Stamm der Chatten

Komischerweise wird Heinrich I. 1277, Sohn der Sophie von Brabant, dann auf der Mader Heide als erster hesssicher Landgraf von den hessischen Landesständen bestätigt. Die Mader Heide wat wohl schon in fränkischer und vorfränkischer zeit wichtiger Versammlungsort der dortigen Bevölkerung, vermutlich der sog. populus hassiorum. Jetzt stellt sich die Frage, warum ausgerechnet "Thüringer" auf einer hessischen Versammlungsstätte den ersten hessischen Landgrafen in seinem Amt bestätigen sollten. Zwischen der Entstehung der beiden unabhängigen Landgrafschaften Thüringen und Hessen und der des fränkisch-thüringischen Konfliktes im 6. Jahrhundert besteht ein so großer Zeitabstand, dass man anhand dessen nicht über die Zuordnung des frühmittelalterlichen Hessengaues zum fränkischen bzw. thüringischen Machtbereich spekulieren sollte. Wenn du hier schon Vergleiche anstellst, die sich über einen Zeitraum von 700 Jahren (6. Jhdt. - 13. Jhdt) erstrecken, dann musst du allerdings auch zugestehen, dass man über ethnische und geographische Gemeinsamkeiten der Chatten und Hessen thesieren darf. Zwischen letzter Erwähnung der Chatten 213 und Ersterwähnung der Hessen 738 liegen grobgesagt nur 525 Jahre im Gegensatz zu dem von dir angestellten Vergleich.

Da hast du mich wohl falsch verstanden, es ging mir nicht um die Kontinuität thüringischer Bevölkerung über einen Zeitraum von 6. Jh. bis 13. Jh., sondern darum, daß genau in den Gebieten, in denen im 6. Jh. die Eingliederung Thüringens in das fränkische Reich begann, im 12. Jh. eine gleichlautende Landgrafschaft installiert wurde, ohne, daß die "Landgrafen" Landesherren in besagter Gegend waren, vielmehr bedeutenden Eigenbesitz verstreut über das heutige Hessen und Thüringen besaßen. Die Mehrheit der Besitzungen lag im heutigen Hessen. Da stellt sich doch eher die Frage, warum die Ludowinger dann als Landgrafen von Thüringen eingesetzt wurden, nicht als die von Hessen ?
Achso, hier darf man dann die Etymologie wieder nutzen. Wer sagt den überhaupt, dass Orte, die auf -mar enden unbedingt hessisch-thüringischen Ursprungs sein müssen. Es gibt genug dieser Orte, die nicht mal am Rande der ehemaligen thüringischen Interessensphäre liegen, nimmt man als Basis nicht gerade Grahn-Hoeks Ausführung, die das thüringische Königreich zur mitteleuopäischen Hegemonialmacht hochstilisiert. Zu nennen wären:
Lohmar im Rhein-Sieg-Kreis, Villmar bei Limburg, Hadamar ebenfalls bei Limburg. Vielmehr wäre doch zu vermuten, dass sich die unterschiedlichen Stämme eines ähnlichen Vokabulars bedienten und ihre Orte eben nach Gegebenheiten ihrer Umwelt benannten. Das -mar bedeutet nämlich nicht mehr als Sumpf, Moor, stehendes Gewässer, und die gab es sowohl im Königreich Francien, im Königreich Thüringen als auch im rückständigen Hessen
Keineswegs wollte ich hier sagen, daß die -mar oder -lar Ortsnamen spezielle hessischen oder thüringischen Ursprungs waren. Vielmehr war es aber wohl ein Zeichen, daß in beiden Regionen Menschen mit gleichen Vorstellungen über die Benennung von Orten lebten, und somit wohl eine Isolation über längere Zeit zu einer eher unterschiedlichen Veränderung der betreffenden Ortsnamen gefüht hätte.
Das Gebiet der Chatten des 3. Jh. wurde einfach nach und nach mit neu ankommenden Gruppen besiedlet, wobei ältere Gruppen in diese integriert wurden. Übernahme von Gebräuchen und Traditionen durch Neuankömmlinge waren dabei von verschiedensten Faktoren abhängig. So wurden im 9. und 10. Jh. zahlreich Slawen an Werra und Fulda angesiedelt, ohne daß wir es dort mit einer slawischen Insel zu tun haben.
 
