Partisanenkrieg im Ersten Weltkrieg?

Der deutsche Einmarsch war bezogen auf Belgien ein Angriffskrieg auf ein überraschend überfallenes Land. Für diese Situation haben Gerichte in Urteilen zu "Vergeltungsaktionen" im Partisanenkrieg ein "Besonderes Widerstandsrecht" erwogen, sozusagen (naturrechtliche) Notwehrrechte.

Der deutsche Einmarsch war sicher nicht überraschend.

Aber was mich interessiert, ist, letztlich gibt es immer einen Aggressor, einen Angreifer. Bedeutet dies, das dann der Verteidiger / Angegriffene sich außerhalb der Haager Landkriegsordnung stellen und agieren kann/darf?
 
Keine Antwort.

Es hätte mich auch überrascht, das die Haager Landkriegsordnung nicht für alle kriegführenden Parteien gegolten haben soll.
 
Einzelfallprüfung. Die Frage dürfte zu komplex sein, um eine allgemeine Antwort zu geben.

Einige Überlebende eines Massakers mögen keinen anderen Ausweg sehen. Von vornherein einen Partisanenkrieg hinter der Front zu planen dürfte unzulässig sein. Nur, um mal zwei Extreme zu benennen.
 
Der deutsche Einmarsch war sicher nicht überraschend.
Für die Deutschen nicht. Belgien wurde am 02. August ein Ultimatum gestellt, den deutschen Durchmarsch zu gestatten, was ein Bruch des Londoner Vertrages durch Deutschland darstellt. Dieses Ultimatum wurde am 03. August abgelehnt. In der Nacht darauf marschierten deutsche Truppen in Belgien ein. Bereits am 02. August wurde Luxemburg besetzt - so weit ich weiß gänzlich ohne Ultimatum (und ohne Kriegserklärung).

Gänzlich außerhalb der Haager Landkriegsordnung sind Kollektivstrafen isb. gegenüber der Zivilbevölkerung wie das deutsche Massaker in Dinant.
 
Art. 1 der Haager Landkriegsordnung von 1899 besagt:
"
Art. 1
Die Gesetze, die Rechte und die Pflichten des Krieges gelten nicht nur für das Heer, sondern auch für die Milizen und Freiwilligen‑Korps unter folgenden Bedingungen:

1.
dass jemand an ihrer Spitze steht, der für das Verhalten seiner Untergebenen verantwortlich ist,
2.
dass sie ein festes, aus der Ferne erkennbares Abzeichen tragen,
3.
dass sie die Waffen offen führen und
4.
bei ihrer Kriegführung die Kriegsgesetze und ‑gebräuche beobachten.
In den Staaten, in denen Milizen oder Freiwilligen‑Korps das Heer oder einen Bestandteil des Heeres bilden, sind diese unter der Bezeichnung «Heer» einbegriffen. "

Somit wären sogenannte Franc-Tireurs Kriegspartei im Sinne der Haager Landkriegsordnung.

Interessant übrigens wie die deutsche Heeresleitung bereits vor dem 1.Weltkrieg versuchte die Haager Landkriegsordnung aus der "Felddienstordnung" der deutschen Armee herauszuhalten:
"1911 erfolgte eine Anpassung der Felddienstordnung 1908: Um die für Deutschland am 26. Januar 1910 in Kraft getretene Haager Landkriegsordnung umzusetzen, wurde vom Kriegsministerium am 12. Dezember 1911 verfügt, dass der Wortlaut der Haager Landkriegsordnung der Felddienstordnung einfach angehängt wird.

Eine Kodifizierung dieses neuen humanitären Völkerrechts in einfache Regeln für die Soldaten und Offiziere erfolgte nicht. Das reine Nebeneinanderstellen der Felddienstordnung von 1908 und der Haager Landkriegsordnung wird als Mit-Ursache für Kriegsverbrechen durch deutsche Soldaten im Ersten Weltkrieg angesehen."
Felddienstordnung – Wikipedia
 
Wie kann man das verstehen?
Es kam doch der Erste Weltkrieg insgesamt überraschend. Es war doch nur eine sehr kurze Zeit innerhalb derer die Krise zum Krieg eskalierte.
Wie kann man das verstehen?
Es kam doch der Erste Weltkrieg insgesamt überraschend. Es war doch nur eine sehr kurze Zeit innerhalb derer die Krise zum Krieg eskalierte.

