Iulius Africanus und die Diskrepanz des Stammbaums Jesu bei Lukas und Matthäus

Ich kann es knapp und kurz sagen: Wer Jesus als den biologischen Sohn Gottes ansieht und Joseph nur als den Ziehvater, der muss wohl ein evangelikaler Christ sein. In der katholischen Theologie sieht man die Gottessohnschaft Christi als rein ideell an und spricht Joseph die biologische Vaterschaft Jesu zu. Einen evangelikalen Ansatz zur Klärung wissenschaftlicher Ansätze zu nehmen, wäre in meinen Augen falsch.

Zum Theologischen hat buschhons schon das richtige gesagt. Als Historiker interessiert mich aber in erster Linie der Narrativ. Und da fällt auf, dass bei Lukas gar kein Stammbaum zu finden ist und bei Matthäus ein Stammbaum zu finden ist, der aber zweimal unterbrochen wird, sprich: In der männlichen Linie ist nur eine Adoptivsohnschaft gegeben.

Die Theologen befinden sich innerhalb des Systems, sie gehen von der Wahrheit der biblischen Texte aus. Die Historiker befinden sich außerhalb des Systems, sie fragen eher nach der Historizität des in den Texten Bekundeten und untersuchen narrative Strukturen, [...]

In meinen Augen ist das [...] der Versuch, den Bericht der Evangelien mit der erfahrbaren Wirklichkeit zu harmonisieren, sprich die Diskrepanz zwischen Wunderbericht und dem eigenen bzw. gesellschaftlichen Unvermögen, den Wunderbericht heute noch ernst zu nehmen, aufzuheben, quasi den Bibeltext zu retten, obwohl man ihn eigentlich selbst nicht mehr ernst nimmt. Man behandelt den Text aber dann weder als Historiker, noch liest man ihn so, wie es von den Autoren intendiert war, ihn zu lesen, also als Theologe oder Exeget.
 
Ich nehme alles zurück und behaupte das Gegenteil. :red: Aber wer sucht denn den Stammbaum auch so weit hinten: Nach Geburtsbericht, Bericht vom zwölfjährigen im Tempel, dem Einschub von Johannes dem Täufer und der Taufe im Jordan? :cool:
Aber schon interessant, wie die beiden Stammbäume von einander abweichen - nicht wahr?

Josef - Josef
Jakob - Eli
Mattan - Mattat (immerhin ähnlich)
Eleasar - Levi
Eliud - Melchi
...
 
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Aber schon interessant, wie die beiden Stammbäume von einander abweichen - nicht wahr?

Josef - Josef
Jakob - Eli
Mattan - Mattat (immerhin ähnlich)
Eleasar - Levi
Eliud - Melchi
...

Der in meinen Augen immer noch eleganteste Versuch, diesen echten?/scheinbaren? Widerspruch zu erklären (übrigens durchaus im historischen Sinne), stammt aus dem Anfang des 3. Jhs. n. Chr., und zwar von Iulius Africanus (den ich als Chronologie-Begeisterter vor allem als ersten christl. Chronographen schätze:)). Eusebius von Caesarea hat uns in seiner Kirchengeschichte einen Brief des Africanus über diese Problematik überliefert (in Euseb.: hist. ecc. I 7, 1ff).

Ich finde leider auf die Schnelle nur eine uralte Übersetzung: Eusebius' ... Kirchengeschichte, übers. mit Anmerkungen und dem Leben des ... - Eusebius (bp. of Caesarea.) - Google Books

Edit: Schade, das Verlinken klappt nicht so, wie erhofft. Es fängt auf Seite 17 an ("Siebentes Hauptstück"). Aber es lohnt sich ;-).
 
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Kennst du nicht die BKV?
BKV
Dort kommst du über Werke ganz schnell zu Eusebius und seiner Kirchengeschichte, bzw. zum entsprechenden Kapitel: BKV

Ah ja, da gab's doch was. Danke für den Tipp und natürlich für den praktischen Link!

