Indogermanen, Konstrukt oder Wirklichkeit?

Die aġlabidischen Araber waren belesen, ihre Stadt Qairawān drüben in Tunis galt als Zentrum der Gelehrsamkeit. Überhaupt waren Araber zu der Zeit in Sachen Wissenschaft ganz oben, und das geht ohne Schulen nicht.
Ich habe nie geschrieben, dass es keine Schulen gab. Ich habe geschrieben, dass Schulbildung in vormodernen Gesellschaften - und das gilt auch für Zentren der Gelehrsamkeit, wie Baghdad, Qairawān und Córdoba - kein Massenphänomen war. So nämlich behandelst du Schulbildung in dieser Diskussion.

Auch hier wäre eine präzise Lektüre dessen, was ich schrieb, sinnvoll gewesen. Deine Hypothese: Die Römer outnumberten (sorry für den Anglizismus) die Gallier. Ja, es gab Massaker während des Gallischen Krieges, die genozidale oder ethnozidale Tendenzen hatten, unbestritten. Aber diese erreichten nicht das Ausmaß, welches du ihnen unterstellst. Es ging Caesar nicht darum, Gallien zu entvölkern!
 
Wollen wir, El Quijote, nicht diesen sinnlosen Streit beenden? Ich jedenfalls habe keine Lust mehr, mich um Nuancen in den Beiträgen zu streiten – beispielsweise, ob das, was Caesar in Gallien anrichtete Genozid war oder nur genozidalen Charakter hatte. Das ist ein Streit um Worte, nicht um die Sache.

Ich möchte nicht jedes Wort auf die Goldwage legen müssen, wenn ich hier Beiträge verfasse, dies vor allem dann nicht, wenn es sich um Nebenaspekte handelt wie die, ob eine Zweisprachigkeit bzw. geschlechtsabhängige Erziehung in Sizilien möglich war oder wie es dort um die Schulen bestellt war.

Das kostet Zeit und Energie, die wir besser auf die Hauptfragen verwenden sollten, die da heißt: Ist die Hypothese Gimbutas‘ für die Verbreitung der indogermanischen Sprachen glaubwürdiger als andere?

Es wird gesagt, dass Folgendes für ihre Hypothese spricht:

1. (bessere) Bewaffnung
2. (bessere?) Organisation
3. (bessere?) Religion
4. Kavallerie

Was spricht dagegen?

Gegen Punkt 1 lässt sich nichts sagen.

Beim Punkt 2 kann man sich streiten, ob eine nach dem Führerprinzip organisierte Gesellschaft besser ist als eine auf Gleichberechtigung basierende. Immerhin haben solche Vorgängerkulturen es fertig gebracht, tonnenschwere Steine teilweise über hunderte von Kilometern zu transportieren und aufzustellen, wofür mehrere tausend Menschen über längere Zeit hinweg koordiniert zu Werke gehen mussten.

Beim Punkt 3 spricht viel dafür, dass die Urnenfeldkultur gleichzeitig mit der indogermanischen Sprache auftauchte, denn die Grenzen der Sprache sind ungefähr auch die Grenzen der Religion.

Beim Punkt 4 hapert’s gewaltig: Die Kurganvölker sollen Reiterkrieger gewesen sein, was ein wesentlicher Vorteil gegenüber pferdelosen Altsiedlern Europas wäre. Es fanden sich jedoch keine Trensen, die beweisen würden, dass die Pferde auch tatsächlich geritten/gelenkt wurden.

Zusammenfassend würde ich sagen:

Punkt 1 (Bewaffnung) spricht eindeutig für Gimbutas‘ Hypothese.
Punkt 2 (Organisation) ist unentschieden.
Punkt 3 (Religion) spricht pro Gimbutas.
Punkt 4 (Kavallerie) spricht gegen Gimbutas.

Was sagt ihr zu dieser Aufstellung?
 
Ich versuche in diesem Beitrag eine sehr abkürzende Darstellung der Argumentation David W. Anthonys für eine Lokalisierung der Proto-Indoeuropäischen (in meinem weiteren Text auch ´PIE´) "Urheimat" (homeland) genau dort, wo auch Marija Gimbutas sie vermutete, nämlich

(The Horse, the Wheel, and Language, 99)

west of the Ural Mountains, between the Urals and the Caucasus, in the
steppes of eastern Ukraine and Russia.

Auf S. 82 hebt Anthony ausdrücklich hervor, dass es in den letzten Jahrzehnten vor allem (notably) Marija Gimbutas und Jim Mallory waren, die auf überzeugende Weise (persuasively) für eine Lokalisierung in den pontisch-kaspischen Steppen argumentierten:

The evidence will take us down a well-known path to a familiar destination: the grasslands north of the Black and Caspian Seas in what is today Ukraine and southern Russia, also known as the Pontic-Caspian steppes (figure 5.1). Certain scholars, notably Marija Gimbutas and Jim Mallory, have argued persuasively for this homeland for the last thirty years, each using criteria that differ in some significant details but reaching the same end point for many of the same reasons.

Dann weist Anthony auf neue Forschungsergebnisse (recent discoveries) hin (die Herrn Häusler, der von einer autochtonen Entstehung ausgeht, wohl entgangen sind), welche die Steppen-Hypothese derart bestärken, dass man vernünftigerweise annehmen kann, dass das Homeland in diesen Steppen lag:

(82)
Recent discoveries have strengthened the Pontic-Caspian hypothesis so significantly, in my opinion, that we can reasonably go forward on the assumption that this was the homeland.

Auf S. 89 betont Anthony, dass es sich bei dieser Theorie keinesfalls um einen "rassistischen Mythos" handelt (wie Herr Häusler anzunehmen scheint) oder um eine "pure theoretische Phantasie":

The Proto-Indo-European homeland is not a racist myth or a purely
theoretical fantasy. A real language lies behind reconstructed Proto-Indo-
European, just as a real language lies behind any dictionary.

Dann erläutert er die Methode einer Rekonstruktion der PIE Sprache. Dabei gilt es, Vokabeln zu identifizieren, die sich auf Tier- und Pflanzenarten sowie auf Technologien beziehen, die ausschließlich an bestimmten Orten und zu bestimmten Zeiten existierten. Dadurch könne man das Ursprungsgebiet eingrenzen:

(89)
The first step is to identify roots in the reconstructed Proto-Indo-European vocabulary referring to animal and plant species or technologies that existed only in certain places at particular times. The vocabulary itself should point to a homeland, at least within broad limits.

Als gute Indikatoren können z.B. die PIE Vokabeln für "Biene" und "Honig" dienen, da anhand deren Vorkommens und Nicht-Vorkommens das Suchgebiet nach dem Ausschlussverfahren eingegrenzt werden kann:

Bee and honey are very strong reconstructions based on cognates in
most Indo-European languages. (...) Honeybees
were not native east of the Ural Mountains, in Siberia, because the hard-
wood trees (lime and oak, particularly) that wild honeybees prefer as
nesting sites were rare or absent east of the Urals. If bees and honey did
not exist in Siberia, the homeland could not have been there. That re-
moves all of Siberia and much of northeastern Eurasia from contention,
including the Central Asian steppes of Kazakhstan.

