Ich fand diese Argumentation überraschend, insbesondere vor dem Hintergrund, dass eine solche Qualifikation mW nicht intensiv in der Literatur diskutiert wird.
Wenn ich da etwas übersehen habe, bitte ich um Hinweis.
Hier im Forum habe ich die These schon 2010 in den Raum geworfen.
Nun ein konkretes, ich denke ungewöhnliches, aber auf seine Art recht eindeutiges Beispiel:
(Nun, ob es sinnvoll, historisch korrekt, fair, rechtens... ist, Völkerrecht von 1948 auf 1904 anzuwenden, ist die andere Frage.)
Im Januar 1904 verkündete Häuptling Samual Maharero per Brief an die Großen seines Stammes:
Zitat:
"
An alle Großleute meines Landes. Ich bin Samuel Maharero, Oberhäuptling der Herero. Ich kämpfe, tötet alle Deutschen. Ich habe einen Befehl an alle meine Leute angefertigt, daß sie nicht weiter ihre Hände legen an folgende: Engländer, Bastards, Bergdamara, Nama, Buren. Alle diese rühren wir nicht an. Tut dies nicht! Ich habe einen Eid geschworen, daß dieser Beschluß nicht bekannt werden darf, auch nicht den Missionaren. Genug!"
Er will alle Deutschen töten (lassen), Afrikaner, Mischlinge, andere Europäer sowie Missionare hingegen verschonen. Die Gewalt ist also gegen eine genau bestimmte Menschen-Gruppe gerichtet.
Was plante Samual Maharero anderes als Völkermord im Sinnne
UN-Konvention von 1948, auch wenn er 1904 natürlich nicht wissen konnte, dass er genau diese vor hatte:
Samual Maharero hatte den Plan das deutsche Volk zumindest teilweise, nämlich den Teil in der Kolonie Deutsch-Süd-West-Afrika in Gänze, zu vernichten, daher Völkermord.
Tatsächlich beginnt der Aufstand der Herero im Januar 1904 wie folgt:
Herero-Krieger überfallen wahllos alle Deutschen, die sie finden können. Gehen zu den Höfen nichtsahnender Siedler, töten die Männer, verschonen hingegen in der Regel Frauen und Kinder. In wenigen Tagen werden über 100 Deutsche getötet, fast ausschließlich Zivilisten.
Darauf folgte die bekannte Niederschlagung des Herero-Aufstandes durch die von General von Trotha befehligten deutschen Truppen.
Die Sache mit dem "alle Deutschen töten" hat bekanntlich nicht geklappt.
Wie könnte man darüber diskutieren:
1. Es könnte die leidige Diskussion um Vergeltung, Rechtfertigung, Aufwiegen von Unrechten, Rechtmäßigkeit von Landbesitz, Kolonien etc. aufkommen.
2. Man könnte versuchen, die Überfälle während des Herero-Aufstandes als gewöhnliche Massaker darzustellen, wobei zu klären wäre, was an Massaker gewöhnlich ist. Oder man könnte darauf verweisen, dass das Töten aller erwachsenen Männer des gegnerischen Stammes eine ganz normale vorhumanistische Kriegstaktik sei...
3. Man könnte auf die geringe Zahl von Opfern verweisen. 123 Menschen sind ja noch lange kein Volk. (Aber eigentlich ist ja die Völkermordsdef. der UNO nicht erfolgsabhängig sondern von der Absicht abhängig.)
Ein Krieg ist nicht gleich ein Völkermord. Daher müsste gefragt werden, ob Samuel Maherero die männlichen Kolonisten als Krieger betrachtete.
Man kann sich natürlich fragen, ob Samuel Maharero die männlichen Kolonisten als Krieger betrachtete, es macht er für die Bewertung des Massakers genauso wenig einen Unterschied, wie die Frage, ob von Trotha alle Männer der Herero als potenzielle Krieger. Man kann sich höchstens fragen, obwohl Samuel Maharero eine Art Unrechtsbewusstsein bzgl. des Massakers hatte.
Ich möchte, ausgehend von Samuel Mahareros Worten, davon ausgehen, dass er zumindest zwischen Missionaren und sonstigen deutschen Männern unterschieden hat. Darin kann man ein Indiz sehen, dass die christliche Religion zumindest Einfluss auf sein Handeln hatte.
