Decurion
Aktives Mitglied
Ist das so? Schauen wir uns die kanonischen Evangelien doch mal an:
2/4 berichten die Geburtsgeschichte, nämlich Matthäus und Lukas.
Matthäus berichtet vom Kindermord von Bethlehem und der Flucht nach Ägypten, Lukas berichtet vom zwölfjährigen im Tempel
Markus und Johannes berichten nur vom Wirken Jesus ab seinem dreißigsten Lebensjahr, also seine letzten drei Lebensjahre. Dies ist auch der Schwerpunkt von Matthäus und Lukas. Aber auch hier, was das Privatleben angeht: Fehlanzeige.
Es wird berichtet, wo er aneckt, wo er mit den Pharisäern in Streit gerät, Predigten und Wunder. Und sonst? Sein Tod, der wiederum notwendig ist zum Bericht seines Hauptwunders, nämlich seiner Wiederauferstehung.
Sprich: Aus einem 33jährigen Leben haben wir über dreißig Jahre Funkstille. Anders ausgedrückt: Nicht einmal zehn Prozent der Lebenszeit werden durch die Evangelien abgedeckt.
Ich erwähnte an voriger Stelle bereits mein Curriculum in der katholischen Religionslehre. Und tatsächlich weist die Bibel, wie buschhons sehr richtig formulierte, markante biographische Aspekte auf.
Dennoch - um es etwas vereinfacht darzustellen - könnte ich selbst auch eine Biographie des Herrn Max Mustermanns aus Musterstadt schreiben. Und obgleich dieser Herr doch nicht existiert (sei er auch einer realen Person nachempfunden), kann ich von seiner Geburt, seiner Jugend, seinem Werdegang und seinem Tod berichten. Zweifelsohne eine Biographie, aber man möge bedenken: eine Fiktion.
Sehen wir uns die Weihnachtsgeschichte an: Es ist unerheblich, dass Jesus geboren wurde und es tut auch nichts zu seiner Verkündigung bei. Wichtig ist nur, dass er da ist und was er sagt. Da kann er in Judäa oder Galiläa geboren worden sein. Meinetwegen auch in Soest.
Für Lukas (oder die Autorengruppe hinter diesem Namen) war es aber wichtig insofern, dass er einen kerygmatischen Auftrag zu erfüllen hatte. Christus musste als der Messias dargestellt werden. Aber nicht nur das: Er war nicht erst Messias mit der Taufe im Jordan durch Johannes den Täufer, sondern seit seiner Geburt. Schon als Säugling huldigten ihm weise Männer (die heiligen drei Könige) (vgl. Matthäus). Und seine Reich Gottes-Botschaft (und vor allem die eschatologische Ermutigung) versteckt sich ganz offensichtlich in der Huldigung seitens der armen Hirten, die sozial verachtet waren (vgl. Lukas).
Auch spielt für Lukas der Ort eine ganz wesentliche Rolle: Christus ist der Sohn, der Erbe und Nachkomme Davids, deshalb musste er in Bethlehem geboren werden, auch wenn die Kreuzesinschrift "Iesus Nazarenus Rex Iudaeorum" (also Jesus der Nazarener, König der Juden) war und das eindeutig auf Nazareth als Geburtsort hinweist.
Die Biographie wirkte nur unterstützend, um die Botschaft noch einmal und wieder deutlicher zu machen. Jesus Christus ist der Messias, der Davidssohn, der Erlöser und dies von Beginn an. Es hat nichts mit Biographie zu tun, wenn das Kind in einem ärmlichen Stall geboren wird und von Königen und Armen besucht wird, ebenso wenig, wenn das Kind Jesus den Alten und Gelehrten in der Synagoge predigt. Ebenso wenig, wenn Jesus über das Wasser wandelt, Wasser in Wein verwandelt und am Ende aufersteht. Allein die kerygmatische Verkündigung der Evangelien ist hier wichtig, nicht eine historische Biographie eines historischen Jesus.