Als Homeland des PIE kommen also weder Sibirien noch der größte Teil des nordöstlichen Eurasien in Frage.

Die Pferd-Vokabel *ek*wo- ist ein weiterer Indikator, der - 1) wegen des quantitativ erheblichen Vorkommens von Pferden allein in den eurasischen Steppen und 2) wegen des (Fast-)Nichtvorkommens im Nahen Osten, im Iran und in Indien - das westlich von den eurasischen Steppen gelegene "temperate (= klimatisch gemäßigte) Europe" sowie den Nahen Osten, Iran und Indien und die gemäßigten Zonen Anatoliens und des Kaukasus aus der Rasterfahndung ausschließt:

(91)
The horse, *ek*wo-, is solidly reconstructed and seems also to have been a potent symbol of divine power for the speakers of Proto-Indo-European. Although horselived in small, isolated pockets throughout prehistoric Europe, the Caucasus, and Anatolia between 4500 and 2500 BCE, they were rare or absent in the Near East, Iran, and the Indian subcontinent. They were numerous and economically important only in the Eurasian steppes. The term for horse removes the Near East, Iran, and the Indian subcontinent from serious contention, and encourages us to look closely at the Eurasian steppes. This leaves temperate Europe, including the steppes west of the Urals, and the temperate parts of Anatolia and the Caucasus Mountains.

Aus dem Suchbereich zu eliminieren sind auch alle Gebiete, wo nach 2500 BCE noch Wildbeutergesellschaften existierten, weil PIE von da an eine tote Sprache (dead language) war, das von Bauern und Viehzüchtern gesprochene PIE in diesen Gebieten also nicht entstanden sein kann. Damit fallen das klimatisch gemäßigte Nordeuropa und Sibirien (das bereits durch den Honig-Indikator ausgeschlossen ist) sowie die kasachischen Steppen östlich vom Ural aus der Rechnung:

(93)
The speakers of Proto-Indo-European were tribal farmers and stock-
breeders. Societies like this lived across much of Europe, Anatolia, and
the Caucasus Mountains after 6000 BCE. But regions where hunting and
gathering economies persisted until after 2500 BCE are eliminated as
possible homelands, because Proto-Indo-European was a dead language
by 2500 BCE. The northern temperate forests of Europe and Siberia are
excluded by this stockbreeders-before-2500 BCE rule, which cuts away
one more piece of the map. The Kazakh steppes east of the Ural Moun-
tains are excluded as well. In fact, this rule, combined with the exclusion
of tropical regions and the presence of honeybees, makes a homeland anywhere
east of the Ural Mountains unlikely.


Desweiteren gibt es auffällige Beziehungen zwischen PIE und der proto-uralischen Sprache, die auf eine enge geographische Nachbarschaft schließen lassen. Auszuschließen ist aber ein Gebiet östlich des Ural, da dort erst nach 2500 BCE Tiere domestiziert wurden, das ab 2500 BCE tote Viehzüchter-PIE dort also nicht entstanden sein kann (siehe auch vorausgehende Argumentation, die East-of-Ural schon wegen anderer Gründe ausschloss):

(96-97)
These two kinds of linguistic relationship — a possible common ancestral
origin and inter-language borrowings — suggest that the Proto-Indo-
European homeland was situated near the homeland of Proto-Uralic, in
the vicinty of the southern Ural Mountains. We also know that the speak-
ers of Proto-Indo-European were farmers and herders whose language
had disappeared by 2500 BCE. The people living east of the Urals did not
adopt domesticated animals until after 2500 BC. Proto-Indo-European
must therefore have been spoken somewhere to the south and west of the Urals, the only region close to the Urals where farming and herding was regularly practiced before 2500 BCE.

Schießlich fasst Anthony seine Überlegungen wie folgt zusammen:

(99)
We can exclude all regions where hunter-gatherer economies survived up to 2500 BCE. That eliminates the northern forest zone of Eurasia and the Kazakh steppes east of the Ural Mountains. The absence of honeybees east of the Urals eliminates any part of Siberia. The temperate-zone flora and fauna in the reconstructed vocabulary, and the absence of shared roots for Mediterranean or tropical flora and fauna, eliminate the tropics, the Mediterranean, and the Near East.
Proto-Indo-European exhibits some very ancient links with the
Uralic languages, overlaid by more recent lexical borrowings into Proto-
Uralic from Proto-Indo-European; and it exhibits less clear linkages to
some Pre- or Proto-Kartvelian language of the Caucasus region. All these
requirements would be met by a Proto-Indo-European homeland placed west of the Ural Mountains, between the Urals and the Caucasus, in the steppes of eastern Ukraine and Russia. The internal coherence of reconstructed Proto-Indo-European — the absence of evidence for radical internal variation in grammar and phonology — indicates that the period of language history it reflects was less than two thousand years, probably less than one thousand. The heart of the Proto-Indo-European period probably fell between 4000 and 3000 BCE, with an early phase that might go back to 4500 BCE and a late phase that ended by 2500 BCE.
 
Zuletzt bearbeitet:
Wollen wir, El Quijote, nicht diesen sinnlosen Streit beenden? Ich jedenfalls habe keine Lust mehr, mich um Nuancen in den Beiträgen zu streiten – beispielsweise, ob das, was Caesar in Gallien anrichtete Genozid war oder nur genozidalen Charakter hatte. Das ist ein Streit um Worte, nicht um die Sache.

Doch, es handelt sich sehr wohl um die Sache. Mir geht es hier nicht um eine Bewertung der Ereignisse in Gallien, sondern darum, dass du versuchst, den Genozid in Gallien, von dem du hier im Forum gelesen hast, für deine These heranzuziehen, die Römer wären [nach dem Genozid] den Galliern zahlenmäßig überlegen gewesen und deshalb sei es zum Sprachwechsel vom Keltischen zum Lateinischen gekommen. Letztendlich geht es also um deine Behauptung, dass die reine Bevölkerungsmehrheit ausschlaggebend für den Sprachwechsel sei. Wir haben verschiedene Beispiele gesehen, wo das eben nicht der Fall ist. Die Römer und die latinisierten Gegenden sind ein solches Beispiel.

Ich möchte nicht jedes Wort auf die Goldwage legen müssen, wenn ich hier Beiträge verfasse, dies vor allem dann nicht, wenn es sich um Nebenaspekte handelt wie die, ob eine Zweisprachigkeit bzw. geschlechtsabhängige Erziehung in Sizilien möglich war oder wie es dort um die Schulen bestellt war.
Das geht mir ganz genauso, etwa wenn ich vom Westmittelmeer rede und dem Kontext nach klar sein müsste, dass ich das römische Westreich meine. Also bitte nicht mit zweierlei Maß rechnen.
Im Übrigen ging es beim aghlabidischen Sizilien um den Pragamatismus des Modell, nicht um die Goldwaage. Es ist einfach nicht glaubwürdig eine über mehrere Generationen andauernde geschlechtsspezifische Diglossie-Situation anzunehmen.