Zugegeben wird hier erstmals von einer "marca Hassorum" mit der dazugehörigen Gegend "in Buchonia in ripa fluminis Fulda..." genannt. Hier wird an einen Landschaftsnamen angeknüpft, nicht aber an ein Volk !! Buchonien lag danach in der "Hessischen Mark"


Die wörtliche Übersetzung der Form "marca Hassorum" würde allerdings "Mark der Hassen" lauten.
 
Was für einen sächsischen Hessengau meinst du ? Den Hassegau östlich des Harzes etwa ? Der ist nun wahrlich fränkischen Ursprungs, speziell ein Produkt merowingischer Staatssiedlungen.
Nein, ich meine den sächsischen Hessengau, der unmittelbar nördlich an den hessischen anschließt. Dort residierten unter anderem die Esikonen und Konradiner als Grafen.


Zugegeben wird hier erstmals von einer "marca Hassorum" mit der dazugehörigen Gegend "in Buchonia in ripa fluminis Fulda..." genannt. Hier wird an einen Landschaftsnamen angeknüpft, nicht aber an ein Volk !!
Hyokkose hat bereits darauf verwiesen, dass das Wort Hassorum eben zu einem Volk passt - und wie gesagt, erwähnt Willibald auch ausdrücklich den "populus Hassiorum" (und nicht hassiae, hessi oder irgendwie anders).
Buchonien lag danach in der "Hessischen Mark" Auffallend ist, daß in selbiger Urkunde viele Slawen erwähnt werden.
Welche Urkunde meinst du?
Das hieße, daß sich in Thüringen und Hessen die gehäuften Belege dieser -mar und -lar Orte gleichartig über die Zeit hinweg bis ins hohe Mittelalter entwickelt haben.
Na ja, nicht zwingend. Die Etymologie kann zur Klärung dieser Namen ja auch nicht vielmehr beitragen, als dass sie offenbar in die vorgeschichtliche Zeit zurückreichen. Es muss offen bleiben, ob sich die Namen noch irgendwie "entwickelten" oder über Jahrhunderte beibehalten wurden. Auch letzteres wäre durchaus möglich, man denke an die vielen vorgeschichtlichen Flussnamen.
Das sind also alles gleichlautende Orte, die in Hessen eine insich geschlossene Gesellschaft genauso überlebt haben, wie in der durch völlige Umwandlung gekennzeichneten Landschaft Thüringen.
Ja, aber warum nicht? So wie sich die frühmittelalterliche Geschichte Thüringens darstellt, gab es dort ohnehin ein Nebeneinander vieler Völker. Und selbst die Thüringer haben sich ja dort vergleichsweise spät angesiedelt. Da das Namensgut Thüringens ohnehin sehr heterogen zu sein scheint, warum sollten sich dort nicht auch Reste einer vorfränkisch, vorthüringischen Bevölkerung erhalten haben?

-heim Namen sind durchaus erst fränkischen Ursprungs des 7. und. 8. Jh., -ingen und -ungen Namen sind in Thüringen allerdings schon früher belegt.
Sind die älteren Namen tatsächlich urkundlich über die Quellen bezeugt oder ist das so durch die Forschung erschlossen? Würde mich mal interessieren, da es ja aus dieser Zeit vor 700/750 sehr wenig Quellen gibt und ich da auch gerne nach "Neuem" suche.
Spät belegt, allerdings wohl auch aus dieser Gruppe ist z.B. "Göttingen" . Diese Ähnlichkeit zeigt ja auch, daß die als Alemannen auftretenden Gruppen zuvor u.a. auch aus Thüringen kamen.
Hier wird es aber ein bißchen haarig. Mir scheint, du hast etwas zu viel Vertrauen in die Möglichkeiten der Ortsnamenbestimmungen. Von der Sichtweise, dass -ingen in jedem Falle mit Alemannen in Verbindung steht, ist man längst abgekommen, zumal -ingen-Namen auch in kernfränkischen Regionen (z.b. Luxemburg) zu finden sind. Abgesehen davon - als sich die Alemannen formierten, gab es auch noch keine "Thüringer" und kein "Thüringen", und deren "Gründerstämme" kamen wohl aus einem ziemlich ausgedehnten Gebiet östlich der Elbe (letzlich halte ich diese Frage aber für nicht so wichtig).


