Hallo El Quijote, :winke:
ich habe mit meiner Aussage nicht die Methode gemeint, die du anbietest, da bin ich ganz deiner Meinung, sondern den Schluss den du daraus ziehst
..... was wiederum zu der Erkenntnis führt, dass Epen keine Quellen für Ereignisgeschichte sind
Wahrscheinlich hast du es härter formuliert als du es meinst, bei der Formulierung bleibt kein Platz für die Beispiele, bei denen man eben doch reale Belege fand.
Nein, ich meine das genauso, wie ich es geschrieben habe. Epen sind keine Quellen für Ereignisgeschichte. Das schließt nicht aus, dass Ereignisgeschichte sich in Epen wiederfindet: Im Nibelungenlied z.B. Ereignisgeschichte der Völkerwanderungszeit und Ereignisgeschichte des 12. Jahrhunderts. Nur ist die Ereignisgeschichte der Völkerwanderungszeit total verzerrt und die des 12. Jahrhunderts entkontextualisiert, so dass diese Quellen für den Historiker, der die Völkerwanderungszeit bearbeitet, so gut wie wertlos sind. Soll er etwa aus der Thidrekssaga schließen, dass Thidrek und Hildebrand Schwertleite oder Ritterschlag empfangen haben? Beide werden von ihren Vätern zu Rittern gemacht. Nur Ritter gab es in der Völkerwanderungszeit noch gar nicht, Schwertleite und Ritterschlag sind Erfindungen des Hochmittelalters. Der skandinavische Verfasser der Thirekssaga hat aber genau solches im Sinn.
Nehmen wir noch mal den Cid-Epos, einfach weil das der Epos ist, bei dem die vergangene Zeit zwischen Ereignis und Verschriftlichung am kürzesten von allen mir bekannten Epen ist:
Der historische Cid ist 1099 gestorben. Das Epos endet mit dem Satz "Per Abbat le escrivio en el mes de mayo de era de mill e .cc xlv. años."
"Abt Peter schrieb dieses Buch im Monat Mai der hispanischen Ära 1245."
Die hispanische Ära (
era hispánica) hat die Geschichtswissenschaft vor Rätsel gestellt, niemand weiß woher diese Zeitrechnung, die parallel zur Zeitrechnung Anno Domini in einem Abstand von 38 Jahren läuft, wirklich kommt, aber es gibt ein paar Thesen dazu. Nach unserer Zeitrechnung ist das Jahr 1245 der hispanischen Ära das Jahr 1208.
Nun gibt es aber eine große Debatte, ob Per Abbat wirklich nur der Verfasser des Cid-Epos war, oder nur derjenige, der eine mündliche Tradition aufgeschrieben hat.
Das Argument der Traditionalisten oder Oralisten ist eine Zeile im
Poema de Almería von 1147:
"Ipse Rodericus, Meo Cidi sape vocatus - Selbst Rodrigo, der oft Mein Cid genannt wird".
Hierin sehen die Traditionalisten den unumstößlichen Beweis dafür, dass das Cid-Epos mündlich schon 1147 bestand. Ramón Menéndez Pidal, der Übervater der spanischen Geschichtswissenschaft und der altspanischen Philologie hat daraufhin die Schätzung unternommen, dass das
Poema de Mio Cid um 1125, also knapp 25 Jahre nach dem Tod des Cid entstanden sei. Ich hänge eher der anderen Fraktion an, die in Per Abbat den Verfasser und nicht nur den Sammler des Epos sieht. Die Argumente dafür: Die Versöhnung zwischen dem Cid und König Alfons verläuft nach dem Schema der Leyes de Benavente von 1202 und die Reihenfolge der spanischen Ständeversammlungen in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts entspricht den Treffen zwischen Alfonso und dem Cid im Epos.
http://www.geschichtsforum.de/f53/t...ag-quellen-und-epos-datierung-des-epos-22403/
So, wie dem auch sei, ob nun 25, 50 oder 110 Jahre zwischen dem Tod des realen Cid und dem Cidepos vergangen sein mögen, die Geschichte ist schon in diesem (relativ) kurzen Zeitraum total verzerrt. Aus dem Raubritter, der kein Problem damit hatte, christliche Ländereien im Dienste islamischer Herrscher oder auch zum eigenen Vorteil zu verheeren, wird ein zu Unrecht bescholtenes Opfer höfischer Intrigen, das einzig und allein zum Ruhme seines Königs beinahe den Islam von der iberischen Halbinsel vertreibt, es treten Personen auf,die keine Zeitgenossen des Cid waren etc.
Wenn wir das nun auf unsere Epen übertragen, wo nicht ein, zwei oder vier Generationen zwischen dem Ereignis und dem Epos liegen, sondern ca. 20 - 25 Generationen (oder, wenn man Trajans Arminius/Marbod-These mit einbezieht, sogar gut 48 Generationen zwischen Ereignis und Verschriftlichung), dann wird deutlich, dass ein Epos ereignisgeschichtlich gar keine Beweiskraft hat. Im Falle des Rolandsliedes wären es im Übrigen zwölf bis dreizehn Generationen, die zwischen dem Ereignis und dem Epos liegen.
Hinzu kommen noch die intertextuellen Widersprüche. Im Nibelungenlied lockt Kriemhild ihre Brüder an Etzels Hof um ihren ersten Mann zu rächen - was ihr auch gelingt. Das altskandinavische Atlilied hat eine andere Rolle für Gudrun (ohne Zweifel Kriemhild, denn auch Gudrun hat die Brüder Gunnar und Högni (Hagen ist im Nibelungenlied nicht der Bruder, sondern der Onkel) und auch Gudrun streitet sich - allerdings nicht vor der Kirche, sondern im Bad mit Brynhild, welche die hochrangigere von beiden sei, mit jeweils denselben Argumenten von Kriemhild/Gudrun: "Du bist nur die Konkubine des Dieners"): Gudrun versucht vergeblich ihre Brüder zu warnen, indem sie ihnen einen mit Wolfshaar umwickelten Ring schickt, der ihnen bedeuten soll, dass Atli ihre Ermordung plant um an ihre Schätze heranzukommen. Im Atlilied tötet Gudrun schließlich Attila, um ihre Brüder zu rächen, im Nibelungenlied wird sie von Hildebrand erschlagen und Attila und Dietrich beweinen gemeinsam das Schicksal der Toten. Brynhild, im Nibelungenlied Herrin der Burg Isenstein auf Island, ist in der Thidrekssaga Herrin der Burg Saegart in Schwaben, jenseits der Alpen (also aus italienischer Sicht). Was macht man mit solch widersprüchlichen Nachrichten? Welche hat Vorrang?
Was man sinnvoller Weise machen kann, ist zu versuchen, die politische Verortung des Schreibers in seiner Zeit zu ermitteln. So gibt es z.B. bei Wolfram von Eschenbach die Diskussion, ob er den
Parzival nicht als politisches Stück geschrieben hat, in dem er die Konflikte der Welfen und der Staufer aufgreift. Auch
Reinecke Voss ist ein stauferzeitliches Werk, ein Fürstenspiegel. Heinrich von Veldeke greift in seinem Aeneasroman den Mainzer Hoftag auf, beschreibt also die Zeit nach dem trojanischen Krieg unter Zuhilfenahme zeitgenössischer, selbst erlebter Ereignisse. So können wir natürlich Epen historische Wahrheiten entnehmen, aber diese sind immer zeitnah zum Verfasser, nicht zum beschriebenen Ereignis zu finden.