Das kostet Zeit und Energie, die wir besser auf die Hauptfragen verwenden sollten, die da heißt: Ist die Hypothese Gimbutas‘ für die Verbreitung der indogermanischen Sprachen glaubwürdiger als andere?

Es wird gesagt, dass Folgendes für ihre Hypothese spricht:

1. (bessere) Bewaffnung
2. (bessere?) Organisation
3. (bessere?) Religion
4. Kavallerie

Was spricht dagegen?

Gegen Punkt 1 lässt sich nichts sagen.
Welchen Einfluss hat denn bessere Bewaffnung - die jetzt mal dahingestellt sei - auf den Sprachwechsel?

Beim Punkt 2 kann man sich streiten, ob eine nach dem Führerprinzip organisierte Gesellschaft besser ist als eine auf Gleichberechtigung basierende.
Fakt ist, wir wissen so gut wie nichts über die gesellschaftliche Organisation der Indoeuropäer und wir wissen ebenso wenig über die gesellschaftliche Organisation der vorindoeuropäischen Bevölkerung. Demenstprechend kann man dazu auch nichts sagen, ob sie besser oder schlechter organisiert waren. Fraglich auch hier, ob das für einen Sprachwechsel ausschlaggebend gewesen wäre.


Beim Punkt 3 spricht viel dafür, dass die Urnenfeldkultur gleichzeitig mit der indogermanischen Sprache auftauchte, denn die Grenzen der Sprache sind ungefähr auch die Grenzen der Religion.
Einen Zusammenhang zwischen der Verbreitung Indoeuropäischen und der UFK kann ich eigentlich nicht sehen. Am ehesten wäre noch ein Zusammenhang mit dem Keltischen zu postulieren, wenn man das Verbreitungsgebiet der UFK und den archäologisch den Kelten zugeordneten Halltstatt- und La Tène-Kulturen vergleicht.

Beim Punkt 4 hapert’s gewaltig: Die Kurganvölker sollen Reiterkrieger gewesen sein, was ein wesentlicher Vorteil gegenüber pferdelosen Altsiedlern Europas wäre. Es fanden sich jedoch keine Trensen, die beweisen würden, dass die Pferde auch tatsächlich geritten/gelenkt wurden.
Der archäologische Nachweis von Trensen dürfte auch schwierig sein, insbesondere dann, wenn es sich um organisches Material handelte. Ist aber von der Methodik her für ein sprachhistorisches Thema eh fragwürdig heranzuziehen. Es gibt seit dem 19. Jahrhundert die jüngst von Anthony wieder aufgegriffene Sichtweise, dass Pferdekultur und Verbreitung des Indoeuropäischen zusammenhängen. Ob diese Auffassung korrekt ist oder nicht, darüber enthalte ich mich mangels sprachlich ausreichender Kenntnisse für eine entsprechende Expertise. Fakt ist: Man mag ja bei aller Vorsicht archäologische Kulturen zur Stützung heranziehen, für die Verbreitung des Indoeuropäischen vor dem Zerfall in seine Einzelsprachen können nur sprachliche Befunde, keine archäologischen herangezogen werden.

Punkt 1 (Bewaffnung) spricht eindeutig für Gimbutas‘ Hypothese.
Worin genau siehst du diese Eindeutigkeit?

Punkt 3 (Religion) spricht pro Gimbutas.
Inwiefern?

Punkt 4 (Kavallerie) spricht gegen Gimbutas.
Dieselbe Frage beim Contra, wie beim Pro: Inwiefern?
 
Beim Punkt 2 kann man sich streiten, ob eine nach dem Führerprinzip organisierte Gesellschaft besser ist als eine auf Gleichberechtigung basierende.

"Besser" nach welchen Kriterien? Das "Führerprinzip" (Königtum und Patriarchat) schließt Unterdrückung (z.B. ökonomische Ausbeutung) des Volkes durch eine Aristokratie, soziale Unterdrückung der Frauen und grausame Kriegführung gegen fremde Populationen ein. Ich sehe darin aus ethischer Perspektive alles andere als eine Verbesserung. Die technologischen Entwicklungen, wie sie von diesen Kriegerkulturen hervorgebracht wurden, sind auch in anderen Gesellschaftsformen denkbar, nur dass einige von ihnen vielleicht später entstanden wären, allerdings ohne den massiven Blutzoll, welchen die Kriegerkulturen einforderten.

Beim Punkt 4 hapert’s gewaltig: Die Kurganvölker sollen Reiterkrieger gewesen sein, was ein wesentlicher Vorteil gegenüber pferdelosen Altsiedlern Europas wäre. Es fanden sich jedoch keine Trensen, die beweisen würden, dass die Pferde auch tatsächlich geritten/gelenkt wurden.

Das ist kein Beinbruch. Man braucht einfach nur die "Reiterkrieger" durch pferdegezogene Streitwagen zu ersetzen, mit denen die Kurgan-Gruppen einfielen. Als Reittier wurde das Pferd wohl erst ab 1000 BCE eingesetzt. Dass keine Trensen gefunden wurden, mag sein, aber ihre Spuren wurden gefunden. David W. Anthony hat diesem Thema ein ganzes Kapitel gewidmet. Hier ist eine Passage:

(bit wear = Abnutzungsspuren an den Zähnen durch Zaumzeug)

(The Horse, the Wheel, and Language, 220)

The case for horse management and riding at Botai and Kozhai 1 is
based on the presence of bit wear on seven Botai-Tersek horse P 2 s from two different sites, carcass transport and butchering practices, the discovery of horse- dung-filled stable soils, a 1:1 sex ratio, and changes in economy and settlement pattern consistent with the beginning of riding. The case against riding is based on the low variability in leg thickness and the absence of riding-related pathologies in a small sample of horse vertebrae, possibly from wild hunted horses, which probably made up 75-90% of the horse bones at Botai. We are reasonably certain that horses were bitted and ridden in northern Kazakhstan beginning about 3700-3500 BCE.

In puncto "ridden" irrt er sich aber wohl ebenso wie Gimbutas. Es handelte sich vermutlich nur um Zugpferde.
 
Zuletzt bearbeitet:
Dann weist Anthony auf neue Forschungsergebnisse (recent discoveries) hin (die Herrn Häusler, der von einer autochtonen Entstehung ausgeht, wohl entgangen sind), welche die Steppen-Hypothese derart bestärken, dass man vernünftigerweise annehmen kann, dass das Homeland in diesen Steppen lag:

Ich möchte nicht dahingehend missverstanden werden, dass ich die These von der "Urheimat" (ich mag diesen Begriff einfach nicht) der Indoeuropäer in der südrussischen Steppe ablehne, ich habe im Grunde keine Meinung dazu, weil mir dazu die Faktenbasis fehlt.