Ja, das stimmt. Aber der Schlieffenplan war ja nun kein großes Geheimnis mehr und als sich der Krieg nun immer deutlicher abzeichnete, war klar, das die deutsche Offensive durch Belgien verlaufen würde. Gemäß Schlieffenplan musste und sollte Frankreich schnell besiegt werden, damit man sich dann den anderen Gegner Russland zuwenden konnte.
Auch den Belgiern war das bewusst. König Albert hatte unmittelbar zuvor noch den Kaiser telegraphiert und diesen mehr oder weniger gebeten, die belgische Neutralität zu respektieren.
 
Für die Deutschen nicht. Belgien wurde am 02. August ein Ultimatum gestellt, den deutschen Durchmarsch zu gestatten, was ein Bruch des Londoner Vertrages durch Deutschland darstellt. Dieses Ultimatum wurde am 03. August abgelehnt. In der Nacht darauf marschierten deutsche Truppen in Belgien ein. Bereits am 02. August wurde Luxemburg besetzt - so weit ich weiß gänzlich ohne Ultimatum (und ohne Kriegserklärung).

Gänzlich außerhalb der Haager Landkriegsordnung sind Kollektivstrafen isb. gegenüber der Zivilbevölkerung wie das deutsche Massaker in Dinant.

Die deutsche Kriegserklärung an Luxemburg erfolgt am 02.August 1914. Ziel der deutschen Truppen waren die Eisenbahnen.

Ebenfalls außerhalb der Haager Landkriegsordnung war der belgische Untergrundkrieg.
 
Interessant übrigens wie die deutsche Heeresleitung bereits vor dem 1.Weltkrieg versuchte die Haager Landkriegsordnung aus der "Felddienstordnung" der deutschen Armee herauszuhalten:
"1911 erfolgte eine Anpassung der Felddienstordnung 1908: Um die für Deutschland am 26. Januar 1910 in Kraft getretene Haager Landkriegsordnung umzusetzen, wurde vom Kriegsministerium am 12. Dezember 1911 verfügt, dass der Wortlaut der Haager Landkriegsordnung der Felddienstordnung einfach angehängt wird.

Hast du hierfür eine Quelle?
 
Hast du eine Quelle, dass das ein "Untergrundkrieg" gewesen sein soll?
Statt einer Quelle wird jetzt vermutlich Keller "Schuldfragen" kommen.

Dazu Zitate aus zwei gegensätzlichen Rezensionen.

Die erste ist kurz und insgesamt sehr positiv, da heißt es:

Ein kritischer Punkt ist Kellers Bewertung der Rolle der belgischen Regierung. Für die These, dass der Einsatz von Franktireurs gegen die deutschen Invasionstruppen von der Regierungsspitze sorgfältig geplant gewesen sein könnte, finden sich zwar durchaus beachtenswerte Hinweise. Ein schlüssiger Nachweis gelingt jedoch nicht und dürfte auch schwer zu erbringen sein.

Wolfgang Mährle, in: Zeitschrift für Württembergische Landesgeschichte 77 (2018)


Die zweite ist ausführlich und negativ:

Denn dass es vereinzelt zu Attacken belgischer Zivilisten kam, ist ja unbestritten und gerade im Zusammenhang der vier von Keller behandelten Tötungskomplexe nicht unwahrscheinlich. Doch Keller geht es mehr noch um den Nachweis, dass es eine »planmäßig orchestrierte Intervention von Franktireurs« gab (S. 167). Der Beweisführung dient ein eigenes Kapitel (S. 217–254), in dem sich Keller sogar zu der These versteigt, es sei zu einem – man beachte die Wortwahl – »heimtückischen Zusammenspiel von Armee, Bürgerwacht, Einwohnern« und zuweilen selbst den katholischen Geistlichen gekommen, das auch zu »Gräueltaten« der Zivilisten gegen deutsche Soldaten geführt habe (S. 241). Zuverlässige Quellen für diese weitreichenden Behauptungen kann Keller nicht vorlegen. Dies ist ihm auch bewusst, denn am Beispiel Löwen vertritt Keller einfach die These, »dass es konzertierende Maßnahmen gegeben haben m u s s« [Hervorhebung im Original], da ja nach seinem Dafürhalten »kein Zweifel mehr an umfänglichen Löwener Franktireuraktionen bestehen kann«. Deshalb gebe eine »Zitatensammlung« deutscher Soldatenaussagen »plausible Rechenschaft über die Orchestrierung des Zivilwiderstands« (S. 91). Solche Aussagen sind unschwer als reines Wunschdenken erkennbar. Sie beruhen nicht auf seriöser Forschung, sondern zeigen das Keller leitende geschichtspolitische Interesse an, eine grundlegende Exkulpation des wilhelminischen Militärs durchzusetzen. Auch die von Keller mit großer Emphase herangezogene – und bereits mehrfach umfassend kritisierte – Studie von Alfons Fonck aus dem Jahr 1931 über die »Schrotschüsse in Belgien« belegt keineswegs, dass ein »orchestrierter Franktireurkrieg« existierte (S. 177). Listete sie doch ganze 157 Schrotverwundungen deutscher Soldaten auf – bei einer Gesamtzahl von etwa 2000 von deutschen Truppen besetzten Gemeinden –, von denen viele wiederum aller Wahrscheinlichkeit nach auf das Konto der Garde Civique gingen. Die Argumentation Kellers steht und fällt mit der Zuverlässigkeit der von ihm präferierten Quellen, d. h. der Aussagen der deutschen Soldaten im Weißbuch und vor dem Reichsgericht. Eine systematische Quellenkritik nimmt Keller nicht vor. Zu dieser gehört unter anderem die en passant auch von ihm selbst eingeräumte Möglichkeit, dass die Zeugen vor dem Reichsgericht ihre Aussagen absprachen (S. 152), dass sie wahrheitswidrige Aussagen auch unter Eid machten – und vor allem die in der Forschung wohlbekannte Tatsache, dass sowohl die Vorbereitung des Weißbuches als auch die Prozesse in Leipzig dem Ziel dienten, zur Entlastung der deutschen Armee von dem Vorwurf völkerrechtswidriger Gräueltaten beizutragen. Die von Keller intendierte »Rehabilitation« der Aussagen deutscher Soldaten ist somit komplett gescheitert. Es mutet zudem befremdlich an und entspricht nicht den Regeln seriöser wissenschaftlicher Argumentation, dass Keller in seiner permanenten Polemik gegen die Benutzung belgischer Quellen durch Horne und Kramer nirgendwo erwähnt, dass deren Thesen in erster Linie auf deutschen Quellen basieren: nämlich auf den zahlreich überlieferten zeitgenössischen Feldpostbriefen, Tagebüchern und archivalisch überlieferten Truppenakten, in denen die Täter über ihre Motive für die völkerrechtswidrige Tötung von Zivilisten Zeugnis ablegten. Dies sind immer noch die besten Quellen für die zur Debatte stehenden Zusammenhänge. Von Keller werden sie nirgendwo erwähnt.

Benjamin Ziemann, in: Militärgeschichtliche Zeitschrift 77,2 (2018)
 
Hast du eine Quelle, dass das ein "Untergrundkrieg" gewesen sein soll?

Ulrich Keller: Schuldfragen. Belgischer Untergrundkrieg und deutsche Vergeltung im August 1914

Gert Krumreich, ausgewiesener Experte zum Thema Erster Weltkrieg, hat allerdings doch eine andere Sicht auf das Thema und diese in dem Vorwort zu Keller Werk zum Ausdruck gebracht, als der von dir verlinkte Artikel. Kellers wissenschaftlicher Anmerkungsapparat ist alles andere als dürftig. Es gibt schon fast ein deutsche Bedürfnis nach der Alleinschuld an den beiden Weltkriegen und wenn da Belege vorgestellt werden, Thesen etc. aufgestellt werden, dann heisst es überflüssig oder es ist gar von Geschichtsrevisiononismus die Rede.

Gunter Spraul: Der Franktireurkrieg 1914

Hier ein Auszug einer Rezension von H/Soz/Kult zu Spraul:

"Beim vorliegenden Buch handelt es sich um eine monumentale Rezension des Buches von Horne und Kramer, die zeigt, dass dieses keineswegs als eine verlässliche Studie über die Geschehnisse beim Einmarsch in Belgien und Nordfrankreich 1914 gelten kann. Dafür weist sie zu viele Fehler, eine zu einseitige Quellenkritik und zahlreiche Fehlschlüsse auf. Der von Horne und Kramer geschmähte Nipperdey dürfte mit seiner freilich sehr summarischen Einschätzung letztlich näher an der historischen Realität gelegen haben.[6] Vor allem kann nicht mehr in Abrede gestellt werden, dass es Franktireurs und völkerrechtswidrige Angriffe auf die deutschen Truppen gegeben hat. Auch das berüchtigte „Strafgericht von Löwen“ entsprang nicht friendly fire, wie oft lapidar insinuiert wird."
 
