Ursachen der Weltkriege

Den Staatsmännern Frankreichs und Großbritanniens war vollkommen bewußt, in welche schwierige Lage sie das Deutsche Reich und auch Österreich-Ungarn manövriert haben. Anstatt deren Lage erträglicher zu gestalten, wurde diese gezielt den eigenen absluten Sicherheitdenken untergeordnet. Ich weiß nicht, ob die Herrschaften sich bis in die letzte fatale Konsequenz ihres Handelns bewußt waren.

Vergleich mit der bipolaren Welt in 1980 erlaubt? Auch hier standen sich 2 Blöcke hoch aufgerüstet gegenüber, jedoch ist im Atomzeitalter die absolute Sicherheit einer Seite - damit verbunden die absolute Unsicherheit der anderen Seite - offensichtlich eine Chimäre und konnte demzufolge auch nicht militärisch angestrebt werden. Beiden Seiten verblieb also die "Luft zum Atmen" während sich Deutschland 1914 dem "Erstickungstod nah" vorkommen musste. Frankreich bedrängte das Reich massiv und letztendlich tödlich durch die Aufrüstung des östlichen Bündnispartners. Die Lösung bot hierbei nur der präventive Sprung ins Dunkle oder das Hoffen auf ein Wunder - wollte man sich nicht selbst etwas auf die anderen hin bewegen.
Zwischen 1949 und 1991 lösten sich zwischen den USA und der UdSSR gegenseitiger Druck und Entspannung miteinander ab, ohne dass der eine dem anderen keinen Weg mehr offenließ, als den ultimativen Krieg zu beginnen. In der dadurch zur Verfügung gestandenen Zeit hat sich die UdSSR wandeln können in etwas, was uns heute nicht mehr als Bedrohung erscheint, beziehungsweise - als Hinweis auf die Vorzüge einer relativen Sicherheit - sich auch nicht mehr wie zuvor bedroht fühlt. Dieser zeitliche Aspekt war 1914 leider nicht gegeben und die Dinge wurden verfrüht zur Lösung gebracht. Haben die Machtspieler damals gewußt wie sie Deutschland in eine Sackgasse ohne Ausweg drückten, oder nur verkannt, wie ausweglos Deutschland seine Zukunft einschätzte? Letzteres wäre durchaus denkbar, da sich das kaiserliche Deutschland den anderen Mächten gegenüber bis zum Schluß als unbesiegbar darstellte ohne sich noch so zu fühlen. Hätte ein zeitliches Fenster von einigen friedlichen Jahren ab 1914 Deutschland ändern können, so dass die gegenseitige Bedrohungslage schwindet, ähnlich wie 1991 zwischen den USA und der UdSSR? Deutschland hätte sich - ebenso wie die UdSSR - zum Parlamentarismus verändern, respektive sich dem System der Westmächte anpassen müssen, die Weltpolitik aufgeben denn sie war definitiv gegen die Westmächte gerichtet, ohne Bündnis-(Hinter)gedanken freundschaftliche Beziehungen zu allen Großmächten pflegen und bei abnehmender Bedrohungslage einseitig abrüsten müssen und zwar mit der Flotte beginnend. Was für ein geringer Preis im Gegensatz zu den Millionen Opfern des Weltkriegs?

Hat nicht Wilhelm II. mal gesagt (weiss leider im Kopf den Zusammenhang nicht und kann auch nicht im Wortlaut zitieren), `...dann solle man (Deutschland) doch das Militär abschaffen und sich dem Schutz Japans unterstellen...` (!) Manchmal ist man doch sprachlos vor Staunen, wieviel Intelligenz und gesunder Menschenverstand vorhanden war - leider ist das Potential nicht abgerufen worden...
 
Zuletzt bearbeitet:
Das waren aber doch primär witschaftliche Interessen und keine imperialistischen. Das man dabei auch nicht eben zimperlich agierte, steht auf einen anderen Blatt. Man trat dort sogar als Konkurrent zu Österreich-Ungarn auf und hatte im Gefolge der Balkankriege sogar Marktanteile in Serbien quasi übernommen. Diese wirtschaftliche Interessen waren doch deutscherseits kein hinreichender Grund für den Krieg; eher das Gegenteil.
Das Thema Bagdadbahn war als Konfliktstoff zu der Zeit liquidert.

Das strategische Problem OR/Irak/Bagdadbahn war grundsätzlich nicht liquidierbar, wie sich später ja zeigte. Dafür legte man/GB sich später selbst mit dem französischen Verbündeten an.

Den "weichen Imperialismus" würde ich nicht verniedlichen, es ging hier um Hegemonialzonen und Schaffung existentieller Abhängigkeiten, und nicht um freien Handelsaustausch at arm's length.