Das Problem bei Gimbutas und Häusler ist, dass sie beide im Prinzip von der Archäologie ausgehen, wo Historiolinguistik gefragt ist.

Häusler ist gewissermaßen ein Opfer früherer rassistischer Theorien des "Kossinimus" (Wortschöpfung von mir). Weil er den völkischen Archäolgen Gustav Kossina und dessen "Schule", die letztlich in der archäologischen Sektion im SS-Ahnenerbe zu voller Blüte kam - zu Recht - vehement ablehnt, schüttet er gleich das Kind mit dem Bade aus. Eine Überreaktion also. Das ist letztlich Häuslers Fehler.

Der Fehler der anderen Seite ist, die archäologische Kultur mit der sprachlichen Kultur gleichzusetzen. Also - ohne die rassitische Komponente Kossinas und seiner Erben beim Ahnenerbe - das entgegengesetzte Extrem.

Dabei verhalten sich archäologische Kulturen interessanterweise ähnlich, wie Sprachen, sie haben etwas, was wir in der Dialektologie als Isoglossen bezeichnen. Archäologische Kulturen werden nach Formensprachen klassifiziert. Wenn wir archäologische Kulturen kartieren, dann haben wir eine Fläche die wir als Lausitzer Kultur oder La Tène oder Hallstatt, als Urnenfelder-, Trichterbecker, Przeworsker Kultur oder Wielbark-Kultur bezeichnen. Diese Kartierungen führen uns aber in die Irre. Denn von Ort zu Ort verändert sich die archäologische Kultur ein ganz klein wenig. Und dann stößt man plötzlich wie auf eine feste Grenze auf eine andere Kultur. Nur ist es dann im tatsächlichen archäologischen Befund so, dass zwei nahe beieinander liegende Siedlungen von denen die eine der Kultur A und die andere der Kultur B zugeordnet wurden, archäologisch vielleicht mehr miteinander zu tun haben, als mit den Kulturen, denen sie aufgrund von diesen Kulturen zugeordneten Funden zugeordnet wurden. Die Zentren solcher archäologischen Kulturen sind auch im Grunde genommen eine fehlerhafte Wahrnehmung.

The Proto-Indo-European homeland is not a racist myth or a purely
theoretical fantasy. A real language lies behind reconstructed Proto-Indo-
European, just as a real language lies behind any dictionary.
Richtig!

Mir ist nur bei diesen Ausführungen nicht ganz klar, was das spezifisch Neue an Anthony ist. Im Prinzip decken sich Anthonys historiolinguistische Angaben mit dem, was seit dem 19. Jhdt. in der Indogermanistik weitgehend Konsens ist.
 
Mir geht es hier nicht um eine Bewertung der Ereignisse in Gallien, sondern darum, dass du versuchst, den Genozid in Gallien, von dem du hier im Forum gelesen hast, für deine These heranzuziehen, die Römer wären [nach dem Genozid] den Galliern zahlenmäßig überlegen gewesen und deshalb sei es zum Sprachwechsel vom Keltischen zum Lateinischen gekommen.
Das ist ein Missverständnis: Die Behandlung der Gallier durch die Römer war ein Beispiel, wie mit Gewalt eine zahlenmäßig überlegenes Volk dazu gebracht wird, die Sprache und Kultur der Minderheit anzunehmen – es reicht ein besonders grausames Exempel zu statuieren und die restlichen sehen ein, dass es keinen Zweck hat, noch Widerstand zu leisten. Siehe auch Karl der Große und die Christianisierung der Sachsen.


Welchen Einfluss hat denn bessere Bewaffnung - die jetzt mal dahingestellt sei - auf den Sprachwechsel?
Von den Vertretern der Gimbutas‘ Hypotese wird gesagt, die [FONT=&quot]Kurganvölker hätten bessere Waffen und Reiterei gehabt, deswegen konnten sie, obwohl zahlenmäßig unterlegen, die fast waffen- und pferdelose Alt-Siedler beherrschen und ihnen sowohl die (indogermanische) Sprache als auch (Urnenfeld) Religion aufdrücken. [/FONT]


Fakt ist, wir wissen so gut wie nichts über die gesellschaftliche Organisation der Indoeuropäer und wir wissen ebenso wenig über die gesellschaftliche Organisation der vorindoeuropäischen Bevölkerung. Demenstprechend kann man dazu auch nichts sagen, ob sie besser oder schlechter organisiert waren. Fraglich auch hier, ob das für einen Sprachwechsel ausschlaggebend gewesen wäre.
Auch hier spricht das Militärische mit: Wie die Geschichte gezeigt hat, haben unter einem Befehl stehenden Truppen einen Vorteil gegenüber nur losen organisierten. Die Römer haben nicht zuletzt wegen der besseren Waffen und der überlegenen Organisation Schlachten auch gegen zahlenmäßig überlegene Gegner gewonnen.


Einen Zusammenhang zwischen der Verbreitung Indoeuropäischen und der UFK kann ich eigentlich nicht sehen. Am ehesten wäre noch ein Zusammenhang mit dem Keltischen zu postulieren, wenn man das Verbreitungsgebiet der UFK und den archäologisch den Kelten zugeordneten Halltstatt- und La Tène-Kulturen vergleicht.
Kelten waren ja schon Indogermanen. Auf jeden Fall stimmen die Grenzen der UFK und der indogermanischen Sprache ziemlich überein – siehe die beiden Grafiken in meinem Beitrag gestern, 18:24.



Man mag ja bei aller Vorsicht archäologische Kulturen zur Stützung heranziehen, für die Verbreitung des Indoeuropäischen vor dem Zerfall in seine Einzelsprachen können nur sprachliche Befunde, keine archäologischen herangezogen werden.
Sprache ist auch Kulturträgerin, daher können physische Überbleibsel einer Kultur schon Indizien auf die Sprache liefern oder zumindest dokumentieren, dass da ein kultureller Austausch stattgefunden hat, was ohne sprachliche Verständigung weniger möglich ist. Ich meine: Wenn man seine Toten plötzlich nicht mehr begräbt, sondern verbrennt, ist das eine so gravierende Änderung, dass es schon gewichtige Gründe dahinter stehen müssen. Und wie erfährt man von diesen Gründen? Verbale Erklärung bietet sich hier an, die aber nur möglich ist, wenn man die gleiche Sprache spricht.
 
Joan Marler als "Jüngerin" zu bezeichnen, ist so unsachlich wie einige ´Argumente´ des Herrn Häusler. Marler ist in Gimbutas´ letzten Jahren ihre engste Mitarbeiterin gewesen und hat ihr letztes Werk "Die Zivilisation der Göttin" herausgegeben und mit einer Einführung versehen. An manchen Stellen äußert sie sich auch kritisch über einzelne Aspekte der Gimbutas-Theorie (in dem Sinne, dass das Grundgerüst richtig ist, viele Details aber aufgrund neuerer Forschung anfechtbar sind), man kann Marler also keineswegs Hörigkeit vorwerfen, wie das deine "Jüngerin"-Metapher suggerieren soll.



