Ave zusammen,
hier die Beantwortung eurer Einlassungen für die ich mich bedanke.
@cherusker
Cherusker schrieb:
...Anscheinend berücksichtigst Du auch nicht die Fehler, die gegen die Ems sprechen: Tac. I.Buch (70): ......Tac. II.Buch (8)......
Schön dass du es auch erfasst hasst. Tacitus ist eben an etlichen Stellen widersprüchlich, und die du da angegeben hast sind noch lange nicht alle.
Aber genau daher kommt ja die Widersprüchlichkeit der PLH: Weil Tacitus nachweislich oft falsch liegt, KANNST DU NICHT an einer Stelle auf akribische Auslegung (Topologie des Schlachtortes) bestehen UND an anderer Stelle grosszügig über das geschriebene hinwegdeuteln.
Daher ist die PLH eben völlig inkonsistent !
Cherusker schrieb:
...Die Ems war damals nicht so beschiffbar wie in heutiger Zeit. Die große Flotte ("1000" Schiffe), auch mit niedrigen Transportschiffen) hätte in der Ems arge Probleme bekommen. .......Da Augustus die Elbe als Grenzfluß ansah, ist hier eigentlich die Weser wesentlich naheliegender.... So ganz kann die Übersetzung da nicht stimmen, da von der Ems an die Weser für die Römer ein Zug durch Sümpfe und Moore bevorstand und das ist mit 8Legionen doch ein Problem. ....Wo steht eigentlich geschrieben, daß die AMISIA zwangsläufig die Ems war?..... Gerade seine Germanenkriege sollten die römische Elite zum Nachdenken anregen...... Sie kämpfen nicht für Ruhm und Ehre Roms, sondern nur für Geld, somit ein reines Söldnerverhalten. .....
Genau, da sind wir in trauter Gemeinsamkeit mit Jahn, auch an diesen Stellen hat Tacitus zum Teil (aus Sicht moderner Historiker) echten Bockmist verzapft. Klar, Germanicus kam über die Weser in 16 ! Und das ist ja genau der Punkt: Insbesondere in topographischen Details liegt Tacitus mit schöner Regelmässigkeit im Gegensatz zu den tatsächlichen Verhältnissen. Die kannte er nämlich nicht wirklich, und sie waren für seine Geschichte auch nicht so wichtig, ganz zu Schweigen von seinem Zielpublikum, für die das ehedem keine Bedeutung, ausser einer dramaturgischen, hatte.
Ein weiterer Beleg also für die Inkonsistenz des Tacitus, aber damit auch der Pontes-longi-Hypothese. Gerade bei topographischen Details, wie du selber inzwischen festgestellt hast, liegt Tacitus öfters daneben. Wo und wie ist aber immer unklar, im Einzelfall ist schwer zu sagen ob er realitätsgetreu berichtet oder nicht.
DAHER: Mit topograpischen Details ist die PLH grundsätzlich nicht zu rechtfertigen !
Ihr müsstet schon etwas handfestes bringen, also C1 oder C2. Insbesondere C2 wäre wirklich ein leichtes Unterfangen, wenn ihr recht hättet !
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Cherusker schrieb:
...Tacitus berichtet auch als einziger Historiograph/Historiker über Idistaviso und den Angrivarierwall. Und wenn 4Legionen ebenfalls knapp einer völligen Vernichtung entgehen, dann kann man das schon erwähnen......
Absolut richtig, die Schlussfolgerung von Jahn ist in dem Punkt auch völlig schlüssig ausgeführt, es waren eben, genau wie Caecinas Schlacht, keine vernichtende Schlachten (im krassen Gegensatz zur Varusschlacht) , weder auf der einen noch auf der anderen Seite.
Cherusker schrieb:
...Wo ist denn der "bequeme Pass von Coppenbrügge"?
....... Die heutige B1 kommt von Hameln und geht über Coppenbrügge nach Elze. Aber da geht es nirgendswo über einen Pass. Eigentlich der übliche Weg, wenn man die heutigen Maßstäbe ansetzt. .....
Auch absolut richtig. Der Ausdruck Pass ist etwas irreführend, dass muss ich dir konzidieren. Der Weg ab Hameln, ich habe ihn schon mehrfach abgefahren, geht über bequeme und sehr breite Pfade, an der schmalsten Stelle bei Coppenbrügge (deswegen habe ich den Begriff Pass verwendet) beträgt die Breite immer noch satte 2200 Meter ! Der Fakt ist eben, dass, wenn man es von der Lippe bis am Weserübergang von Hameln geschafft hat, der Weg zur Elbe hin für die Legionen praktisch frei ist.
