Meine Vorschreibenden haben schon einiges beigetragen, ich möchte dies ergänzen.
Aus schriftlichen Quellen haben "wir" tatsächlich nur wenige ungenaue Hinweise auf die Stammesnamen der politischen Gemeinschaften südlich des Mains. In Tacitus Germania (28,2) findet sich folgender Hinweis:
"So ließen sich zwischen dem hercynischen Wald, den Flüssen Rhein und Main die Helvetier, weiterhin die Boier nieder; beides gallische Völkerschaften; noch lebt der Name Boiaemum fort, obwohl seine Bewohner gewechselt haben."
Bei Klaudius Ptolemaios
(Geographike Hyphegesis, 2.Buch,Kap.2,11(6)
(6) Die Gebiete Germaniens am Rhein bewohnen - wenn man von Norden beginnt - die kleinen Brukterer und die Sugambrer, unterhalb von diesen die Sueben, Langobarden, dann die Tenkterer und Inkrionen zwischen dem Rhein und den Abnoba-Bergen, und ferner die Intuerger, Vargionen und Karitamer, unterhalb von ihnen die Usipeter und die Helvetier-Einöde bis zu den genannten Alpeia-Bergen (d.h. den mit den Alpen gleichnamigen Bergen).
Beide kaiserzeitlichen Autoren des 1./2.Jahrhunderts müssen sich auf ältere Quellen stützen, die eine vormalige Besiedlung rechtsrheinisch in Germanien durch keltische Völkerschaften kannten. Dies ist insofern interessant, da Julius Cäsar dies im Gallischen Krieg (Kap 1,2-5) nicht erwähnt, er und auch Strabon siedeln die Helvetier jenseits des Rheins an (verschiedene Textstellen in der Geographia) im Schweizer Mittelland an.
Grenze zu den Sequanern bildet das Juragebirge, der Rhein wird als Grenze zu Germanien bezeichnet, Strabon nennt den Bodensee, an den das Siedlungsgebiet der Helvetier stößt. Auch wenn Julius Cäsar nicht in allem zu glauben ist, müsste eine Auswanderung "der Helvetier" aus dem südwestdeutschen Raum lange vor dem gallischen Krieg stattgefunden haben, und mit Ereignissen verbunden sein, die wir nicht kennen.
Jedenfalls finden sich tatsächlich in vielen Siedlungen Süddeutschlands etwa ab 85/80 v.Chr. gravierende Veränderungen, archäologisch wird unterstützt, auch wenn die "Helvetiereinöde" wissenschaftlich umstritten ist (war es nur ein ökonomischer Zusammenbruch der Oppidakultur, und blieb eine an Subsistenzwirtschaft orientierte Landbevölkerung übrig?), dass es Ereignisse gegeben hat, die uns nicht bekannt sind, die zu diesen Umbrüchen und eventuell auch Bevölkerungsverschiebungen geführt haben (Kimbern und Teutonenzug, Ariovist, Seuchen, ökonomische Ursachen als Stichworte).
Beispielhaft steht die Datierung der letzten Weinamphoren, die Manching erreicht haben (80-70 BC), oder das Ende des Heidetränkoppidum (Taunus) oder von Tarodunum (Kirchzarten) um die gleiche Zeit. In vielen Gebieten rechtsrheinisch fällt die Fundarmut in Latene D2 auf (ab 85 v.Chr. bis ca 20 v.Chr.).
Beispielhaft ein Text zur südlichen Grenzregion am Oberrhein, an der die Netzwerkbildung entlang der Verkehrsachse Rhein auf beiden Seiten des Flusses besonders eng ist.
http://www.zora.uzh.ch/id/eprint/70736/1/Deschler-Erb_Oberrhein.pdf
Was kann man zur Besiedlung aus den archäologischen Funden sagen? Ein Bevölkerungsschwerpunkt in Latene C/D1 bestand am Neckar, der Neckar bildete die Anbindung an den Mittelrhein von der Donau her,
er bildete eine wichtige Verkehrsachse, an dem Warenumschlagsplätze lagen (bei Speyer z.B. Limburgerhof). Auch der übrige Raum südlich des Mains war durch die frühlatenzeitliche Kultur geprägt, ein zentraler Ort war wahrscheinlich auf dem Heiligenberg bei Heidelberg.
Am Neckar findet sich mit Lopodunum eine römische rechtsrheinische Gründung, deren Siedlungsname auf einen keltischen Vorläufernamen zuürckzugehen scheint (Lokodunum - Seeburg).
EQ hat römische Nachfolgenamen als potentielle Überlieferungen älterer Namen von Gentes erwähnt; ob dies für die erst 125 nach Chr. gegründete Civitas Auderiensium zutreffen könnte, ist meiner Ansicht nach eher unwahrscheinlich (
Civitas Auderiensium – Wikipedia ). Diese Civitas umfasste auch das Gebiet von Darmstadt. Der Name des Hauptortes der Civitas im heutigen Dieburg begann nach archäologischen Funden wahrscheinlich mit
MED, dies könnte auf einen keltischen Ursprung hindeuten (Mediolanum als verbreiteter Ortsname in der Keltike)
. Jedoch ist die Lücke zwischen möglicher Siedlungsveränderung im Spätlatene und Gründung in der römischen Kaiserzeit doch beträchtlich, der ager decumates (wobei unklar ist, wie weit nördlich dieser reichte) und die Ansiedlung der Neckarsueben südlich von Darmstadt sprechen für verschiedene Phasen des Bevölkerungswechsels (germanische und gallische Zuzüge) vor dem Bau des Odenwaldlimes.
Es gibt Dissertationen zum Thema, bei der Hessenarchäologie findet man
Kirsten Gebhard, Die vorgeschichtliche Besiedlung des Kreises Groß-Gerau. (2007).
251 S., 106 Abb., 234 Taf., 8 Kartenbeilagen.ISBN 978-3-89822-425-3 , 20 €,
und hier zum Landkreis Offenbach von Susanne Heun
http://archiv.ub.uni-marburg.de/diss/z2004/0519/pdf/dhs.pdf, die beide die vielfältigen Hallstattzeitlichen und Latenezeitlichen
Funde dieser südhessischen Region bearbeiten. Nur: einen Stammesnamen wird man dort nicht erfahren (jedenfalls ist er mir bei Susanne Heun nicht aufgefallen).
Unten eine Skulptur in Südhessen (Bulau) an einem Hügelgrab, die eine keltische Beerdigungsprozession darstellen soll, vorne ein Druide mit Schwert -
Kulturhistorische Erlebnisstätte Bulau - Rhein-Main-Wiki - Das Online-Lexikon für Rhein-Main