Schließlich haben Großbritannien und Frankreich das Deutsch Reich in der Julikrise nirgends hinein manöveriert, sondern der Kriegsfall war mit dem 5.7.1914 deutscherseits mindestens billigend in Kauf genommen worden. Speziell Großbritannien wachte überhaupt erst Ende Juli 1914 mit dem Ultimatum gegen Serbien in der Krisenlage auf.
 
Gut, hineinmanövriert ist keine gute Wortwahl. Ich ersetzte durch fast hoffnungslos isoliert.:winke:

silesia schrieb:
Schließlich haben Großbritannien und Frankreich das Deutsch Reich in der Julikrise nirgends hinein manöveriert, sondern der Kriegsfall war mit dem 5.7.1914 deutscherseits mindestens billigend in Kauf genommen worden. Speziell Großbritannien wachte überhaupt erst Ende Juli 1914 mit dem Ultimatum gegen Serbien in der Krisenlage auf.

Aber ja doch, das weiß ich doch. Ich stelle doch gar nicht in Frage, dass das AA ganz maßgeblich den Krieg herbeigeführt hat. Das weißt du doch auch.:friends:

Sobald die russische Rüstung abgeschlossen war, war die russische Armee ein Machtfaktor erster Güteklasse. Diese energisch betriebene Rüstung, sie wurde von Frankreich massiv unterstützt, wurde vom Deutschen Reich und Österreich-Ungarn als sehr reale Bedrohung empfunden; Frankreich war eifrig bemüht diese enorme militärische Macht gegen das Deutsche Reich zu steuern.

Frankreich hat gerade den letzten an Petersburg vergebenen Kredit nur unter der Auflage erteilt, dass das Zarenreich seine militärische Infrastruktur ausbaut. Wenn der Ausbau des russischen Eisenbahnnetz abgeschlossen wäre, dann könne das Deutsche Reich eigentlich kein Krieg mehr führen, sondern sich höchstens seiner Haut erwehren. Von einer Machtbalance konnte keine Rede mehr sein.

Dieses Bedürfnis nach absoluter Sicherheit , welches seinen Niederschlag in entsprechenden außenpolitischen Abmachungen bi hin zu militärischen Absprachen fand, sowohl von Frankreich als auch von Großbritannien hat das Deutsche Reich in eine sicherheitspolitische Situation gebracht, die dazu geeignet war, die internationale eher Situation zu verschärfen, statt zu entspannen.

Statt aber nun die internationale Situation zu entschärfen, wurde dies seitens Frankreichs und Großbritanniens billigend in Kauf genommen, denn dort hat man sehr wohl die Lage des Deutschen Reiches erkannt.

Die Bagdadbahn war aber im Sommer 14 kein Zankapfel zwischen den Mächten.
 
Zuletzt bearbeitet:
Die Peripherie

Vielleicht sollten wir das weiter diskutieren.

Ich sehe das etwas anders als in den Publikationen von Schmidt (Frankreichs außenpolitik in der Julikrise) und Schöllgen (Imperialismus und Gleichgewicht - Deutschland, England und die Orientalische Frage 1871-1914) zusammengefasst wird.

Richtig ist, dass die imperialistische Konfrontation an der Peripherie in der Juli-Krise im "operativen" Sinn bzw. situativ keine Rolle spielte. Als Peripherie wird darin die Situation der deutschen Kolonien und der Gegensatz in Bezug auf die Orientalische Frage/Bagdadbahn/Einflussgebiet Mittlerer Osten verstanden. In der Betrachtung "Peripherie" kann man zunächst den Balkan ausgrenzen. Festzuhalten ist weiter, dass sowohl in Frankreich als auch (mit noch einigen Tagen Verzögerung) in Großbritannien die Wahrnehmung der Kriegsdrohung bzw. Serbien- bzw. Balkankrise erst nach dem 22.7.1914 in der breiten Wahrnehmung ankam.

Diese Feststellungen sind jedoch scharf von den "strategischen" Gegensätzen zu trennen, die an der Peripherie über den Balkan hinaus in den letzten Jahren bzw. Jahrzehnten vor 1914 entstanden waren. Diese Gegensätzen prägten durch die imperialistische Konfrontation das Grundrauschen der Politik, bzw. das Misstrauen über die Handlungen des jeweils anderen und prägten auch die erwarteten mittelfristigen Konfrontationen.

