Muspilli
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Die Frage danach, ob die Titanen nun Götter seien oder nicht, oder wie es denn sein könne, dass es vor den Göttern noch etwas gebe, impliziert letztendlich eine Vorstellung, wie wir sie aus der monotheistischen Religion kennen, nämlich einen (allmächtigen) Schöpfergott. Nur ein Schöpfergott ist per definitionem ungeschaffen und besteht schon vor seiner Schöpfung. Dies gilt aber nicht für die Götter der antiken Mythologie. Diese werden in eine präexistente Welt hineingeboren (oder -geworfen) und sind zwar mächtig, aber eben nicht allmächtig. Im Prinzip handelt es sich nur um personalisierte Naturgewalten und ich glaube, dass hierin auch ihr Ursprung zu suchen ist: In der Erklärung für Wetterphänomene und Katastrophen, denen man einen Sinn geben wollte und von denen man hoffte, sie durch Opfer gewissermaßen lenken bzw. günstig stimmen zu können. Die Vergottung der Naturgewalten wäre demzufolge also der Versuch gewesen, wenigstens wieder ein Stück weit die Kontrolle zurück zu erlangen.
Ich mag dem nicht zustimmen, wenn ich andernorts lese, daß die Theogonie Hesiods lehre, daß das Universum einst aus dem uranfänglichen Chaos gebildet worden war ("universe, once it had been formed out of primeval Chaos" - Herrington, Introduction to Prometheus Bound, 1975)
So in etwa gibt das auch Wikipedia wieder: "In der Theogonie des griechischen Dichters Hesiod (ca. 700 v. Chr.) ist das Chaos der Urzustand der Welt: 'Wahrlich, zuerst entstand das Chaos und später die Erde...' (Vers 116). Das Chaos besitzt in diesem kosmogonischen Mythos Ähnlichkeit mit dem Nichts und der Leere." (Chaos ? Wikipedia Herv. v. mir)
Ähnlich Michael Brumbaugh (Chaos: A Critical Analysis of Theogonic Origins), der die (wohl nicht anderweitig publizierten Doktoral-) These vertritt, daß Chaos eine eigenständige Gottheit ist http://apaclassics.org/images/uploads/documents/abstracts/Brumbaugh.pdf).
Schließlich Raymond Prier (Archaic Logic) stellt in seiner literarkritischen Analyse dezidiert fest, daß Chaos als erster kam, danach die Erde und dann Taratarus und Eros. Archaic Logic: Symbol and Structure in Heraclitus, Parmenides and Empedocles - Raymond A. Prier - Google Books Gegenüber anderen Deutungen des Gottesnamens "Chaos" findet er ferner M. L. Wests lexikalische Erläuterung hilfreich: ein leerer Raum voller Dunkelheit, die Feuer fangen könne. Seiner Auffassung nach würde es gut passen, daß die Nacht und Eris die Nachkommen des Chaos seien. Nun gut, es läßt sich ein gewisser Gegensatz der (priesterlichen) Schöpfungsgeschichte in Gen 1 konstatieren, wo ein tranzendentaler Gott vorgestellt wird, der erst Himmel und Erde mit dem Chaos (tohuwabohu) erschafft.
Wie dem auch sei, nicht einverstanden, um darauf nun einzugehen: Warum sollte die Einschätzung von etwas als Göttlich erst aus monotheistischer Perspektive Sinn ergebe? Der monotheistische Gott selbst erscheint mir historisch selbst nur eine Entwicklungsstufe religiösen Denkens zu repräsentieren.
Aus historisch-kritischer Sicht war beispielsweise El-Jahwe, an den ich vornehmlich dabei denke, wenn der Monotheismus ins Spiel gebracht wird, selbst nur eine Simplizierung und Abstraktion zugleich, deren strenge in der alttestmentlichen Überlieferung selbst nicht durchgehalten werden konnte, wenn ich an die Gottessöhne aus Gen. 6; oder Hiob 1, 6, wo einer derer auch Satan geheißen; oder deren Nachkommen, die sie mit den Menschen zeugen: die Riesen, die Helden der Vorzeit (Gen 6). Das wirft ggf. auch im Monotheismus die Frage nach halbgöttlichen Gespöpfen auf! Ganz zu schweigen von der Frage nach Gottesähnlichkeit oder - gleichheit Jesu, über die man zum Ende der Spätantike im Christentum bekanntlich streiten mußte.
Auch die Formulierung mit den Naturgewalten, auf die du hier quasi die Entstehung der Gotteidee zurückführen willst, gefällt mir nicht - das mag ein Faktor sein, aber mutmaßlich nicht der einzige. Gerade die soziale Komponente wird ja deutlich, wenn man schon alleine einen Blick auf die auf Gaia folgende, göttliche Einheit (Eros) wirft.
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