Für denjenigen, der sich Africanus' Erklärung der Unterschiede der beiden Stammbäume bei Matth. und Luk. durchgelesen hat oder noch durchlesen wird, vielleicht noch zur Erklärung: Wenn Africanus sinngemäß mit „leiblichen Vätern“ und „gesetzlichen Vätern“ argumentiert, dann hängt das mit der Schwagerehe zusammen: Deuteronomium 25, 5ff:
"Wenn zwei Brüder zusammen wohnen, und der eine von ihnen stirbt*und keinen Sohn hat, soll die Frau des Verstorbenen nicht die Frau eines fremden Mannes außerhalb der Familie werden. Ihr Schwager soll sich ihrer annehmen, sie heiraten und die Schwagerehe mit ihr vollziehen. Der erste Sohn, den sie gebiert, soll den Namen des verstorbenen Bruders weiterführen" usw.
 
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Nur durch Josef besteht aber die Verbindung zwischen David und Jesus.

Hierzu übrigens noch eine bestechende Überlegung des Eusebius, direkt nachdem er den Brief des Africanus zitiert hat (also in hist. ecc. I 7, 17):

"Da dies die Ahnenreihe des Joseph war, so ist sie selbstverständlich auch der Stamm, aus welchem zugleich Maria hervorgegangen war; denn nach dem Gesetz des Moses war es nicht gestattet, eine Ehe mit Fremdstämmigen einzugehen. Es war Gesetz, daß die Ehe ur mit Gliedern desselben Volkes und desselben Stammes geschlossen werden dürfe, damit nicht der Familienerbteil von einem Stamm auf den anderen übergehe. Soviel hierüber."

Eusebius bezieht sich hierbei korrekt auf Numeri 36, 6ff. Ich finde es eine Überlegung wert, dass dieses Gesetz noch um die Zeitenwende bei den Juden befolgt wurde. Auf jeden Fall geht Eusebius davon aus und kann Jesus deshalb auch über seine Mutter Maria einen leiblichen Nachkommen des Stammes Juda nennen. Dann wäre der Schritt, Jesus einen leiblichen Nachkommen Davids zu nennen, auch gar nicht mehr so weit.
 
Eusebius bezieht sich hierbei korrekt auf Numeri 36, 6ff. Ich finde es eine Überlegung wert, dass dieses Gesetz noch um die Zeitenwende bei den Juden befolgt wurde.

So bestechend finde ich das nicht.
Eusebius zitiert das Gesetz nämlich falsch.
Heiraten zwischen Angehörigen verschiedener Stämme waren ja gar nicht verboten.
Mit einer Ausnahme: Wenn kein männlicher Erbe da war, musste die weibliche Erbin einen Stammesangehörigen heiraten.


Machen wir uns doch nichts vor:
Matthäus und Lukas bemühen sich, Jesus als Nachkommen Davids zu präsentieren. Beide bemühen sich, eine Erklärung dafür zu finden, dass Jesus aus Nazareth stammt, wo der Messias doch aus Bethlehem kommen soll.
Beide kommen dabei zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen.

Steckt nicht hinter den gutgemeinten Versuchen, die zwei Versionen doch noch unter einen Hut zu zwingen, der fromme Wunsch, die absolute Zuverlässigkeit der Bibel zu verteidigen?

Zumindest Eusebius bzw. Afrikanus betonen das sehr nachdrücklich:

Weil nun die Evangelien im einen Falle die natürliche Zeugung berücksichtigten, im anderen Falle eine gesetzliche Gewohnheit, so irrt sich keines der beiden. ... Die beiden Berichte sind also vollständig richtig; wenn auch unter verschiedenen Verschlingungen, führen sie doch wahrheitsgemäß zu Joseph. ... Auf jeden Fall sagt das Evangelium die Wahrheit.
 
So bestechend finde ich das nicht.
Eusebius zitiert das Gesetz nämlich falsch.
Heiraten zwischen Angehörigen verschiedener Stämme waren ja gar nicht verboten.
Mit einer Ausnahme: Wenn kein männlicher Erbe da war, musste die weibliche Erbin einen Stammesangehörigen heiraten.