Als Imperialismus ist hier nicht mehr die direkte Form relevant, etwa durch kurzfristige Inbesitznahme von Gebieten durch Truppen oder koloniale Verbände. Landläufig wird die Entwicklung nach 1906 durch "Informal Imperialism" bzw. "Semi-colonialism" (marxistisch), usw. mit weiteren Begriffskreationen. Im Prinzip meint das stets das Gleiche, wie hier ausgedrückt:
Imperialismus ? Wikipedia
Informal Empire - Wikipedia, the free encyclopedia

Dabei ist wie im Fall des Osmanischen Reiches (und zB Chinas) nicht nur die Beherrschung der ökonomischen Verhältnisse maßgebend, sondern auch das "Zuwarten" auf den Zusammenbruch dieser Interessensphäre der Großmächte. Grundlegend die Beiträge hier:
The Great powers and the end of the ... - Marian Kent - Google Bücher
The Ottoman Empire and European ... - Şevket Pamuk - Google Bücher

Die in der Peripherie deutscherseits angestrebten temporären Einigungen bzw. Konfliktlösungen hatten dabei durchaus zwei Zielsetzungen: bzgl. Frankreich das Vermeiden überflüssiger und gefährlicher Spannungen, bei Großbritannien zusätzlich die Annäherung an das Deutsche Reich bzw. die Destabilisierung der Entente. Was mittelfristig solche "Einigungen" wert waren, mag man am Beispiel des kolonialen Interessenausgleichs zwischen Großbritannien und Rußland für Asien ermessen: nichts, bis zum nächsten imperialistischen Konflikt (was jedenfalls für die Regionen mit fortdauernden Interessengegensätzen und konträren "Aktivitäten" galt).

Im Fall des Osmanischen Reiches fügten sich zahlreiche deutsche Aktivitäten ineinander: die Idee "Mitteleuropa", Unterstützung der pan-islamischen Bewegung, "Weltpolitik" und das Zuwarten auf den Zusammenbruch des Osmanischen Reiches aus der bestmöglichen Position ("die Taube füttern, bis sie goldene Eier legt"). Der Mittlere Osten war in diesem Kontext zahlreicher Orient-Anhänger das vorbestimmte Betätigungsfeld der Deutschen als den "wahren Griechen". Es war die Rede von Wesensverwandtschaft, der "deutschen Heimat Orient", verbunden mit imperialen Visionen.

Dass diese Aktivitäten - finanziell, personell, militärisch - misstrauisch von den anderen "imperialen Interessenten" beäugt wurden, ist selbstverständlich: für Russland war die Bagdadbahn ein Problem, schob sich das Deutsche Reich doch quer vor Konstantinopel und gefährdete die Kaukasuspolitik. Für Großbritannien war die Linie Bagdad-Hormus das Vorfeld von Indien. Frankreich hatte koloniale Interessen in Syrien und dem Libanon.

Die Praxis der Anleihen, Eisenbahnen, Rüstung und Militärberater war dabei sogar gefährlicher: bedeutete sie doch keine klare Abgrenzung von kolonialen Territorien, sondern bereitete diese vielmehr mit "ökonomische Penetrierung" der jeweiligen Gebiete nur vor. Zum Teil lief dies sogar recht harmlos ab: Finanzströme konnten nur teilweise von den Regierungen gelenkt werden, was den politischen Interessen jedoch ein wichtiges Steuerungselement für den KKonfliktaufbau entzog, bzw. Regierungen mittelbar in die Interessengegensätzen überhaupt erst hineinzog: zB Frankreich
Mitrovic: Origin of European Banks acting in the Balkans
Rault: Rationality of French Investors before World War I: Cliometric Contribution
Pollard: Capital Exports 1870-1914 - Harmful or Beneficial
Daudin/Morys/O'Rourke: Europe and Globalization 1870 - 1914
Le Bris: Why did French Savers buy Foreign Asset before 1914 - Decomposition of the Diversifivation Benefit
Geyikdagi: French Direct Investments in the Ottoman Empire before World War I
Bordo/Meissner: Foreign Capital in the First Era of Globalization
Frieden: International Investment and Colonial Control - a new Interpretation
Quennouelle: The Paris Bourse and the International Capital Flows
Esteves: Between Imperialism and Capitalism - European Capital Exports before 1914.

Diese Entwicklungen - und die entstehenden Überschneidungen und Gegensätze - waren ein Novum für die Politik, jedenfalls in diesen weit größeren Ausmaßen als vorher bekannt (wenn man einmal das Beispiel Südafrika: GB, USA und D heranzieht).

Für das Osmanische Reich bedeutete das jedenfalls in der Konsequenz, dass der weitere Verfall befördert wurde. Siehe:
Tenold: Economic reasons behind the Decline of the Ottoman Empire
(oder die Literatur oben: Kent und Pamuk sowie aktuell:)
McMeekin, Sean: The Berlin-Baghdad-Express - The Ottoman Empire and Germanys Bid for World Power
Heller: British Policy Towards the Ottoman Empire 1908-1914

Ergebnis: zwar gab es (immer wieder) kurzfristige Einigungen zwischen den Großmächten in diesen Regionen, in denen die Interessen kollidierten, sie hielten jedoch stets nur begrenzte Zeit und bestimmten die misstrauische Grundhaltung gegen- bzw. untereinander. Mit den Verträgen über die Beteiligungen und Finanzierungen sowie Regionen der Bagdad-Bahn waren daher keinesfalls im strategischen Sinn abschließende Regelungen verbunden. Für den Mittleren Osten kommt noch hinzu, dass die Tragweite der kommenden Ölinteressen noch gar nicht voll erkannt war.
 
