Ich denke auf dem Lande und wohl zeitgleich in Deutschland kamen tatsächlich diese Entwicklungen weit später an, wobei es ohnehin in Erstaunen versetzen mag, dass sie bei der Ablehnung welche auf dem Lande gegen die städtischen Einflüsse bisweilen herrschte, überhaupt so ein fassbarer Umschwung einsetzen konnte. Wenn man sich anschaut wie, sozusagen contraire zum Geschehen in der Stadt, die Geistlichkeit immer noch im 18.Jh. auf dem Dorf tonangebend war, was sich dann in der Großen Franz. Revolution (Stichwort Konterrevolution) offenbarte, fragt sich wie dieser Verfall einsetzen konnte.
Auf Frankreich bezogen stellt Burgière die Behauptung auf, daß es auf dem Lande durchaus anders zuging als in der Stadt, sogar noch 'unmoralischer'. Er begründet dies in Frankreich zum Einen mit lokalem Brauchtum, daß durchaus in bestimmtem Rahmen vorehelichen Geschlechtsverkehr zuließ, sowohl als auch der Behauptung, daß die Einflüsse des Jansenismus, der laut ihm das Liebesleben der Paare denen überließ, eine Sittenlockerung Ende des 17. Jahrhunderts zuließen. Leider geht an dieser Stelle nicht hervor, ob dies Auswirkungen auf die Behandlung lediger Mütter in Frankreich hatte, und da mir auch nicht genug Quellen vorliegen, läßt sich schwer sagen ob Stadt Land beeinflußt hat, oder vielleicht umgekehrt.
Olwen Hufton in 'The Prospect before Her: A History of Women in Western Europe 1500-1800' Vintage (1998), hingegen meint, daß durch Landflucht, als im Laufe des 18. Jahrhunderts immer mehr junge Frauen in die Städte zum Arbeiten kamen, ein Umdenken stattfand, da diese jungen Frauen ihre dörflichen Bräuche mitbrachten und eher an ein Heiratsversprechen glaubten, sich also demzufolge öfter in der misslichen Lage einer ledigen Mutter zu finden. Meines Erachtens nach ist diese Theorie sehr gewagt, und nur bedingt, wenn überhaupt in Betrachung zu ziehen um den Unterschied zwischen städtischen und ländlichen Auffassungen zu erleuchten. Will heißen, daß ich es aus Mangel an schriftlichen Quellen durchaus für möglich erachte, daß ein 'Umdenken' auf dem Lande in dem Sinne nicht nötig war, da die 'Unmoral' durch Brauchtum und Gepflogenheit institutionalisiert und kontrolliert war.
So schreibt ein gewisser Jean d'Arrerac über die Basken, daß sie die Gewohnheit hätten zuersteinmal versuchsweise zusammenzuleben, ohne kirchlichen Segen, um einander Gewohnheiten zu begutachten und die Fruchtbarkeit zu prüfen. (Quelle: Burgière). In den Städten jedenfalls scheint in Umdenken stattgefunden zu haben, nicht unbedingt über Sexualmoral, sondern viel eher im Bezug auf die geborenen Kinder.
Johann Peter Frank in 'System einer vollständigen medicinischen Polizey' C.F. Schwann: Mannheim (1779-1780), Vol 2. :" Der Zustand der Schwangerschaft bei unverheirateten Frauen ist so achtenswert wie bei verheirateten Frauen; beide tragen einen Bürger und ein Geschöpf Gottes unter dem Herzen." Er glaubt, daß es im Sinne des Staates ist die Bevölkerung aufrecht zu erhalten oder zu vergrößern.
Vielleicht könnte man also eher davon ausgehen, daß nicht die Sexualmoral sich geändert hat sondern vielmehr der Umgang mit unehelichen Kindern, also eine Sittenlockerung so zu verstehen wäre, daß sie sich auf die Kinder bezog, nicht jedoch auf die Mütter und Väter.
Nachtrag:
Nachdem ich die ursprüngliche Quelle aus der ich die Sache mit der sexuellen Revolution hatte wieder gesucht und gefunden habe, ist die Verwirrung noch kompletter geworden, zum einen weil ich mich verlesen habe (mea culpa :rotwerd
und M. Mitterauer (Ledige Mütter. Zur Geschichte unehelicher Geburten in Europa) diese Revolution
nicht im 18. sondern im 19. Jahrhundert ansetzt, und zum anderen, weil andere Quellen sie zu anderer Zeit ansetzen. Anscheinend gibt es nur den Konsensus das etwas passiert ist...