Ja, da hast Du ganz recht. Da war ich zu voreilig und zu unkritisch. Eusebius müsste letztlich davon ausgehen, dass Maria keine Brüder hatte, damit seine Argumentation schlüssig ist.

Steckt nicht hinter den gutgemeinten Versuchen, die zwei Versionen doch noch unter einen Hut zu zwingen, der fromme Wunsch, die absolute Zuverlässigkeit der Bibel zu verteidigen?

Selbstverständlich schreiben Africanus u. Eusebius als Christen, der letztere immerhin als Bischof. Und selbstverständlich schreiben sie, um die "Wahrheit der Evangelien" aufzuzeigen bzw. zu verteidigen. Ich finde es aber zumindest interessant, dass sie historisch argumentieren.
 
Ja, da hast Du ganz recht. Da war ich zu voreilig und zu unkritisch. Eusebius müsste letztlich davon ausgehen, dass Maria keine Brüder hatte, damit seine Argumentation schlüssig ist.



Selbstverständlich schreiben Africanus u. Eusebius als Christen, der letztere immerhin als Bischof. Und selbstverständlich schreiben sie, um die "Wahrheit der Evangelien" aufzuzeigen bzw. zu verteidigen. Ich finde es aber zumindest interessant, dass sie historisch argumentieren.

Sie hätten sich immerhin auch an Titus 3,9 halten können:

"Von törichten Streitgesprächen über Stammbäume ... halte dich fern, denn sie sind unnütz und wertlos..."
 
Auf jeden Fall geht Eusebius davon aus und kann Jesus deshalb auch über seine Mutter Maria einen leiblichen Nachkommen des Stammes Juda nennen. Dann wäre der Schritt, Jesus einen leiblichen Nachkommen Davids zu nennen, auch gar nicht mehr so weit.

Allerdings wird Maria als Verwandte Elisabeths bezeichnet und Elisabeth kam aus dem Stamm Aarons, der wiederum zum Stamm Levi gehörte. Die davidische Königsfamilie soll aber aus dem Stamm Juda stammen.
 
Allerdings wird Maria als Verwandte Elisabeths bezeichnet und Elisabeth kam aus dem Stamm Aarons, der wiederum zum Stamm Levi gehörte. Die davidische Königsfamilie soll aber aus dem Stamm Juda stammen.

Kluge Beobachtung. Liest man Lukas 1, 5 u. 36, kann man eigentlich tatsächlich nicht der Meinung sein, Maria sei nach Ansicht des Evangelisten Angehörige des Stammes Juda gewesen.
Habe mich gerade mal bei Theodor Zahn schlau gemacht: Die bei Eusebius durchschimmernde Meinung, Maria sei eine Nachfahrin Davids, wird wohl erstmalig im 2. Jh. von Justin dem Märtyrer ausgesprochen. Von da zieht sie sich dann über Tatian, Tertullian u. a. bis hin zu Eusebius. Das NT hingegen enthalte – so Zahn - nirgends eine Äußerung, dass Jesus auch mütterlicherseits ein Nachkomme Davids gewesen sei (eher mache es eben wahrscheinlich, dass Maria einem priesterl. Geschlecht entstammte).
Zahn urteilt: „Die überall in den Evv. durchblickende Voraussetzung der Messiaswürde Jesu ist aber, daß er als Sohn des Davididen Joseph geboren wurde“ (Das Evangelium des Lukas, 3 u. 4. Aufl., S. 79). Dieses Urteil, welches Zahn freilich mit Belegstellen stützt, entspricht ja ganz unserer Beobachtung, dass die Stammbäume bei Matthäus u. Lukas Jesus nur über Joseph und nicht über Maria auf David zurückführen.
Wenn die Evangelisten also einerseits davon ausgehen, dass das Kind vom Hl. Geist stammt, ohne dass Maria einen Mann „erkannt“ hatte, und sie Jesus andererseits einen Nachkommen Davids nennen, weil Joseph aus diesem Geschlecht stammte, dann genügt ihnen ganz offensichtlich die „gesetzliche“ (nicht-leibliche) Vaterschaft des Davididen Joseph, damit Jesus aus dem Hause Davids stammt. Für mich verblüffend, aber anscheinend Tatsache – so etwa nach dem Motto: Joseph, der Sohn Davids, wird von Gott aufgefordert, die schwangere Maria als seine Frau zu sich zu nehmen, damit das Kind, dass sie erwartet, Messias aus dem Hause Davids genannt werden könne (vgl. etwa Matth. 1, 16. 20).
(Dass die jüdischen Zeitgenossen Jesu in Joseph den leiblichen Vater erblickten, und daher keine Probleme hatten, Jesus einen Nachkommen Davids zu nennen, ist, denke ich, klar – natürlich alles nur unter der hypothetischen Annahme, dass die Infos der Evangelisten im Groben historisch sind.)