Vorzügliche und hochinteressante Ausführungen.

Der Krieg wurde im Allgemeinen bei den maßgeblichen Mächten Europas eigentlich überall als unvermeidlich angesehen und dafür wurde in ungeheurem Ausmaß gerüstet. Der Zeitpunkt, ab dem die Triple Entente ein deutliches Übergewicht haben würde, war absehbar. Aus diesem Grunde wollten die deutschen und die österreichisch-ungarischen Militärs wollten den Krieg lieber heute als Morgen führen.

Es ist zutreffend, dass die Politik der Verständigung mit Großbritannien der Jahre nach der 2.Marokkokrise des deutschen Reichskanzlers Bethmann Hollweg in der Julikrise sich nicht bezahlt gemacht haben. Und das obwohl das Deutsche Reich im Zuge der Balkankriege dafür auch eine gewisse Trübung der Beziehungen zu Österreich-Ungarn in Kauf genommen hat. Des Weiteren hatte sich die strategische Position Österreich-Ungarns nicht unwesentlich verschlechtert gehabt. Für Sir Edward Grey war die Beziehungen zu Frankreich und Rußland letzten Endes zu wichtig. Großbritannien war ja gerade in Asien schon vom Wohlwollen Rußlands abhängig.

Der Zeitpunkt, ab dem Frankreich der Juniorpartner der Entente zwischen Frankreich und Rußland werden würde, war auch schon am Horizont zu erkennen.

Das Problem jener Zeit war sicher auch, Gründe dafür hast du reichlich benannt, dass man den jeweils anderen alles Mögliche an Schlechtigkeiten unterstellte. Als Beispiel mag hier nur die britische, von interessierten Kreisen gezielt beförderte, Hysterie, dass das Deutsche Reich die Invasion Großbritanniens beabsichtigen würde. Da wurde schon gar nicht mehr nüchtern und sachlich analysiert und ausgewertet, denn sonst hätte man schnell zu den Schluss gelangen müssen, dass dies die Möglichkeiten der kaiserlichen Marine schlicht übersteigt.

Großbritannien, Frankreich und Rußland waren aber ihrerseits auch nach Kräften bemüht, die deutschen wirtschaftlichen Interessen zurückzudrängen. Gerade in Persien wird das sehr deutlich. Die Russen haben Abmachungen in Sachen Bau von Eisenbahnlinien einfach nicht eingehalten.

In der Summe hätte das Deutsche Reich, um nicht im Konflikt mit den anderen europäischen Groß- und Weltmächten zu geraten, auf jede Art von Imperialismus und Großmachtpolitik wohl verzichten müssen. Ganz im Sinne der Saturiertheit eines Bismarcks. Die anderen Mächte waren nicht gewillt, dem Deutschen Reich das zuzubilligen, was sie für sich in Anspruch nahmen. Nur das war innenpolitisch definitiv nicht durchsetzbar; schon gar nicht mit Wilhelm II. als Kaiser und Staatsoberhaupt.
 
Noch ein paar Anmerkungen zur Peripherie

Im Deutschen Reich waren die Stimmen, die mit der sogenannten erfolglos betriebenen Weltpolitik, unzufrieden waren, nicht eben gering. Was nötig war, waren vorzeigbare Erfolge.

Aus diesem Grunde versuchte man beispielsweise in Afrika, konkret das mittlere Afrika, tätig zu werden. Gedacht war an den portugiesischen Kolonien. Hier versprach man sich schnell große Gewinne. (1) Denn diese grenzten an den deutschen Kolonien Kamerun, den erweiterten Deutsch Südwest- und Deutsch Ostafrika. Man hatte seine begehrlichen Blicke auf Angola und dem Belgisch-Kongo geworfen. Wenn dieses Projekt sich umsetzen ließe, dann wäre man unter kolonialpolitischen Gesichtspunkten ein erstrangiges Kolonialmach geworden. Die portugiesischen Kolonien waren wirtschaftlich unterentwickelt und es hätte reichlich investiert werden müssen.

Diesbezügliche Verhandlungen mit Sir Edward Grey begannen bereits im Jahre 1911. Grey war aber nicht wirklich interessiert, im Gegenteil, denn er verhandelte gleichzeitig mit der portugiesischen Regierung, um deren Kolonialbesitz letzten Endes sicherzustellen. Das Deutsche Reich sollte ausgebremst werden.