Samuel Maharero hätte auch in den Nama potenzielle Gegner sehen können und sie waren es auch genauso viel oder wenig wie die deutschen Siedler. Immerhin gab es einen Jahrezehnte andauernden Konflikt zwischen beiden Völkern und die Nama hat sich dem Aufstand der Herero (noch) nicht angeschlossem, sondern standen in der Schlacht am Waterberg viel mehr auf der Seite deutschen Schutztruppe.
Denn es war Tradition dies möglichst überraschend zu beseitigen, wenn die Indigenen Südwestafrikas Krieg führten.
Ich halte nicht für sinnvoll, dass Massaker ethnisierend zu betrachten. Samuel Maharero hatte sich bereits von vielen Traditionen der Herero verabschiedet und keines in einer indigenen Tradition gefangen. Wie oben angemerkt angemerkt, ließ er die Missionare verschonen.
Das Christentum scheint eine große Bedeutung zu spielen. Es wird nicht an der Notwendigkeit der Missionare gezweifelt. Wichtig erscheint mir, dass sie die Witbooi, die ich im folgenden immer wieder heranziehe, sich bereits noch Gründung des deutschen Schutzgebietes an die Rheinische Mission wandten, män möge ihnen Missionare schicken. Die Orlam waren zwar vor den Repressalien der Buren geflohen, wollten aber auf die religiöse Unterweisung durch Missionare keineswegs verzichten.
Der Prozess einer Europäisierung der Herero hatte schon vor Ankunft der Deutschen begonnen. Sie hatten indirekt von Orlam Nama Teile der europäischen Kultur und Technik übernommen, u.a. Schrift, Religion, Tracht, Feuerwaffen.
Die Stämme der Orlam Nama standen lange unter Einfluss der Buren Südafrikas, wurden sogar als Mischvolk aus Buren und Khoisan verstanden, daher "Baster"/"Bastards". Insbesondere die Afrikaner und Witboois hatten sogar die auf dem niederländischen aufbauende Sprache Afrikaans von den Buren übernommen. Es ist konstruiert, dass man in diesen Bevölkerungsgruppen eine indigene Bevölkerung sieht.
Im 19. Jahrhundert gerieten die Herero unter die Herrschaft der Nama-Gruppe Afrikaner. Deren Kaptein Jonker Afrikaner stützte seine Herrschaft wiederum auf den ihm untergebenen Herero-Kaptein Maharero, der von Jonker Afrikaner aufgebaut wurde. Maharero kehrte seinen Status jedoch um, erhob sich über die Afrikaner und machte sie zu seinen Untergebenen.
Es war auch nicht, dass erste mal, dass die Herero völkermordähnliche Massaker verübten. Sein Vater Maharero ließ in der sogenannten "Blutnacht von Okahandja" am 23.08.1880 sämtliche Nama töten, die angetroffen wurden.
Auslöser war die „Blutnacht von Okahandja" vom 23. August 1880, in der der Herero-Häuptling Maharero alle in seinem Machtbereich lebenden Nama auszurotten versuchte. Nur wenige entkamen mit Müh und Not dem Massaker, unter ihnen auch Hendrik Witbooi, der sich mehr zufällig bei Maharero aufgehalten hatte.
Widerstand und Gottesfurcht im Namibiana Buchdepot
Es gibt einen entscheidenden Unterschied zwischen dem Massaker von Okahandja von 1880 und denen während des Herero-Aufstandes. In Okahandja ließ Maharero als der Beherrscher des Landes die ihn untergebenen Orlam unter einem Vorwand im Schlaf überfallen. Die Herero standen also auf dem Gipfel ihrer Macht. Die Orlam-Gruppe der
Afrikaner verlor dadurch dauerhaft ihre politische und militärische Bedeutung.
Die Gründe für das Massaker vo 1880 an den Orlam in Okadandja hat einen durchsichtigen Grund. 30 Jahre zuvor hatten die Afrikaner dort ein Massaker an den Herero verübt.
Die Massaker seines Nachfolgers Samuel Maharero richteten sich jedoch die keine die herrschende Bevölkerungsgruppe. Gemeinsam ist natürlich das Überraschungsmoment.