Sollten wir wieder zur Frage kommen ob der biblische Urtext verändert wurde und nicht ob die darin geschilderten Ereignisse wirklich passiert sind (was nicht die Frage ist).

Hast ja eigentlich recht, Zoki. Ich hab mir jetzt auch eine passende Signatur zugelegt (passt ja so oft:D):
 
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Es ist zum heulen:weinen:, aber ich muss meiner neuen Signatur in dieser Diskussion noch einmal alle Ehre machen (- ich hoffe, es ist zum letzten mal, Zoki:rotwerd:).

Liest man Lukas 1, 5 u. 36, kann man eigentlich tatsächlich nicht der Meinung sein, Maria sei nach Ansicht des Evangelisten Angehörige des Stammes Juda gewesen.

Das kann man nicht so stehen lassen. Nach Lk. 1, 5 zählte Elisabeth zu den 'Töchtern Aarons', entstammte also einem priesterlichen Geschlecht/ gehörte zum Stamm Levi. Und nach Lk. 1, 36 war Maria eine Verwandte dieser Elisabeth (ἡ συγγενίς). Klar, falls Maria väterlicherseits mit Elisabeth verwandt gewesen sein sollte, müsste auch Maria selbst dem Stamm Levi angehört haben, nicht aber zwangsläufig, wenn sie mütterlicherseits mit Elisabeth verwandt gewesen sein sollte. D. h., Eusebius tut dem Lukasevangelium letztlich doch nicht zwangsläufig Gewalt an, wenn er der Überlieferung folgt, Maria habe dem Stamm Juda angehört. Die Evangelien machen ganz einfach keine Aussage zur Stammeszugehörigkeit der Mutter Jesu.

Diese Korrektur ändert allerdings nichts an der obigen Feststellung, dass die kanon. Evangelien Jesus über Joseph und nicht über Maria auf David zurückführen.

Im übrigen hoffe ich (wie Ihr wahrscheinlich auch): Das war's von mir zu dieser Ober-Neben-Frage.
 
Julius Africanus' Ansicht des Stammbaums Jesu wäre vielleicht mal einen eigenen Thread wert.

Da das Thema ja mittlerweile abgetrennt wurde und einen eigenen Titel erhalten hat (gute Entscheidung der Moderation:hoch:), sollte eine Auseinandersetzung mit dem, was der Titel verspricht, nicht fehlen.

Deshalb im Anhang eine vereinfachte Darstellung dazu, wie Iulius Africanus die unterschiedlichen Stammbäume Jesu zusammenzubringen gedenkt (in seinem Brief an Aristides bei Euseb.: hist. ecc. I 7, 1ff). Vielleicht ergibt sich daraus ja schon eine Fortsetzung der Diskussion.
 

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Hat sich Iulius auch mit den völlig abweichenden Generationenangaben (25 vs 40) befasst?