Die Abspaltungsbestrebungen mündeten in verschiedenen, gemeinsam mit den Sachsen unternommenen Aufständen, die u.a. zur Aufteilung Thüringens führten und zur planvollen fränkischen Besiedlung im Bereich zwischen Nord- und Südthüringen.
Eine fränkische Herzogsmacht kam erst mit Radulf.
So sehe ich das auch. Unter diesen Voraussetzungen muss aber völlig offen bleiben, ob Hessen vor Mitte des 7. Jahrhunderts territorial mit Thüringen verbunden war, während es für die Zeit unter der Heden-Dynastie durchaus möglich ist (wenn auch die Informationen zu dem Herzogtum der Hedene überhaupt sehr spärlich sind).
 
Mal 'ne ganz dumme Frage, weil ich mir da immer wieder unsicher bin:

Wie spricht man eigentlich den Namen "Chatten" aus?

1. [Chatten] (mit "ch" als Gaumen- oder als Rachenlaut)
2. [Schatten]
3. [Tschatten]
4. irgendwetwas dergleichen?
 
Wie spricht man eigentlich den Namen "Chatten" aus?

1. [Chatten] (mit "ch" als Gaumen- oder als Rachenlaut)
2. [Schatten]
3. [Tschatten]
4. irgendwetwas dergleichen?

Das kommt ganz darauf an in welcher Region von Hessen du dich befindest.

Habe sowohl 1,2 oder 3 gehört.
 
Wie man "Chatten" heute in welcher Region Hessens wie ausspricht, ist doch irrelevant. In der Antike hat man sie höchstwahrscheinlich "Katten" gesprochen.
 
Ich würde da mit Verweis auf Texte von Strabon[1] und Claudios Ptolemaios [2] Wikipedia recht geben.


[1] Ἄλλα δ' ἐνδεέστερά ἐστιν ἔθνη Γερμανικὰ Χηροῦσκοί τε καὶ Χάττοι καὶ Γαμαβρίουιοι καὶ Χαττουάριοι· πρὸς δὲ τῷ ὠκεανῷ Σούγαμβροί τε καὶ Χαῦβοι καὶ Βρούκτεροι καὶ Κίμβροι, Καῦκοί τε καὶ Καοῦλκοι καὶ Καμψιανοὶ καὶ ἄλλοι πλείους.

[2]
ὑπὸ δὲ τοὺς Καμαυοὺς Χάτται καὶ Τούβαντοι
 
Auf griechische Autoren sollte man in diesem Zusammenhang wohl nicht so viel geben, da sie die Bezeichnung der Chatten irgendwie an die griechische Sprache anpassen mussten. Sie konnten also nur Laute verwenden, die im Griechischen vorkamen. Siehe zum Vergleich die griechischen Formen der Namen der Perserkönige. "Sch"-Laute etc. waren den Griechen nun einmal unbekannt und mussten von ihnen somit irgendwie abgeändert werden.
 
Ravenik, das Gegenteil ist ist der Fall.
Das lateinische kennt keinen ach-Laut [x], wohl aber ein c, das wie [k]. Bei den lateinischen Autoren gibt es mehrere Schreibweisen. Chatti, Catthi, Catti usw. (besonders Klasse: Catholi!)
Macht für den gemeinen Lateiner lautlich keinen aussprechbaren Unterschied. (Er kennt weder [x] noch [þ], kann daher weder ch von und th von t lautlich nicht unterscheiden, obwohl das in der germanischen Sprache einen Unterschied machte.)

Die griechische Sprache ist hier im Vorteil. [k] und [x] sind dort zwei unterschiedliche Buchstaben, nämlich κ und χ.
Die griechische Schreibweise des Stammesnamens ist bei Strabon, Ptolemäos und Cassius Dio sogar einheitlich, nämlich chattoi mit χ!

Der Wandel von Chatti zu Hassi ist sprachlich nicht einwandfrei. Einen schönen Vergleich bildet der bekannte Ortsname Mattium. Der würde zumindest aus sprachwissenschaftlicher Sichet durch die althochdeutsche Lautverschiebung zu Metze.
Der Lautwandel ist einheitlich. Daher entweder wurden die Chatten Hetzen und Mattium Metze, oder aber die Chatten zu Hessen und Mattium zu Messe.
 
