Ich habe nochmal nachgeschlagen.
"... Der Krieg hatte noch immer was reitzendes vor ihn : und weil ihm seine Umstände nicht erlaubten, demselben in Polen, wider den unrechtmässigen Räuber seiner Crone, nachzugehen, folgte er demselben in Flandern bey der Armee der Aliierten. Daselbst hielt er sich in unbekannter Person auf, und fand seine Gelegenheit bey dem Printzen Eugenius von Savoyen. Alle Völcker, so diese Armee zusammen ausmachten, bewunderten seine grosse Kriegs-Erfahrung und Tapfferkeit. ...
Nachdem nun dieser Monarch sich eine vollkommene Erkäntnüss von der Art und Kunst eine Vestung anzugreiffen erworben hatte, und endlich zum voraus sahe, dass die Belagerung der Vestung Ryssel sehr lange dauren würde, woferne die Frantzosen nicht selbst den Feind mit neuen Unternehmungen zur Aufhebung derselben zwingen würden, entschloss er sich wieder nach Sachsen zurück zu kehren. ..."
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Die Belagerung der Festung "Ryssel" durch Prinz Eugen, der niederländische Name für Lille, fand ab dem August 1708 statt. Es würde also in die Zeitspanne zwischen den Verträgen von Altranstädt und dem Gipfeltreffen von 1709 zu Dresden passen.
Auffällig ist, dass Pöllnitz von keinen konkreten Schlachten etwas zu sagen weiß, woran sich Friedrich August beteiligt haben soll. Meine Erklärung ist, dass er an keinen teilnahm. Auch würde das erklären, dass diese Episode aus dem Leben des Kurfürsten kaum Erwähnung in Geschichtsbüchern findet. Wie für ihn üblich scheint er inkognito gereist zu sein. In Brüssel, wo er der Duparc begegnete, soll er sich als "Graf von Torgau" ausgegeben haben.
Hätte der Kurfürst wirklich ein Kommando haben wollen, wäre man vielleicht dazu verleitet gewesen, ihm wegen seinem hohen Rang das Oberkommando über die Reichstruppen zu übertragen. Allerdings hatte Friedrich August schon im Türkenkrieg mit keinerlei Erfolg auf sich aufmerksam machen können. Der Einzige, der in dem Zusammenhang auf sächsischer Seite sich einen Namen machte, war Heinrich VI. von Reuß-Obergreiz, der in der Schlacht bei Zenta tötlich verwundet wurde.
Friedrich August hingegen war ein Feldherr mit scheinbar keinerlei Geschick als Schlachtenlenker. Ausdauer fehlte ihm ohnehin, auch wenn Herr von Pöllnitz dies im Zusammenhang mit der Belagerung von Lille mit Weitsicht bemäntelte. Hier muss man m.E. sagen, dass Pöllnitz wohl zumindest nicht ganz schummelte. Friedrich August sah sich wiederholt als Feldherr, betätigte sich auch auf dem Gebiet und soll in der Hinsicht auch eine gute Ausbildung genossen haben. Problematisch scheint mir an dieser Ausbildung gewesen zu sein, dass den Prinzen scheinbar fast ausschließlich nur das Festungswesen interessiert zu haben scheint - selbst Pöllnitz betont ja in dem einen Satz schon den diesbezüglichen Sachverstand. Tatsächlich beschäftigte sich Friedrich August Zeit seines Lebens mit Bauprojekten, sowohl von Schlossbauten, als auch bspw. mit dem Königsstein.
Mir scheint es wirklich so zu sein, wenn das wahr ist, was Pöllnitz schreibt, dass der Kurfürst eher als eine Art Ablenkung von seinen Problemen an die Front nach Flandern ging. Hätte er ernsthafte Absichten gehabt, hätte er sich ein bedeutendes Kommando übertragen lassen. Doch das hätte ihn dann evtl. vor den Augen der Weltöffentlichkeit an den Kriegsschauplatz geheftet. Vielleicht, was ich eher weniger glaube, wollte er sich nach seinen Erfahrungen in Polen, wo er in Schlachten einmal auf "Profis" getroffen ist, nicht nochmal Schlappen einstecken, die noch schwerer gewogen hätten, wenn er auch fremde ihm anvertraute Soldaten geopfert hätte. Das ist freilich reine Spekulation.
Nach all seinen Taten, passt aber irgendwie diese Stippvisite in Flandern zu seinem Charakter.
Generell gab es das ja im 17. und 18.Jh. immer wieder, dass Landesherren als eine Art Schlachtfeldtouristen aufkreuzten, um bei ihren Heeren zu verweilen, freilich ohne wirklich dieselben zu führen, was man dann wie Louis XV doch lieber den "Profis" wie dem Maréchal de Saxe überließ. Wenn es darum ging, Streitigkeiten zwischen Befehlshabern durch eine königliche Ordre zu beheben, so hatte diese Nähe des Monarchen zur Truppe sicherlich ihre Vorzüge. Andererseits stelle ich mir vor, dass die Monarchen mit ihrer üblichen Entourage auch den Fachleuten im Wege rum standen.
Nicht nur vergrößerten sie den Tross unnötig (manchmal begleiteten ja auch königl. Mätressen den Herrscher samt Anhang ins Feld), sondern es bestand ja auch ein Sicherheitsrisiko. Der Oberkommandierende der Armee musste sicher auch darauf achten, dass es dem König oder Fürsten an nichts fehlte. Obendrein konnte der Herrscher auch, trotz mangelnden Sachverstands, dazu verleitet sein, sich in militärische Angelegenheiten einzumischen, wobei man solchen Einmischungen ja kaum mit Ignorieren begegnen konnte.
* Anonym (Baron von Pöllnitz): "Das galante Sachsen" Amsterdam, 1735 - S.264-265