Kurz noch etwas zu Bagdadbahn:

Die Deutschen benötigen Kapital und wollten die Briten beteiligen. Der britische Vertragsentwurf sah vor, dass das Deutsche Reich auf den Bau der Eisenbahnlinie Basra-Golf und den geplanten Hafen am Golf verzichten. Des Weiteren wurde verlangt, das der Schatt el Arab und die Flussschifffahrt Mesopotamiens den Briten zu überlassen. Auch Sitz und Stimme der Bagdadeisenbahngesellschaft wurde gefordert. Die Gegenleistung war, das Großbritanien den Widerstand gegen den Bau der Bagdadbahn einstellt. Von dem dringend benötigen Finanzbedarf war keine Rede. Grey wolle sich erst mit Frankreich und Rußland in dieser Frage einigen.

Das Deutsche Reich bemühte sich, allein schon zur Stärkung der Position gegenüber London, eine Einigung mit Paris. Frankreich hatte nämlich ein lebhaftes Interesse an den Eisenbahnbau in Syrien. Frankreich wollte ohnehin seine Anteile mutmaßlich auf Betreiben Rußlands, loswerden. Großbritannien gefiel der Gedanke des Ausstiegs der Franzosen ebenfalls sehr gut.

Während die Deutschen wie mit Rußland vereinbart die Strecke von der Bagdadbahn nach Chanikin, also die Grenze Persiens, zu Beginn des Jahres 1914 abschloß, haben die Russen ihre Teilstrecke, das Anschlußstück nach Teheran, noch nicht einmal begonnen. Diese Strecke war sicher auch nicht ganz unwichtig für deutsche Unternehmer und das wussten die Russen.
Der Wille des Deutschen Reiches zur Verständigung mit Großbritannien war groß, denn ansonsten wäre man nicht in diesem Ausmaße zu Konzessionen bereit gewesen. (2)

(1) Kühlmann, Erinnerungen, S.80

(2) Schöllgen, Imperialismus

Ansonsten: Canis, Deutsche Außenpolitik 1902-1914
 
Zuletzt bearbeitet:
Das Stichwort "portugiesische Kolonien" hast Du genannt. Portugal war der alte Verbündete Großbritanniens, das keinerlei Interesse hatte, diese Kolonien dem Deutschen Reich zufallen zu lassen. Zwar sprach man, aber wohl um zu dilatieren - ich würde sogar sagen, diese Kolonienfrage hätte für den Großbritannien den casus belli bedeutet (insbesondere wegen der Besitzungen in Ostafrika, auf der strategischen Linie Kapstadt-Indien ein Dorn für Großbritannien). Schließlich hatte man früher auf britischer Seite auch den portugiesischen Plan einer kolonialen Verbindung zwischen Ost- und Westküste verhindert (ebenfalls unannehmbar, und der Cape-Cairo-Line querliegend).

Für das Deutsche Reich blieb damit nur die "Mitteleuropa-Balkan-Bagdad"-Linie zur Expansion, alle weiteren Ambitionen waren in der aufgeteilten Welt nicht mehr realistisch.

Und ein Hafen im Persischen Golf mit Eisenbahnanschluss in den deutschen Machtbereich war für Großbritannien ebenfalls undenkbar. Hier musste man nachgeben, da das chronisch finanzschwache Deutsche Reich die finanzielle Expansion gar nicht ohne die beherrschenden Kapitalmärkte von London und Paris stemmen konnte.

Ein weiterer Aspekt, oben angedeutet: diese neuen imperialistischen Spielarten standen eben nicht unter der Kontrolle, vergleichbar einem Truppenverband. Schließlich spielte auch die "Öffentlichkeit" in den Ländern eine wachsende Rolle. Das hast Du oben mit den Beispielen der "invasion scares" gebracht, die sehr stark innenpolitische Bedeutung besaßen (Anschub von umstrittener Rüstung, Druck auf das Militär). Siehe:
The scaremongers: the advocacy of ... - Andrew James Anthony Morris - Google Bücher

und insbesondere:
Moll: Politics, Power and Panic: Britains 1909 'Dreadnought Gap', in: Military Affairs 1965, S. 133
Ryan: The Invasion Controversy of 1906-1908, British Perception of the German Menace, in: MA 1980, S. 8

Noch 1913/14 - bei Licht betrachtet völlig absurd - bekam die Royal Navy bei ihren Frühjahrsmanövern gewaltigen Ärger, als man bei der Abwehr in "Invasionsübungen" vor der eigenen Küste (!) schlecht aussah und Niederlagen herbeigeredet wurde. Da fand einiges statt, was man entweder unter Hysterie oder vorsätzlich inszeniert zwecks Rüstungsfinanzen verbuchen kann.
 
silesia schrieb:
Das Stichwort "portugiesische Kolonien" hast Du genannt. Portugal war der alte Verbündete Großbritanniens, das keinerlei Interesse hatte, diese Kolonien dem Deutschen Reich zufallen zu lassen. Zwar sprach man, aber wohl um zu dilatieren - ich würde sogar sagen, diese Kolonienfrage hätte für den Großbritannien den casus belli bedeutet (insbesondere wegen der Besitzungen in Ostafrika, auf der strategischen Linie Kapstadt-Indien ein Dorn für Großbritannien). Schließlich hatte man früher auf britischer Seite auch den portugiesischen Plan einer kolonialen Verbindung zwischen Ost- und Westküste verhindert (ebenfalls unannehmbar, und der Cape-Cairo-Line querliegend).