Hier kommt wieder die olle und verstaubte Kamelle, Alteuropa sei Gimbutas zufolge "matriarchalisch" gewesen, hinterm Ofen hervor. Auf die Falschheit dieser Unterstellung habe ich schon in meinem Beitrag über Martina Schäfers Verleumdungskampagne hingewiesen, natürlich vergebens.

Na ja, vielleicht liegt es weniger an "Verleumdungskampagnen", sondern an Gimbutas-AnhängerInnen wie eben Joan Marler, dass da nie scharf getrennt wird:

Mit Joan Marler erinnern wir an Marija Gimbutas und die Bedeutung ihrer Forschungsarbeit für die Geschichte der Frauen und die Wiederentdeckung unserer matriarchalen Wurzeln. Auch das älteste Schamanentum war ein „Schamaninnentum“, denn in der matriarchalen Welt gab es nur Priesterinnen. Sie waren die Mittlerinnen zwischen Himmel, Erde und Unterwelt (Heide Göttner-Abendroth).
MatriaVal - Ausgabe 9 - Ursprünge (Holle) November 2009

Apropos Göttner-Abendroth: Entpricht nicht ihre Definition von Matriarchat in etwa dem, wie Gimbutas die alteuropäische Zivilisation sah, oder gibt es da krasse Unterschiede?
Matriarchat


The Institute of Archaeomythology ? The Institute of Archaeomythology is an international organization of scholars dedicated to fostering an interdisciplinary approach to cultural research with particular emphasis on the beliefs, rituals, social st
Governance of the Institute of Archaeomythology
 
Und wie erfährt man von diesen Gründen? Verbale Erklärung bietet sich hier an, die aber nur möglich ist, wenn man die gleiche Sprache spricht.

Es gibt noch die Møglichkeit, per Dolmetscher/Uebersetzer zu kommunizieren. Dann muss nicht die breite Masse die entsprechende Sprache lernen.

Gruss, muheijo
 
Das ist ein Missverständnis: Die Behandlung der Gallier durch die Römer war ein Beispiel, wie mit Gewalt eine zahlenmäßig überlegenes Volk dazu gebracht wird, die Sprache und Kultur der Minderheit anzunehmen – es reicht ein besonders grausames Exempel zu statuieren und die restlichen sehen ein, dass es keinen Zweck hat, noch Widerstand zu leisten. Siehe auch Karl der Große und die Christianisierung der Sachsen.
Die Sachsenkriege Karls des Großen führten zu keinem Sprachwechsel bei den unterworfenen Sachsen, sondern zu einem allmählichen Religionswechsel.
Die militärisch mächtigen Minderheiten der Vandalen/Alanen oder auch der Langobarden brachten die unterworfenen Mehrheiten weder zu einem Sprach- noch zu einem Religionswechsel, im Gegenteil: die Vandalen und Langobarden gaben ihre german. Sprachen auf (ausgenommen Personennamen und wenige Rechtsbegriffe) und "spätlatinisierten" sich und sie passten sich sogar nach ein paar Generationen der Religion ihrer Untergebenen an (vom Heidentum via Arianismus zur röm. Kirche)

Insgesamt scheint mir fraglich, ob die historischen Eroberungen, die mal einen Sprachwechsel bei den Eroberern, mal bei den Eroberten erbrachten, auf die vorgeschichtlichen Wanderbewegungen übertragen werden können.
 
Ich versuche in diesem Beitrag eine sehr abkürzende Darstellung der Argumentation David W. Anthonys für eine Lokalisierung der Proto-Indoeuropäischen (in meinem weiteren Text auch ´PIE´) "Urheimat" (homeland) genau dort, wo auch Marija Gimbutas sie vermutete, nämlich

(The Horse, the Wheel, and Language, 99)

All these requirements would be met by a Proto-Indo-European homeland placed west of the Ural Mountains, between the Urals and the Caucasus, in the steppes of eastern Ukraine and Russia. The internal coherence of reconstructed Proto-Indo-European — the absence of evidence for radical internal variation in grammar and phonology — indicates that the period of language history it reflects was less than two thousand years, probably less than one thousand. The heart of the Proto-Indo-European period probably fell between 4000 and 3000 BCE, with an early phase that might go back to 4500 BCE and a late phase that ended by 2500 BCE.

Das ist doch nun eine ganz eindeutige Aussage Anthonys zum "Homeland" der Proto-Indoeuropäer, nämlich "between the Urals and the Caucasus, in the steppes of eastern Ukraine and Russia."

Noch eindeutiger geht's doch gar nicht.

Damit untermauert Anthony die Hypothese der Gimbutas, wonach die Immigration der Proto-Indoeuropäer nach Alteuropa von den pontisch-kaspischen Steppen westlich des Urals ausging. Ferner sagt Anthony, dass es diese ersten PIE-Populationen waren, die ab 4200 v. Chr. die ersten Kurgane in den Steppen errichteten und vor allem Stammes- oder Clanoberhäuptern reichlich Waffen und Geräte mit ins Grab gaben. Nach Anthony drangen diese bewaffneten PIE-Rinderzüchter ab etwa 4200 v. Chr. zunächst ins Donaudelta auf der Suche nach Weifeland für ihre Rinderherden.

Mit der Einführung des Wagens und der Domestizierung des Pferdes machten sich ab etwa 3300 v. Chr. größere Gruppen von Proto-Indoeuropäern auf den Weg ins Innere Europas, die kulturell zum Jamnaja-Horizont gehörten. Damit identifiziert sich David Anthony mit der Hypothese von Marija Gimbutas, die ebenfalls die Jamnaja-Kultur als Urheimat der Indoeuropäer und ihrer Kurgankultur ansah.

Wiki sagt dazu:

"Marija Gimbutas identifizierte die Jamnaja-Kultur in ihrer Kurgan-Hypothese als Kandidaten für die Urheimat der indogermanischen Sprachen, zusammen mit der davor liegenden Sredny-Stog-Kultur am mittleren Dnepr und der Chwalynsk-Kultur an der mittleren Wolga. Dieser Auffassung folgt David W. Antony (z. B. [5], passim) mit u. a. z. B. dem Argument der linguistisch bewiesenen langdauernden Kontakte der indogermanischen mit den uralischen Sprachen von den frühesten Stadien an."


Die Kurgan-Leute sind schwer bewaffnet, haben mit Pferden bespannte Wagen für ihre Habseligkeiten oder schnelle zweirädrige Karren - "battle carts" (Anthony) -, die sie als Streitwagen einsetzen. Wie die Sumerer waren auch die Indo-Europäer, die mit ihren von Pferde gezogenen Kampf-Wagen nach Europa eindrangen eine , "stark bewaffnete Militärmacht" (S. 356, 358 ), charakterisiert von Anthony als "Military power, warriors, warrior-brotherhoods, geführt von einer warrior-aristocracy und warrior-chiefs (S. 259 f., 264, 342, 344, 349, 355, 357, 359, 364, 365), chiefs with formally instituded warrior-bands, who drove wagons. (15 f.).