Wer sich diese Stelle angucken will: GoogleEarth Position 52 06 46 N 09 34 37 E zeigt die Stelle. Dort erkennt man auch Bodenmerkmale, die auf ein ovales 460 x 630 m grosses Marschlager von knapp 30 Hektar Grösse hinweist. Nur ein Verdacht klar, aber wer suchet der findet.
Cherusker schrieb:
...Die Archäologen gehen eher davon aus, daß die Römer das Leinetal entlang bis nach Elze zogen, um dann nach Osten zur Elbe zu gelangen. .....
Auch richtig, es ist die zweite Möglichkeit die Elbe zu erreichen.
Cherusker schrieb:
...Auch empfiehlt es sich von der Lippe unterhalb des Eggegebirge zur Diemel zu gelangen, da diese direkt zur Weser bei Karlshafen führt. Übrigens ist das Römerlager Kneblinghausen auch nicht allzuweit von der Quelle der Diemel entfernt. .....
Richtig, das ist die Dritte Möglichkeit.
Alle drei Routen wurden ausprobiert und begangen, von Vetera aus nimmt man günstigerweise aber die topologisch und kürzere Strecke via Hameln, von Mainz aus dagegen die Route via Leinetal.
Cherusker schrieb:
...Ob die Römer die heutige B1 (alter Helweg) nutzten, um dann an der Emmer entlang in den Raum Hameln zu gelangen ist fraglich. Sie könnten dann allerdings entlang der Hamel bis zum heutigen Bad Münder gelangen, um dann durch die Deisterpforte weiter gen Osten zu gelangen. .....
Könnte man, ist aber nicht sinnvoll (52 12 01 N 09 31 43 E). Der Anmarschweg ist praktisch derselbe bis hinter Hameln, dann hat man im Prinzip die kürzere Möglichkeit über die 2200 m weite Schmallstelle bei Coppenbrügge, oder man macht einen kleinen nördlichen Umweg und geht durch die nur etwa 500 m breite Schmalstelle bei Bad Münder. Wenn du also die Wahl hast zwischen einer etwas kürzeren Wegstrecke über einen für die Legionen idealen Weg über einen 2200 m breiten „Pass“ und einem Umweg über einen bedrohlichen 500 m Pass, welchen Weg wählst du dann ?
@cato
Cato schrieb:
...bei deinem Engagement sollte man dich in Kalkriese als Chefideologen einstellen! .....
Ich bitte drum. Ich könnte da schon hilfreich sein.
Cato schrieb:
...Die (wissenschaftliche) archäologische Arbeit in Kalkriese ist deduktiv. Deduktive Argumente stimmen immer, oder sie stimmen nicht. Gemäß dem Falsifizierungsprinzip (nach Popper) widerlegt ein Gegenbeispiel den Schluss. Stimmst Du mir zu? .....
Nein. Erstens, das Popper/Ockham Prinzip ist erstmal völlig unabhängig davon, ob ich meine Erkenntnisse induktiv oder deduktiv erwirtschaftet habe. Zweitens ist das, was du hier beschreibst, induktiv und nicht deduktiv. Deduktiv, da schliesse ich vom Allgemeinen auf das Besonderen und Induktiv umgekehr vom Besonderen auf das Allgemeine. Das Besondere ist i.a. der Einzelfund (z.B.Münze) und das Allgemeine ist die Schlacht (das ist das grössere Ensemble, Münzen sind nur eine Teilmenge). Aber auch deduktive Schlüsse können eine Rolle spielen, besondere Kraft entfalten sie, wenn man etwas VORHERSAGT, was dann tatsächlich eintrifft. Dafür hätte ich auch Beispiele, wenn gewünscht.
Übrigens muss man die wissenschaftliche Methodik noch etwas erweitern : Es gehört auch die Wechselwirkung mit dem Experiment dazu, also Popper/Ockam<->Experiment, d.h. Theorie und Experiment bedingen sich gegenseitig und müssen mit den wenigsten Hilfsannahmen in Übereinstimmung gebracht werden (Ockhamregel).
Cato schrieb:
...Fazit: Man kann den positiven Beweis nicht erbringen, indem man anführt, an diesem Ort habe man zahlreiche Funde. Die Objekte, die diesen positiven Befund liefern würden, sind eben nicht vorhanden! Andererseits kann man dagegen den negativen Nachweis erstellen, indem man einen Gegenbeweis liefert (Du kannst dich bei Popper bedanken….). .....
