarer Republik, 2006
9.Kolb, E.: Die Weimarer Republik, 2009
10.Mai, G.: Europa 1918 – 1939, 2001
11.Mommsen, H. Aufstieg und Untergang der Republik von Weimar, 2009
12.Möller, H. Die Weimarer Republik. 2004
13.Shirer, W.L: The Rise and the Fall of the Third Reich, 1961/2011
14.Smaldone, W. : Confronting Hitler: German Social Democrats in Defence oft he Weimarer Republic, 1929 – 1933, 2009
15.Wehler, H-U: Deutsche Gesellschaftsgeschichte 1914 – 1949, 2008