Auf Seite 369 sagt Anthony: "There was no Indoeuropaen Invasion of Europe". Das ist zunächst eine erstaunliche Feststellung, die ein User oben auch weidlich herausstellte. Anthony schränkt sogleich aber massiv ein indem er sagt: "The Migration was not a COORDINATED militäry Invasion." (S. 369).
 
"Besser" nach welchen Kriterien? Das "Führerprinzip" (Königtum und Patriarchat) schließt Unterdrückung (z.B. ökonomische Ausbeutung) des Volkes durch eine Aristokratie, soziale Unterdrückung der Frauen und grausame Kriegführung gegen fremde Populationen ein.
Autokratisch geführten Gesellschaften haben schnellere Reaktionszeiten auf außergewöhnliche Ereignisse als basisdemokratische. Bei den kriegerischen Auseinandersetzungen ist das auch von Vorteil – deswegen gab es ja die Funktion des Herzogs, der anfangs nur in Kriegszeiten benötigt wurde.


Ich sehe darin aus ethischer Perspektive alles andere als eine Verbesserung.
Ethik sollte man bei der Beurteilung geschichtlichen Ereignisse außer vor lassen.


Das ist kein Beinbruch. Man braucht einfach nur die "Reiterkrieger" durch pferdegezogene Streitwagen zu ersetzen, mit denen die Kurgan-Gruppen einfielen.
Streitwagen mögen in der Steppe von Vorteil sein, aber im wald- und bergreichen Mitteleuropa?


Als Reittier wurde das Pferd wohl erst ab 1000 BCE eingesetzt. Dass keine Trensen gefunden wurden, mag sein, aber ihre Spuren wurden gefunden.
Ja, aber diese Pferdezähne wurden auf viel später datiert. Jedenfalls können sie nicht für die Unterstützung der Gimbutas‘ Hypothese über die Ausbreitung der Kurgankultur bzw. der indogermanischen Sprachen nach Mitteleuropa herangezogen werden.
 
Das ist kein Beinbruch. Man braucht einfach nur die "Reiterkrieger" durch pferdegezogene Streitwagen zu ersetzen, mit denen die Kurgan-Gruppen einfielen.
... und hat dann dasselbe Problem, denn auch Streitwagen sind für die Zeit der ersten Kurgan-Wellen nicht nachzuweisen.
 
Autokratisch geführten Gesellschaften haben schnellere Reaktionszeiten auf außergewöhnliche Ereignisse als basisdemokratische. Bei den kriegerischen Auseinandersetzungen ist das auch von Vorteil – deswegen gab es ja die Funktion des Herzogs, der anfangs nur in Kriegszeiten benötigt wurde.

Auf jeden Fall waren die Steppenreiter Südrusslands - so man denn überhaupt dieser Hypothese folgen will - aufgrund ihrer besseren militärischen Ausrüstung, ihrer Mobilität und ihrer guten Schlagkraft aufgrund straffer Hierarchie den Bauern in ihren isolierten Dörfern überlegen. Im Übergang vom Neolithikum zur Bronzezeit treten aristokratische Kriegergesellschaften auf, die in Europa erstmalig größere Regionen unterwerfen. Das ist das eigentlich Neue.

Streitwagen mögen in der Steppe von Vorteil sein, aber im wald- und bergreichen Mitteleuropa?

Es geht ja nicht allein um Streitwagen, denn in dafür nicht geeigneten Gebieten waren die Invasoren auch allein mit Pferden mobiler und gefährlicher.
 
Das ist ein Missverständnis: Die Behandlung der Gallier durch die Römer war ein Beispiel, wie mit Gewalt eine zahlenmäßig überlegenes Volk dazu gebracht wird, die Sprache und Kultur der Minderheit anzunehmen – es reicht ein besonders grausames Exempel zu statuieren und die restlichen sehen ein, dass es keinen Zweck hat, noch Widerstand zu leisten. Siehe auch Karl der Große und die Christianisierung der Sachsen.
Okay. Trotzdem sehe ich nicht, dass dies Argument wirklich schlägt. Demnach hätten die Gallier quasi direkt nach dem Gallischen Krieg Lateinisch sprechen müssen. Tatsächlich dauerte es aber einige Jahrhunderte, bis die Latinisierung Galliens vollzogen war.


Von den Vertretern der Gimbutas‘ Hypotese wird gesagt, die [FONT="]Kurganvölker hätten bessere Waffen und Reiterei gehabt, deswegen konnten sie, obwohl zahlenmäßig unterlegen, die fast waffen- und pferdelose Alt-Siedler beherrschen und ihnen sowohl die (indogermanische) Sprache als auch (Urnenfeld) Religion aufdrücken. [/FONT]
Das können sie natürlich sagen; das Problem ist, dass sich das kaum be- oder widerlegen lässt und somit wissenschaftlich gesehen wenig Wert hat.
Was mich allerdings am meisten daran stört, das ist die Ideologisierung dieser These. Die pösen Indoeuropäer fielen über die armen unschuldigen Alteuropäer her. Tatsächlich können wir kriegerische Auseinandersetzungen bis in das Neolithikum, also vor der Datierung der Indoeuropäisierung nach Gimbutas archäologisch nachweisen.
Von Seiten der Archäologie gibt es insofern Widerspruch an Gimbutas, als dass viele Archäologen gerade in der Bronzezeit eher eine Sesshaftigkeit in den fraglichen Gebieten der angeblich nomadischen Ur-Indoeuropäer sehen.

Kelten waren ja schon Indogermanen.
Selbstverständlich. Wobei ich ausdrücklich vor der Gleichsetzung der archäologischen Kulturen, die wir als keltisch auffassen und der Sprachgruppe warnen möchte.

Auf jeden Fall stimmen die Grenzen der UFK und der indogermanischen Sprache ziemlich überein – siehe die beiden Grafiken in meinem Beitrag gestern, 18:24.
Ich weiß nicht, welche der beiden Karten du genau meinst, aber das müsstest du genauer ausführen:
Auf der ersten Karte wird doch nur die Urnenfelderkultur mit den benachbarten archäologischen Kulturen gezeigt, auf der zweiten die Urnenfelderkultur als winzig kleine Teilmenge verschiedener bronzezeitlicher archäologischer Kulturen:
Europe_late_bronze_age.png


