gnlwth
Mitglied
Guten Abend,
Zwar 1814, aber es muss sich ja vorher bereits eingeschlichen haben: In dem Buch Talleyrand amoureux von Casimir Carrère findet sich die Abbildung eines Zettelchens, das der österreichische Geheimdienst während des Wiener Kongresses sichergestellt hat. Der Zettel ist das Ergebniss dessen, was viele Leute machen, wenn sie in einer langweiligen Sitzung sitzen und nur mit einem Ohr zuhören: Sie kritzeln irgendwas vor sich hin. Sie malen Häuschen, Herzchen und Blumen, sie schreiben einen Einkaufszettel, oder einfach das, was ihnen gerade in den Sinn kommt. Der vorliegende Zettel stammt vom Vertreter Frankreichs, Charles-Maurice de Talleyrand-Périgord, und - obwohl er Franzose war (und einer der französischsten Franzosen) - schreibt er (keinen Einkaufszettel, sondern):
Tout à vous, Isabelle
Your etc. etc. etc.
Rasomouski fine girl.
Circa solem girant planetae.
Sol est in medio vorticis nostri,
agitatus motu vertiginis et ebullitionis.
Supra est caelum stelliferum quod
Copernicus existimat a sole tam immense
distari ut circulus integer
a terra descriptus instar puncti se
haberet si conspiceretur ex atiqua stella
fixa.
Saturnius per 29 aut 30 annos
Veneris revolutio est perpetua.
Viel Himmelsmechanik in Latein - aber eben auch Englisch. Man bedenke: 1814 von einem Franzosen auf dem Wiener Kongress.
Viele Grüße,
Gnlwth
P.S. Weitere Erläuterungen für alle, die sich dafür interessieren:
- Isabelle: war mit hoher Wahrscheinlichkeit Isabelle Sobolewska, eine Freundin von Maria Walewska, Maitresse von Joseph Poniatowski, und wie weit Talleyrands Beziehung zu ihr ging, ist wohl nicht ganz klar.
- Rasomouski: André Kyrillowitch Razoumouski (1752-1826), russischer Diplomat. Talleyrand, nicht gerade als Orthographieenthusiast bekannt, hat seinen Namen falsch geschrieben. Razoumouski war wohl ein ziemlicher Schürzenjäger, aber Isabelle Sobolewska scheint nichts mit ihm zu tun zu haben (sie war auch 1814/15 nicht in Wien). Auf wen sich "fine girl" bezieht, ist auch nicht klar.
-Circa solem girant planetae: Hier gibt es zwei Deutungen: Dieser Satz könnte sich auf Razoumouski beziehen, um den wohl die Damen kreisten wie die Planeten um die Sonne, und der sich offensichtlich selbst für ziemlich toll hielt. Es könnte sich allerdings auch auf Napoleon beziehen, der Talleyrand sicher mehr beschäftigte, als obskure russische Diplomaten. Letztendlich kreist alles um Napoleon, so könnte er es durchaus empfunden haben.
Das Ganze ist aber, wörtlich genommen, tatsächlich eine Abhandlung über Himmelsmechanik (auch, wenn es sich unter Umständen auf etwas ganz anderes bezieht) und klingt offensichtlich, als käme sie aus einem Lehrbuch. Auch hierzu finden sich wieder zwei Interpretationen:
1.: Das könnte ein Text sein, den Talleyrand im Seminar von Saint-Sulpice einmal auswendig lernen musste (dort stand anscheinend auch Astronomie auf dem Lehrplan), und er rezitierte aus dem Gedächtnis, an was er sich noch erinnern konnte.
Oder 2.: Talleyrand war mit Laplace befreundet, dessen Werk Traité de mécanique de céleste er besaß, und mit dem er sich vielleicht auch darüber unterhalten hat. Vielleicht stammt der Text aus dem Buch (das ließe sich theoretisch nachprüfen), oder Talleyrand zitierte aus einer Konversation, die er irgendwann einmal mit Laplace hatte.
