ning schrieb:
@Marbod
Aber was meinst du im Detail?
A: dass die Situation der Kleinbauern auf röm. Boden keine Attraktion für die Germanen -zum einen- darstellte sich romanisieren zu lassen?
Ich will dir ja auch nichts schuldig bleiben: Mein Problem mit deiner Aussage liegt im folgenden.
Nach meinem Verständniss war die sogenannte "Romanisierung" ein schleichender Prozess und keinesfalls ein Programm, schon gar kein politisches, seitens des Imperiums. Es gibt meines Wissens keine gesicherten Erkenntnisse, daß Germanen die "Romanisierung" überhaupt als solche wahrgenommen hatte, geschweige denn über die Situation der Kleinbauern auf römischem Boden informiert waren, oder sich auch nur dafür interessierten!
An dieser Stelle müßten wir eigentlich eine eigene Diskussion über diese ominöse Situation der Kleinbauern führen, denn hier kann ich deine Einschätzung nicht teilen. Jedenfalls enthalten deine Aussagen über "Großgrundbesitzer" eben die Schlagwörter die sonst auf die Situation der ausgehenden Republik angewandt werden. Für die Spätantike ist mir eine derartige Situation nicht bekannt.
Die "Nichtbesteuerung" der Großgrundbesitzer mag für dich auf den ersten Blick als Ungerechtigkeit aussehen, dabei scheinst du aber die Hintergründe dieses Systems nicht zu kennen. Die Steuerbefreiung stand "nur" den städtischen Kurialen zu, d.h. einer gewissen reichen Bürgerschicht, die die städtische Verwaltung aus ihren eigenen finanziellen Mitteln zu finanzieren hatte. Daher wurde als Ausgleich diese "Steuerbefreiung" eingesetzt. Das ist jetzt allerdings grob vereinfacht dargestellt. Tatsächlich wurde dabei wirklich viel gemauschelt und geklüngelt und diese Befreiung auch ausgeweitet, so dass praktisch jeder Kaiser (der genug Zeit dafür hatte) der Spätantike versuchte, diesem Problem mit neuen Maßnahmen Herr zu werden. Das spätantike Steuersystem ist in der Tat ein sehr schwer zu durchschauendes Konstrukt, daß in der heutigen Forschung immer noch heiße Kontroversen hervorbringt.
Jedenfalls ist es schlicht weg zu einfach anzunehmen, daß die armen Kleinbauern des römischen Imperiums sich für die dekadenten Reichen den Buckel krumm geschafft haben, so kommt mir jedenfalls deine Intention vor.
Zurück zu den wandernden Völkern. Etliche der ins Reich wandernden Völker erhielten in Foederati-Verträgen eine Steuerbefreiung und wurden viel eher als Puffervölker an den gefährdeten Grenzen an der Donau angesiedelt. Oder sie wurden effektiv im Vertrag zur Verteidigung der Grenzen verpflichtet. Jedenfalls interessierte diese Menschen die Situation der "Kleinbauern" ihrer Nachbarschaft herzlich wenig. Es gab im römischen Reich verschiedene Rechtsstände, die angesiedelten Germanen wurden mit den "normalen" Peregrinen nicht einfach auf eine Stufe gestellt, das ganze System war recht komplex. Zusätzlich weiß man einfach nichts über ein Mindestanspruchsrecht aller germanischen Kleinbauern, schon gar nicht zu den angesprochenen Zeiten.
ning schrieb:
B: dass man um Integration bzw. Assoiziation ersuchte? Welche nicht geringe Schar, die ich oben erwähnte (ich hab was jenseits von 100000 in Erinnerung), waren es Langobarden(?), ich weiß es nicht mehr, baten geradezu um Eingliederung, Siedlungsland, also "Romanisierung"? Sie wurden abgelehnt, was den Römern nachfolgende die Markomannenkriege bescherte..
Das Beispiel gehört aber nun in die hohe Kaiserzeit und nicht in die Spätantike und damit die Zeit des Falls von Westrom. Hier lag es schlichtweg daran, daß man sich auf römischer Seite dem Trugschluß hingab, daß Reich noch auf herkömmliche Weise mit eigenen Mitteln verteidigen zu können. Aber in dem Kontext tritt das große Problem der Reichsverteidigung beispielhaft auf. Sobald die problematische Grenze an der Donau befriedet war, regte sich die Ostgrenze und der Kaiser war gezwungen Truppen zu verlegen, worauf die gerade befriedete Grenze geschwächt wurde und er ganze Mist von Neuem begann. Durch den andauernden Druck und vor allem die teilweise jährlichen Raubzüge über Rhein und Donau, die dem Reich wohl einen empfindlichen wirtschaftlichen Schaden bereiteten, war man im Laufe der Jahre vermehrt gezwungen, andere Völker auf dem eigenen Land anzusiedeln, mit den oben angerissenen Verpflichtungen und Rechten. Integration oder gar eine "Romanisierung" war nicht die Intention des Imperiums, so ein Programm gab es nicht. Es war eine zweckgerichtete Machtpolitik, meist auch nur reagierend und nicht agierend.