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Auf griechische Autoren sollte man in diesem Zusammenhang wohl nicht so viel geben, da sie die Bezeichnung der Chatten irgendwie an die griechische Sprache anpassen mussten. Sie konnten also nur Laute verwenden, die im Griechischen vorkamen. Siehe zum Vergleich die griechischen Formen der Namen der Perserkönige. "Sch"-Laute etc. waren den Griechen nun einmal unbekannt und mussten von ihnen somit irgendwie abgeändert werden.

Die <Ch>-Schreibung im Lateinischen entspricht aber dem griechischen <X>. Und die Griechen konnten sehr wohl das /K/ wiedergeben: Γάιος Ιούλιος Καίσαρας. Die Römer dagegen hätten die Cherusker, Chattuarier, Chauken etc. als *Cerusker, *Cattuarier, *Caucen wiedergegeben, wenn der Anlaut jeweils /k/ gelautet hätte.
 
Dass die Verschiebung von Chatti zu Hassi problematisch ist, wird an einem anderen, Chatten-Kennern hinreichend bekannten Namensbeispiel deutlich. Nämlich die (wohl bemerkt sprachwissenschaftlich einwandfreien) Verschiebung von Mattium zu Metze.

Allerdings haben wir auch
eten, to eat etc. zu essen
metīri zu messen
hate zu hassen.
 
Na, na das ist auch nur ein t bzw. ein kurzer Vokal!
Aber ist im Grunde auch egal, die kuriosen Schreibweisen "Chathi" und "Chathi" ließen ja auch Lesarten mit nur einem t zu also, daher Chati > Hati > Hassi.
Sprachwissentschaftlich einwandfrei.:grübel:
 
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Na, na das ist auch nur ein t bzw. ein kurzer Vokal!
Aber ist im Grunde auch egal, die kuriosen Schreibweisen "Chathi" und "Chathi" ließen ja auch Lesarten mit nur einem t zu also, daher Chati > Hati > Hassi.
Sprachwissentschaftlich einwandfrei.:grübel:

Imho müsste es noch eine Zwischenstufe über das /ts/ geben:
etsen
hatsen
metsen
hatsi
 
Der Wandel von Chatti zu Hassi ist sprachlich nicht einwandfrei. Einen schönen Vergleich bildet der bekannte Ortsname Mattium. Der würde zumindest aus sprachwissenschaftlicher Sichet durch die althochdeutsche Lautverschiebung zu Metze
Wobei die Existenz, aus archäologischer Sicht, von Mattium sehr wahrscheinlich bezweifelt werden kann.
Man muss aber auch dabei den Forschungsstand zur RKZ in der Region beachten. Die letzte zusammen fassende Arbeit stammt von Mildenberger 1972:
Römerzeitliche Siedlungen in Nordhessen / von Gerhard Mildenberger.


Der Fundplatz Geismar wurde von R. Heiner vorgelegt.
Studien zur Siedlungskeramik. Ausgewählte Merkmale und Fundkomplexe der Laténe- und Römischen Kaiserzeit aus der Siedlung Fritzlar-Geismar.Schwalm-Eder-Kreis. (Wiesbaden, 1990)
Weitere Literatur zu dem Thema:

  • Peschel, K. :Frühgermanische Bodenfunde zwischen Werra und Rhein und die Stammesfrage.In: .Berichte der Kommission für Archäologische Landesforschung in Hessen,4(Rhaden/Westfl. 1996/97)
  • Bergmann, J. Die Vermehrung kaiserzeitlicher Fundstellen in Nordhessen und ein reichhaltiger Siedlungsfund aus Maden, Kreis Fritzlar.In: .Fundberichte aus Hessen,8(Wiesbaden 1968)
  • Peschel, K. :Keramik aus Siedlungen der jüngeren vorrömsichen Eisenzeit und frühen römischen Kaiserzeit in Nordthüringen..In: Beiträge zur germanischen Keramik zwischen Donau und Teuteburger Wald, Kolloquium zur germanischen Keramik des 1-5 Jahrhunderts..Kolloquien zur Vor- und Frühgeschichte ,4(Bonn 2000)
  • Seidel, M. :Frühgermanische Siedlungskeramik aus Felsberg-Rhünda, Schwalm-Eder-Kreis (Niederhessen).In: Beiträge zur germanischen Keramik zwischen Donau und Teuteburger Wald, Kolloquium zur germanischen Keramik des 1-5 Jahrhunderts..Kolloquien zur Vor- und Frühgeschichte ,4(Bonn 2000)
  • Thiedmann, A. :"Elbgermanische" Keramik und Baubefunde der Spätlatènezeit in der Siedlung Geismar bei Fritzlar, Schwalm-Eder-Kreis.In: Beiträge zur germanischen Keramik zwischen Donau und Teuteburger Wald, Kolloquium zur germanischen Keramik des 1-5 Jahrhunderts..Kolloquien zur Vor- und Frühgeschichte ,4(Bonn 2000)
  • Frey, Otto-Herman Die frühen Chatten. Zu den ältesten germanischen Funden in Hessen nördlich des Mains.In: .Archäologische Informationen,18/2(Bonn 1995)
  • Seidel, M. Die römische Kaiserzeit in Hessen. Aspekte der Forschung.In: .Berichte der Kommission für Archäologische Landesforschung in Hessen,3(Rhaden/Westfl. 1994/95b)
  • Meyer, M. :Germanische Siedlungen der Spätlatènezeit und Kaiserzeit im nördlichen Hessen.In: Haus und Hof im östlichen Germanien.Tagung, Berlin vom 4. bis 8. Oktober 1994 .Universitätsforschungen zur prähistorischen Archäologie,50( 1998)
  • Söder, U. :Ein Vorbericht über die eisen- und kaiserzeitliche Fundstelle "Ameisenküppel" in Felsberg - Rhünda, Schwalm-Eder-Kreis.In: .Berichte der Kommission für Archäologische Landesforschung in Hessen,5(Rhaden/Westfl. 1998/99)
  • Ebner, Kathrin :Ein Gräberfeld der vorrömischen Eisenzeit und römischen Kaiserzeit auf dem "Ameisenküppel" bei Felsber-Rhünda, Schwalm-Eder-Kreis.In: .Fundberichte Hessen,37/38( 1997/98)
Die Auflistung dürfte recht aktuell sein.
 
Armin Becker: Rom und die Chatten

Lese gerade mit großem Interesse die Diss. 'Rom und die Chatten' von Armin Becker. Stammt zwar bereits aus dem Jahr 1992, enthält aber aus meiner Sicht immernoch recht neue Thesen zum Ursprungsgebiet der Chatten. Becker wehrt sich gegen eine Lokalisierung des chattischen Kerngebiets in Nordhessen, für das er eine Besiedlung durch die Chatten erst seit 15 n. Chr. vorschlägt und zuvor suebischen Gruppen zuordnet. Für ihn ist der Kern des chattischen Siedlungsgebiets während der Drusus-Feldzüge im mittleren und oberen Lahntal zu suchen und v.a. in den Kontext des römisch-sugambrischen Konfliktes einzuordnen. Für Becker stellen die Chatten zu diesem Zeitpunkt einen kleinen bis mittleren Stamm dar, der kaum politische Macht besitzt und von den Sugambrern unter Druck gesetzt wird, einem antirömischen Bündnis beizutreten. Die Chatten weigern sich zu diesem Zeitpunkt dagegen, weil sie von den Römern vertraglich dazu verpflichtet wurden, die Rheingrenze gegen suebische Gruppen zu sichern. Im Gegenzug erhalten sie das Land der Ubier, die bekanntermaßen 38 oder 19/18 v. Chr. in linksrheinisches Gebiet umgesiedelt wurden. Becker grenzt dieses Gebiet, das den Chatten gegeben wird, auf ein Gebiet zwischen Lahnmündung, Neuwieder Becken und Siegmündung ein. Als die Chatten sich 10 v. Chr. auf die Seite der Sugambrer schlagen und sich aus dem ehemaligen Ubiergebiet zurückziehen, sie wandern nach Cassius Dio angeblich sogar zu diesen aus (!), verwüstet Drusus das von Becker an der mittleren und oberen Lahn angesetzte Kerngebiet der Chatten, nicht etwa die Fritzlarer Börde.

