Varus, Germanicus, Tiberius: 3 Konzepte?

Pardela_cenicienta

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  • Varus: Aufräumen nach dem Immensum bellum, gute Verwaltung, wirtschaftliche Erschließung, Überzeugung der sympathischen Einheimischen von den Vorzügen des Roman "way of life".
  • Germanicus: Jetzt aber richtig: Getrennter Truppenaufmarsch, maximale Logistik, Feuer und Schwert, "Wozu haben wir denn den Drususkanal, die praktische Nordsee und unsere tolle Flotte auf dem Meer wie auf den Flüssen?", "Nicht Kleckern: Klotzen", 4 Legionen, und den paar Aufständischen mal zeigen was eine Harke ist.
  • Tiberius und seine Nachfolger: Retten was zu retten ist, Stabilisieren der Rheingrenze, Sicherung Galliens, später "Arrondierung" mit Wetterau, rätischem Limes und Dekumatland, Kostenreduktion, trotzdem weiter Handel.
Es stellt sich mir die Frage ob die Varusschlacht und die noch viel katastrophaleren Feldzüge des Germanicus nicht eher den Beginn einer Konsolidierung des römischen Reiches darstellen.

Mich beeindruckt die Flexibilität der römischen Militärkonzeption (so wenige Soldaten für so ein großes Reich!) wie auch die Realität und Konzeption der wirtschaftlichen Erschließung eroberter wie auch nicht eroberter Räume.

Das klingt ein wenig gestelzt, ich meine aber: es hat doch noch Jahrhunderte lang gut funktioniert. Handel wurde getrieben, Soldaten für Hilfstruppen wurden rekrutiert, Gallien war lange sehr sicher.
Was mich besonders fasziniert: die römischen Funde die @Hermundure an der Saale gemacht hat.

War mit und nach Tiberius das römische Reich nicht besser und flexibler gesichert? Also Einsicht in die eigenen wirtschaftlich und militärisch begrenzten Ressourcen?
Nahm z.B. der Ostseehandel im 1. und 2. Jahrhundert nicht sogar deutlich zu?
 
Zuletzt bearbeitet:
Es stellt sich mir die Frage ob die Varusschlacht und die noch viel katastrophaleren Feldzüge des Germanicus nicht eher den Beginn einer Konsolidierung des römischen Reiches darstellen.

Spielen denn die genannten Feldzüge bei der Konsolidierung eine größere Rolle?
War es nicht mehr die Festigung der Kaiserherrschaft nach den langen Jahren des Bürgerkrieges unter Antonius und Augustus?
Auch wenn es immer wieder zu Usurpationen kam, wurde doch dabei doch nie mehr das herrschende System mit der Senatorischen Oberschicht und den dominierenden Familienclans wirklich in Frage gestellt, auch wenn zwischendrin mal ein Exot den Kaiserthron inne hatte.
Grundlegende Konflikte um das Regierungssystem wie unter den Gracchen oder Marius/Sulla gab es nicht mehr.

Das war eine unglaubliche Kontinuität, nur zu erklären durch den großen Wohlstand, der in Rom herrschte.
Und dieser Wohlstand basierte zu einem ganz erheblichen Teil auf dem überaus erfolgreichen römischen Handel. Da werden die militärischen Konflikte heute zu sehr betont.
Der Handel sorgte für Wohlstand und der Wohlstand sorgte für Kontinuität.
Dabei war man den engeren Nachbarn soweit haushoch überlegen, dass diese auch nur nach der Nachahmung Roms strebten. Erst im Laufe der Zeit versuchten sie mit militärischen Mitteln, ein größeres Stück dieses römischen Kuchens abzubekommen. Aber Rom blieb für alle das Vorbild.
 
Ja, Handel funktionierte prächtig, weil es, erstens, eine einheitliche Währung im ganzen Reich gab – das haben wir in Europa erst seit 20 Jahren wieder –, und weil, zweitens, die Außengrenzen größtenteils gut geschützt waren und damit im Innern die sog. Pax Romana herrschen konnte, u.a. mit einheitlichen Gesetzen. Für diesen Frieden mussten, drittens, Provinzen Tributzahlungen in beträchtlicher Höhe leisten – man könnte sie auch Schutzgeldzahlungen nennen: Ohne Weizen aus Afrika wäre Rom nicht das geworden, was er war; dazu trugen die Siege über Karthago und Ägypten entscheidend bei. Und, viertens, war im Reich eine Infrastruktur (Straßen, auf denen Wagen fahren konnten, Wasserversorgung, Kanalisation, dies alles kostenlos vom Staat zur Verfügung gestellt) vorhanden, die ihres gleichen suchte und in Europa erst im/bis 19. Jahrhundert wieder den einstigen römischen Stand erreichte.

