Bei alledem sollte man meiner Meinung nach allerdings auch nicht die Frage der Wahrnehmung übersehen. Wir leben heute im Zeitalter der Massenmedien. Dieses Zeitalter begann mit der Erfindung und Ausbreitung des Telegraphen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Die Folge war, dass Informationen aus allen Teilen der Welt rasch über den ganzen Erdball verteilt werden konnten. Es ist daher auch kein Zufall, dass in dieser Zeit die ersten modernen Nachrichtenagenturen wie z.B. Reuters entstanden. Mit der Erfindung des Fernsehen und schließlich des Internets hat sich diese Tendenz weiter verbreitet. Wir bekommen heute allabendlich in den Nachrichten Bilder von noch so kleinen Konflikten in völlig abgelegenen Regionen. Ich glaube, dass viele dieser Konflikte schon vor vielen hundert Jahren so ausgekämpft wurden, dies gilt vor allem für zahlreiche Regionen in Afrika und Asien - nur: es hat damals niemand in der restlichen Welt wahrgenommen, weil nicht darüber berichtet wurde (werden konnte). Wobei auch die Frage zu stellen ist, ob es jemanden interessiert hätte, wenn es schon damals in den Zeitungen gestanden hätte. Erst die Kraft des bewegten Bildes schafft da eine Nähe, die zur persönlichen Wahrnehmung des Geschehens führt. Die Konflikte müssen dabei nicht weniger grausam und für die Betroffenen tragisch gewesen sein, nur weil seinerzeit statt der Kalaschnikow irgendwelche Mascheten und Sperre oder Vorderlader benutzt wurden.
Insofern bin ich mir da überhaupt nicht so sicher, ob es im 20. Jahrhundert mehr Kriege gegeben hat als früher. Mit Sicherheit waren sie aber umfassender und aufgrund der technischen Möglichkeiten verheerender als in früheren Zeiten (obwohl auch das zu relativieren ist: eine Auseinandersetzung wie der 30jährige Krieg hat prozentual mehr Menschenleben gekostet als der Zweite Weltkrieg, bezogen auf Mitteleuropa). Wenn man sich aber beispielsweise einmal anschaut, wieviele Kriege im 20. Jahrhundert in Europa geführt wurden, fällt die Bilanz zum Beispiel rein zahlenmäßig gar nicht so schlecht aus. Nach den grausamen Erfahrungen zweier Weltkriege und unter dem Damoklesschwert der nuklearen Auseinandersetzung wurde über vierzig Jahre lang in Europa kein Krieg mehr geführt - bis Jugoslawien sich ab 1991 in einer Orgie der Gewalt selbst zerlegt.