IE3500BP.png

Sprache ist auch Kulturträgerin, daher können physische Überbleibsel einer Kultur schon Indizien auf die Sprache liefern oder zumindest dokumentieren, dass da ein kultureller Austausch stattgefunden hat, was ohne sprachliche Verständigung weniger möglich ist. Ich meine: Wenn man seine Toten plötzlich nicht mehr begräbt, sondern verbrennt, ist das eine so gravierende Änderung, dass es schon gewichtige Gründe dahinter stehen müssen. Und wie erfährt man von diesen Gründen? Verbale Erklärung bietet sich hier an, die aber nur möglich ist, wenn man die gleiche Sprache spricht.
Selbstverständlich ist Sprache eine Kulturträgerin, wenn nicht sogar die Hauptkulturträgerin.
Interaktionen zwischen Personen verschiedener Sprachgruppen sind aber durch die Geschichte durchweg bekannt. Ob es nun Herodot ist, der überliefert, wie die Phoinikier mit "Wilden" ganz ohne Sprache Handel trieben, ob es Koiné-Sprachen, Linguae francae oder oder Pidgin sind, die Menschen haben immer einen Weg gefunden miteinander zu kommunizieren. So konnten beispielsweise christliche Mönche aus Peking im 12. Jahrhundert sich mit Aramäisch bis ans Mittelmeer durchschlagen, einer wurde sogar Bischof in Bagdad.
Pidgin-Sprachen basieren im Prinzip darauf, dass zwei Sprecher, die sich gegenseitig nicht verstehen, Konrekta nennen, diese Konkreta werden vom Gegenüber aufgenommen und im Rahmen der eigenen, wohl aber aus Kulanz zum Gegenüber reduzierten Grammatik verwendet. Manchmal entstehen daraus dann Kreolsprachen, die meist mehr Komplexität als das Pidgin entwickeln, welches aus der Situation heraus entsteht und i.d.R. nicht dauerhaft ist oder doch zumindest nur in bestimmten Situationen gesprochen wird.
Reine Imitation hingegen bedarf im Grunde genommen überhaupt keiner sprachlichen Interaktion.
 
Das ist ein Missverständnis: Die Behandlung der Gallier durch die Römer war ein Beispiel, wie mit Gewalt eine zahlenmäßig überlegenes Volk dazu gebracht wird, die Sprache und Kultur der Minderheit anzunehmen – ...

Die Franken eroberten ebenfalls Gallien, was die Gallo-Romanen aber nicht dazu brachte, einen Sprachwechsel zu vollziehen. Allerdings hinkt das Beispiel ein wenig. Die Römer haben mit ihren Institutionen, ihrer Agrarwirtschaft, Logistik und nicht zuletzt mit ihrem Militär das Land Gallien in viel intensiverer Weise durchdrungen als die Franken. Die Gallo-Romanen waren den Franken kulturell haushoch überlegen, sodass sich von daher die Annahme der romanischen Verlierersprache durch die germanischen Franken erklärt.

Ich möchte aber auf die kulturell hochstehende byzantinische Bevölkerung Kleinasiens hinweisen, die die Sprache der zumindest anfänglich unzivilisierten turkstämmigen Reiterkrieger übernahm, die sich in der Minderheit befanden. Im Verlauf der Zeit setzte allerdings auch bei den Turkmenen ein kultureller Aufschwung ein, den man besonders am Sultanat der Rum-Seldschuken ablesen kann.

Von den Vertretern der Gimbutas‘ Hypotese wird gesagt, die [FONT=&quot]Kurganvölker hätten bessere Waffen und Reiterei gehabt, deswegen konnten sie, obwohl zahlenmäßig unterlegen, die fast waffen- und pferdelose Alt-Siedler beherrschen und ihnen sowohl die (indogermanische) Sprache als auch (Urnenfeld) Religion aufdrücken. [/FONT]


Auf jeden Fall waren die Steppenkrieger den Bauern in ihren isolierten Dörfern aufgrund ihrer Mobilität, ihrer hierarchischen Effektivität und vermutlich ihrer kriegerischeren Mentalität überlegen. Hätten sich die Bauern effektiv wehren können, wäre es nicht zur Ausbreitung der indoeuropäischen Sprachen gekommen. Also war die bäuerliche Bvölkerung anscheinend unterlegen.

Und erst einmal indoeuropäisiert, breiteten sich indoeuropäische Dialekte auch durch Stämme aus, die ursprüngliich keine Indoeuropäer waren. Und das sicher nicht allein durch Kriege, sondern auch durch eine Sprach- und Kulturtrift, durch Handelskontakte und das Prestige der neuen Sprache.
 
Es handelt sich um einen ausgewiesenen Experten der eurasischen Archäologie, zunächst Mitglied der Akademie der Wissenschaften der DDR und nach der Wiedervereinigung der Sachwalter dieses Bereichs am Deutschen Archäologischen Institut, der bundesunmittelbaren archäologischen Stiftung schlechthin. Auch wenn ich mit ihm in Sachen Indoeuropäer nicht übereinstimme, "dubios" ist sicher keine treffende Vokabel.

Ich hatte, wie aus meinem Post ersichtlich, die Formulierung "dubios" bei der Überarbeitung gelöscht, du hast den Post noch vor der Überarbeitung erwischt. Ich bezog den Ausdruck natürlich auf Häuslers extrem schlechten Witz (um es sehr schonend auszudrücken), dass Gimbutas als Ghostwriterin Hitlers hätte dienen können. Man kann auch ein Gegner einer Theorie sein, ohne ihre Verfechterin in Schuljungen-Manier mit der Du-bist-ein-Nazi-Keule zu erschlagen. Das sollte ein Wissenschaftler vom Range Häuslers nicht nötig haben.

Irren sich denn alle in Gimbutas, nur du nicht, chan?

Bloß weil ich Häusler und ein paar andere Gimbutas-Kritiker kritisiere, stelle ich mich über den Rest der Welt? Das meinst du doch sicher nicht ernst. Ich beanstande nur, was objektiv zu beanstanden ist, und weise darauf hin, dass es falsch ist, Gimbutas als Matriarchatstheoretikerin darzustellen, was ich auch belegt habe. Dass Gimbutas in diesem Zusammenhang gerne falsch beurteilt wird, bestätigt (betr. Ian Hodder) Harald Haarmann, siehe am Ende meines Beitrags über Häusler etc. Ich wiederhole es hier:

(Foundations of Culture, 166)

He (= Hodder) critizes Gimbutas for something she never said or intended: "Marija Gimbutas ... forcefully argued for an early phase of matriarchal society" (Hodder 2006, 208).

Hodder gibt in einem Interview von 2007 aber zu, dass er Gimbutas zuletzt als Student gelesen hat, also vor Jahrzehnten (!!!). Trotzdem behauptet er als mittlerweile renommierter Ausgrabungsleiter von Catal Hüyük, Gimbutas habe ein (neolithisches und bronzezeitliches) Matriarchat verkündet. Das ist wissenschaftlich einfach nur unseriös. Er gibt auch zu, bei seinem Bild von Gimbutas wahrscheinlich ("probably") von den Meinungen anderer Leute beeinflusst worden zu sein (alles nach: Joan Marler 2007, Interview mit Ian Hodder im ´Journal of Archaeomythology).

Die als angebliche "Jüngerin" terminologisierte Joan Marler, Gimbutas´ engste Mitarbeiterin, hat übrigens zusammen mit Harald Haarmann eine wissenschaftliche Arbeit zum Thema

Introducing the Mythological Crescent: Ancient Beliefs and Imagery connecting Eurasia with Anatolia (2009)

verfasst, ebenso zusammen mit Harald Haarmann eine Studie namens

The Unfolding of Old European Ritual Life: A Mesolithic Heritage (2011).