An diesen Daten kann man sehen, wie tief und langandauernd der ökonomische Sturz Europas nach dem Ende des römischen Reiches war.
 
Ja, Handel funktionierte prächtig, weil es, erstens, eine einheitliche Währung im ganzen Reich gab – das haben wir in Europa erst seit 20 Jahren wieder

Das stimmt so nicht.
Insofern die römischen Münzen nicht mit irgendwelchen garantierten Nominalwerten funktionierten, sondern sie ihren Wert aus ihrem (edel)Metallgehalt bezogen, war es letztendlich nichts anderes, als wenn Preise direkt in entsprechenden Mengen Metall bezahlt worden wären.
Genau das funktionierte aber auch mit anderen Währungen, die ihren Wert aus ihrem Edelmetallgehalt bezogen.

Selbstrendend konnte man mehr oder weniger europaweit mit einem venezianischen Dukaten oder einem Louis d'or oder anderen einigermaßen stabilen Münzen mit einem entsprechenden Edelmetallgehalt zahlen, im Besonderen Goldmünzen wurden zu allen Zeiten gern akzeptiert, vollkommen gleichgültig wessen Portrait da drauf war.

Kommt hinzu, dass zwar römische Münzen überall im römischen Reich Gültigkeit hatten, aber durchaus nicht das einzige gängige Zahlungsmittel darstellten, insofern regionale Währungen dadurch durchaus nicht verschanden und ohnehin noch sehr viel mehr in Naturalien gehandelt wurde als heute.

Dadurch boten die römischen Münzen letztendlich keine größeren Vorteile für den Handels, als diverse andere Währungen, die ihnen folgten, wenn nur der Edelmetallgehalt hoch und stabil genug war.


Und, viertens, war im Reich eine Infrastruktur (Straßen, auf denen Wagen fahren konnten, Wasserversorgung, Kanalisation, dies alles kostenlos vom Staat zur Verfügung gestellt) vorhanden, die ihres gleichen suchte und in Europa erst im/bis 19. Jahrhundert wieder den einstigen römischen Stand erreichte.

Auch das haut so nicht hin. Die Benutzung der Straßen durch Privatleute, jedenfalls für Transportzwecke war mitnichten kostenlos.
Auch waren durchaus nicht alle Straßen in Rom staatlich, das betraf vor allem die großen Heerstraßen und einige Fernhandellstraßen, ein großer Teil der regionalen Straßen, war aber genau wie deren Erhaltung Sache von Privatleuten.
Wasserversorgung und Kanalisation hatten die größeren Städte, sie standen aber mit nichten jedem Bewohner des Römischen Reiches zur Verfügung.

Und man sollte darüber hinaus auch nicht übersehen, dass für die Aufrechterhaltung dieser Infrastruktur stetig ein gigantisches Heer an Sklaven benötigt wurde, was sicherlich mitunter auch einen Faktor für die Tendenz darstellte dauernd Krieg zu führen.

Pax Romana herrschen konnte, u.a. mit einheitlichen Gesetzen. Für diesen Frieden mussten, drittens, Provinzen Tributzahlungen in beträchtlicher Höhe leisten – man könnte sie auch Schutzgeldzahlungen nennen

Vor allen Dingen könnte man sich die Frage stellen, ob die Praxis und vor allem auch die Praxis der senatorischen Obersschicht sich im Amt des Statthalters entsprechender Provinzen hemmunglos zu bereichern die ökonomischen Grundlagen Roms langfristig untergrub.

An diesen Daten kann man sehen, wie tief und langandauernd der ökonomische Sturz Europas nach dem Ende des römischen Reiches war.

War er das?
 
War mit und nach Tiberius das römische Reich nicht besser und flexibler gesichert? Also Einsicht in die eigenen wirtschaftlich und militärisch begrenzten Ressourcen?

Die Frage ist eben, was wäre die Alternative gewesen?

Gerade im Hinblick auf eine flexiblre Sicherung würde ich durchaus nicht unbedingt zustimmen einfach, weil Rhein- und Donaugrenze stets überproportional viele Truppen banden, obwohl der wirschaftliche Schwerpunkt des Reiches eigentlich mehr im Osten lag.
Bedeutet man schützte am Ende mit großem militärischem Aufwand vor allem ökonomisch minderbedeutsame Provinzen, was sicherlich nicht unbedingt optimal war.

