Es geht nicht um ein Bashing einer Institution oder um das "Schönreden" der DDR. Sondern vor allem geht es bei Analyse bzw. der Historisierung der Treuhand um die Frage wie die revolutionäre Umverteilung im Osten die Biographien vieler ehemaliger Bürger der DDR verändert hat. Und welche Auswirkungen diese Veränderungen auf die Lebensläufe und die Identität hatte.
In diesem Sinne möchte ich Böick in seinem Fazit heranziehen, um den Fokus zu benennen, in dem das Wirken der Treuhand seine historische Bedeutung für Deutschland erhält.
"Führt man die zentralen Befunde dieses Buches .....am Ende zusammen, ließe sich die Organisation pointiert als unternehmerisches Revolutionsregime beschreiben, welches im Osten Deutschlands im Schwebezustand zwischen alter Plan- und neuer Marktordnung in den frühen 1990er Jahren eine einschneidende Markt- und Gesellschaftsrevolution ausgestaltete. Aus der sozialistischen Lebens- und Arbeitswelt ...wurde binnen weniger Jahre im Modus beschleunigter Massenprivatisierungen und -Abwicklungen eine markt- und wettbewerbsbezogene sowie in ihrem Umfang massiv reduzierte privatwirtschaftliche Unternehmenslandschaft. Die Treuhand war in diesem Szenario eine sich selbst radikalisierende Agentin und hochumstrittene Referenz dieses tatsächlich revolutionären Umbruchgeschehens; die in ihren Reihen tätigen Manager, Beamte und Kader als konkrete Praktiker waren damit zugleich Treibende und Getriebene dieser massiven soziostrukturellen wie soziokulturellen Umwälzungen und Umbrüche im Alltag der Wirtschaft und der Übergangsgesellschaft Ostdeutschlands auf dem Weg vom Plan zum Markt." (Böick, S. 733)
Der tiefe Eingriff der Treuhand in die sozialen Strukturen in den Neuen Bundesländern, ohne wirklich ein sozialpolitisches Konzept zu besitzen, war dann das eigentlich soziale und politische Problem. Und der marode Zustand der Volkswirtschaft der DDR ist und war eigentlich keine Legitimation dafür, dass in einem einzigen Kraftakt eine Umverteilung von Ost nach West erfolgte. Ohne langfristig eine Strategie nachhaltig zu verfolgen und einen neuen "Mittelstand" in den Neuen Bundesländern aus den Reihen der Bürger der Neuen Bundesländern zu entwicklen oder die Rolle der Kommunen zu stärken.
Das Agieren der Treuhand erfolgte dabei in einem Kontext einer stark asymmetrischen Machtbeziehung. "Alle Appelle aus dem Osten, das Grundgesetz aus Anlass der Vereinigung zu ergänzen und zum Beispiel mehr Elemente einer direkten Demokratie einzuführen oder soziale Grundrechte zu verankern, scheiterten am Widerstand der konservativen Bonner Regierung." (Ther, S. 318)
Das war insofern problematisch als in der ursprünglichen DDR-Bewegung von 1989 ein originärer politische Begriff von Freiheit und Demokratie eine große Rolle gespielt hatte. Dieser dann aber ignoriert wurde und einer Ökonomisierung des Freiheitsbegriff - als Freiheit des Marktes - weichen mußte.
Dieser Prozess führte damit zu einer revolutionären Veränderung der Lebensumstände und man muss für die neunziger Jahre und die damit zusammenhängenden Lebensläufe die Entwicklung konstatieren: "Außerdem kann man sich unabhängig von der eigenen politischen Position fragen, inwieweit bei den Reformgesetzen Anfang der neunziger Jahre in Ostmitteleuropa und später in Deutschland die Würde des Menschen und die Zwischenmenschlichkeit bedacht wurden." (Ther, S. 324)
Und damit in der Folge zunächst Frustration und Passivität der Wähler erzeugte einerseits in Kombination mit einer starken Angleichung der materiellen Lebensverhältnisse und andererseits als Gefühl einer diffusen politischen Entfremdung gegenüber den Parteien in Berlin. Ein Aspekt, den die Politologie in dieser Zeit nicht nur für die Neuen Bundesländer konstatierte, sondern auch für die Alten.
Es ist somit an der Zeit, eine kritische Historisierung der neunziger Jahre vorzunehmen und vor allem auch kritisch den dramatischen Bedeutungszuwachs der Ökonomie für das politische Handeln zu thematisieren.
Zum einen in Bezug auf die Zerstörung sinnvoller sozialstaatlicher Strukturen wie auch den Rückzug des Staates aus ursprünlich hoheitlichen Aufgaben, wie Militär, Sicherheit, Krankenhaus etc. Und die Wirkungen zu betrachten, die diese Zerstörung für das Gemeinwesen haben. Die Neuen Bundesländer sind dafür - eher unfreiwillig - zu einem wichtigen "Lernfeld" für die Zukunft der modernen Demokratie geworden.
https://www.bpb.de/mediathek/285946/wem-gehoert-der-osten
https://www.bpb.de/mediathek/285989/wer-beherrscht-den-osten