Es besteht also nicht der geringste Grund, über Marler wissenschaftlich abschätzig zu denken, außer man denkt abschätzig über Harald Haarmann.
 
Es besteht also nicht der geringste Grund, über Marler wissenschaftlich abschätzig zu denken, außer man denkt abschätzig über Harald Haarmann.

Harald Haarmann habe ich in diesem Forum schon oft zitiert und er hat ja auch eine Menge sprachwissenschaftlicher Publikationen veröffentlicht.

Zuweilen aber bin ich nicht ganz sicher, ob Haarmann nicht ein wenig (oder weit) über sein angestammtes Fachgebiet hinausgeht. So z.B. in seiner kleinen Publikation über die Indoeuropäer (erschienen bei Beck), wo er mit leicher Hand archäologische (und biologische) Untersuchungen betreibt, für die er m.E. nicht kompetent ist. Aus diesem Grunde sind mir seine Resultate und Folgerungen bezüglich der Urheimat der Indoeurpäer nicht ganz geheuer, doch fehlt mir die Kompetenz, das präzise zu beurteilen.

Auf jeden Fall stützt Haarmann prinzipiell die Hypothesen von Marija Gimbutas, lässt allerdings Argumente von David Anthony einfließen, wenn es um die Beachtung einer Sprach- und Kulturtrift bei der Ausbreitung indoeuropäischer Sprachen geht.
 
Ich bezog den Ausdruck natürlich auf Häuslers extrem schlechten Witz (um es sehr schonend auszudrücken), dass Gimbutas als Ghostwriterin Hitlers hätte dienen können. Man kann auch ein Gegner einer Theorie sein, ohne ihre Verfechterin in Schuljungen-Manier mit der Du-bist-ein-Nazi-Keule zu erschlagen. Das sollte ein Wissenschaftler vom Range Häuslers nicht nötig haben.
Ja, Häuslers Kritik hier ist überpointiert. Aber das werfe ich ihm ja auch vor, dass er die Neigung zeigt, das Kind mit dem Bade auszuschütten.

Bloß weil ich Häusler und ein paar andere Gimbutas-Kritiker kritisiere, stelle ich mich über den Rest der Welt? Das meinst du doch sicher nicht ernst.
Ich musste jetzt erst mal schau'n ob ich überhaupt gemeint war. Also das meine ich nicht nur nicht ernst, das meine ich gar nicht. Deine Ausführungen klangen aber danach, als würde Gimbutas von aller Orten nur Unrecht getan und als würden alle sich irren. Vielleicht war meine Nachfrage hier überpointiert.

Die als angebliche "Jüngerin" terminologisierte Joan Marler, Gimbutas´ engste Mitarbeiterin
Ich weiß nicht, ob Marler sich so vehement gegen diese Terminologisierung wehren würde. Zuerst Mitarbeiterin, dann Herausgeberin von Gimbutas, ist sie heute Leiterin des von ihr (Marler) gegründeten Instituts für Archäomythology, welches sie ausdrücklich nach einem Konzept von Gimbutas benannt hat. Da sehe ich jetzt kein Problem drin.
 
Auf jeden Fall waren die Steppenreiter Südrusslands - so man denn überhaupt dieser Hypothese folgen will - aufgrund ihrer besseren militärischen Ausrüstung, ihrer Mobilität und ihrer guten Schlagkraft aufgrund straffer Hierarchie den Bauern in ihren isolierten Dörfern überlegen.
Diese erhöhte Mobilität der Steppenreiter gab es erst Jahrhunderte, wenn nicht Jahrtausende später, weil erst dann Pferde geritten wurden.
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Demnach hätten die Gallier quasi direkt nach dem Gallischen Krieg Lateinisch sprechen müssen. Tatsächlich dauerte es aber einige Jahrhunderte, bis die Latinisierung Galliens vollzogen war.
Das ist nur natürlich: Die Gallier blieben in der Mehrheit und Generationen von Müttern sprachen sicher noch sehr lange gallisch mit ihren Kindern.



Was mich allerdings am meisten daran stört, das ist die Ideologisierung dieser These.
Das stört mich auch. Vielleicht ist man auch zu wenig flexibel und will die einmal erreichte Position nicht kampflos aufgeben. Es ist ja bekannt, dass sich neue Theorien/Erkenntnisse erst durchsetzen können, wenn die Verfechter der „alten“ ihre Lehrstühle an den Unis geräumt und damit Einfluss auf die Lehrmeinung verloren haben.



Ich weiß nicht, welche der beiden Karten du genau meinst, aber das müsstest du genauer ausführen:
Auf der ersten Karte wird doch nur die Urnenfelderkultur mit den benachbarten archäologischen Kulturen gezeigt, auf der zweiten die Urnenfelderkultur als winzig kleine Teilmenge verschiedener bronzezeitlicher archäologischer Kulturen.
Sorry, ich hätte das besser dokumentieren sollen – also:
Diese Karte
URL]
zeigt Urnenfelderkultur etwa von 1300 v. Chr. bis 800 v. Chr.,

und diese [URL="http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/3/36/IE3500BP.png%5b/img"]http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/3/36/IE3500BP.png[/img[/URL]] die Ausbreitung der indogermanischen Sprache um 1500 vor Chr.


[quote="El Quijote, post: 737320"]Pidgin-Sprachen basieren im Prinzip darauf, dass zwei Sprecher, die sich gegenseitig nicht verstehen, Konrekta nennen, diese Konkreta werden vom Gegenüber aufgenommen und im Rahmen der eigenen, wohl aber aus Kulanz zum Gegenüber reduzierten Grammatik verwendet. [/QUOTE]Das ist sicher so. Aber bei einer Religion gibt es diese Konkreta nicht – sie ist etwas Abstraktes, das zu vermitteln weitaus schwieriger sein dürfte. Die (ersten) christlichen Missionare lernen auch zuerst die Sprache der zu missionierenden, dann erst können sie Glaubensinhalte, d.h. das, um was es eigentlich geht, vermitteln. Das gelingt oft nur unvollständig, deswegen unterscheidet sich das afrikanische oder lateinamerikanische Christentum schon sehr von dem europäischen.

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[quote="Dieter, post: 737329"]Und erst einmal indoeuropäisiert, breiteten sich indoeuropäische Dialekte auch durch Stämme aus, die ursprüngliich keine Indoeuropäer waren. Und das sicher nicht allein durch Kriege, sondern auch durch eine Sprach- und Kulturtrift, durch Handelskontakte und das Prestige der neuen Sprache.[/QUOTE]Wenn das für die spätere Zeit gelten kann, dann könnte es auch für die frühe Zeit gelten. Nämlich für eine friedliche, womöglich parallele Entwicklung der indoeuropäischen Sprachen aus der Mitte Europas.
 
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