Es ist Tatsache, dass Lukas' Stammbaum viel mehr Glieder in der 'Vorfahren-Kette' aufweist als Matthäus' Stammbaum es tut. Es ist sehr wahrscheinlich, dass sich Africanus die Frage gestellt hat, wie das zu erklären sei. Leider jedoch findet sich weder diese Frage noch eine Antwort darauf in den wenigen Fragmenten, die uns aus den Schriften des Africanus noch erhalten geblieben sind, explizit formuliert. So sehr wie ich der Meinung bin, dass sich Africanus diese Frage dennoch gestellt hat, so sehr bin ich auch der Überzeugung, dass sich Africanus' Antwort aus den überlieferten Fragmenten rekonstruieren lässt – freilich nicht mehr in jedem Detail, aber im Groben und Ganzen.
Ich fasse die Antwort vorab einmal zusammen: Aus den Fragmenten kann man ersehen, dass Africanus zum einen der Ansicht war, Matthäus habe in seinem Stammbaum mehrere Glieder der Generationen-Kette ausgelassen, und dass er zum anderen einer Tradition folgte, nach welcher Lukas hie und da nicht die Namen von Vater und Sohn hintereinander nenne, sondern die Namen von Brüdern (also einer Generation). Folglich nähert sich die Anzahl der Generationen in den beiden Evangelien wenigstens schon mal an. (Eine exakt gleiche Anzahl von Generationen in den beiden Generationenfolgen ist ja selbst für den historisch Denkenden nicht von Nöten, da theoretisch die eine Linie im Durchschnitt etwas später geheiratet u. gezeugt haben kann als die andere.) Generell scheint der Chronologe Africanus aber die von Lukas gelieferte Generationen-Anzahl für tendenziell historisch zutreffender zu halten, als die von Matthäus gelieferte Anzahl.
Ich will mein Ergebnis nun näher begründen, beziehe mich übrigens auf die Fragmenten-Sammlung Iulius Africanus: Chronographiae. The Extant Fragments, hrsg. v. Martin Wallraff, Berlin u. a. 2007, auf das Werk Gelzer, Heinrich: Sextus Julius Africanus und die byzantinische Chronographie, Leipzig 1898 sowie auf Finegan, Jack: Handbook of Biblical Chronology, Rev. ed., 1998.

Matthäus bietet in seinem Geschlechtsregister Jesu für die Königszeit weitgehend die Namen der herrschenden Mitglieder des Herrscherhauses, also die Namen der Glieder der königlichen Linie. Er musste sich die Namen und die Verwandschaftsbeziehungen nicht mühsam aus den alttestamentl. Geschichtserzählungen zusammensuchen, sondern er konnte sehr praktisch auf alttestamentl. Listen wie die in 1. Chronik 3, 10ff zurückgreifen. Interessanterweise aber zählt die alttestamentl. Vorlage z. B. zwischen den Königen Joram und Jotam vier Namen auf, während Matthäus nur einen Namen zwischen Joram u. Jotam setzt. Matthäus hat also drei ausfallen lassen. Genau das fiel schon Africanus auf. Und Africanus urteilte laut Johannes Chrysostomus, dass Matthäus diese drei Könige nicht aufführte, weil - „for it is customary of Scripture“ - sie es wegen ihrer Sittenlosigkeit („extreme impiety“) nicht wert waren, aufgeführt zu werden. Ob dies für den Evangelisten, der ja auch andere 'gottlose' Könige in seine Auflistung aufnahm, tatsächlich ein Kriterium war, sei dahingestellt. Jedenfalls geht Africanus, der mit den Listen des AT's vergleicht, davon aus, dass Matthäus in seiner Liste einige Generationen auslässt (natürlich ohne dass Matthäus dabei die korrekte Familien-Linie verlassen würde).

