Die Technik der eingelegten - oder genauer gesagt: der unter der Achsel eingeklemmten - Lanze entwickelte sich erst in der 2. Hälfte des 11. Jh. (meine persönliche Abschätzung ist etwa zwischen 1075 und 1100, zumal der Teppich von Bayeux den Übergang von der alten [über Kopf] zur neuen [eingelegt] Technik zeigt: es sind dort beide dargestellt)...
Zumindest die Römer führten die Lanze stellenweise wie gesagt auch schon eingelegt und da sie die Reiterei von den Kelten übernommen haben, kann man dies auch von den Kelten annehmen. Auch wenn die wenigen Abbildungen vor dem Teppich von Bayeux alle den Gebrauch über Kopf zeigen (oder gibt es da doch mehrere Quellen?), denke ich nicht dass man es wirklich auschließen kann, dass die Flügellanze auch ab und zu eingelegt verwendet wurde (zumal ja auch Germanen/Franken in der römischen Reiterei dienten und so mit der keltischen/römischen Kampfesweise vertraut waren).
Oft werden zwar fehlende Steigbügel als Grund anngeführt, dass die eingelegte Verwendung nicht möglich sei, aber Junkelmann hat in Versuchen festgestellt dass dieser auch so relativ einfach auszuführen ist, ob mit oder ohne Sattel. Der römische Hörnchensattel erleichterte es zudem, wobei das Herausziehen aus dem Testsack angeblich am problematischsten sei (was mit der Flügellanze dann wohl wieder einfacher gehen dürfte).
Kennst du dich mit den karolingischen/ottonischen Sättel aus? Waren sie ähnlich aufgebaut?
Aber wir hatten es ja auch schon einmal über die Funde im alemannischen Niederstotzingen. Die dortigen Stoßlanzen und Steigbügel deuten ja auch schon auf die eingelegte Kampfesweise hin, wie sie die Awaren praktizierte, die ja auch von den Byzantinern übernommen wurde, durch die sie wiederrum die Normannen kennen gelernt haben könnten (habe ich zumindest mal bei Osprey gelesen).
Für die "neue" Technik gab es - wie ich in meinem vorherigen Beitrag schrieb - Aspekte, welche dafür sprachen: höhere Wucht im Lanzenstoß und damit mehr Angriffswucht, bessere Deckung mit dem Dreiecksschild und damit noch höherer Schutz für den Angreifenden sowie größere Reichweite der Lanze, da diese nun verlängert werden konnte.
Das alles sind natürlich deutliche Gründe, warum ein Schockangriff auf diese Weise deutlich verbessert wurde.
Aber die Schildform wäre doch auch bei der Flüggellanze von Vorteil gewesen und der flachovale Reiterschild der keltischen/römischen Reiterei dürfte eine ähnliche Deckung geliefert haben wie der Normannenschild. Auch diese Schilde deckten die Seite des Reiters vom Kinn bis zu den Waden und das Reitertraktat des Arrian berichtet sogar von einer Übung, in der eine Art Schildmauer errichtet wurde.
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So "neu" war die ritterliche Kampfesweise also auch nicht unbedingt, weswegen Junkelmann auch schreibt, dass "dem eingelegten Stoß, dessen Einführung im Hohen Mittelalter von vielen Forschern zu Unrecht eine die Kriegskunst revolutioniende Wirkung zugeschrieben würde."
Außer eben, dass die Länge der Lanze zugunsten der Flexibilität den Schockangriff verstärkte. Mich interessierte deswegen ja auch, gegen wen diese Flexibilität überhaupt derart nützlich hätte sein können, um nicht auf die höhere Durchschlagskraft zu setzen.
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Ich persönlich sehe bis jetzt den Punkt einer Überspezialisierung nicht - zumindest nicht, was Bewaffnung und Taktiken angeht. Natürlich kann man es Überspezialisierung nennen, aber ich wäre dann vorsichtig, dies im gleichen Atemzug explizit nachteilig zu bewerten.
Doch, genau darum geht es Junkelmann und wohl besonders Nicolle. Überspezialisierung habe ich es nur wegen der Aussage von Nicolle genannt und habe diese These einmal unkritisch in den Raum gestellt um diese Diskussion anzufangen.
Aber auch ich würde natürlich diese Spezialisierung auf den Schockangriff nicht als Nachteil sehen (wie ich ja schon geschrieben hatte), sondern eher als Vorraussetzung dafür, dass die schwere Reiterei überhaupt die Rolle der Hauptwaffe behalten konnte. Bei den Römern waren die Reiter ja nur eine Hilfswaffe zu der schweren Infanterie und hatte somit andere Aufgaben.
Junkelmann schreibt im folgenden dann auch, dass die Entwicklung der ritterlichen Kampfesweise wegen der Wechselwirkung der offensiven mit der defensiven Waffentechnik und eben nicht durch die Überlegenheit des eingelegten Stoßes ausgelöst wurde, der ja mit den ständig länger und schwerer werdenden Lanzen in Verbindung mit den Rüsthaken immer weiter verstärkt wurde um durch die immer stärker werdende Rüstungen zu kommen.
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Falls der Punkt "Überspezialisierung" gar in Richtung des militärischen Niedergangs des Rittertums zielen sollte, darf dies übrigens stark bezweifelt werden.
Auf den Niedergang des Rittertums oder der ritterlichen Kampfesweise, deren große Zeit ja spätestens nach Pavia 1525 zu Ende war und im 17. Jahrhundert schließlich mit dem Verschwinden der Lanze aus dem Gebrauch der westeuropäischen Kavallerie beendet wurde, zielte die Diskussion aber nicht ab.