Ist dir klar, dass die Leute, die den 2. Weltkrieg als Spldaten erlebten, heute mindestens 82 Jahre alt sind und der größte Teil lder Soldatenängst gestorben ist? Daher kann eine so große interessierte Klientel also nicht kommen.
Ich denke, das Interesse, zumal am 2. Weltkrieg im Allgemeinen wie, in meinem Fall im Speziellen an der Ostfront rührt zum großen Teil daran, dass die vielen Verwandten die im Krieg waren, oft nur sehr wenig darüber erzählt haben, und dass da immer die Ahnung von etwas Schrecklichem war, dass so traumatisierend, so ekelhaft, so brutal, so abstoßend war, dass man darüber nicht sprechen konnte oder wollte.
Sicher, manche Opas, Großonkel etc. erzählten spannende Räuberpistolen aus dem Krieg, und manchmal wurden die alten Herren wieder wie Jungs, die sich an Abenteuer mit Etappenhengsten, Kettenhunden und Schleifern erinnerten, wie sie Champagner aus der feldflasche tranken und auf der Kühlerhaube Spiegeleier bruzzelten.
Manchmal kam dann ganz abrupt eine Bemerkung, ein schnoddriger Kommentar, eine Zote, die einen tieferen Einblick gewährte:
Leichenberge zusammengeschossener Rotarmisten! Hunger! Kälte! T-34! Einkesselung! Partisanenkrieg!"
-dann folgte eine peinliche große Stille, als ob etwas furchtbar Peinliches geschehen sei.
"Ach, das ist doch schon so lange her, regt den Opa nicht so auf!"
Meiner hatte einige Kriegskameraden, die ihn manchmal besuchten, einen lustigen Rheinländer. Die Männer zogen sich dann nach einer Weile zurück, rauchten und tranken Cognac, während die Damen Kaffee tranken- und sie schlossen immer die Tür. Der Rheinländer wusste manchmal ebenso obszöne wie episch breite Bordellerlebnisse aus Frankreich und Russland zu berichten, aber das war es nicht, weshalb sie immer die Türen schlossen.
Als dann Glasnost und Perestroika kamen, als die SU und ihre Satelliten zusammenbrachen, als anlässlich des 50 jährigen Gedenkens an Unternehmen Barbarossa erste gemeinsame Projekte deutsch- russischer Historiker gesendet und Zeitzeugen befragt wurden, erzählte mein Opa mehr von der Ostfront, was ich vorher nie erfahren habe oder nie gefragt habe wie der Rheinländer seine Hand verlor wie mein Großvater zu seinen EKS gekommen war, aber eben auch Dinge, die man zuvor nur vage geahnt hatte.
"Der Krieg" war für die Generation der Enkel, die in den 70er und 80er Jahren heranwuchs, immer noch sehr lebendig- wieviele Bekannte hatten mehrere Angehörige oder einen Arm, ein Bein verloren, wieviele mussten die alte Heimat verlassen? In der Generation unser Eltern hat man die Frage nach der NS- Vergangenheit pointierter, schärfer gestellt- oder eben auch nicht- es gab bestimmte Themen, die waren gewissermaßen Tabu. Als wir Jugendliche oder junge Erwachsene waren, hatte die Generation unserer Großeltern das Land wieder mit aufgebaut, und es war die (west)deutsche Gesellschaft liberaler und demokratischer geworden. Unsere Eltern haben Fahrten nach Frankreich unternommen, wir sind im Schüleraustausch nach Frankreich, England oder in die USA gereist oder haben Kontakt mit Schülern aus Westeuropa gehabt oder auch Gelegenheit in Warschau, Ost- Berlin und Prag mit Zeitgenossen zu diskutieren.
Ehe man über den Krieg, die NS-Zeit unbefangener und objektiver sprechen konnte, ehe auch das Bild von der unbefleckten Wehrmacht öffentlich in Frage gestellt werden konnte, bedurfte es allerdings eine lange Zeit.