Nürnberger Kriegsverbrecherprozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher

Hier gibt es noch einen interessanten Aspekt, in der Geschichte zum IMT:

Wie in jedem Prozess hing die Qualität der Verteidigung auch von den Anwälten ab. Der schon erwähnte Kranzbühler stellte sich vielleicht am besten auf das angelsächische Verfahrensrecht ein.

Otto Kranzbühler ist ein gutes Stichwort, und seine intimen Erfahrungen mit dem angelsächsischen Prozessrecht wurden oft zitiert, sind schon legendär.

Das Ganze hat eine kleine Vorgeschichte, die erwähnenswert ist und die geschickte Verteidigung von Dönitz und Raeder als Angeklagte für die Kriegsmarine, sowie die Tätigkeit von Kranzbühler als Verteidiger von Dönitz in besonderem Licht erscheinen läßt.

1.: Kranzbühler mokierte sich über die Behinderung der Verteidiger, verspätete Einsichtnahmen, taktierte über Stenographiefragen der deutschsprachigen Aussagen und über die prozessualen Zulassungen oder Verwerfungen von diversen Affidaviten.
2. Bekanntlich wird nirgends so viel gelogen wie vor Gericht, bevorrechtigt ist dabei der Angeklagte. Aber Spaß beiseite:

Die Kriegsmarineführung bereitete sich über 2 Jahre sorgfältig auf ihre Verteidigung vor. 1945 minus 2 = 1943!! Der Prozeß begann doch erst im Herbst 1945, und 1943 war der Krieg noch nicht beendet?? Das gleicht einem Einbrecher, der ein Diktiergerät mitnimmt und vor dem Tresor das Plädoyer vorbereitet.

Die Kriegsmarine erwies sich schon immer als die Teilstreitmacht, die eine große Übersicht und ein gewisses strategischen Denken auszeichnete. 1943 bis 1944 arbeitete man daher akribisch die Selbstdarstellungen aus, die zur Verteidigung "vor der Geschichte" notwendig werden würden. Den Auftrag dazu gab Großadmiral Dönitz, umgesetzt wurde er von Assmann, Prof. Widmann, Baumbach ua. im Oberkommando. Solltem dem früheren Generalreferenten beim Oberkommando der Seekriegsleitung Kranzbühler diese Aktivitäten verborgen geblieben sein, war er doch auch schon zuvor in diverse rechtliche Fragen eingebunden, wenn es um die große Linie ging (zB Seekriegsrecht, warnungslose Versenkungen, uneingeschränkter Handelskrieg usw.). Sollten der Angeklagte Dönitz knapp ein Jahr nach Abschluss der Tätigkeiten vergessen haben, dass es eine solche "Akte" gab? Sollte der Angeklagte Raeder vergessen haben, seinen Verteidiger zu informieren, dass er zu dieser Akte schon kriegsmarineintern im Ruhestand befragt und um umfangreiche Kommentierung gebeten wurde?

"Die Kriegsmarine" rechnete im Herbst 1943 mit einem ungünstigen Ausgang des Krieges, nachdem die Operation Zitadelle gescheitert, Italien abgefallen und die Ostfront im vollen Rückzug auf ganzer Linie war. Sehr vorausschauend bereitete man die "Verteidigung nach dem Krieg vor" und sammelte entlastendes Material über die deutschen Angriffskriege. Verteidiger Kranzbühler konnte aus dem Vollen schöpfen, die Rechts- und Grundsatzabteilung der Seekriegsleitung hatte ganze Arbeit geleistet.

Im Prozess gab sich Kranzbühler dann von belastenden Dokumenten überrascht und in den Rechten der Verteidigung beschnitten.:yes:


[P.S. der Angeklagte Göring wurde übrigens vom Auswärtigen Amt "versorgt" und zitierte so aus den internen AA-Akten, indem er zB den Überfall auf Belgien und die Niederlande, angeordnet spätestens Anfang Oktober 1939, mit Neutralitätsverletzungen danach begründete, wie es auch aus den frisierten diplomatischen Schriftstücken des AA hervorging. "lassen Sie Ihre Phantasie spielen" - Anweisung zur Begründung des militärischen Einmarsches und den Noten vom 9.5.1940]

zwei Beispiele für die Skl:
 

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Der Internationale Strafgerichtshof, dessen Zuständigkeit im Rom-Statut geregelt ist, hat die Kompetenz, Kriegsverbrecher abzuurteilen. Nur - 1945 besaß das alliierte Tribunal diese Kompetenz nicht.
Es ist richtig, dass 1945 keine dem Rom-Statut vergleichbare internationale Konvention existierte. Gleichwohl war der Internationale Militärgerichtshof zur Aburteilung deutscher Staatsangehöriger berechtigt.

Seit eh und jeh ist eine Kriegspartei berechtigt, die ihrer habhaft gewordenen Angehörige des Feindstaates wegen den von ihnen begangenen Kriegsverbrechen zu bestrafen. In der Praxis wurde dieses Recht kaum ausgeübt. Als Beispiel wird häufig der Prozess gegen Peter von Hagenbach aus dem Jahr 1474 genannt. Gleichwohl lässt sich die völkerrechtliche Akzeptanz dieses Rechtes anhand einer jahrhundertenlangen Vertragspraxis nachweisen. In einer Vielzahl von Friedensverträgen nahmen die Vertragsparteien Amnestieklauseln auf, mit denen diese wechselseitig vereinbarten des lieben Friedens willen auf die Ausübung ihres Rechtes zu verzichten. Vor diesem Hintergrund waren die Siegermächte 1945 durchaus (völkerrechtlich) berechtigt, deutsche Staatsangehörige wegen Kriegsverbrechen zu bestrafen.

Problematisch war jedoch die Befugnis, Deutsche wegen den an Deutschen (insb. an den deutschen Juden) begangenen Verbrechen zu bestrafen, da es sich bei diesen Verbrechen nicht um Kriegsverbrechen handelte. Allerdings übten die Besatzungsmächte 1945 die deutsche Staatsgewalt aus. Infolgedessen waren die Siegermächte auch in diesem Rahmen zur Ahndung berechtigt.
 
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