Der moderne Antisemitismus seit dem 19. Jahrhundert speiste sich aus anderen Quellen, als der alte christliche Antijudaismus.
Die entscheidende Verbindung zwischen dem religiös geprägten Antijudaismus und dem rassistisch geprägten Antisemitismus liegt wahrscheinlich im Spanien des 15. Jahrhunderts in Zusammenhang mit den sog. Marranen. So jedenfalls die These von Léon Poliakov, Geschichte des Antisemitismus, Band IV.
Begonnen hatten Zwangstaufen schon 1380-1390 in Kastilien. Die Zwangsgetauften (Neuchristen, conversos) verhielten sich aber weiterhin heimlich als Juden. 1412 gab es die „Disputation von Tortosa“, die mit „freiwilligen“ Taufen von Juden einherging. Noch wetterte der Papst Martin V in 2 Bullen gegen solche Taufen: eine Zwangstaufe sei keine christliche Taufe.
In Kastilien und Aragon gab es somit Anfang des 15. Jh. 3 Kategorien von Juden, sofern sie nicht emigriert waren, eine Aufstellung insbesondere von dem Franziskaner Alfonso de Spina:
- die öffentlichen Juden (bis 1492 als Religionsgemeinschaft immer noch erlaubt)
- conversos, die aber im Herzen jüdisch blieben. Sie waren der Ursprung des Marranentums, nach Poliakov. Sie konnten sogar Erlaubnisscheine zum „Judaisieren“ erwerben (!), was ein Teil des Ablasshandels war.
- überzeugte conversos. Aber auch ihnen wurde misstraut
Einer von ihnen (unter Nummer 3), Antonio Montoro, hat hierzu sogar ein Gedicht verfasst, das er Königin Isabel gesandt hat, natürlich in Spanisch
:
Das Credo hab ich aufgesagt.
Vor Töpfen mit festem Speck bin ich nicht verzagt.
Messen habe ich gehört, um zu beten.
Jedoch konnte ich nicht töten
des Confesos Gesicht, Gestalt.
Gebetet hab' ich mit Gewalt.
Den Rosenkranz hab' ich gezählt,
zu tilgen, was ich hab' gefehlt.
Doch niemals konnte ich's erreichen:
Der Name des alten, üblen Juden wollt' nicht weichen.
Teilweise war es so, dass von der Bevölkerung sogar eher Juden als Neuchristen akzeptiert wurden, insofern sie als ehrlicher galten. Ab 1480 wurde die Inquisition installiert, wobei die Marranen die Hauptzielgruppe waren. Es folgte bald darauf das Edikt zur Austreibung der Juden aus Spanien (31.3.1492), sofern sie nicht konvertierten. Zwar wurden nun auch die Marranen durch die Inquisition peu à peu liquidiert (im Verlauf des 16. Jh), aber durch die Vereinigung von Portugal und Spanien gab es wieder genügend von ihnen, da zuvor viele nach Portugal geflohen waren.
Damit aber, so Poliakov, beginnt der
Übergang von einem durch das Glaubensbekenntnis bedingten zu einem von der Rasse her bestimmten Hass.
In Spanien legte man Wert auf den Stammbaum, auf das „reine Blut“ (
limpieza de sangre). Ursprünglich bedeutete der Begriff „Neuchristen“ die frisch Konvertierten, nun bedeutete er „alle Nachkommen solcher Konvertierten“. Z.B. verlangten die Ritterorden jetzt Nachweise der „Blutreinheit“ (heißt: den Nachweis, nicht von Neuchristen abzustammen). Unter Karl V erlangte der „Blutnachweis“ Gesetzeskraft. Der erhielt sich bis 1835; endgültig abgeschafft wurde er 1865.
Insofern sind die Marranen diejenige Gruppe, die „bewiesen“ hat, dass das Judentum nicht einfach nur ein Konglomerat religiöser Riten ist, sondern eingebranntes Erbgut, und damit der Rassentheorie des Antisemitismus den Weg gebahnt hat.