Just an der mittleren Lahn befindet sich der Dünsberg, der neben dem "Tanzenden Männlein" römische wie germanische Funde aufweist, die in die Zeit 10/9 v. Chr. datiert werden. Vermutlich kämpften hier römische Einheiten des Drusus gegen bislang noch unbekannte Gegner.
Meine Frage diesbezüglich ist, ob es sich bei diesem unbekannten Gegner der Argumentation Beckers zufolge, nicht um Chatten bzw. chattische Gruppen handeln könnte???
 
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Hallo,

gefunden, werd mich heut abend mal reinlesen.

:winke:

Servus letztergisone,
hab jetzt weiter gelesen und bin gerade bei der Stelle angelangt, wo Armin Becker darlegt, was ich als Frage formuliert habe (Seite 151). Bin dennoch überrascht von diesem Vorschlag, weil bei der "letzten Schlacht" 10/9 v.Chr. am Dünsberg oftmals von keltischen Verteidigern die Rede ist, aber nie Chatten ins Spiel gebracht wurden. So machen letztlich auch die germanischen Trinkhornbeschläge Sinn, die am Dünsberg gefunden wurden.
 
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Ich halte Beckers Version für äußerst schlüssig und quellennah. (Interessant ist noch das Lokalisierung der Sueben in Nordhessen mittels Cassius Dio und der elbgermanischen Funde begründet wird!)

Die Sache mit der Fußkrankheit der Chatten sollte man auch wirklich nicht ernstnehmen.
Für die Einwanderung der Chatten nach Nordhessen gibt es übrigens noch ein etymologisches Argument, dass Becker nicht nannte.
Bekannt ist vielleicht noch der kaiserzeitliche Stamm Chattuarier. Der Namen lässt sich leicht auflösen, bedeute Chasuaren Männer von der Hase, Bajuwaren Männer aus Böhmen, so bedeute Chattuarier Männer aus Chatt-?
Die Chatten hätten bevor ihnen das alte Ubier-Land angeboten wäre, im Ruhr-Gebiet, Chatt-?, welches späteren Siedler den Namen Chattuarier einbrachte.
Dass ganze lässt sich fortspinnen mit der von Tacitus beschriebenen Verwandtschaft von Batavern und Chatten. Daher Bataver und Chatten hätten sich im 1 vorchristlichen Jahrhundert im Ruhrgebiet getrennt, die einen zogen nordwestwärts auf die Insel an der Rhein-Mündung, die anderen südostwärts ins alte Ubier-Land. Dann macht sogar Tacitus Sinn.
Hierzu am besten: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde
Schlagworte
> Chatten
> Bataver

Dass die Chatten schon seit Urzeiten im Fritzlarer Becken gesiedelt haben, ist ein alter Mythos. Eine Verlegung das dubiosen "caput gentis" Mattium an die Eder, kann erst nach einer einige Jahre andauernden chattischen Völkerwanderung erfolgt sein.
 
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Ich halte Beckers Version für äußerst schlüssig und quellennah. (Interessant ist noch das Lokalisierung der Sueben in Nordhessen mittels Cassius Dio und der elbgermanischen Funde begründet wird!)

Sehe ich ganz genauso! Ein Gebiet das sich zur Zeit der Drususfeldzüge angeblich vom Kasseler Becken bis ins Neuwieder Becken erstreckt haben soll, kann laut Becker niemals unter der Oberhohheit eines zu dieser Zeit wohl noch recht kleinen chattischen Stammes gestanden haben. Dass die Macht der Chatten in dieser Zeit begrenzt war zeigt das Vorgehen der Sugambrer, die obwohl geschwächt durch die Verwüstung ihrer Gebiete durch eine römische Strafexpedition unter Drusus (12 v.Chr.) noch immer die Kraft hatten, die Chatten in ihre Schranken zu weisen.

Zudem klingt es weitaus sinniger, für die Expeditionen des Drusus ins innere Germaniens (10./9. v.Chr.) anzunnehmen, dass er von Mainz, die Wetterau durchquerend, zuerst ins Gebiet der Chatten kam (Mittel- und Oberlahn), dann über das Gebiet der Sueben in Nordhessen (Becker vermutet hier Quaden) zu den Chersukern an die mittlere Weser gelangte. Würde man die Chatten zu dieser Zeit im Kasseler Becken und der Fritzlarer Börde lokalisieren, bliebe aus meiner Sicht kaum Platz für die raumgreifenden Sueben.