Auch wenn Portugal der alte Verbündete Großbritanniens war, mutete Greys Doppelspiel doch ein wenig merkwürdig an. Denn zum Schein, wie wir wissen, war Grey zu wohlwollenden Verhandlungen mit dem Deutschen Reich bereit.

Die deutschen Begehrlichkeiten waren ja schon älterer Natur. Als im Jahre 1898 bekannt wurde, das zwischen Großbritannien und Portugal Verhandlungen wegen einer portugiesischen Anleihe liefen, zur Verhandlungsmasse gehörten u.a. Mocambique und Angola, meldete das Deutsche Reich seine Ansprüche an.

Für eine deutschen Beteiligung an der Anleihe wurde der künftige Erwerb von Nordmocambique, Südangola und Timor verlangt. Großbritannien sollte im Gegenzug die restlichen portugiesischen Kolonien und darüber hinaus auch die Staaten der Buren zugestanden werden. Am 30.August 1898 einigten sich, nach schwierigen Verhandlungen, das Deutsche Reich und Großbritannien bei einem Darlehensersuchen Portugals, die Aufteilung seiner Kolonien, wenn es diese finanziell nicht mehr halten konnte. (1)

Wie schon oben beschrieben, hielt Großbritannien sich aber nicht an diese Vereinbarung, da es Portugal finanziell unterstützte, damit es die Kolonien behalten konnte.



silesia schrieb:
Und ein Hafen im Persischen Golf mit Eisenbahnanschluss in den deutschen Machtbereich war für Großbritannien ebenfalls undenkbar. Hier musste man nachgeben, da das chronisch finanzschwache Deutsche Reich die finanzielle Expansion gar nicht ohne die beherrschenden Kapitalmärkte von London und Paris stemmen konnte.



Stimmt schon, aber das deutsche Nachgeben war schon beachtlich. Und Frankreich und vor allem Großbritannien haben ihr günstige Verhandlungsposition ausgenutzt, um die Bedingungen zu diktieren.


(1) Garvin, Chamberlain, Bd.3, S.307 ff
 
Für das Deutsche Reich blieb damit nur die "Mitteleuropa-Balkan-Bagdad"-Linie zur Expansion, alle weiteren Ambitionen waren in der aufgeteilten Welt nicht mehr realistisch.
Insgesamt hatten alle größeren Mächte "Appetit auf mehr". Aus Sicht der Regierungen erschien es machtpolitisch und auch wirtschaftlich sinnvoller, weitere Landstriche zu erobern/beherrschen und den Ausbau der schon verfügbaren Flächen privaten und lokalen Geldgebern zu überlassen.

Nur neigte sich der zur Verfügung stehende Raum zur Neige, es gab daher immer öfter Konflikte und nicht alle konnten wie Faschoda auf eine friedliche UND nachhaltige Weise gelöst werden.

Folge war damit natürlich, dass die Interessen der Großmächte durchaus auch militärisch durchgedrückt werden sollten und dieses Vorgehen allgemein anerkannt war.

Solwac
 
Insgesamt hatten alle größeren Mächte "Appetit auf mehr".

Gerade im Fall Großbritanniens gab es nur noch kleinere, lokale Aktivitäten. Der "scramble for Africa" war im britischen Interesse 1914 gelaufen, im Fall Portugals wie des Osmanischen Reiches ging es eher um Stabilisierung zur Abwehr der Gelüste anderer Mächte. Sich die portugiesischen Kolonien unter den Nagel zu reißen, wäre ein Leichtes gewesen. Beim Osm.R wie im Fall Chinas war Großbritannien eher bemüht, territoriale Zugriffe der anderen Großmächte zu verhindern, ansonsten die "open-door-Politik" im Freihandel durchzsetzen.

Dazu kamen die alles überragenden strategischen Eckpunkte Gibraltar, Kapstadt, Suez, Indien, Singapur, Hongkong.

Nehmen wir mal den Balkan als Beispiel: Großbritannien war hier insoweit interessiert, als Russland die Beherrschung der Dardanellen verwehrt bleibt (-> Mittelmeer/Suez). Das sind die hot spots, die weiter reichende strategische Interessen betreffen und in denen man sich einmischte. Ansonsten könnte man zuspitzen: Großbritannien war 1914 kolonial das, was Bismarck als saturiert bezeichnete.
 