Hier hast du den Popper nicht ganz verstanden. Positive Beweise kann man nämlich
grundsätzlich nicht herstellen. Das ist im Alltagsleben zwar mehr eine selten wahrgenommene akademische Feinheit, für die wissenschaftliche Methodik ist sie aber entscheidend. Eine Theorie muss, um als wissenschaftliche Theorie gelten zu können, überprüfbare Vorhersagen machen, und, jetzt kommt der Punkt, klar definieren, wie sie zu WIDERLEGEN ist, d.h. sie muss ihren (machbaren !) Gegenbeweis selbst vorlegen.
Letzteres habe ich getan, mit C1 und C2.
Von zwei Theorien, die das Gleiche vorhersagen (z.B. Funde von Schleuderbleien etc.pp.), ist dann diejenige die zunächst gültige, welche dazu die wenigsten Zusatzannahmen benötigt (Ockham).
Die PHL sagt zwar (nach eurer Interpretation, da kann man aber sogar noch zusätzliche methodische Mängel geltend machen) das gleiche voraus, braucht aber weitere Zusatzannahmen, z.B. das Fehlen des „wahren“ noch viel grösserern Varushorizonts zu erklären, weiter das Fehlen der Asse aus 10/11 zu erklären, und etliches mehr.
Weiterhin fehlt der PLH die Definition ihrer machbaren eindeutigen Gegenbelege.
Aber die kannst du ja vielleicht nachliefern, und dann diskuttieren wir weiter.
(P.S..: Nur ein Beispiel dafür, angenommen die Münzfunde wären noch nicht ausgewertet. Dann könnte man behaupten, es sei eine Schlacht des immensum bellum gewesen, denn der war zweifellos auch gewaltig, und dann könnte es ja schon so sein. Möglicher (deduktiver) Gegenbeweis den ich für meine Theorie ins Feld führe: Es müssen Funde von nach 4 n.Chr. da sein. Gesagt, getan, ich finde reichlich VAR-gestempelte Münzen, die hier erst ab 7 n.Chr. vorliegen können. Also, immensum bellum technischer K.O.! q.e.d.)
Cato schrieb:
...Auch Tony Clunn weiß übrigens nicht, welchen Weg Varus nahm. Clunn selbst hat jahrelang intensiv nach dem ersten Marschlager des Varus gesucht. Das Resultat kannst Du sicher erraten. .....
Klar, weil er im wahrsten Sinne des Wortes viel zu kurz gegriffen hat. Richtig ist aber seine These, dass sie östlich des Kalkrieserberges aus südlicher Richtung das Wiehengebirge durchbrachen. Wenn man bereit ist, von inzwischen verfestigten Dogmen (wie z.B. der Mindentheorie) abzulassen, und wenn man sich dann noch ein GIS-Sytem nimmt, und mal versucht, einen Kreis von 30 km im Weserbergland zu versenken, dann bekommt man schnell eine Ahnung woher der Zug kam, damit eine realistische Chance bestand, ihn in GÄNZE zu vernichten. Das ist dann der Beginn eines deduktiven Schlusses....
Cato schrieb:
....Die archäologische Arbeit von Frau Dr.Wilbers-Rost ist zweifelsfrei wissenschaftlich und gewissenhaft. Nur, wenn sie beginnt, die Befunde zu deuten, bleibt kein Auge trocken. Ich kann Dir nur empfehlen, einmal einen Vortrag von Ihr in Kalkriese anzuhören. Ihre Schilderung der Défilé-Schlacht muss man sich auf der Zunge zergehen lassen......
Ich gebe dir recht, dass es im gesamten Kalkriesekomplex immanente Probleme gibt. Man ist ja jetzt schon (seit Clunn) fast zwanzig Jahre dort tätig, das ursprüngliche Personal hat gewechselt, Schlüter und Clunn sind nicht mehr aktiv, und der ganze PR-Rummel und Museeumsbetrieb hat Millionen verballert, die in Forschung vielleicht besser angelegt worden wären (nicht nur in Kalkriese), das u.v.m. geht den verbliebenen und neuen genervten Archäologen gehörig an die Substanz.
Die Auswertung der noch immer bei weitem nicht vollständigen Funde wird dann kurzfristig von den tätigen Archäologen verlangt, obwohl es, wie du richtig sagst, noch vieler Experten, insbesondere auch Militärhistorikern bedarf, eine umfassende Interpretation der Funde vorzulegen.
Beste Grüsse, Trajan.