Andererseits stützt sich Africanus laut Gregorius Barhebraeus auf „Hebrew genealogists“, wenn er der Ansicht ist, dass die bei Lukas aufeinanderfolgenden Männer Levi, Matthat und Heli nicht wie Lukas suggeriere, Großvater, Vater und Sohn seien, sondern Brüder. Alle drei seien Söhne des Melchi und alle drei seien nacheinander kinderlos mit derselben Frau verheiratet gewesen - Stichwort 'Schwagerehe'. Darum nennt Africanus den Melchi in seinem Brief an Aristides auch den Großvater des Joseph und nicht den Ur-Urgroßvater. Wem das allmählich zu viel 'Schwagerehe' wird, der sei darauf hingewiesen, dass sich aus Lukas 20, 27ff schließen lässt, dass das Gesetz der Schwagerehe von den frommen Juden um die Zeitenwende durchaus beobachtet wurde und zumindest so häufig Anwendung fand, dass die Sadduzäer darüber angeregt debattierten. Jene „Hebrew genealogists“ übrigens werden die „Herrenverwandten“ sein, auf deren genealogische Überlieferungen sich Africanus auch im Brief an Aristides beruft. Bevor man an diesem Punkte über Africanus spöttisch die Nase rümpft, sollte man sich Folgendes bewusst machen: Unter den frühen Judenchristen Palästinas hatten die bekehrten Verwandten Jesu einen ganz besonderen Rang. Z. B. waren die ersten beiden Vorsteher der judenchristlichen Gemeinde zu Jerusalem (nach den Aposteln Petrus und Johannes) der „Herrenbruder“ Jakobus d. Gerechte und der Vetter Jesu Symeon. Hegesippus berichtet von unter den Christen angesehenen Herrenverwandten noch zur Zeit Domitians. Es ist m. E. stark anzunehmen, dass sich jene Herrenverwandten tatsächlich (wie andere Juden auch) eingehend mit der Genealogie ihres Geschlechts beschäftigten. Dass man in Palästina im weitesten Sinne Familien-Überlieferungen zum Stammbaum Jesu antreffen konnte, ist überhaupt nicht unwahrscheinlich. Und dass ein echt historisch forschender, christlicher Chronologe und Genealoge wie Africanus, der zeitweilig in Emmaus-Nicopolis lebte, solche Überlieferungen aufspürte, ist nicht unglaubhaft. Damit will ich freilich nicht über die historische Zuverlässigkeit jener Überlieferungen urteilen, sondern nur sagen, dass Africanus seine Leser mit seiner Berufung auf die Überlieferung der Herrenverwandten nicht getäuscht haben muss.


Dass Africanus als historisch denkender Chronologe imgrunde sogar davon ausgehen musste, dass Matthäus die Reihe der Generationen nicht vollständig liefere, macht auch die folgende Überlegung deutlich: Die Stammbäume des Matthäus und des Lukas 'kreuzen' sich zwischenzeitlich bei Schealtiel und Serubbabel. Beide Stammbäume führen diese beiden Männer auf – für den Chronologen also ein guter Vergleichspunkt. Serubbabel wurde im babylonischen Exil geboren (wie es zum einen schon seine Name lehrt, zum anderen aber auch Stellen wie 1. Chronik 3, 17f u. Neh. 7, 7 zu verstehen geben). Nehmen wir einfach mal die Mitte des siebzigjährigen Exils an, so wäre Serubbabel im Jahr 4907 der Weltära des Africanus geboren worden (denn nach Africanus endete das Exil im Jahr 4942/4943). Jesus ist nach Africanus im Jahr 5500 oder 5501 der Weltära geboren worden. Die Geburt des Serubbabel und die Geburt Jesu trennen also nach Africanus 593/594 Jahre (Nach heutigem Ermessen sind es eher ca. 570 Jahre von der Mitte des babylonischen Exils bis zur Geburt Jesu). Diese 'Africanische' Zeitspanne füllen laut dem Matthäusevangelium nur 11 Generationen. Somit hätten die Väter der Matthäus-Liste ihren Stammhalter im Durchschnitt erst im Alter von etwa 54 Jahren erzeugt – zum Vergleich: bei Lukas im Alter von ca. 30 Jahren (bzw. wenn man mit Africanus die Generationen Levi u. Matthat ausschließt, im Alter von 33 Jahren). Für Africanus musste also nach der Empire die aus Lukas zu ermittelnde Generationen-Anzahl näher an der historischen Wahrheit liegen als die aus Matthäus ersichtliche. Folglich hat Matthäus gemäß biblisch-jüdischer Gewohnheit nicht ausnahmslos alle Generationen aufgezählt.