Stellt sich andererseits die Frage, hätte man durch weiteres Vordringen günstigere Grenzen erreichen können, die man mit geringerem Aufwand hätte schützen können?

Oder hätte man sich ein anderes System einfallen lassen können um den Aufwand zu reduzieren?

Wenn ja, wie hätte das aussehen können?
 
Laienfrage:

Wollte man nicht ursprünglich versuchen, die Elbelinie zu erreichen, auch im Hinblick auf günstigere Truppenverteilungen, den Römern schienen ja die ungefähren geographischen Verhältnisse bekannt zu sein?
 
Vor allen Dingen könnte man sich die Frage stellen, ob die Praxis und vor allem auch die Praxis der senatorischen Obersschicht sich im Amt des Statthalters entsprechender Provinzen hemmunglos zu bereichern die ökonomischen Grundlagen Roms langfristig untergrub.

Aber wo war der wirtschaftliche Wendepunkt? Ab wann nahm der Wohlstand der Provinzen ab? Ab wann ging die Bedeutung der Sklavenhaltung zurück? Kam es zu einer Zunahme der mittelständischen Produktionsstätten in den Provinzen?

Zurück zur Frage der Kosten: Ganz klar waren das politische Scheitern des Varus und das militärische Versagen des Germanicus wirtschaftlich nicht tragbar.

Aber für mindestens 250 Jahre danach bestand Wohlstand in den Provinzen, mit einer keineswegs ausufernden Verwaltung und einem effizienten Militär.
 
Laienfrage:

Wollte man nicht ursprünglich versuchen, die Elbelinie zu erreichen, auch im Hinblick auf günstigere Truppenverteilungen, den Römern schienen ja die ungefähren geographischen Verhältnisse bekannt zu sein?

Die Frage ist, welche Verbesserungen hätte das parktisch erbracht?

Man hätte die Grenze etwas 150-200 km nach Osten verschoben, aber nicht wesentlich verkürzt, dass Terrain zwischen Rhein und Elbe wäre nicht unbedingt leicht zu kontrollieren gewesen außerdem wäre dann neben den germanischen Gebieten in Richtung der Oder auch Jütland sehr nah an die römische Grenze heran gerückt und damit der ganze skandinavische Raum.
Weiß nicht, welche Probleme das gelöst hätte.

Ich würde Potential für vorteilhaftere Grenzziehungen eher im Donauraum und in Britannien sehen wollen.
 
Es ging da auch wohl um die Siedlungsgebiete der Markomannen.
Eine Linie von der Elbe bis zur Donau hätte durchaus Vorteile gehabt, vorausgesetzt! man hätte die Stämme in Germanien unter Kontrolle gebracht.
 
Welche Vorteile hätte das gegenüber der Rhein-Donau-Linie de facto gehabt?

Und vor allem: was hätte das gekostet? An Militär, Verwaltung, Infrastruktur? Und welcher "cash flow" aus den neuen Provinzen wäre möglich gewesen?

Natürlich hätte der Harz zum bedeutendsten römischen Bergbaugebiet (leider ohne Gleisanschluss) und die Warburger, Hildesheimer und Magdeburger Börden zu Agrarproduktionsstätten werden können. Die Begeisterung der Römer über die Neuen Bundesländer stelle ich mir aber sehr endlich vor...

Ein wirtschaftlich prosperierendes Markomannengebiet mit seinen Bodenschätzen wäre natürlich stabilisierend für die nordöstlichen Grenzen des Imperiums gewesen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Meine Frage betraf im Prinzip nur, ob Rom überhaupt mit diesem Plan geliebäugelt hatte.

Ob das für Rom als sinnvoll angesehen wurde, können wir wohl nicht beurteilen.
 
Am germanischen Limes war das Wohlstandsgefälle am grössten, und gleichzeitig war das Hinterland am weitesten. Man hätte diese Wohlstandsgrenze immer weiter hinausschieben müssen und dabei die Begehrlichkeiten der nativen Bevölkerung geweckt. So ein Wohlstandsgefälle tendiert zum Ausgleich. In Germanien gab es Bevölkerungswachstum ohne wirtschaftliche Teilhabe, insbesondere für die besagten jungen Männer(youth bulge).