Das Beispiel der Afrikaner zeigt, dass den Herero sehr wohl bewusst gewesen sein muss, dass es möglich ist ein anderes Volk auszurotten. 1897 verschwanden die Afrikaner in letzter Auseinandersetzung mit den Deutschen, wobei sich das Vorgegen der Deutschen gegen die letzten auch die Züge eines Massakers geht, nur mit dem Unterschied, dass die Ermordung der letzten Afrikaner als Hinrichtung betrachtet wurde.
Wichtig ist an der Stelle noch die Dominanz der Afrikaner im 19. Jahrhundert.
Wikipedia-Artikel Herero schrieb:
Das 19. Jahrhundert war in Namibia geprägt durch ständige Auseinandersetzungen und gegenseitige Raubzüge zwischen Herero einerseits und den Nama und Orlam andererseits. ... Die Orlam-Afrikaner waren dabei am erfolgreichsten - es gelang ihnen Mitte des 19. Jahrhunderts die fast völlige Ausrottung der Herero (vgl. Vedder: Das alte Südwestafrika, S. 369: „Das Hererovolk hat, soweit wir es kennen, aufgehört zu bestehen.“)
Es gab also aus der jüngsten Geschichte der Herero sehr wohl ein Beispiel dafür, dass es ihnen gelungen ist einen technologisch und militärischen Gegner endgültig zu bezwingen und zwar bei der Ausgangslage, dass die Herero vollständig besieht und unterworfen sind. Warum hätte Samuel Maharero mit den deutschen nicht auch gelingen können, was Maharero Senior mit den Orlam-Afrikanern offensicht gelungen ist.
Ich widerspreche daher insbesondere der Darstellung, dass eine Vernichtung der Deutschen durch die Herero unrealistisch erscheinen muss.
So bleibt weiterhin zu überlegen, welchen Blick die indigene Bevölkerung auf derartige Massaker hatte. Zeitgenössischer Kritik aus der Sozialdemokratie bezeichneten von Trothas Vorgehen als Metzgerhandwerk. Der Nama Hendrik Witbooi (erst auf deutscher Seite, kurze Zeit später Anführer der Nama im Aufstand) hatte aber offenbar einen ganz anderen Blick.
Vorweg: Ich unterstelle, dass Samuel Maharero ähnlich gebildet und sozialisiert war Hendrik Witbooi. Beide stammten zumindest aus angesehenen Kapitän- bzw. Warlorddynastien und Maharero und sein Nachfolger traten ganz im Stil der Orlam-Kapitäne auf.
Hendrik Witbooi schrieb:
Wie ihr wisst, bin ich seit geraumer Zeit unter dem Gesetz, in dem Gesetz und hinter dem Gesetz gelaufen, und zwar wir alle mit aller Gehorsamkeit, doch in der Hoffnung und mit der Erwartung, dass Gott der Vater […] uns erlösen würde aus dieser zeitlichen Mühsal. Soweit habe ich in Frieden und mit Geduld ertragen, und alles, was auf mein Herz drückte, habe ich an mir vorbeigehen lassen …
Aus der Sicht Witboois handelte es bei der brutalen Niederschlagung des Herero-Aufstandes um die Durchsetzung des Gesetzes. Er habe das Gesetz ertragen.
Dies steht natürlich ganz im Gegensatz zu von Trotha, der die Meinung vertrat im Krieg gegen die Afrikaner seien Gesetze anzuwenden.
Hier zeigt sich also ein anderes Verständnis von Herrschaft und Gesetz, die scheinbar mit dem Anrecht verbunden untergebene Bevölkerungsgruppen zu beseitigen. Es wäre an der Stelle noch herauszuarbeiten, ob diese Ansicht eine "traditionell" afrikanischen oder "indigenen" Ansichten aufbaut oder ob die Orlam hier auf ihrem burisch-europäischen Erbe aufbauen. Witbooi kann natürlich einen deutschen Vernichtungsfeldzug das Gesetz halten, wenn doch schon die Ausrottung der Afrikaner Gesetz gewesen war. Für Witbooi ergibt sich aber das Problem, dass die Einhaltung des Gesetzes nicht zur christlichen Erlösung führt und hat darin einen Widerspruch in der kolonialen Herrschaftsideologie entdeckt. Der Widerspruch zwischen Christentum und Gewaltherrschaft wird jedoch nicht gelöst. Für deutsche Seite beschäftigte sich damit nur insofern, dass sie angab, es handele sich bei den Herero und Nama um eine wilde Heiden. Diese Ansicht ist jedoch gänzlich zu verwerfen.