So in etwa möchte ich Africanus' Umgang mit den abweichenden Generationen-Anzahlen bei Matthäus und Lukas rekonstruieren.
So sehr jeder frühe christliche Schriftsteller irgendwo auch immer christlicher Apologet war, so sehr fällt bei Africanus doch andererseits auch ein für seine Zeit durchaus bemerkenswerter quellenkritischer und historisch-nüchternder Umgang mit den Evangelien auf.
 
Mir scheint ein Aspekt bei dieser Diskussion übersehen zu werden. Während der babylonischen Gefangenschaft wurden Listen der Sippen geführt. Später galt nur als Jude, wer darin aufgeführt war. Dass jemand zur Sippe Davids gehörte, heißt somit nicht unbedingt, dass er alle seine Vorfahren nennen konnte. Die Aufzählung von Vorfahren konnte somit als "Programm" begriffen werden. Fiktiver Stammbaum und reale Sippenzugehörigkeit wären so kein Widerspruch. Und David dürfte schon damals viele Nachfahren gehabt haben. Unmögliche wäre eine entsprechende Sippenzugehörigkeit Jesu jedenfalls nicht. Darüber, ob, bzw. wie wahrscheinlich sie ist, wird man sich nicht einigen können. (Die Bibelstellen muss ich nachreichen.)
 
Dass jemand zur Sippe Davids gehörte, heißt somit nicht unbedingt, dass er alle seine Vorfahren nennen konnte. Die Aufzählung von Vorfahren konnte somit als "Programm" begriffen werden. Fiktiver Stammbaum und reale Sippenzugehörigkeit wären so kein Widerspruch.

Aus Historiker-Sicht ist das richtig. Genauso wären aus dieser Sicht auch fiktiver Stammbaum u. fiktive Sippenzugehörigkeit oder realer Stammbaum u. reale Sippenzugehörigkeit kein Widerspruch und denkbar. Inwieweit Lukas und/ oder Matthäus historisch zutreffende bzw. historisch unzutreffende Aussagen über die Abstammung Josephs u. Jesu machen, ist, denke ich, zum großen Teil Einschätzungssache (Wenigstens in dem Punkt der Abstammung aus dem Hause Davids tendiere ich - wie Du womögl. auch - dahin, dass eine solche Abstammung die Wahrscheinlichkeit auf ihrer Seite hat).

Was nun die Stammbäume mit den im einzelnen konkreten Namen der Vorfahren des Josephs anbelangt, so ging es zumindest mir in dieser Diskussion vorrangig darum, die Sicht des Africanus auf diese beiden Stammbäume darzustellen und zu schauen, zu welchen Ergebnissen den Africanus seine Forschungen und Überlegungen geführt haben.
Klar setzt der Christ Africanus voraus, dass die beiden unterschiedl. Stammbäume bei Lukas und Matthäus irgendwie der histor. Wahrheit entsprechen (und diese Voraussetzung müssen wir nicht teilen). Aber sieht man dem Africanus diese 'christliche Voraussetzung' nach, so darf man - finde ich - seine nüchterne historische Erklärung der Unterschiede durchaus würdigen.
 
Inwieweit Lukas und/ oder Matthäus historisch zutreffende bzw. historisch unzutreffende Aussagen über die Abstammung Josephs u. Jesu machen, ist, denke ich, zum großen Teil Einschätzungssache

Mal abgesehen von der Möglichkeit der Abstammung von David:
Kann man denn beiden Evangelisten (familien)historisch zutreffende Aussagen unterstellen?
Ich meine, ohne apologetische Absicht?

Es spricht doch nichts dafür und viel dagegen.
 
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