Es hat schon immer Hypothesen gegeben, die Europa zum Ursprungsgebiet der Indoeuropäer erklärt haben. Ein prominenter Vertreter dieser Theorie ist der Forscher Hans Krahe, der anhand des europäischen Gewässernetzes erkannt haben will, "dass die einheitliche alteuropäische Hydronomie in allen ihren Teilen aus echt indogermanischem Sprachmaterial aufgebaut ist und dass nördlich der Alpen keine älteren Namensschichten fassbar sind".
Obwohl ich, wie viele andere, die These favorisiere, dass der Ursprungsgsraum der Indoeuropäer die Steppengebiete nördlich des Kaspischen und Schwarzen Meers sind, hat die Krahe-These für mich zumindest mehr Wahrscheinlichkeit, als Renfrew mit seiner Anatolien-Spekulation.
Die Krahe-Theorie ist meines Erachtens – wie alle diese Spekulationen – nicht vollends überzeugend. Selbst wenn Krahe mit seiner Hydronomie recht haben sollte, so beweisen die ausschließlich indoeuropäischen Gewässernamen noch längst nicht, dass die Indoeuropäer keine Vorbevölkerung gehabt haben sollten. Indoeuropäische Invasoren könnten im Verlauf langer Zeitspannen die Gewässer neu benannt haben, sodass alteuropäische Völker nicht mehr durchscheinen.
Ab etwa 6000 v. Chr. haben wir in Europa mit dem Vordringen des Ackerbaus eine lang andauernde neolithische Kultur. Ab etwa 2400 v. Chr. setzt ein Zerfall ein und eine völlige Neuordnung der alten kulturellen Grundstrukturen. Es handelt sich dabei um einen so durchgreifenden Wechsel, dass er nicht mit lokalen kulturellen Veränderungen erklärt werden kann.
Um 2400-2200 v. Chr. erscheinen Elemente der Kurgan-Kultur wie Hügel- und Grubengräber sowie auf dem Rücken liegende Skelette mit angezogenen Beinen, ferner mit Ocker bestreute Grabstätten, steinerne Keulenspitzen, Streitäxte und mit Stempeln oder mit Schnureindrücken verzierte Keramik. Alle Megalithgräber werden nicht mehr benutzt und weichen neuen Arten der Bestattung (Einzelgräber statt Kolllektivbestattung).
Zur gleichen Zeit findet sich in Griechenland eine Zerstörungsschicht von Frühhelladisch II, und zwar etwa um 2300-2200 V. Chr. Gleichzeitige Veränderungen sind aus Westanatolien bekannt, und in Troja erscheinen neue Elemente in der Mitte der Schicht Troja II. Ferner fällt Troja um 2300 v. Chr. einer Feuersbrunst zum Opfer.
Der Grundcharakter der bandkeramischen Kultur umfasst große Dörfer, in Mitteleuropa mit langen Häusern, hinsichtlich der Religion herrschen Fruchtbarkeitskulte - möglicherweise mit Mutterrecht – vor. Diese bandkeranische Kultur hat nichts gemeinsam mit den wandernden, Herden züchtenden, nach Vaterrecht lebenden und sozial geschichteten indoeuropäischen Gemeinschaften.
Als Elemente der neuen (indoeuropäischen) Kurgan-Kultur in Mitteleuropa auftauchten, wurden die Kulturen der alten neolithischen Bevölkerungsgruppen zerstört oder lösten sich auf. Wir haben es jetzt in Mittel- und Nordeuropa zu tun mit der Streitaxt-Kultur und der schnurkeramischen Kultur, im Norden Russlands mit der Fatjanowo-Kultur.
Den völligen Wechsel der Kulturen in Mittel- und Nordeuropa, verbunden mit den oben aufgeführten Strömungen und Ereignissen, halte ich für so überzeugend, dass eine Kurgan-Kultur für mich einen hohen Grad von Wahrscheinlichkeit besitzt.
Hier wäre festzuhalten, dass die Steppengebiete Südrusslands von vielen Forschern bereits lange vor Auftauchen der Kurgan-Theorie als Ursprungsraum einer indoeuropäisch sprechenden Bevölkerung genannt wurden. Erst Marija Gimbutas grenzte dann diese Hypothesen ein und fokussierte sie auf das von ihr postulierte Kurganvolk, das in etwa mit der südrussischen Ockergrab-Kultur identisch ist.
In sprachlicher Hinsicht argumentiert sie folgendermaßen: Die ursprünglichen Siedlungsgebeite der frühen Indoeuropäer müssten vor ihrer Zerstreuung in der Nachbarschaft der finno-ugrischen, der kaukasischen und der semitischen Sprachfamilie gelegen haben. Das sieht sie beim postulierten Kurgan-Volk als gegeben an.