In dem Thread geht es mir gefühlt zu schnell, daher versuche ich mal zu ergänzen zu ordnen und zusammenzufassen.
Wie Repo bereits einwendet, ist der Zeitraum rund um den Dreißigjährigen Krieg viel zu eng gefasst. Die Grundalgen der Protoindustrialisierung finden sich vielmehr bereits im Mittelalter. Zu einer Automatisierung der handwerklichen Produktion kommt es verstärkt ab dem 11. Jahrhundert, hier beginnt auch bereits der Übergang von einer rein handwerklichen Produktion hin zu einer organisierten arbeitsteiligen Produktion unter Einsatz von Maschinen und Verfahren zur Standardisierung und zur Massenproduktion. Ab der Mitte des 14. Jahrhunderts kommt es zu einer Beschleunigung der technischen Entwicklung, wobei das als Dynamisierungsprozess zu verstehen ist, eine Neuerung zog quasi unweigerlich die nächste nach sich. Es handelte sich also nicht um Zufallserfindungen sondern um gezielte Verbesserungen vorhandener Maschinen (Pleuelstange, Nockenwelle), sowie um Adaption von Produktionsverfahren für andere Güter (z.B. Flügelspinnrad). Wolfgang von Stormer begründet diesen Dynamisierungsprozess in der technischen Entwicklung des Spätmittelalters in seinem Aufsatz "Eine 'Industrielle Revolution' des Spätmittelalters?" damit, dass durch die Pestepidemien zu wenig Arbeitskräfte zur Verfügung standen, was gleichzeitig zu einer Erhöhung der Löhne führte. Der Mangel an Arbeitskräften wurde durch einen Technisierungsschub abgefangen. Die gestiegenen Löhne führten dazu, dass die Kaufkraft des Einzelnen stieg, man konnte sich also Waren leisten, die man sich zuvor nicht in dem Umfang leisten konnte. Durch die Technisierung waren die Waren zudem günstiger und in größerer Zahl herstellbar. Durch den Bevölkerungsverlust auf dem regionalen Heimatmarkt konnte also auch der Absatzradius erhöht werden, was wiederum (aufgrund des Konkurrenzdrucks) Spezialisierungszwänge mit sich brachte. Die Palette der angebotenen Produkte wurde also breiter.
Einen ersten merklichen wirtschaftlichen Aufschwung im Zusammenhang mit der Protoindustrialisierung gibt es in der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts, der sich zwar über fast alle Wirtschaftssektoren erstreckt, am deutlichsten aber im Textilgewerbe zu finden ist. Die Wollproduktion war bereits vor dem gewerblichen Aufschwung weit verbreitet, allerdings gab es nur sehr wenige Regionen, die in der Lage waren über den regionalen Bedarf hinaus zu produzieren. Mit der Technisierung der Stoffherstellung kam es aber eben nicht zu einem vermehrten Ansatz von Wollstoffen, vielmehr verschob sich die Nachfrage hier von den Wollstoffen hin zu einer Neuentwicklung, der so genannten Nouvelle Draperie (Kammgarngewebe, wie Flanell oder Serge), die zwar qualitativ minderwertiger waren als die Wollstoffe, dafür aber eine breitere Produktvariabilität (insb. Farbe und Muster) aufweisen und quantitativ in größeren Mengen hergestellt werden konnten, was sie preislich auch deutlich günstiger machte als Wollstoffe. Diese Entwicklung setzte sich zudem in einer sich schneller ändernden Mode um. Parallel zum Nachfrageanstieg der Nouvelle Draperie kam es auch zu einem Aufschwung in der Seidenproduktion und einem Ausdehnen der Seidenproduktion weg von den alten Zentren in Italien über ganz Europa. Dem ging ein gezieltes Abwerben von italienischen Seidenwebern voraus, was übrigens auch das erste groß angelegte überregionale Anwerben von Fachkräften darstellt. Das Abwerben der Seidenweber hat dabei mehrere Gründe. Zum einen unterlag auch die Seide einem Preisverfall aufgrund der billigeren Stoffe und der Erhöhung der Seidenproduktion aufgrund der technischen Neuerungen (u.a. das Flügelspinnrad). Zudem etablierte sich eine neu heranwachsende Oberschicht mit entsprechender Luxusnachfrage. Durch die Ausbreitung der Seidenproduktion in ganz Europa fiel auch das Seidenmonopol der italienischen Städte, so dass durch die Ausbreitung die Preisbildung für Seidenstoffe auch freier war.
Die Entwicklung die ich gerade versucht habe anhand der Textilbranche zu beschreiben, führte durch diese frühe Form des Manufakturwesens zu einem Verfall der Zünfte (deren Ende richtigerweise aber erst mit Einführung der Gewerbefreiheit im 19. Jahrhundert anzusetzen ist). Innerhalb der Zunft der Weber, konnte es sich nicht jeder Weber leisten italienische Seidenweber anzuwerben, oder die nötigen Investitionen für die Nouvelle Draperie vorzunehmen, es entstand also eine verstärkt heraustretende soziale Schichtung innerhalb der Zunft, die auch so weit gehen konnte, dass die ärmeren Zunftmitglieder in eine Beschäftigungsabhängigkeit zu den reicheren und damit innovationsstärkeren Zunftmitgliedern begeben mussten. Nichts desto trotz hatten die Zünfte in der Wirtschaftsordnung nach wie vor eine einflussreiche Schlüsselposition inne, selbst wenn sie sich nur noch darauf beschränkten eine Monopolstellung zu verteidigen und im Zweifelsfalle auch einen technischen Fortschritt verhinderten. Hier kommt jetzt das Verlagssystem ins Spiel. Das Verlagssystem ist im Grunde nichts anderes als die Trennung von Produktion und Absatz. Dieser Trennung liegt in aller Regel aber zunächst die Monopolherrschaft der Zünfte in den Städten zugrunde, was zu einem Ausweichen investitionsstarker Verleger – oft ursprünglich selbst aus der Textilbranche, in der sich das Verlagssystem herausbildete – auf das Land führte. Interessanterweise etablierte sich das Verlagssystem in der Textilbranche zunächst dort, wo die städtische Produktion oft schon in Manufakturen ausgerichtet war und exportorientiert arbeitete. Das Verlagssystem diente dabei insbesondere zur Befriedigung der regionalen Nachfrage nach einfacheren Textilprodukten und zur Erweiterung der Produktionsmöglichkeiten.
Mich interessiert besonders, wie es zu dem Verlagswesen gekommen ist.
Mit den Gewinnen konnten dann später einige Verleger Fabriken bauen und Maschinen kaufen.
Der Ablauf war eher anders rum. Zuerst die städtischen Manufakturen und erst als die Zunftschranken es nicht mehr zuließen ein Ausweichen auf das Land, um verhältnismäßig investitionsarm die Produktion zu erweitern. Eine direkte Anschubfinanzierung der Industriellen Revolution aus der Proto-Industrialisierung wird heute auch bezweifelt. Das mag auf einige wenige Wirtschaftszweige zutreffen, ein flächendeckendes Phänomen ist es allerdings nicht.
Ich habe zudem etwas in meinen Büchern geblättert (deswegen hat die Antwort auch so lange gedauert – die fehlende Zeit genau dazu) und zumindest zwei Überblickswerke gefunden (aus denen ich auch meine Ergänzungen habe):
Braudel "Sozialgeschichte des 15. bis 18. Jahrhunderts" hier: Band 2 "Der Handel"
Cipolla "Europäische Wirtschaftsgeschichte" ebenfalls Band 2 "16. und 17. Jahrhundert"