@Silesia: Und das Great Game? Das zeigt doch das Interesse an weitere Ausdehnung der Einflusssphären.

Andererseits ist natürlich auch klar, dass das größte Kolonialreich am stärksten an der Aufrechterhaltung interessiert ist und daher konservativ agiert.

Solwac
 
Und das Great Game? Das zeigt doch das Interesse an weitere Ausdehnung der Einflusssphären.

Mit Sicherheit galt das für die russischen Ambitionen in Asien.

Bei Großbritannien würde ich - trotz des Agierens zB in Persien etc. - eher die defensive (territorial an sich neutrale) Position sehen.

Ausgangspunkt ist der "indian scare" in Großbritannien, die rezipierte Bedrohung der indischen Grenze, wobei Indien als Schlüssel zum britischen Wohlstand begriffen wurde ...

(ganz so ist das nicht, wenn man sich die britischen Auslandsbeziehungen vor 1914 anschaut: allein der Überschuss in der "Dienstleistungsbilanz" aus der Handelsschifffahrt beliefen sich auf 300 Mio. GBP p.a., das waren ca. 6 Mrd. Mark p.a., eine ungeheure Summe im Vergleich zur Finanzlage des Deutschen Reichs - hinzu kamen noch die Kapitalerträge aus Auslandsanlagen)
 
Nochmal zur Peripherie und Portugal

Die deutsche Öffentlichkeit erfuhr, obwohl zwischen Großbritannien und dem Deutschen Reich Stillschweiger vereinbart worden war, das ein Abkommen geschlossen worden war aus den Münchener Allgemeinen Zeitung vom 16.September 1898:

„Sofern nicht zwingende Gründe –sogenannt Gründe der Staatsraison – ein absolutes Stillschweigen der amtlichen Kreise in Berlin und London erheischen, erscheinen baldige authentische Aufschlüsse, zum wenigsten über die Hauptpunkte der neuen Abmachung mit dem Kabinett von St. James dringend erwünscht, ja unerläßlich […].“ „Denn auf diesem Wege sei es möglich einer Preisgabe von deutschen Interessen entgegenzutreten.“
Es war also schon der Eindruck entstanden, nach Beendigung des „scramble for Africa“ erneut den Kürzeren gezogen zu haben. Und der Eindruck täuschte ja auch nicht, denn die Briten hatten ja nie die Absicht, dass der Vertrag jemals in Kraft treten würde.

Am 14.November 1898 wurden sich Großbritannien und das Deutsche Reich in London über die Samoainseln einig. Bei den Briten dürfte sich auch der Aspekt eine Rolle gespielt haben, dass man sich voll und ganz auf den Burenkrieg konzentrieren musste.

Diese vordergründigen „Erfolge“ an der Peripherie können nicht darüber hinwegtäuschen, dass man auch den beginnenden Gegensatz zwischen Deutschland und Großbritannien zu begegnen. Denn zu gleicher Zeit konnten Aufregungen wegen Beschlagnahmen deutscher Schiffe vor der Küste Südafrikas, der beginnende Bau der deutschen Flotte und nicht zu vergessen das deutsche Engagement im Osmanischen Reich nur mühsam unterdrückt werden.

Die reinen kolonialpolitischen Fragen, waren auf der Gefahrenskala für die deutsch-britischen Beziehungen wohl ziemlich weit hinten zu verorten.

Fröhlich, Imperialismus
 
Die reinen kolonialpolitischen Fragen, waren auf der Gefahrenskala für die deutsch-britischen Beziehungen wohl ziemlich weit hinten hinten.


Sehe ich auch so. Das hatte akut nur die Wirkung von Hintergrundrauschen, und spielte in der Julikrise eigentlich keine wesentliche Rolle.


Nochmal zu Poincaré. Kann man das so zusammenfassen:

- außenpolitisch unerfahren,
- den Zweiverband FRA/RUS als unumstößlichen, nicht riskierbaren Fixpunkt ansehend
- Übernahme der Doktrin seit 1911, dass Deutschland nicht als "Revanchefall", sondern als "Bedrohungslage" anzusehen ist?
 
silesia schrieb:
Nochmal zu Poincaré. Kann man das so zusammenfassen:

- außenpolitisch unerfahren,
- den Zweiverband FRA/RUS als unumstößlichen, nicht riskierbaren Fixpunkt ansehend
- Übernahme der Doktrin seit 1911, dass Deutschland nicht als "Revanchefall", sondern als "Bedrohungslage" anzusehen ist?

Ja.