Das Interessante für mich daran ist doch, ob man um 1800 einen Wechsel von Gallizismen hin zu Anglizismen feststellen kann.
Zwar 1814, aber es muss sich ja vorher bereits eingeschlichen haben: In dem Buch Talleyrand amoureux von Casimir Carrère findet sich die Abbildung eines Zettelchens, das der österreichische Geheimdienst während des Wiener Kongresses sichergestellt hat. Der Zettel ist das Ergebniss dessen, was viele Leute machen, wenn sie in einer langweiligen Sitzung sitzen und nur mit einem Ohr zuhören: Sie kritzeln irgendwas vor sich hin. Sie malen Häuschen, Herzchen und Blumen, sie schreiben einen Einkaufszettel, oder einfach das, was ihnen gerade in den Sinn kommt. Der vorliegende Zettel stammt vom Vertreter Frankreichs, Charles-Maurice de Talleyrand-Périgord, und - obwohl er Franzose war (und einer der französischsten Franzosen) - schreibt er (keinen Einkaufszettel, sondern):
Tout à vous, Isabelle
Your etc. etc. etc.
Rasomouski fine girl.
Circa solem girant planetae.
Sol est in medio vorticis nostri,
agitatus motu vertiginis et ebullitionis.
Supra est caelum stelliferum quod
Copernicus existimat a sole tam immense
distari ut circulus integer
a terra descriptus instar puncti se
haberet si conspiceretur ex atiqua stella
fixa.
Saturnius per 29 aut 30 annos
Veneris revolutio est perpetua.
Viel Himmelsmechanik in Latein - aber eben auch Englisch. Man bedenke: 1814 von einem Franzosen auf dem Wiener Kongress.
Viele Grüße,
Gnlwth
P.S. Weitere Erläuterungen für alle, die sich dafür interessieren:
- Isabelle: war mit hoher Wahrscheinlichkeit Isabelle Sobolewska, eine Freundin von Maria Walewska, Maitresse von Joseph Poniatowski, und wie weit Talleyrands Beziehung zu ihr ging, ist wohl nicht ganz klar.
- Rasomouski: André Kyrillowitch Razoumouski (1752-1826), russischer Diplomat. Talleyrand, nicht gerade als Orthographieenthusiast bekannt, hat seinen Namen falsch geschrieben. Razoumouski war wohl ein ziemlicher Schürzenjäger, aber Isabelle Sobolewska scheint nichts mit ihm zu tun zu haben (sie war auch 1814/15 nicht in Wien). Auf wen sich "fine girl" bezieht, ist auch nicht klar.
-Circa solem girant planetae: Hier gibt es zwei Deutungen: Dieser Satz könnte sich auf Razoumouski beziehen, um den wohl die Damen kreisten wie die Planeten um die Sonne, und der sich offensichtlich selbst für ziemlich toll hielt. Es könnte sich allerdings auch auf Napoleon beziehen, der Talleyrand sicher mehr beschäftigte, als obskure russische Diplomaten. Letztendlich kreist alles um Napoleon, so könnte er es durchaus empfunden haben.
Das Ganze ist aber, wörtlich genommen, tatsächlich eine Abhandlung über Himmelsmechanik (auch, wenn es sich unter Umständen auf etwas ganz anderes bezieht) und klingt offensichtlich, als käme sie aus einem Lehrbuch. Auch hierzu finden sich wieder zwei Interpretationen:
1.: Das könnte ein Text sein, den Talleyrand im Seminar von Saint-Sulpice einmal auswendig lernen musste (dort stand anscheinend auch Astronomie auf dem Lehrplan), und er rezitierte aus dem Gedächtnis, an was er sich noch erinnern konnte.
Oder 2.: Talleyrand war mit Laplace befreundet, dessen Werk Traité de mécanique de céleste er besaß, und mit dem er sich vielleicht auch darüber unterhalten hat. Vielleicht stammt der Text aus dem Buch (das ließe sich theoretisch nachprüfen), oder Talleyrand zitierte aus einer Konversation, die er irgendwann einmal mit Laplace hatte.
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