Ein anderes Modell von Handelsnetzwerken wären von Grossreichen unabhängige Handelsstationen, für die auch die lokale Kultur und die regionalen Interessen nicht so eine Bedeutung haben: Man hätte eine gut befestigte Stadt an der Ostsee gegründet, und auf die Beherrschung der Fläche und der Bevölkerung verzichtet. Die Phönizier oder Portugiesen(u.a.) haben von weit entfernten Handelsstützpunkten profitieren können, ohne ein Weltreich über Grenzsicherung kontrollieren zu müssen. Das war den Römern dann doch zu abenteuerlich.

Die französischen Adligen waren zur Zeit des Absolutismus am liebsten am Hof in Paris anwesend. Das gleiche gilt auch für den Senatsadel in Rom. Langfristig war eine Regionalisierung wahrscheinlicher, wo man sich auf den merowingischen Königspfalzen mit dem reisenden Hofstaat des Königs traf. Byzanz war weit weg. Es kam regelmässig nach jeder imperialen Expansion zu Regionalisierung: Cordoba hätte sich aus Bagdad bestimmt nichts sagen lassen, obwohl man noch an den gleichen Gott glaubte.
 
Aber wo war der wirtschaftliche Wendepunkt?
Für mich liegt der Wendepunkt bei Caracalla – Zitat:

Die Unterstützung der Soldaten gewann er, indem er ihren Sold stark erhöhte und sie mit häufigen üppigen Sonderzuwendungen (Donativen) beschenkte. Das Ausmaß der Solderhöhung betrug 50 Prozent,[41] wobei der schon von Septimius Severus deutlich erhöhte Sold die Berechnungsgrundlage bildete. Nach einer von Cassius Dio mitgeteilten Schätzung betrug der dafür erforderliche jährliche Mehraufwand 280 Millionen Sesterzen (70 Millionen Denare).[42] Diese Steigerung der militärischen Personalkosten war jedoch finanzpolitisch verhängnisvoll. Die Bevorzugung des Militärs war nur auf Kosten des wirtschaftlich produktiven Teils der Bevölkerung und der Geldwertstabilität möglich und erzeugte bei den so verwöhnten Soldaten maßlose Erwartungen. Spätere Herrscher konnten diese Entwicklung nicht mehr umkehren, ohne ihren sofortigen Sturz zu riskieren. Somit stellte Caracalla die Weichen für das künftige Soldatenkaisertum.[43] Seine Politik trug dazu bei, dass später die mit dem modernen Schlagwort „Reichskrise des 3. Jahrhunderts“ bezeichneten Entwicklungen eintraten.

Ab wann ging die Bedeutung der Sklavenhaltung zurück?
Sklaven waren das Rückgrat der römischen Wirtschaft – weil sie nicht zum Kriegsdienst eingezogen werden konnten: Egal wie die Situation an den Grenzen war, sie verrichteten weiter ihre Arbeit als ob nichts geschehen. Aber mit dem Ausbleiben der militärischen Erfolge, blieb auch der Nachschub der Sklaven durch Kriegsgefangene aus: Sie wurden zu teuer.

Aber für mindestens 250 Jahre danach bestand Wohlstand in den Provinzen, mit einer keineswegs ausufernden Verwaltung und einem effizienten Militär.
Eben.
 
Es ging da auch wohl um die Siedlungsgebiete der Markomannen.

Das ist ein sehr wichtiges Stichwort. Um die ging es nicht nur nebenbei, was vielleicht in der traditionellen deutschen Fixierung auf den Superhelden Arminius übersehen wird. Aus römischer Perspektive war der primäre Gegner in Mitteleuropa nämlich das Markomannenreich unter Marbod. Velleius streicht das ausführlich heraus: Das sei der einzige unbesiegte Gegner in Germanien gewesen; mit seinem durchtrainierten und disziplinierten Heer aus 70.000 Fußsoldaten und 4.000 Reitern und der relativen Nähe seines Reiches zu den Alpenpässen sei er eine ernste Bedrohung für Rom gewesen. 6 n. Chr. sollte ein großangelegter Feldzug unter Tiberius' Oberkommando diesen Gegner in die Zange nehmen, doch da kam der Pannonische Aufstand dazwischen, und nach dessen Niederschlagung das Varus-Debakel.
Bei all den Maßnahmen, die in dessen Folge ergriffen wurden, wird Tiberius nie das Reich Marbods aus dem Auge gelassen haben. Er wird sich darüber im klaren gewesen sein, dass ein Sieg über die Cherusker keineswegs die endgültige Beherrschung Germaniens zur automatischen Folge gehabt hätte. Vielmehr musste er mit der Möglichkeit rechnen, dass der Rest der Arminius-Koalition dadurch erst recht in die Arme Marbods getrieben würde.
Tacitus kritisiert Tiberius dafür, dass er die Truppen hinter den Rhein zurückbeordert hat, aber so dumm war die Strategie nicht. Er konnte in Ruhe zuschauen, wie sich alsbald Arminius und Marbod gegenseitig beharkten. Wenige Jahre später war dann Arminius von seinen eigenen Leuten ermordet worden, und Marbod saß als Flüchtling in Ravenna.
 