Elsaß Lothringen war durchaus bei Poincaré präsent; schon das ließ keine enge Beziehung zum Deutschen Reich zu. Krieg aber hatte Poincaré ganz gewisse nicht im Sinn. Ansonsten volle Zustimmung.
 
Ansonsten volle Zustimmung.

Dann würden sich Anschlussfragen ergeben:

- wann begriff Poincaré, dass es um Krieg oder Frieden ging?
- kann man Frankreich in der Juli-Krise als "Getriebenen" bezeichnen (->Herwig/Hamilton)?
- wie viele verbale Wiederholungen/Beteuerungen der französischen Bündnistreue zu Russland sind 1912/14 nachweisbar?
- sind Überlegungen der Juli-Krise mit Elsaß-Lothringen verknüpft, und irgendwo vor dem 30.7.1914 nachweisbar?

Abschließende Frage: War der Auftritt in Petersburg im Juil 1914 diletantisch, sorgenlos und auf unvollständiger Information basierend?
 
Dann würden sich Anschlussfragen ergeben:

- wann begriff Poincaré, dass es um Krieg oder Frieden ging?

Poincaré war eigentlich schon am 29.Juli davon überzeugt, also nach seiner Rückkehr nach Frankreich, das sich der Krieg nicht mehr vermeiden lassen würde. (1) Er war schlicht der Überzeugung, dass das Deutsche Reich nicht mäßigend auf Österreich-Ungarn einwirken würde; genauso wenig wie er bereit war, entsprechend auf Russland einzuwirken. Ihm wird das Ausmaß der Krise und die damit verbundenen Gefahren, eben die mögliche Einmündung in einem Krieg schon während des Staatsbesuchs in Petersburg klargeworden sein. Aber Ponicaré hat absolut zutreffend prognostoziert, das Österreich-Ungarn der serbischen Regierung unzumutbare Forderungen präsentieren würde.

silesia schrieb:
sind Überlegungen der Juli-Krise mit Elsaß-Lothringen verknüpft, und irgendwo vor dem 30.7.1914 nachweisbar?
Mir sind keine bekannt.

silesia schrieb:
wie viele verbale Wiederholungen/Beteuerungen der französischen Bündnistreue zu Russland sind 1912/14 nachweisbar?
Solche Äußerungen hat der französische Botschafter Paléologues am 24.Juli in Rahmen einer Besprechung mit seinen britischen Kollegen Buchanan und den russischen Außenminister Sasonow getätigt. (2)
Zu 1912 müsste ich schauen, ob ich da in meinem Bestand eine Quelle finde. Zum Juli 14 ist das die einizige mir bekannte Quelle

silesia schrieb:
- kann man Frankreich in der Juli-Krise als "Getriebenen" bezeichnen (->Herwig/Hamilton)?
Die französische Staatsführung hatte mit dem erheblichen Nachteil zu leben, das ihr Botschafter in Petersburg eine etwas eigenwillige Informationspolitik betrieb. Beispielsweise hatte der die dramatische Entwicklung zur Generalmobilmachung in Paris nicht bzw. deutlich verpätet kommuniziert. Poincaré und Vivanis Möglichkeiten in der schon zu gespitzten Phase der Julikrise waren während der Rückfahrt auf der France eingeschränkt, wobei sich der Präsident und Ministerpräsident, in dessen Zuständigkeit die Außenpolitik fiel, nicht durch Einigkeit glänzten. Poincaré hat hier ganz schön Druck ausgeübt hat. Nach dem mir bekannten Vorgängen und Ereignissen würde ich Frankreich nicht als "Getriebenen" bezeichnen.

(1)Keigler, France, S.123 und des Weiteren Krummreich, Aufrüstung und Innenpolitik, S.265
(2) Buchanan an Grey, 24.07.1914 BD 11, S.101 und Buchanan, My Mission to Russia an Other Diploatic Memoirs, Bd.I, S.189-191
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
Zu 1912

1912 war der Bündnisfall zwischen Frankreich und Russland unstrittig. Frankreich ist, im Gegensatz zu 1909, in seinen Zusicherungen weitergegangen. Der casus Belli wurde jetzt als gegeben betrachtet, wenn der militärische Konflikt auf dem Balkan begann. Sasonow jedenfall ging davon aus, dass Frankreich Russland auch für den Fall unterstützt, wenn Russland Österreich-Ungarn angreifen würde, nachdem dieses in Serbien einmarschiert sei. (1)

Joffre fantasierte schon:"Ich denke an ihn, ich denke die ganze Zeit daran. Wir werden einen Krieg haben, ich werde ihn führen und ich werden ihn gewinnen. (2)

(1) Internationale Beziehungen im Zeitalter des Imperialismus, Reihe III, Bd. 4.1, S.252 und Zechlin, Adraikrise, S.152

(2) Becker, Comment les Francais sont entrés dans la guerre, S.43
 
Zurück
Oben