Zuletzt bearbeitet:
Reichskanzler Bethmann Hollweg hatte immerhin freimütig vor der Weltöffentlichkeit den Bruch der belgischen Neutralität in einer Reichstagsrede freimütig eingeräumt und angekündigt für die entstandenen Schäden zu haften. Etwas vergleichbares hatte es von alliierter Seite im Weltkrieg nicht gegeben.

Und es war auch schon auffallend, das die belgischen Vorkriegsbemühungen zur Sicherung und Erhalt der Neutralität, Stichwort Festungsbau, doch etwas einseitig gegen Deutschland gerichtet waren. Die französischen Militärs hatten aber eigentlich die gleichen Absichten wie die Deutschen.

Ich füge gerne noch eine dritte dazu - von Lothar Wieland, Autor von "Belgien 1914. Die Frage des belgischen ´Franktireurkrieges" in The European vom 22.12. 2017.

Das Werk von Wieland ist aber schon sehr alt und wohl auch nicht mehr auf der Höhe der Zeit. Wieland promovierte im Jahre 1981 mit der von dir genannten Arbeit. Wieland sein Artikel von 2017 ist möglicherweise "nur" eine Verteidigung seiner Arbeit. Hat Wieland denn die ganzen deutschen Quellen, Regimentsgeschichten, die beeidigten Tausende von deutschen Zeugenaussagen in seinem Werk berücksichtigt? Die Historiker Horne und Kramer taten dies jedenfalls nicht.

Spraul seine Arbeit Der Franktireurkrieg 1914. Untersuchungen zum Verfall einer Wissenschaft schien 2016.

Keller sein Werk erschien ein Jahr später im Jahre 2017.
 
Zuletzt bearbeitet:
Zu Lothar Wieland:

Wieland ist vorzuwerfen, das er die Tausende von Zeugenaussagen deutscher Soldaten im Weißbuch schlicht als wahrheitswidrig abqualifizierte. Diskussionsbeiträge die nicht von Sozialdemokraten, Kommunisten oder Pazifisten stammen wurde geringe Glaubwürdigkeit attestiert. Zur Widerlegung der deutschen Franktireurklage hat Wieland keine belastbaren Argumente geliefert. Auch die Konstruktion von Wieland einer deutschen Kontinuität vom deutsch-französischen Krieg ist nur wenig substanziell. Es ist eher das Bedürfnis nach der deutschen Schuld aller vergangenen Kriege der letzten 160 Jahre. Die deutschen Beteuerungen der Unschuld in der Zeit der Weimarer Republik sind gemäß Wieland gleichzusetzen mit der Vorbereitung des Revanchekrieges. Und weiter, "auf dem 75jährigen Weg", also von deutsch-französischen Krieg beginnend, "habe sich die Besetzung Belgiens als missing link für die Erklärung der deutschen Sonderform des Faschismus erwiesen." Man oh man.
Wieland und Schöller haben dafür Sorge getragen, dass das deutsche Weißbuch als Sammlung angeblicher Soldatenaussagen deren Franktireurklagen sich "unbestritten als obsolet" herausgestellt hätten. Ebenfalls ohne jede kritische Überprüfung betonten dann auch die Historiker Horne und Kramer die angeblich Unglaubwürdigkeit des deutschen Weißbuches.
Soviel zu Lothar Wieland.

Auszüge der seitenlangen Kritik von Ulrich Keller in Schuldfragen an Lothar Wieland

Damit ist klar, weshalb sich Wieland dazu veranlasst gesehen hatte, einen Artikel zu Kellers Werk zu schreiben.
 
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Es gab die gegen Frankreich gerichtete Wellington-Barriere, welche im Verlauf des 19. Jahrhunderts mehrfach ausgebaut wurde. Zudem legte zwei Befestigungsgürtel rund um Anvers an, damit die Briten einen Brückenkopf hätten, sollten die Franzosen Belgien überfallen. Es stimmt also nicht, dass Belgien seine Verteidigung einseitig gegen Dtld. ausgerichtet hätte.
 
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