Ich habe das irgendwann mal irgendwo gelesen, in einer populärwissenschaftlichen Veröffentlichung, leider kann ich die Quelle nicht mehr nennen.
Deshalb überhaupt meine Frage (8), weiß jemand von Euch da näheres?
Das auch als Antwort zu 12.
 
Zuletzt bearbeitet:
Vielleicht ist die Sache sehr einfach - Tacitus war ein äußerst fähiger Geschichtsschreiber und Tiberius ein erfahrener Militär. Dass die beiden da einen unterschiedlichen Blick auf die politische Lage hatten - eine Überraschung?
 
Deshalb überhaupt meine Frage (8), weiß jemand von Euch da näheres?
Das auch als Antwort zu 12.

Ich zitiere dazu, was Mommsen geschrieben hat. Ähnliche Überlegungen wurden schon in "Neues zur Varusschlacht" vorgebracht.

Wenn die bisherige Reichsgrenze von der mittleren Donau bis an
deren Quelle und den oberen Rhein und dann rheinabwärts lief, so wurde sie
allerdings durch die Verlegung an die in ihrem Quellgebiet der mittleren Donau
sich nähernde Elbe und an deren ganzen Lauf wesentlich verkürzt und verbessert;
wobei wahrscheinlich außer dem evidenten militärischen Gewinn auch noch das
politische Moment in Betracht kam, daß die möglichst weite Entfernung der großen
Kommandos von Rom und Italien eine der leitenden Maximen der Augusteischen
Politik war und ein Elbheer in der weiteren Entwicklung Roms schwerlich dieselbe
Rolle gespielt haben würde, wie sie die Rheinheere nur zu bald übernahmen. Die
Vorbedingungen dazu, die Niederwerfung der germanischen Patriotenpartei und des
Suebenkönigs in Böhmen, waren keine leichten Aufgaben; indes man hatte dem
Gelingen derselben schon einmal ganz nahe gestanden und bei richtiger Führung
konnten diese Erfolge nicht verfehlt werden. Aber eine andere Frage war es, ob
nach der Einrichtung der Elbgrenze die Truppen aus dem zwischenliegenden Gebiet
weggezogen werden konnten; diese Frage hatte der dalmatisch-pannonische Krieg in
sehr ernster Weise der römischen Regierung gestellt. Wenn schon das
bevorstehende Einrücken der römischen Donauarmee in Böhmen einen mit Anstrengung
aller militärischen Hilfsmittel erst nach vierjährigem Kampf niedergeworfenen
Volksaufstand in Illyricum hervorgerufen hatte, so durfte weder zur Zeit noch
auf lange Jahre hinaus dies weite Gebiet sich selbst überlassen werden. Ähnlich
stand es ohne Zweifel am Rhein. Das römische Publikum pflegte wohl sich zu
rühmen, daß der Staat ganz Gallien in Unterwürfigkeit halte durch die 1200 Mann
starke Besatzung von Lyon; aber die Regierung konnte nicht vergessen, daß die
beiden großen Armeen am Rhein nicht bloß die Germanen abwehrten, sondern auch
für die keineswegs durch Fügsamkeit sich auszeichnenden gallischen Gaue gar sehr
in Betracht kamen. An der Weser oder gar an der Elbe aufgestellt, hätten sie
diesen Dienst nicht in gleichem Maße geleistet; und sowohl den Rhein wie die
Elbe besetzt zu halten, vermochte man nicht. So mochte Augustus wohl zu dem
Schluß kommen, daß mit dem damaligen, allerdings seit kurzem erheblich
verstärkten, aber immer noch tief unter dem Maß des wirklich Erforderlichen
stehenden Heerbestand jene große Grenzregulierung nicht auszuführen sei; di
 
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