Die Sache mit der Fußkrankheit der Chatten sollte man auch wirklich nicht ernstnehmen.
Eben. Die Chatten waren genausowenig autochthon wie die Urnenfelderkultur oder später Ubier und Sueben.

Für die Einwanderung der Chatten nach Nordhessen gibt es übrigens noch ein etymologisches Argument, dass Becker nicht nannte.
Bekannt ist vielleicht noch der kaiserzeitliche Stamm Chattuarier. Der Namen lässt sich leicht auflösen, bedeute Chasuaren Männer von der Hase, Bajuwaren Männer aus Böhmen, so bedeute Chattuarier Männer aus Chatt-?

Ja, wobei das Präfix 'Baju' für Böhmen beim Bajuwaren-Namen nicht unbedingt gesichert ist. In die gleiche Reihe lassen sich auch Amsivarier (Männer der Ems), Angrivarier (Männer aus Angaria (?)) oder viel später die alamannischen Raetovarier (Männer aus Rätien).

Die Chatten hätten bevor ihnen das alte Ubier-Land angeboten wäre, im Ruhr-Gebiet, Chatt-?, welches späteren Siedler den Namen Chattuarier einbrachte.
Dass ganze lässt sich fortspinnen mit der von Tacitus beschriebenen Verwandtschaft von Batavern und Chatten. Daher Bataver und Chatten hätten sich im 1 vorchristlichen Jahrhundert im Ruhrgebiet getrennt, die einen zogen nordwestwärts auf die Insel an der Rhein-Mündung, die anderen südostwärts ins alte Ubier-Land. Dann macht sogar Tacitus Sinn.
Hierzu am besten: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde
Schlagworte
> Chatten
> Bataver

Eine mögliche Theorie. Wobei Becker auch erwähnt, dass die Chattuarier ein chattischer Gefolgschaftsverband gewesen sein könnten, der außerhalb des Siedlungsraums operierte. Vielleicht stellten sie aber ebenso wie die Bataver auch eine oppositionelle Gruppe/Adelsgruppierung innerhalb des Gesamtstammes dar, der die "Politik" der Führung nicht mehr mittragen wollte.

Über das Ursprungsgebiet der Chatten ist nichts bekannt. Deshalb bleibt eine Herkunft aus dem Ruhrgebiet hypothetisch. Dennoch könnte die Stoßrichtung der chattische Besiedlung über das Neuwieder Becken lahnaufwärts seinen Anfang im Ruhr-Lippe-Gebiet gehabt haben. Kern der chattischen Ethnogenese, falls es jemals eine gab, könnten Funden entsprechen rhein-weser-germanischen Gruppen gewesen sein. Becker siedelt die Sugambrer vor den Drususfeldzügen zwischen Ruhr und Sieg an, denkbar also, dass auch die Chatten aus diesem Bereich stammten. Ich persönlich könnte mir denken, dass die Chatten ebenfalls aus einer oppositionelle Gruppierung eines anderen Stammes, die Sugambrer böten sich an, heraus entstanden sein könnte. Diese wollten die antirömische Politik der sugambrischen principes nicht mittragen und wanderten mit ihren Familien und Kriegergefolgschaften aus und baten die Römer um Hilfe. Die Römer wiesen ihnen daraufhin Siedlungsraum im verlassenen Ubierland zu. Allerdings spricht dagegen, dass die Chatten ja schon vor der Inbesitznahme des Neuwiederbeckens erwähnt wurden und eine erste "Stammesbildung" schon vorher abgelaufen sein muss.

Dass die Chatten schon seit Urzeiten im Fritzlarer Becken gesiedelt haben, ist ein alter Mythos. Eine Verlegung das dubiosen "caput gentis" Mattium an die Eder, kann erst nach einer einige Jahre andauernden chattischen Völkerwanderung erfolgt sein.

Volle Zustimmung. Außerdem ist bei Mattium noch nicht einmal geklärt, ob es sich um eine befestigten Ort oder eine größeres Dorf gehandelt hat.
 
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