Dann wäre Polen nach dem Zweiten Weltkrieg dafür bestraft worden, dass es das erste Kriegsopfer der Deutschen gewesen wäre. Es hätte den Verlust seiner Ostgebiete hinnehmen müssen, ohne ihn irgendwie kompensieren zu können, weil seine Ostgrenze eben nicht unverletzlich war, aber die des Aggressors schon.
Das ist ein Apell an das Gerechtigkeitsempfinden (den ich grundsätzlich versehen kann).
Ich hatte aber nach einer juristischen Kategorie gefragt, die es irgendwie legitim erscheinen lässt, jemanden der absolut nichts verbrochen hat seiner Rechte zu berauben um damit das Unrecht, dass andere angerichtet hatten zu kompensieren.
Mir geht es nicht daraum, dass man das von polnischer Seite her damals vor dem Hintergrund eines eigenen Gerechtigkeitsbedürfnisses so betrieb.
Mir geht es darum, dass es mir schwerfällt diesen Akt rhetrospektiv als rechtens zu betrachten.
Denn vor welchem Recht hätte er das gewesen sein sollen?
Wenn von polnischer Seite postuliert wird, dass man einen Anspruch auf Kompensationen dieser Art ungeachtet der Rechte der Bevölkerung hatte, muss dieser Anspruch sich ja aus irgendeinem Recht herleiten lassen.
Und ich wüsste einfach gerne um welches Recht es sich dabei handeln sollte.
Lässt sich dieser Akt in seiner ganzen Komplexität nicht aus irgendeinem Recht herleiten, handelt es sich meinem Verständnis nach um Willkühr.
Wenn es sich aber um Willkühr handelte kann darauf kein Anspruch bestanden haben, folglich handelt es sich, wenn diese Willkür nachträglich legitimiert wird um ein Akt des besonderen Entgegenkommens und nichts anderes.
a) den freigewordenen Wohnraum für die eigenen Ostvertriebenen und Obdachlosen (Warschau ist beim Abzug der Deutschen zu 90 % zerstört gewesen, nicht nur aufgrund der Kämpfe, sondern auch wegen einer systematischen Niederlegung der Stadt nach den Kämpfen) benötigte.
Deswegen hätte man nicht gleich ganze Bevölkerungsgruppen vertreiben müssen.
Das hätte sich auch über Zwangseinquartierungen und zeitweilige Beschlagnahmung intakter Immobilien machen lassen.
Mal davon abgesehen, hätte man, wenn man die Leute im Land behalten hätte mehr Arbeitskräfte gehabt, was den Wiederaufbau beschleunigt hätte, vor allem hätte man gelernte Facharbeiter gehabt, die in der Lage gewesen wären die schlesische Industrie wieder ans Laufen zu bringen, denn mit ungelernten Kräften aus den ehemaligen polnischen Ostgebieten musste das naturgemäß länger dauern.
Was im Besonderen die Aufrechterhaltung der Steinkohleförderung in Oberschlesien und im Waldenburger Revier und die Wiederinstandsetzung des Eisenbahnnetzes und der Häfen im Hinblick auf die Versorgung der Bevölkerung in der schwierigen Situation am Ende des Krieges bedeutete, dürfte klar sein.
Mal davon abgesehen, wäre die Wohnraumfrage entscheidend gewesen, hätte es nach Beseitigung des Wohnraummangels keinen Grund gegeben Rückkehrwilligen die Rückkehr in die alte Heimat zu verweigern.
b) weil man die Deutschen als Fünfte Kolonne fürchtete. [...]
Die Tatsache, dass man eine bestimmte Bevölkerungsgruppe einer bestimmten politischen Haltung verdächtigt, rechtfertigt nicht, ihre Rechte anzutasten.
Das ist weder mit dem Grundsatz der Unschuldsvermutung, noch mit dem Grundsatz der Gleichbehandlung aller vor dem Gesetz zu vereinbaren und sofern es sich um elementare Menschenrechte handelt ohnehin mit nichts.
Das alles mögen die Zeitgenossen auf Grund der vorangegangenen Ereignisse etwas anders gesehen haben.
Will ich den Leuten, die diese scheußlichen Erfahrungen gemacht hatten auch gar nicht vorhalten, dass ist nur zu verständlich.
In der Zwischenzeit ist allerdings einiges passiert.
Inzwischen ist die Republik Polen diversen politischen Organisationen, sei das die UN, sei das die EU etc. beigetreten, nach deren jeweiligen Satzungen das polnische Vorgehen damals, würde es heute stattfinden, scharf verurteilt würde, weil es auf diversen Ebenen Rechtsgrundsätzen widerspricht, die die Republik Polen anerkannt hat.
Wie kann man das aber einerseits anerkennen, gleichzeitig aber behaupten wollen dass man seinerzeit rechtens gehandelt hätte?
Wie kann man vor den Grundsätzen der Unverletzlichkeit der territorialen Integrität, des Selbstbestimmungsrechts, dem Grundsatz der Unschuldsvermutung oder demjenigen der Gleichbehandlung aller vor dem Gesetz, alles Dinge, zu denen sich der Polnische Staat erklärt hat, behaupten, die Übernahme der ehemaligen deutschen Ostgebiete und die Vertreibungen wären rechtens gewesen?
Aus der Perspektive der Konventionen, zu denen sich die Republik Polen heute bekennt, kann man das eindeutig nicht.
Wenn man das aber aus heutiger Perspektive nicht als rechtens betrachten kann, kann man sich auch schwerlich einbilden, man habe Anspruch darauf gehabt.